Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Thema des Monats

Wochenarbeitszeit im Fokus

Stellt sich Henrik van Gellekom auf das Dach des Klinikums Bielefeld an der Teutoburger Straße 50, dann sieht der Pflegedienstleiter gleich vier andere Großkliniken in unterschiedlicher Trägerschaft in direkter Nachbarschaft. Alle diese Kliniken bieten ihren Mitarbeitern Tarifverträge an, so auch das 1 200-Betten-Klinikum Bielefeld.

Um im Kampf um Fachkräfte Mitarbeitern einen echten Mehrwert bieten zu können, musste sich van Gellekom etwas Neues ausdenken. Auf zwei fachlich unterschiedlichen Stationen, der Unfallchirurgie am Standort Mitte (36 Betten) und der Geriatrie am Standort Rosenhöhe (22 Betten), führte er als Pilot am 1. Juli 2023 die Vier-Tage-Woche ein. 30 Pflegekräfte beteiligen sich auf beiden Stationen an dem Projekt der Arbeitswochenverkürzung mit am Ende gleicher Wochenarbeitszeit (38,5 Stunden) und gleichem Lohn.

Die Dienstzeiten wurden verlängert: Die Schichten gehen jetzt von 6 bis 15.30 Uhr, von 13.00 bis 22.30 Uhr und von 21.30 bis 7.00 Uhr. Im Rahmen des Pilotprojektes wurden die Früh-, Spät- und Nachschicht auf eine Dauer von neun Stunden angepasst, wodurch die Mitarbeiter auf eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden kommen – dies entspricht der tariflichen Arbeitszeit einer Vollzeitstelle. Die Besetzung der Dienste auf Station werde durch die Anpassung der Schichten nicht negativ beeinflusst. Die längeren Überlappungen der Dienste seien gewollt, dadurch werde das Personal entlastet, personalintensive Tätigkeiten wie die schwierige Lagerung von Patienten, aufwendige Körperpflege, das Wechseln von Kathetern oder die Ausbildung von Pflegekräften bei Tätigkeiten können nun gemeinsam mit mehr Zeit verrichtet werden.

Das Pilotprojekt habe das Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche zu verbessern und die Work-Life-Balance der Pflegekräfte zu fördern. Michael Ackermann, Geschäftsführer des Klinikums, betonte: „Pflegekräfte sind unverzichtbar für eine gute Patientenversorgung. Wir setzen uns dafür ein, dass sie unter optimalen Arbeitsbedingungen arbeiten können. Das Pilotprojekt Vier-Tage- Woche soll dazu beitragen, die Arbeitsplätze attraktiver zu machen und die Pflegekräfte zu entlasten.“

Doppelt so viele freie Tage

Die Vorteile des Pilotprojektes seien eine Verdoppelung der freien Tage (vorher: elf Dienste in 14 Tagen, heute acht Dienste in 14 Tagen) und die Möglichkeit für Mitarbeiter, die aufgrund von privaten Verpflichtungen keine vollen fünf Tage in der Woche arbeiten könnten, dennoch in Vollzeit zu arbeiten, sofern dies gewünscht ist.

Auch die Patienten profitierten, da das Personal mehr Zeit für die Versorgung habe, sagt Pflegedienstleiter Henrik van Gellekom. Zudem hätten die Pflegekräfte mehr freie Tage, seien entspannter als zuvor. Andererseits erfordert das Vier-Tage-Arbeitszeitmodell auch mehr Personal. „Rechnerisch brauchen wir zehn Prozent mehr Personal pro Station, weil wir die langen Überlappungszeiten haben“, sagt van Gellekom. Woher sollen die kommen? Zum einen hätten Teilzeitmitarbeiter nun aufgestockt, erzählt er. Einige Mitarbeiter, die früher ihre Arbeitszeit reduziert hätten, weil sie mehr freie Tage haben wollten, würden nun wieder Vollzeit arbeiten, da sie immer noch mehr freie Tage hätten mit dem neuen Arbeitszeitmodell. Zudem locke das neue Arbeitszeitmodell auch neue Mitarbeiter aus anderen Kliniken an. Einige Bewerbungen von außerhalb seien schon eingetroffen, extra wegen der Vier-Tage-Woche. „Die Aufmerksamkeit ist hoch“, sagte van Gellekom.

Das Klinikum Bielefeld ermutige alle Mitarbeiter, die die Voraussetzungen mitbringen, sich für die Teilnahme an diesem Pilotvorhaben zu bewerben. „Nicht nur unter der bestehenden Mitar-beiterschaft haben wir für dieses Projekt die Werbetrommel gerührt. Das Klinikum wird zudem eine Werbekampagne in den Jobbörsen starten, um auch externe Pflegekräfte für das Projekt zu gewinnen“, so Geschäftsführer Michael Ackermann. „Es waren nicht alle begeistert und es sind immer noch nicht alle begeistert. Es ist auch kein Allheilmittel, es löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen“, relativiert van Gellekom. Für viele sei es aber „ein sehr guter Dienst, gerade durch die lange Überlappung vor allem in der Mittagszeit“. Bis zum Januar 2024 läuft das Pilotprojekt – erstmal. Ob die Vier-Tage-Woche dann für alle der mehr als 1 000 Pflegefachkräfte im Klinikum Bielefeld Realität wird, bleibt abzuwarten.

Weniger Arbeit, mehr Geld

Nicht nur eine neue Verteilung der Arbeit, sondern eine echte Arbeitszeitverkürzung auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich beinhaltet der bundesweit einmalige „Eisenberger Tarif“, den die Waldkliniken Eisenberg ihren Mitarbeitern seit Juli 2023 anbieten. Mehrere Mio. € lässt sich der Geschäftsführer der Waldkliniken, David-Ruben Thies, den neuen Haustarif jährlich kosten. Die kleine Klinik mit dem chirurgisch-orthopädischen Schwerpunkt im beschaulichen thüringischen Saale-Holzland-Kreis will die Besten für die Klinik und die neue Reha-Einrichtung (Eröffnung im Februar 2024) anlocken. Damit greift Geschäftsführer Thies, zur Freude der Gewerkschaft Verdi, nun quasi in die Vollen: 35-Stunden- Woche bei vollem Lohnausgleich, 9 % Lohnerhöhung, sechs freie Wochenenden pro Quartal, 31 Tage Urlaub, Lebensarbeitszeitkonto, 35 Stunden Weiterbildung pro Jahr – alles dies beinhaltet das neue Tarif-Paket. Ein lukratives Angebot, auch für die Generation Z.

„Der Eisenberger Tarif ist ein klares Bekenntnis zu attraktiven Arbeitsbedingungen und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“, sagte David-Ruben Thies. „Wir schaffen damit einen zukunftsweisenden Rahmen für unsere Mitarbeiter in allen Berufsgruppen und an allen Standorten. Und wir setzen damit neue Maßstäbe in der Kliniklandschaft – Nachahmung ausdrücklich erwünscht“, so Thies weiter.

„Es geht nur über den Weg, die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten“, sagte Grit Genster, Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik bei Verdi. Der Eisenberger Tarif sei eine „sehr gute Vorlage“.

Für die gesamte Gesundheitsbranche gehe eine Signalwirkung von dem „Eisenberger Tarif“ aus, sagen auch Gewerkschafter vor Ort. „Die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist im Krankenhausbereich bundesweit einmalig. In Verbindung mit dem Zeitwertkonto haben wir eine Kombination vereinbart, die nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf berücksichtigt, sondern darüber hinaus die individuelle Planung der bevorstehenden Lebensabschnitte erleichtert“, sagte Verdi-Landesfachbereichsleiter Bernd Becker. Er und Gewerkschaftssekretär Philipp Motzke hatten für Verdi die Verhandlungen geführt. Auch die Gewerkschaft profitiert, denn nur Verdi-Mitglieder kommen in den Genuss des neuen Haustarifs.

Tanja Kotlorz