Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Interviews und Meinungen

Im Gespräch mit David-Ruben Thies, Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg zum bundesweit einmaligen Eisenberger Tarif


„Den größten Sachverstand haben unsere Mitarbeiter“, sagt der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg, David-Ruben Thies. Foto: Guido Werner

Erst der spektakuläre Klinikneubau auf 5-Sterne-Hotel-Niveau, jetzt die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Sind die Waldkliniken und ihr Geschäftsführer wieder Vorreiter für die gesamte Klinikbranche?

Unser Tarif ist relativ neu und ich kenne bisher auch kein Krankenhaus, das eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt hat, so wie wir. Insofern

sind wir Vorreiter.

Was beinhaltet der sogenannte Eisenberger Haustarifvertrag und gilt er für alle oder nur für Verdi-Mitglieder?

Zunächst beinhaltet der Tarif eine klassische Gehaltserhöhung, dieses Jahr vier % und nächstes Jahr nochmal fünf % plus, insgesamt also neun % mehr

Gehalt, eine feste Einmalzahlung für alle Mitarbeiter von 3 000 € über alle Berufsgruppen und Dienstarten hinweg, 31 Tage Urlaub, 35 Stunden im Jahr Weiterbildungszeit für jeden Mitarbeiter, sechs freie Wochenenden pro Quartal garantiert, das ist vor allem für die Pflege und den Schichtdienst sehr wichtig. Wir haben außerdem eine Entgeltumwandlung mit drin. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer entscheiden kann, sein Bruttolohn zum Teil umzuwandeln zum Beispiel für ein Dienstauto oder ein Dienstfahrrad und spart sich dadurch seinen sozialversicherungspflichtigen Anteil auf sein Bruttogehalt. Wer möchte, kann aber auch bis zu 42 Stunden in der Woche arbeiten und sich jährlich entscheiden, nehme ich das Geld oder packe ich diese zusätzlichen Stunden auf mein Lebensarbeitszeitkonto.

Und geht dann früher in den Ruhestand?

Genau. Das ist das Besondere daran. Eine junge Krankenschwester, die bei uns anfängt und das Lebensarbeitszeitkonto maximal ausnutzt, könnte schon mit 57 Jahren in den Ruhestand gehen. Man kann aber auch sagen, ich mache ein Sabbatical, spare Lebensarbeitszeit an und nehme mir ein halbes Jahr eine Auszeit und fahre mit dem Rad die Panamericana. Oder Menschen im höheren Alter, denen der Job zu belastend wird, die reduzieren dann die Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden und stocken ihr Gehalt wieder mit dem Angesparten auf.

Kommen nur Verdi-Mitglieder in den Genuss des Eisenberger Tarifs?

Ja.

Warum?

Weil wir zu einem starken Solidarprinzip stehen möchten. Wir wollten etwas Besonderes von Verdi haben, das weit über den Flächentarifvertrag hinausgeht und setzen uns im Umkehrschluss auch für eine starke Gewerkschaft ein. Dahinter steht eine demokratische und politische Haltung. Wenn Gewerkschaften etwas verhandeln, dann gilt es zuerst nur für die Mitglieder. Wir wenden geltendes Gesetz an.

Erlebt Verdi jetzt einen Run?

Ja, klar. Verdi hat innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung des Tarifvertrages achtzehnmal so viele Mitglieder erhalten. Wir hatten rund 20 in der Klinik und liegen jetzt bei rund 350 Verdi-Mitgliedern in der Belegschaft.

Wieviel Personal fehlt Ihnen durch die Verkürzung der Arbeitszeit unterm Strich und woher bekommen Sie die nun zusätzlich benötigten Arbeitskräfte?

Wenn heute alle die 35-Stunden-Woche in Anspruch nehmen würden, fehlten uns 70 Vollzeitstellen. Die kommen jetzt, weil es einen tollen Tarifvertrag gibt, und viele bewerben sich bei uns. Seitdem wir den Tarif anbieten, ist ein richtiger Run entstanden.

Wie schwierig ist es, Personal nach Eisenberg zu locken?

Gute Leute halten und neue Leute finden ist schwierig. Allein für unsere neue Reha-Einrichtung, die im Frühjahr 2024 öffnet, brauchen wir 100 bis 120 neue Mitarbeiter. In der Pflege und in den orthopädischen Ärzte-Teams hatten wir in der Klinik bisher nie große Probleme gutes Personal zu bekommen, aber in einigen Bereichen, wie zum Beispiel in der Inneren Medizin oder Anästhesie, suchen wir mit großem Aufwand. Jetzt wollen wir noch mehr Personal und die Besten finden. Gerne möchten wir mal in die Situation kommen, wo man wieder Personal aussuchen kann.

Wie vermarkten Sie den Eisenberger Tarif?

Pressemitteilungen, viel Mund-Propaganda, Gespräche im Freundes- und Privatkreis, Social Media, Influencer.

Eisenberg hat etwa 11 000 Einwohner. Wie bekommt man junge Menschen in die kleine Kreisstadt bzw. in die Klinik?

Wir bekommen unsere Auszubildendenplätze eigentlich immer gut besetzt. Das Paket, das wir jetzt mit dem Eisenberger Tarif geschnürt haben, spricht ja besonders diese Generation Z oder Y an. Stabiler Dienstplan und nicht aus dem Frei in die Klinik geholt werden, das sind Dinge, die nicht nur der jungen Generation wichtig sind und die bieten wir an. Wir haben jetzt ganz andere Denk- und Spielarten für tolle Arbeitszeitmodelle.

Was machen Sie sonst, um Personal zu gewinnen?

„New Work in der Medizin oder wie die Utopie gelingen kann!“ Das ist der Titel des Buches, das ich zusammen mit anderen Autoren geschrieben habe und das ist auch unser Credo hier in Eisenberg. Es geht darum, was ich zur Zufriedenheit von Mitarbeitern beitragen kann, wie Wertschätzung, selbstorganisierte Teams, Einbinden bei Veränderungsprozessen, gut zuhören, schnell reagieren, den Mitarbeitern ihre Berufung zu geben, Menschen von dem ganzen administrativen Blödsinn – das macht immerhin 40 % der Arbeit aus - befreien. Wir nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung, trainieren andere Abläufe, vermeiden Störungen und Belastungen, damit der Arzt und die Pflegekraft zur ursprünglichen Berufung zurückkommen. Den größten Sachverstand haben unsere Mitarbeiter selbst, daher beteiligen wir sie.

Was kostet das neue Mitarbeiter-Paket und wie finanzieren Sie es?

Unser Haustarifvertrag steigert unsere Personalkosten um ca. 10 %. Das ist unsere unternehmerische Aufgabe, wir müssen das finanzieren. Es gibt kein Extra-Geld von den Krankenkassen. Nur die Pflege am Bett wird von den Kassen bezahlt, wenn sie im Tarifvertrag steht.

Wie ist die Reaktion Ihrer Mitarbeiter?

„Wo ist der Haken?“, haben anfangs viele gefragt. Das hat sich mittlerweile gelegt und nun überwiegt die Freude.

Glauben Sie, dass sich die 35-Stunden-Woche auch andere, große Kliniken oder Klinikverbünde leisten können?

Ja klar. Das schmälert zwar deren Rendite, aber das finde ich ja gut so. Ich halte nichts davon, dem Sozialsystem Gewinne, die man auf Kosten der Mitarbeiter erzielt hat, zu entziehen.

Geraten Kliniken, wenn sie immer attraktivere Angebote machen, wie weniger Arbeit und mehr Verdienst, am Ende nicht in Existenznöte?

Gegenfrage: Was passiert, wenn ich überhaupt keine Fachkräfte mehr habe? Wir sind in einer Zeit, in der man hinhören muss, was Fachkräfte heute haben wollen. Wir setzen jetzt gerade unterschiedliche Arbeitszeitmodelle um, auf Basis unseres Tarifvertrages. Im ärztlichen Dienst gibt es zum Beispiel ein großes Interesse an der Vier-Tage-Woche.

Das Interview führte Tanja Kotlorz