Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Politik

„Zu viele Prüfaufträge, Absichtserklärungen, Formelkompromisse“


Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß, Dr. Cornelia Klisch, Vorsitzende des Ausschusses für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung des Thüringer Landtages (SPD), Claudia Bernhard (Die Linke), Gesundheitssenatorin der Freien Hansestadt Bremen, und DKG-Präsident Ingo Morell. Foto: DKG/Lopata

Das Timing hätte nicht besser sein können: Einen Tag nach der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers, auf das sich die Bund-Länder-Gruppe am 10. Juli nach zähem Ringen geeinigt hatte, trafen sich Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Kliniken in Deutschland auf dem Krankenhausgipfel 2023 „spezial“, zu dem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) eingeladen hatte. Vom Abschluss der Eckpunkte für die Krankenhausreform bis zu einem Gesetzentwurf sei es noch ein weiter Weg, so DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß. Die Reform habe sich zwar im Vergleich zu ihrem Ursprungsentwurf vom 6. Dezember 2022 deutlich weiterentwickelt. Letztlich sei nun der Krankenhausplan in Nordrhein-Westfalen, den das Bundesland im Schulterschluss mit der Landeskrankenhausgesellschaft und den Krankenkassen in einem jahrelangen Prozess gemeinsam erarbeitet hatte, die „Blaupause für die Klinikreform“ des Bundes und der Länder geworden. „Die Länder haben dafür gesorgt, dass die weitgehenden und aus unserer Sicht auch unrealistischen Vorstellungen auf ein vernünftiges Maß zusammengeschrieben wurden“, bilanzierte Gaß. In dem 15-seitigen Dokument der „Eckpunkte“ seien an vielen Stellen nicht mehr als Formelkompromisse, Überschriften, Prüfaufträge und Absichtserklärungen zu finden. Zudem sei der Ambulantisierung am Krankenhaus kein Stellenwert beigemessen worden. Was gänzlich fehle, seien zudem konkrete Maßnahmen zur Entbürokratisierung.

Die Unbestimmtheit vieler Aussagen im Eckpunktepapier berge Unsicherheit und gebe den Krankenhäusern noch keine verlässliche Grundlage für die weiteren Planungen. Diese Unklarheiten prägten auch die Diskussionen auf dem Krankenhausgipfel „spezial“ in Berlin.

15 Bundesländer müssten nun ihre Krankenhauspläne ändern, sagte Dr. Gaß. Bis rechtsverbindliche Feststellungsbescheide an die Kliniken rausgehen könnten, könnten fünf Jahre ins Land gehen. Prekär sei für die Kliniken die äußerst angespannte finanzielle Situation, die ohne Vorschaltgesetz zu einem „ungeordneten Krankenhaussterben“ führen werde, noch bevor eine Reform greifen könne. „Und diese insolventen Standorte können auch nicht wiederbelebt werden“, mahnte Dr. Gaß.

Gute Ansätze und ein „politischer Offenbarungseid“

Die Eckpunkte zeigten in der mittel- und langfristigen Reformplanung gute Ansätze, die auch die Kliniken unterstützten. Es werde erkennbar, dass die einheitlichen Verfahren und Maßstäbe der Krankenhausplanung für alle 16 Bundesländer eine Chance für die bedarfsgerechte Zuordnung von Versorgungsaufgaben auf die Standorte sei. Auch die Finanzierungsreform mit einer Vorhaltefinanzierung könne langfristig dazu beitragen, Krankenhausversorgung angemessen zu refinanzieren. Dazu müsse aber auch das Gesamtvolumen passen, das von der Politik zur Verfügung gestellt wird. Doch gerade in der kurzfristigen Gestaltung und Sicherung verweigere sich die Politik notwendigen Handlungen, klagt der DKG-Vorstandsvorsitzende. „Wir sind fassungslos, dass Bund und Länder tatsächlich das unkontrollierte Kliniksterben hinnehmen. Von einer Existenzgarantie, gerade für die Krankenhäuser im ländlichen Raum, in den kommenden Jahren kann überhaupt keine Rede sein. Es ist Aufgabe von Politik, zu gestalten, es ist aber auch die Verantwortung von Politik, für einen geordneten Übergang in die neue Krankenhauswelt zu sorgen, um Schaden von der Bevölkerung durch Versorgungslücken abzuwenden. Wenn sowohl Bund als auch Länder hier nicht aktiv werden, ist das ein politischer Offenbarungseid. Wir laufen Gefahr, bis 2027 die Finanzierungsreform tatsächlich greift, Versorgungslücken in Deutschland zu schaffen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Und dies mit extremen Auswirkungen sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch für das politische System. Wir sollten uns alle daran erinnern, dass im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Stadt und Land verankert ist. Diesem Anspruch muss man gerecht werden“, so Dr. Gaß. Auch bei den langfristigen Reformmaßnahmen gebe es weiterhin Unklarheiten. „Es wird sehr auf die Ausgestaltung ankommen. Bei der Mischfinanzierung aus Vorhaltepauschalen und leistungsabhängiger Vergütung steckt der Teufel im Detail. 40 % der Finanzierung der Kliniken wird weiter über leistungsabhängige Pauschalen erfolgen und auch die Vorhaltung hängt an Fallzahlkorridoren, bleibt also leistungsabhängig. Wie und ab wann die Krankenhäuser wirklich durch die Vorhaltefinanzierung in eine finanziell sichere Zukunft geleitet werden, hängt hier von der Detailgestaltung ab“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende.

Enttäuschend sei, dass sich die Länder nicht zu einer Selbstverpflichtung für eine angemessene Investitionsfinanzierung durchgerungen hätten. „Es ist untragbar, dass man offensichtlich weiter davon ausgeht, dass Krankenhäuser am Personal sparen, um die lückenhafte Investitionsfinanzierung mit eigenem Geld aufzufüllen.“ Jeden Monat müssten die Kliniken der-zeit noch 500 Mio. € mitbringen, um ihren Versorgungsauftrag zu gewährleisten.

Derweil verteidigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Eckpunkte der Klinikreform als „sehr großartiges Ergebnis.“ Beide Seiten, Bund und Länder, hätten sich bewegen müssen bei dem Reformprozess. Und auch auf Regierungsebene sei eine „vorzügliche Arbeit“ geleistet worden. „Das Ergebnis ist sehr beachtlich“, so Lauterbach. Sowohl bei der Entökonomisierung könne er durch Einführung der Vorhaltepauschalen als auch bei der Qualität durch Einführung von Leistungsgruppen und das nun vom Bund geplante Transparenzgesetz einen Haken machen. Lediglich beim Punkt „Entbürokratisierung“ gab Lauterbach seinem Vorredner Dr. Gerald Gaß recht. Aber auch hier sei geplant, dass weniger Einzelfall-, sondern mehr Prozessprüfungen in den Kliniken stattfinden sollten. Konkreter wurde der Bundesgesundheitsminister an dem Punkt nicht.

Die Perspektive der Länder

Im anschließenden politischen Diskurs bekräftigte Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Baden-Württembergs Gesundheitsminister und Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), nochmal, dass die Länder die gesetzliche Verantwortung trügen für die Krankenhausplanung. Im Eckpunktepapier sei die Pluralität und Parität von Bund und Ländern indes gewahrt. Lucha betonte, dass er sich für den Bürokratieabbau in den Kliniken einsetzen werde. „Die Menschen müssen sich mit der Arbeit beschäftigen und nicht mit der Dokumentation“.

Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek (CSU), hatte als einziger Gesundheitsminister gegen die Eckpunkte gestimmt (Schleswig-Holstein hatte sich enthalten) und betonte nun erneut, dass man sich zum „Insolvenzverwalter der Kliniken“ mache mit einem solchen Eckpunktepapier. Zu viel sei von „Prüfaufträgen“ in den Eckpunkten die Rede. „Wir wissen alle, was das bedeutet: Es gibt kein Geld!“ Alle werden sich noch wundern, prophezeite der Minister, „was in der Tiefe des Genehmigungsverfahrens rauskommt.“ Erst durch den Input der Länder im Laufe der vielen Gespräche zwischen Bund und Ländern sei überhaupt ein praxistauglicher Reformentwurf entstanden.

Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) provozierte die anwesenden Klinikmanager mit der Aussage, dass Krankenhausstandorte und Krankenhausmanager „nicht die Veränderungswilligsten seien“ und dass die aktuelle Situation den Kliniken auch nicht weiterhelfe. Ihr Bundesland habe vor zwei Jahren schon Gutachten zur Analyse der Kliniklandschaft in Auftrag gegeben. Dr. Cornelia Klisch, Vorsitzende des Ausschusses für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung des Thüringer Landtages (SPD), skizzierte die ostdeutsche Situation. Die Kliniken in den neuen Bundesländern hätten nach der Wende bereits einen drastischen Schrumpfungskurs durchlebt. Inzwischen sei jede Klinik dringend nötig, ein weiterer Abbau hätte fatale Folgen, die politische Gegner für sich instrumentalisieren würden. „Wir wollen und müssen jeden Klinikstandort erhalten“, sagte Dr. Cornelia Klisch.

Ingo Morell, Präsident der DKG und Vorsitzender der Krankenhausgesellschaft in NRW, stellte das rasante Tempo bei der Klinikreform infrage und merkte an, dass der neuen, auf Leistungsgruppen aufbauenden Krankenhausplanung in NRW ein langer Prozess zugrunde liege und diese Planungen bereits 1918/1919 begonnen hätten. „Das geht nicht von heute auf morgen.“ Zudem stelle das Land NRW 2,5 Mrd. € Transferkosten für den Umbauprozess zur Verfügung. Morell: „Wir brauchen Qualität vor Schnelligkeit.“ Beim Thema Finanzierung konnte auch CSU-Minister Holetschek für den Freistaat Bayern punkten, der gerade erst 646 Mio. € Investitionsmittel seinen Kliniken zur Verfügung stellt. Diese finanzielle Stabilität sei dringend nötig, so Holetschek, „damit die Kliniken die Reform noch erleben.“ Der Bund indes habe keine Finanzzusage für die Umsetzung der Klinikreform gemacht. Holetschek an Lauterbachs Adresse: „Ich lasse mich nicht über den Tisch ziehen!“

Ohne einen Innovationsfonds werde es keine großen Sprünge bei der Klinikreform geben, gab auch Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard für ihr finanziell eher klammes Bundesland zu bedenken. Thüringen habe seine Investitionsmittel für die Kliniken immerhin fast verdoppelt auf 350 Mio. €, rechnete Dr. Cornelia Klisch vor, dennoch: „Geld ist immer ein Problem.“ Morell betonte, dass die Krankenhausreform auch dazu führen werde, dass Standorte geschlossen werden, und lud die Politiker ein, den Mitarbeitern und Patienten vor Ort diese Botschaften dann zu überbringen. Hinsichtlich der regionalen Öffnungsklauseln wurde bei der Diskussion sehr deutlich, dass es auch hier nicht immer ein gleichlautendes Verständnis für die Begriffe gibt. „Die Reform wird daran gemessen, ob sie Zentralisierung, Verbesserung der Qualität und wohnortnahe Versorgung austarieren kann. Die regionalen Besonderheiten müssen gewahrt bleiben. Und bei der Qualitätsdebatte darf auch nicht vergessen werden, dass auch wohnortnahe und niedrigschwellige Zugänge Qualitätsmerkmale sind“, sagte Dr. Gaß.

Wissenschaft und Praxis zur Reform

„Die Sicht von Wissenschaft und Praxis auf die Krankenhausreform“ diskutierte Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG, mit Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin und Mitglied der Regierungskommission zur Krankenhausreform, Prof. Dr. Erika Raab, Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling, und Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken GmbH.

„Ich bin froh, dass die Verknüpfung von Leveln mit den Leistungsgruppen erstmal vom Tisch ist“, sagte Lullmann. „Wir wissen aber nicht, was uns erwartet. Bis die Reform greifen kann, brauchen wir in den nächsten Jahren mindestens 5 % vom Erlösvolumen an Investitionsförderung, um über die Runden zu kommen. Die Ignoranz der Politik hat fatale Wirkung“, so Lullmann weiter.

Ob er enttäuscht sei, weil zu wenig von den Empfehlungen der Kommission in den Eckpunkten wiederzufinden sei, fragte Moderatorin Rebecca Beerheide vom Deutschen Ärzteblatt Reinhard Busse. Der Verzicht auf die Stufen-Einteilung im Rahmen einer Krankenhausreform werde noch „zurückschlagen“, sagte Busse. Das Konzept der Level sei ein wesentliches Kernelement der Kommissionsvorschläge gewesen. Auch bei der Definition der Leistungsgruppen gebe es noch Lücken. Ärgerlich sei das „Wissenschaftsbashing“ im Zusammenhang mit Gutachten und Vorschlägen. „Da wäre ein bisschen mehr Respekt angebracht. Wir arbeiten mit den Daten der Krankenhäuser und der

Kassen“, so Busse.

Prof. Neumeyer ordnete die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein, mit neuen Daten Transparenz über die Behandlungsqualität in Krankenhäusern zu schaffen. „In den Qualitätsberichten der Krankenhäuser, die jedem jederzeit zugänglich sind, ist alles zu lesen.“ Es lägen enorme Mengen an Abrechnungs- und Routinedaten vor, so Neumeyer. Diese müssten gut aufbereitet werden und die Aussagefähigkeit überprüft werden. „Solche Daten müssen sauber validiert und an der Versorgungsrealität gemessen werden“, ergänzte Prof. Raab.

Lullmann berichtete über seine Erfahrung als Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken mit einschneidenden Strukturveränderungen und gab so einen Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen bei Schließungen oder Umwidmungen von Krankenhäusern. Anfang 2023 hat das Haus die Umwandlung des Marienhospitals Ankum in ein Regionales Gesundheitszentrum vollzogen. Solche Umwandlungen lassen sich nicht ohne Widerstand durchsetzen: Frühzeitig habe man die Pläne mit Ministerien und Kostenträgern besprochen, mit Gemeinderat und Kirchen. Vor den Landtagswahlen 2022 in Niedersachsen sei das nicht möglich gewesen, die Umwandlung auf den Weg zu bringen. „Von Anfang an gab es eine Bürgerinitiative, die aggressiv Stimmung gemacht hat gegen die Pläne. Das hat auch die politische Stimmung massiv beeinflusst. Plötzlich war auch das Vertrauen in die Geschäftsführung erschüttert. Wir haben wirklich kämpfen müssen, um unser Konzept auf den Weg zu bringen“, so Lullmann.

Skeptisch gaben sich die Teilnehmer der Diskussion zur Frage, ob das Ziel eines spürbaren Bürokratieabbaus mit der Krankenhausreform bzw. mit den aktuellen Eckpunkten, aus denen über den Sommer ein Gesetzentwurf werden soll, erreicht werden kann. „Wir werden weiter DRGs haben, dazu bestimmte Strukturmerkmale der Leistungsgruppen und externe Qualitätssicherung“, so Raab. Einen Verzicht der Kostenträger auf Einzelfallprüfungen, wie von Lauterbach erwartet, werde es kaum geben, so die Medizincontrolling-Expertin.

Tanja Kotlorz/Katrin Rüter