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Politik

„Es geht um Respekt“


Dr. Gerald Gaß ging hart ins Gericht mit der Politik des Bundesgesundheitsministers: Lauterbach spreche häufig von Entökonomisierung, um Medizin und Pflege wieder mehr Gewicht im Krankenhaus zu geben. „Tatsächlich hat kein Gesundheitsminister vor Ihnen den ökonomischen Druck so brachial angeheizt wie Sie“, so Gaß. Foto: DKG/Lopata

Zum Austausch „in entspannter Atmosphäre“ hatte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zum Sommerempfang am 3. Juli 2023 in Clärchens Ballhaus eingeladen. Das Ambiente in dem legendären Tanzlokal in Berlin Mitte ist jedenfalls deutlich weniger formell als es beispielsweise im Hotel Hyatt war, wo vor der Coronapandemie die Frühjahrsempfänge stattfanden. Die rund 300 Gäste, Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Vertreter der Länder und Gäste aus den Gremien der Selbstverwaltung, des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und der Verbände des Gesundheitswesens, wussten die inspirierende Patina und den diskreten Charme des Verfalls des altehrwürdigen Tanzlokals zu schätzen.

Die Atmosphäre war locker, aber Entspannung war, vor allem bei den Gästen aus den Krankenhäusern und ihren Institutionen, nicht zu spüren. Denn die Lage der Kliniken ist äußerst angespannt. Die Begrüßung der Gäste durch den DKG-Vorstandsvorsitzenden Dr. Gerald Gaß, aber auch viele Gespräche der Entscheidungsträger in den Krankenhäusern mit Politikern und Wissenschaftlern waren von Enttäuschung und Bitterkeit geprägt.

Dr. Gerald Gaß brachte es gleich zu Beginn seiner Begrüßungsrede auf den Punkt: „Im Jahr 1 nach der Pandemie müssen wir feststellen: Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser in Deutschland war noch nie so dramatisch wie zurzeit. Wir stehen am Vorabend eines Krankenhaussterbens und es werden auch Kliniken aus finanziellen Gründen aufgeben müssen, die wir in Zukunft für unsere Versorgung benötigen.“ Der DKG-Chef erinnerte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an die zentrale Botschaft seiner Partei, der SPD, im Bundestagswahlkampf 2021: rote Plakate mit einem Wort in weißer Schrift: „Respekt“. Dieser Respekt fehle bei der derzeitigen Krankenhauspolitik.

Es gehe den Kliniken nicht um das Ob und das genaue Wie Einer Krankenhausreform, sondern um den Weg dorthin, um den Transformationsprozess zu dieser neuen Wirklichkeit mit mehr ambulanter und weniger vollstationärer Behandlung im Krankenhaus, mehr digitaler Unterstützung, weniger Bürokratie und lähmende Regulierung, mit gezielter Patientensteuerung und einer strukturierten Zusammenarbeit von Zentren und regionalen Häusern, und auch um die Transformation ganzer Standorte, um Fusionen und regionale Gesundheitszentren.

Die drei K: Kohle, Kernkraft, Krankenhäuser

„Auch wenn wir manches in der neuen Wirklichkeit anders machen würden, als die Regierungskommission vorgeschlagen hat, am Ende entscheidet das Parlament in einer Demokratie, das werden wir selbstverständlich respektieren“, so Gaß weiter. Die Politik habe das Recht und vielfach auch die Aufgabe, neue Regeln zu setzen und manches auch komplett umzubauen. Das war beim Ausstieg aus der Kohle und der Kernkraft so und es werde auch beim Umbau der Krankenhausstrukturen so sein. Der DKG-Vorstandsvorsitzende zog Parallelen zur Energiepolitik der Bundesregierung: zum Ausstieg aus der Kohle und der Kernkraft: „Mit den Beschäftigten und den Unternehmen bei Kohle und Kernkraft hat man einen respektvollen Transformationsprozess und einen geordneten, langfristigen Übergang vereinbart. Beim Umbau der Krankenhauslandschaft läuft das komplett anders.“

Gaß erinnerte Lauterbach an sein Versprechen vom November 2022 vor einem Millionenpublikum bei Markus Lanz im ZDF: „Kein Krankenhaus wird wegen gestiegener Energiepreise oder Inflation Insolvenz anmelden müssen.“ Heute klinge der Minister anders: Der wird nicht müde, zu betonen, das Geld der Steuer- und Beitragszahler nicht mit der „Gießkanne“ an alle Krankenhäuser verteilen zu wollen, um dafür zu sorgen, dass Krankenhäuser weiter im Versorgungsgeschehen bleiben, die man ja zukünftig gar nicht mehr braucht oder haben möchte, weil sie nach Lesart Lauterbachs schlechte Krankenhäuser seien. „Das lässt jeden Respekt in den Grundsatz der Verlässlichkeit in den Rechtsstaat und die Arbeit der Krankenhäuser vermissen“, so Gerald Gaß. Er erinnerte an den gesetzlichen Versorgungsauftrag der Kliniken: „Die Krankenhäuser werden von den Bundesländern mit einem rechtskräftigen Bescheid zur Behandlung von Versicherten der GKV und PKV beauftragt. Diesen Behandlungsauftrag müssen sie in einem hoch regulierten System mit sehr kostenaufwendigen personellen, medizinischen und technischen Standards erbringen.“ Im Gegenzug dafür hätten die Kliniken einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Vergütung. „Einfach ausgedrückt:

Der Staat bestellt Leistungen bei den Krankenhäusern, ist aber nicht bereit, sie zu bezahlen!“ Der Staat könne, wie beim Kohleausstieg oder bei der Kernkraft, neue Ziele festlegen. „Aber er kann nicht klammheimlich die Spielregeln ändern, um Vertragspartner aus dem Markt zu drängen. Das gebietet nicht nur der Rechtsstaat, sondern auch der Respekt vor den Vertragspartnern, mit denen der Staat gestern noch vertrauensvoll zusammengearbeitet hat.“ Mit der Politik des „kalten Strukturwandels“ fahre Minister Lauterbach ein hohes Risiko. „Denn bevor es vielleicht im Ergebnis ihrer Politik eine neue Wirklichkeit geben wird, gehen Menschen durch ein tiefes Tal und manche werden die neue Wirklichkeit auch nicht mehr erleben. Es sind nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern. Es sind auch die Patientinnen und Patienten, die aktuell den Eindruck haben, dass sich die Dinge nicht verbessern, sondern dass sie sich massiv verschlechtern und für sie konkret auch keine Aussicht auf Verbesserung besteht. Und dieser Eindruck täuscht auch nicht.“ Es seien die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich fragen, ob diese Bundesregierung eigentlich Respekt vor ihrer Lebensleistung hat und dafür sorgen wird, dass Gesundheit und Pflege auch in den kommenden Jahren gesichert sein werden.

Gaß rechnete dem Gesundheitsminister vor: „Würden Sie Ihre selbst gestellte Aufgabe im Koalitionsvertrag umsetzen – Stichwort Bundeszuschuss Bürgergeldbezieher – hätte die GKV ausreichend Mittel, um den Krankenhäusern die gestiegenen Kosten der Patientenbehandlung angemessen zu finanzieren. Würde die Bundesregierung insgesamt ihren selbstgesteckten Zielen nachkommen und die umweltschädlichen Subventionen zum Beispiel des Flugbenzins und das ,Dienstwagenprivileg‘ abbauen, gäbe es einen Spielraum von bis zu 65 Mrd € im Jahr.“

Lauterbach spreche häufig von Entökonomisierung, um Medizin und Pflege wieder mehr Gewicht im Krankenhaus zu geben. „Tatsächlich hat kein Gesundheitsminister vor Ihnen den ökonomischen Druck so brachial angeheizt wie Sie“, so Gaß.

Zu Qualität und Transparenz

Die Krankenhäuser hätten keine Angst vor Qualitätstransparenz, so Gaß weiter: „Wir sind schon heute transparenter als jeder andere Leistungsbereich im deutschen Gesundheitswesen. Unsere im Internet abrufbaren Qualitätsberichte enthalten fast alle Daten, die Sie so geheimnisvoll in Aussicht gestellt haben. Kein Leistungserbringer im Gesundheitswesen stellt sich so vielfältig externen Kontrollen wie die Krankenhäuser.“ Die aus politischer Taktik losgetretene Qualitätsdebatte – Gaß sprach damit die zuvor im Auftrag des BMG verkündeten 5 000 vermeidbaren Schlaganfalltoten und 20 000 verlorenen Lebensjahre in der Krebstherapie an – empfänden die Beschäftigten in den Kliniken als respektlos.

In diesem Zusammenhang mahnte der DKG-Vorstandsvorsitzende eine differenziertere Betrachtung der Fallkonstellationen, die zu Unrecht als Fehlbehandlung gebrandmarkt würden. Natürlich sei die Erstbehandlung von Krebs in einem zertifizierten Zentrum grundsätzlich richtig und führe im Durchschnitt zu besseren Behandlungsergebnissen. „Deshalb haben ja auch hunderte von Kliniken freiwillig auf eigene Initiative und auf eigene Kosten diese Zertifizierungen abgelegt“, so Gaß. Aber auch hier gibt es zahlreiche Fallkonstellationen, in denen Mediziner gemeinsam mit Patienten und Angehörigen bewusst entscheiden, kein hochspezialisiertes Zentrum aufzusuchen. Optimale Medizin sei nicht immer das maximal Mögliche. „Die Krankenhäuser werden sich im Interesse der Patientinnen und Patienten und zum Schutz ihrer Mitarbeiter dagegen wehren, dass wissenschaftlich zweifelhafte Daten in die Öffentlichkeit gelangen, die Kliniken an den Pranger stellen und Patientinnen und Patienten verunsichern“, so Gaß.

Lauterbach habe in den vergangenen Monaten jedes Angebot, einen gemeinsamen, geordneten Veränderungsprozess auf den Weg zu bringen, ausgeschlagen und sich stattdessen für den kalten Strukturwandel und die Konfrontation entschieden. Gesundheit und Pflege seien in einer älter werdenden Gesellschaft die bestimmenden Themen. „Sie werden auf diesem Weg, den Sie eingeschlagen haben, viele Menschen verlieren, die sich bisher engagiert eingesetzt haben und unter schwierigen Bedingungen die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellen“, mahnte Gaß. Das zu erkennen, zu diskutieren und nach anderen, besseren Wegen der Transformation zu suchen dürfe kein Tabu sein: „Das ist unsere Verantwortung und das gebietet der Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern.“ Gerald Gaß beendete seine Rede mit einem Appell: „Herr Minister Lauterbach, beenden Sie diesen Konfrontationskurs mit den Krankenhäusern. Kommen Sie auf den Weg des gemeinsamen Dialogs zurück im gegenseitigen Respekt für unsere unterschiedlichen, aber im Ergebnis sich ergänzenden Aufgaben!“

Karl Lauterbach: mehr Versorgungsqualität, weniger Bürokratie

Den Vergleich der Krankenhausreform mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohleindustrie wies der Minister als „absurd“ zurück. Der vom DKG-Vorstandsvorsitzenden eingeforderte Respekt gebiete auch die Ehrlichkeit, zu erkennen, dass bei den Koalitionsverhandlungen niemand den verhängnisvollen Angriffskrieg in der Ukraine vorhersehen konnte. „Dadurch haben wir einfach die Steuermittel nicht zur Verfügung, die wir als sicher angenommen hatten“, so Lauterbach. Auch habe das Gesundheitsministerium ein Defizit von 17 Mrd. € vom Vorgänger Jens Spahn „geerbt“.

Auch habe Lauterbach sein Versprechen gehalten, dass kein Krankenhaus aufgrund gestiegener Energiekosten schließen müsse: „Wir haben 6 Mrd. € zur Verfügung gestellt für direkte und indirekte Energiekosten“, so der Minister.

Ohne die geplante Krankenhausreform drohe der viel beschworene „kalte Strukturwandel“, den Lauterbach verhindern wolle. „Dass ich dabei auch die Qualität der Versorgung und die Interessen der Patienten mitbedenke, kann man mir nicht zum Vorwurf machen“, so Lauterbach.

Über den Sommer werde der Gesetzentwurf erarbeitet, dann komme die Zeit, wo mit den Krankenhäusern und Verbänden die Umsetzung besprochen wird. Es ist klar die Aufgabe des Parlamentes, den politischen Willen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen und die Grundzüge einer Reform darzustellen. Wenn der Gesetzgeber sich in diesem Prozess bemüht, über die Regierungskommission auch wissenschaftlichen Sachverstand einzubeziehen, so sei dies der richtige Weg. „Wir haben Qualitätsdefizite in der stationären Versorgung, die wir beheben müssen – das ist der Kanon der Wissenschaft. Da kann man doch nicht sagen: Das sind Fehlkodierungen, die Patienten sind in Wirklichkeit gar nicht schlecht behandelt worden, sondern falsch zugeordnet.“

Die Reform verspreche eine massive Entbürokratisierung, so Lauterbach. Mit den geplanten Qualitätskriterien und den Vorhaltepauschalen würden umfassende Einzelfallprüfungen obsolet, so der Gesundheitsminister. Wenn unsere Krankenhauslandschaft eine Perspektive haben soll, wenn wir aus dem Hamsterrad der Ökonomisierung, die die Qualität beschädigt und die Bürokratisierung forciert, herauswollen, dann müssen wir zusammenhalten im konstruktiven Streit – aber es muss nach vorne gehen“, schloss der Bundesgesundheitsminister.

Katrin Rüter