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Interviews und Meinungen

Interview mit Stefanie Drese (SPD), Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern


Stefanie Drese (SPD), Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Ecki Raff

Wie bewerten Sie die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern, sowohl ambulant als auch stationär?

Generell ist die Versorgung gut in Mecklenburg-Vorpommern, allerdings sehe ich da auch Handlungsbedarf für die nächsten Jahre. Gerade im ländlichen Raum gibt es häufig nur noch einen niedergelassenen Arzt oder einen Klinikarzt, der eine Fachleistung anbietet. Damit sich diese Situation nicht noch mehr zuspitzt, müssen wir entsprechende Maßnahmen ergreifen. Patienten müssen vor Ort noch eine fachärztliche Behandlung bekommen.

Warum spitzt sich die Lage zu?

Ein Hauptproblem ist der Fachkräftemangel. Im niedergelassenen Bereich werden viele Ärzte in den nächsten Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen und finden aber keinen Hausarzt oder Facharzt, der ihre Praxis übernehmen will. In vielen Kliniken sind Fachärzte und Pflegekräfte immer schwieriger zu finden. Dieser Fachkräftemangel bringt uns vor allem in ländlichen Regionen in Schwierigkeiten.

Zündet denn Ihre Landarztquote?

Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Landarztquote zündet. Wir manchen das im dritten Jahr und finden viele Interessenten für die jährlich gut 30 Studiumsplätze, die gerne Landarzt in Mecklenburg-Vorpommern werden möchten, aber bis diese Interessenten ihren Abschluss haben und sich dann niederlassen können wird es noch eine paar Jahre dauern. Die Idee der Landarztquote ist gut, aber die jungen Leute sind noch nicht auf dem Markt angekommen, weil sie mit ihrer Ausbildung noch nicht fertig sind.

Wie bewerten Sie die finanzielle Lage der Kliniken in Mecklenburg-Vorpommern?

Die Lage ist auch in MV angespannt: Die Coronazeit, in der die Kliniken die elektiven Eingriffe zurückgefahren haben und das aktuelle Thema Energiekosten und die langwierigen Verhandlungen zu den Pflegebudgets – alles das macht den Kliniken zu schaffen. Die Situation ist insgesamt nicht gerade einfach.

Halten Sie die Investitionen der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern von jährlich rund 50 Mio. € für die Kliniken für auskömmlich?

Mit dem nächsten Doppelhaushalt werden wir nochmal fünf Mio. € drauf packen. Ich sehe schon, dass in den nächsten Jahren weiterer Bedarf da ist. Und zu einer ehrlichen Debatte gehört auch, dass, wenn es Strukturveränderungen in den Kliniken gibt, die zum Beispiel mit einer neuen Ausstattung von Geräten verbunden ist, dann wird da ein zusätzlicher Finanzbedarf nötig sein. Von daher ist unser Haushaltsansatz jetzt auch erst mal höher als in den vorherigen Jahren, aber möglicherweise auch noch nicht ausreichend.

Ich habe gehört, die Kinos in Mecklenburg-Vorpommern haben drei Mio. € bekommen, wurmt Sie so etwas?

Das gehört auch zum Leben. Es macht keinen Sinn zu kritisieren, dass da ein Ressort für eine Aufgabe etwas bekommt, so funktioniert die Zusammenarbeit in der Landesregierung nicht.

Was sagen Sie zu der Forderung vieler Kliniken und Klinikgesellschaften und auch des CDU-Abgeordneten Harry Glawe (Sozialausschuss im Landtag), einen finanziellen Schutzschirm in Form eines Vorschaltgesetzes über die Kliniken zu spannen?

Angesichts einer großen Klinikreform brauchen wir ein Vorschaltgesetz, damit die Krankenhäuser, die wir in Zukunft noch brauchen werden, diese Zeit jetzt auch überstehen. An einem Vorschaltgesetz werden sich auch die Bundesländer beteiligen müssen, die politischen Diskussionen dazu sind im vollen Gange. Bei einem Schutzschirm des Landes habe ich die gleiche Haltung wie Herr Glawe, als er noch in Verantwortung als Gesundheitsminister in Mecklenburg-Vorpommern war: Ich schaue lieber auf jeden einzelnen Standort, wie ist der aufgestellt und wie können wir da unterstützen? Beispielsweise haben wir in Bützow ein Krankenhaus, das Insolvenz angemeldet hat und da werden wir als Land unterstützen, weil das ein Krankenhausstandort ist, den wir auch in Zukunft brauchen werden. Dafür fehlt aber noch eine Neuaussichtung der Bützower Klinik und ein zukunftsfähiges Konzept. Den Kliniken im Land ohne Analyse des Insolvenzgrundes flächendeckend Geld zu geben ist nicht der richtige Weg, sondern wir werden jeden einzelnen Fall ansehen und helfen, wo es nötig ist.

Sie haben das Krankenhaus in Bützow (Landkreis Rostock) selbst angesprochen, es bleibt nach Ihrer Ansicht für die Region notwendig und kann auch nach der Insolvenz weiter auf Unterstützung des Landes vertrauen. Wie sieht diese konkret aus?

Das vorläufige Insolvenzverfahren läuft schon, das Verfahren startet offiziell zum 1. Oktober. Die Insolvenzverwaltung hat das Heft des Handelns jetzt in der Hand, aber wir sind natürlich in engen Gesprächen. Wie kann eine zukünftige Versorgung in Bützow aussehen? Den Krankenhausstandort brauchen wir. Den brauchen wir im Landkreis Rostock auch, was die Einhaltung von Rettungszeiten und Ähnlichem angeht. Von daher sind wir auch im Gespräch mit umliegenden Kliniken, wie können Kooperationen und zukunftsfähige Konzepte da aussehen? Es wird kein einfaches „Weiter so“ geben, sondern es braucht Antworten auf die Fragen: Wozu braucht man Bützow? Worauf ist der Standort spezialisiert? Bützow ist beispielsweise ein Haftkrankenhaus, hat also eine Station, die extra bewacht wird. Das haben wir nirgendwo sonst in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Unterstützung mit Mitteln des Landes, des Landkreises oder der Kommune ist möglich, aber erst, nachdem wir ein tragfähiges Konzept vorliegen haben. Als Gläubiger sind wir als Land sowieso an dem Verfahren beteiligt.

Wissen Sie, wie viele Kliniken in Ihrem Bundesland vor dem Kollaps stehen?

Angespannt ist die Situation für viele Kliniken. Es gibt einzelne kleine Standorte, bei denen es schneller eng wird als bei großen Kliniken. Wir sind jetzt mit zwei, drei weiteren Kliniken im Gespräch wie die finanzielle Situation dort ausgeglichen und stabilisiert werden kann.

Also rechnen Sie mit zwei, drei weiteren Insolvenzen?

Wir wollen die Gespräche möglichst so führen, dass eine stabile Situation eintritt bevor man Insolvenz anmelden muss. Ich kann aber nicht ausschließen, dass es weitere Insolvenzen gibt.

In Mecklenburg-Vorpommern gab es am 1. Januar 1990 insgesamt 55 Kliniken mit 18 915 Betten. Am 31. Dezember 2021 gab es noch 37 Kliniken (mit 39 Standorten) mit 10 213 Betten, darunter auch psychiatrische Einrichtungen. Salopp gesagt hat Mecklenburg-Vorpommern schon eine „Rosskur“ hinter sich. Welche Auswirkungen hätte es auf die (vor allem stationäre) medizinische Versorgung der Bevölkerung, wenn weitere Kliniken geschlossen würden?

Die 37 Kliniken oder die Rosskur, wie Sie es genannt haben, führt dazu, dass wir schon eine sehr ausgedünnte Krankenhauslandschaft haben. Das ist eine Besonderheit Mecklenburg-Vorpommerns und des Ostens, wir haben keine Überkapazität, die in einer Strukturreform abgebaut werden muss, sondern wir haben die Situation, dass wir tatsächlich jede einzelne Klinik im Land brauchen, was nicht heißt, dass man nicht über inhaltliche Veränderungen und über Leistungsgruppen und ähnliches in einem Krankenhausplan diskutieren muss. Ich kann auf keine Klinik in Mecklenburg-Vorpommern verzichten.

Sie sagten, die Situation in den neuen Bundesländern unterscheidet sich von der in den alten Bundesländern. Nun vertreten Sie spannenderweise die Interessen der ostdeutschen Bundesländer in der Redaktionsgruppe von Bund und Ländern zur Erarbeitung des Gesetzentwurfes zur Klinikreform. Worauf legen Sie bei dieser Arbeit Wert?

Allein der Umstand, dass es eine ostdeutsche Beteiligung an der Redaktionsgruppe gibt, ist schon eine Besonderheit. Von daher habe ich auch das Gefühl, dass wir sehr ernst genommen werden. In Ostdeutschland haben wir eine ausgedünnte Krankenhausstruktur, die wir erhalten wollen und auch erhalten müssen, damit die stationäre Versorgung für die Bevölkerung gewährleistet ist.

Welche Erwartungen knüpfen Sie grundsätzlich an die Klinikreform der Bundesregierung für Ihr Bundesland?

Es geht darum, die Finanzierung zu verändern, denn ein „Weiter so“, wo jede Klinik einen wirtschaftlichen Druck verspürt und nur über die Finanzierung der Fallzahlen existieren kann, das ist kein zukunftsfähiges Konzept. Von daher sitzen alle Länder und der Bund in einem Boot. Die Frage ist: Was ist uns eigentlich die Vorhaltung wert, dass eine Leistung angeboten wird? Beispiel Kindermedizin: Auch wenn im Sommer weniger Kinder in den Kliniken sind, muss man die Geräte und das Personal das ganze Jahr über vorhalten. Der wichtigste Punkt, um den es bei dieser Krankenhausreform geht, ist die Finanzierung. Aber ein Thema, das mich auch umtreibt – ich bin bei Regionalkonferenzen mit den Kliniken auch im engen Austausch dazu - ist die Frage der Entbürokratisierung. Das System ist so bürokratisch geworden, dass es einen Großteil der Arbeit frisst. Die fehlt beim Patienten.

Sie haben zwei wichtige Themen angesprochen: Die nachhaltige Finanzierung der Kliniken und die Entbürokratisierung. Auf beides geben die Eckpunkte zur Klinikreform bisher keine Antwort. Im Eckpunktepapier sind diese Fragen im Detail noch nicht geklärt. Da ist nur gesagt, dass man eine Umstellung der Finanzierung anstrebt, und zwar hin zu einer Mischung aus Vorhaltebudget, Pflegebudget und DRGs. Das können Eckpunkte auch nicht leisten, das im Detail auszuformulieren. Deswegen nehmen wir uns in dieser Redaktionsgruppe auch die Zeit.

Was mir Sorge macht, ist die Frage nach der Entbürokratisierung. Da sehe ich eher, dass die Klinikreform noch zu mehr Bürokratisierung führt und ich spreche jetzt mit den Leistungserbringern bei den Regionalkonferenzen vor Ort darüber, was wegfallen könnte. 

Sie sagten, Sie informieren sich bei den Klinikleitungen in Regionalkonferenzen über die Auswirkungen der Krankenhausreform. Welche Einschätzungen und Forderungen sind da zusammengetragen worden?

Das ist vor allem das Thema Entbürokratisierung und die Sorge der Praktiker, dass sie gar nicht das Personal haben für so viel Dokumentation und Statistiken. Auch möchten die Kliniken wissen, wie die Leistungsgruppen künftig aussehen werden. Ich habe zugesagt, dass wir schnell Besprechungsrunden führen werden, sobald ein Gesetzestext zur Klinikreform vorliegt und bevor ein Krankenhausplan für Mecklenburg-Vorpommern entsteht. Das ist das Schöne in einem bevölkerungsarmen Land, bei 37 Krankenhäusern kann man im engen Austausch bleiben.

Wie sollen Abteilungsverlagerungen im Rahmen der  Klinikreform  finanziert werden?

Das wird man mit den Gesetzlichen Krankenkassen besprechen müssen. Möglicherweise wird durch eine Verlagerung an anderer Stelle etwas eingespart. Möglicherweise ist das auch eine Anfangsinvestition, die sich dann auch wieder rechnet. Was mich ärgert, ist, dass bei der Qualität immer nur von der Menge die Rede ist. Qualität bedeutet auch, dass eine Versorgung vor Ort stattfindet. Deswegen ist die Krankenhausplanung auch Ländersache, weil die Regionen sehr unterschiedlich sind. Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel hat auch die älteste Bevölkerung bundesweit. Ältere Menschen sind eher anfällig für Krankheiten, sie müssen auch mal stationär versorgt werden. Deshalb kann man nicht ein Schema über alle Bundesländer legen und sagen, das muss so sein. Es muss die Möglichkeit geben, über Ausnahmen und Kooperationen für einzelne Regionen zu reden.

Sehen Sie die Länderhoheit bei der Krankenhausplanung denn ausgehebelt durch das von der Bundesregierung geplante Transparenzgesetz?

Es besteht die Gefahr, dass dieses Krankenhaustransparenzgesetz zu einer Verunsicherung und zu einer schlechten Kommunikation führt. Ab dem 1. April 2024 kann unmöglich über die ganze Bundesrepublik ein Plan als Ist-Zustand gelegt werden mit Leistungsgruppen, die es noch gar nicht in den Krankenhäusern gibt. Ich glaube, das führt eher zur Verunsicherung. Die Kommunikation vor Ort wird unheimlich erschwert, wenn in einem Transparenzgesetz etwas dargestellt wird, was in Zukunft gar nicht sein wird, weil wir in einem Krankenhausplan andere Leistungsgruppen zuordnen werden. Von daher darf nicht der zweite Schritt vor dem ersten gemacht werden.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, erst eine Struktur- und Auswirkungsanalyse zu machen, bevor man die Kliniklandschaft umkrempelt, ohne zu wissen, welche Folgen das am Ende für die Versorgung und die Kliniklandschaft hat?

Das machen wir jetzt, wir sehen uns an, wie sich das Ganze auswirkt. Schön wäre es gewesen, wenn wir das vom Bund bekommen hätten. Jetzt machen wir uns selber auf den Weg. Wie viele Abteilungen verschoben werden, kann ich noch nicht sagen, denn das Thema Ausnahmen und Kooperationen ist eben für uns ganz wichtig. Ich kann schon jetzt sagen, dass die Leistungsgruppen nicht auf Mecklenburg-Vorpommern eins-zu-eins passen, ohne, dass ich auch die Möglichkeit habe, Ausnahmen zuzulassen.

Das Interview führte Tanja Kotlorz