Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Aktuelles

News

Niedersachsens Krankenhäuser fordern angemessene Finanzierung


An einer Podiumsdiskussion zur Zukunft der stationären Versorgung in Niedersachsen, zu der die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft eingeladen hatte, nahmen teil: Dr. Hans-Heinrich Aldag (NKG), Dr. Jürgen Peter (Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen), Eike Holsten (MdL, CDU), Niedersachsens Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi, Dr. Tanja Meyer (MdL, die Grünen), Claudia Schüßler (MdL, SPD) und Helge Engelke (NKG). Foto: Pucknat/NKG

Evolution statt Revolution: Unter diesem Motto stand eine Veranstaltung im Rahmen der Mitgliederversammlung der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) am 8. April 2024 in Hannover. Als „Revolution“ hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Krankenhausstrukturreform angekündigt. Doch die betroffenen Krankenhäuser ziehen eine Evolution vor: Eine Reform, die die beteiligten Praktiker der aus den Kliniken einbezieht in die Planungen und Änderungen und gemeinsam mit ihnen bessere Strukturen entwickelt.

Große Sorge, Ratlosigkeit und Frustration kennzeichneten die Stimmung der niedersächsischen Krankenhäuser, sagte Dr. Hans-Heinrich Aldag als scheidender Vorsitzender der NKG. Er übergab den Staffelstab nach zwei Amtsperioden an Rainer Rempe und wird selbst künftig als stellvertretender NKG-Vorsitzender die Kliniken des norddeutschen Flächenlandes vertreten.

Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser in Niedersachsen sei schlechter als je zuvor, so Aldag weiter. Zugleich stehen die Kliniken im Land vor einer Vielzahl an Herausforderungen, um eine hochwertige und flächendeckende stationäre Versorgung auch in Zukunft gewährleisten zu können. Die von Bund und Ländern angekündigte Krankenhausreform liege deutlich hinter dem angekündigten Zeitplan zurück. Verbindliche Zusagen der Politik für notwendige Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung und Überbrückung fehlen weiterhin.

„Die Krankenhäuser in Niedersachsen sind an einem Wendepunkt angekommen. Energiekrise, Inflation, Betriebskostensteigerungen sowie hohe Tarifabschlüsse bedrohen viele Kliniken in ihrer Existenz. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Krankenhäuser mehr Geld für die Behandlung der Patienten ausgeben, als sie für deren die Versorgung erhalten. Dieser Zustand wird von der Politik billigend in Kauf genommen. Leidtragende sind die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern, die sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus befinden. Hierzu tragen auch der Fachkräftemangel und überbordende Bürokratie wesentlich bei“, betonte Dr. Hans-Heinrich Aldag. „Es liegt in der Verantwortung der Politik, ein unkontrolliertes Krankenhaussterben und massive Einschränkungen in der Patientenversorgung abzuwenden. Insolvenzen von Krankenhäusern sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Auf dem Spiel steht eine elementare Säule unseres Gesundheitswesens. Es ist fünf nach zwölf!“, warnte Aldag. Die von Bund und Ländern geplante Krankenhausreform sei notwendig und überfällig. Da die Reform voraussichtlich erst im Jahr 2029 voll wirksam werde, benötigten die Kliniken bis dahin Maßnahmen zur Überbrückung. Umfragen der NKG zeigen, dass 60 % der Krankenhäuser in Niedersachsen ihre wirtschaftliche Existenz bis zum Wirksamwerden der Krankenhausreform gefährdet sehen.

Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen müsse gewährleistet werden, dass versorgungsrelevante Kliniken überleben können, bis die Krankenhausreform greift. Hierfür sei eine Art Vorschaltgesetz, ein finanzieller Ausgleich für die massiv gestiegenen Preise und Tariflöhne, dringend notwendig. Auch müsse die Krankenhausplanung als originäre Aufgabe der Länder erhalten bleiben. Die Gesundheitsversorgung in der Fläche könne nicht dirigistisch von Berlin aus gestaltet werden. „Die Grundidee der Subsidiarität darf nicht verloren gehen“, betonte  Aldag. Er appellierte an den niedersächsischen Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD), sich diese Aufgabe nicht aus der Hand nehmen zu lassen: „Die Planung der Krankenhausstrukturen ist eine originäre Aufgabe des Landes, die gerade auch unterschiedliche länderspezifische und regionale Erfordernisse berücksichtigt und nicht durch Bundesvorgaben ausgehebelt werden darf.“ 

Immer wieder wurde kritisiert, die Kliniken und ihre Vertreter seien nicht einbezogen worden in die Planungen zur Krankenhausreform. In einigen Bundesländern, auch in Niedersachsen, war dies im Vorfeld eines neuen Konzeptes für die Krankenhausplanung, durchaus umfassen geschehen: Im Rahmen der „Enquetekommission zur Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung“ haben sich vor der Coronapandemie Landtagsabgeordnete intensiv mit Experten und Praktikern des Gesundheitswesens ausgetauscht für eine zukunftsfähige Ausrichtung des Gesundheitssystems.

Ebenso wichtig sei es, das Vergütungssystem so weiterzuentwickeln, dass eine Finanzierung von Vorhaltekosten gewährleistet ist. Entscheidend sei, dass es tatsächlich zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Kliniken kommt. Die vorliegenden Entwürfe des Bundesgesundheitsministeriums zur Vorhaltefinanzierung geben jedoch keinen Anlass zur Hoffnung. Auswirkungsanalysen zeigten, dass die Erlöse eines Krankenhauses weiterhin stark von der Anzahl der behandelten Patienten abhängen. Die Vorhaltefinanzierung sei auch keine wirksame Existenzsicherung für Grundversorgungskrankenhäuser in Flächenländern wie Niedersachsen, so die NKG in einer Erklärung vom 8. April. Sie könne Erlösverluste bei einem allgemeinen Rückgang der Patientenzahl oder beim Verlust von Leistungsgruppen infolge der Krankenhausplanung nicht ausgleichen. Dass die Vorhaltefinanzierung einen Beitrag zur Entbürokratisierung leistet, ist aus Sicht der NKG ausgeschlossen, denn sie ergänzt das existierende Fallpauschalensystem um neue Regulierungen, ohne an anderer Stelle Bürokratie abzubauen.

„Die systematische Unterfinanzierung der Kliniken und der ungesteuerte Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft müssen ein Ende haben. Versorgungssicherheit und Patientenversorgung dürfen nicht dem Zufall überlassen werden. Ein chaotischer Strukturwandel über Insolvenzen ist weder vorausschauend, noch gesellschaftlich verantwortbar“, sagte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke. „Angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Krankenhäuser ist die flächendeckende Versorgungssicherheit keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir appellieren daher an die politischen Verantwortungsträger, die Krankenhausreform gemeinsam mit den Kliniken und in einem geordneten Prozess zu gestalten und flankierend geeignete Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung umzusetzen. Wir stehen hierfür bereit“, ergänzte Engelke.

 Gesundheitsminister Philippi verwies auf das Versprechen, das Karl Lauterbach im Rahmen des Vermittlungsausschusses zum Krankenhaustransparenzgesetz gegeben hatte (das Krankenhaus berichtete), zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. „Wir alle wollen die Reform. Wenn sie nicht gelingt, verlieren wir alle“, so der Minister. Nun gelte es, im Gesetzgebungsprozess bestmögliche Kompromisse zu erzielen, ohne die gemeinsamen Ziele aus den Augen zu verlieren. So seien etwa bestimmte Qualitätsvoraussetzungen „in der Fläche“ schwerer zu erbringen.

Im Rahmen der Mitgliederversammlung der NKG gab es eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Evolution statt Revolution: Die Krankenhausstrukturreform gemeinsam gestalten“ mit Gesundheitsminister Philippi und weiteren verantwortlichen Akteuren der Landespolitik und aus dem Gesundheitswesen.

Der Kardinalfehler der geplanten Reform sei die Nichtbeteiligung der Länder, sagte Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen. „Gemeinsam gestalten – dazu stehen auch wir, und wir stehen dabei an Ihrer Seite“ betonte er gegenüber den Vertretern der Krankenhäuser.

Der Gesetzentwurf selbst sei ein Torso, viele konkrete, im Gegensatz zum Entwurf selbst durch die Länder zustimmungspflichtige Rechtsverordnungen müssten klare Regelungen schaffen. Zudem sei die geplante Strukturreform extrem komplex, so Peter: „Es muss noch viel passieren, um das Gesetz umsetzbar zu machen.“ Bei aller Kritik an Transparenzgesetz und KHVVG dürften die Partner der Selbstverwaltung nicht in Paralyse verfallen: „Über Leistungsgruppen kommt Leistungsbezug in die Reform. Das ist gut und wichtig.“

Auch sei der von Lauterbach vorgesehene Transformationsfonds wichtig, so Peter. Dieser soll nach den Plänen des Gesundheitsministers jedoch zur Hälfte von der GKV bezahlt werden. „Dadurch wird eine Beitragserhöhung unausweichlich“, stellt der AOK-Chef klar.

Eike Holsten (MdL, CDU), kritisierte, die Existenzsicherung der Krankenhäuser sei weiterhin ungeklärt, die Möglichkeiten der Länder, Ausnahmen zuzulassen im Rahmen der Krankenhausplanung, ebenso. Auch eine Planung der Kliniken, etwa bezüglich möglicher Kooperationen, sei angesichts der bleibenden Unsicherheit nicht möglich. „Der Sicherstellungsauftrag muss in den Händen der Länder bleiben. Das ist vor allem in einem Flächenland wichtig“, so der Landtagsabgeordnete. Er bemängelte zudem die fehlende Auswirkungsanalysen von Seiten des BMG.

Claudia Schüßler (MdL, SPD) bezweifelt, dass das KHVVG überhaupt noch auf den Weg gebracht werden kann. „Wenn es jetzt nicht auf den Weg gebracht wird, dann wird das nichts mehr in dieser Legislaturperiode“, befürchtet Schüßler. Der Referentenentwurf müsse beraten und modifiziert werden. „Viele Hausaufgaben stehen uns noch bevor“, so die Sozialdemokratin.

Pessimistisch zeigte sich auch Dr. Tanja Meyer (MdL, Die Grünen). „Wir müssen den Menschen die Ängste nehmen und Versorgungssicherheit auch in der Fläche gewährleisten.“ Die gebe es bereits heute nicht mehr. An eine „Revolution“ durch die Krankenhausreform glaubt die Abgeordnete nicht.

Klartext sprachen vor allem die Vertreter der öffentlichen Träger in der Diskussion: Max Matthiesen (CDU), kritisierte, die Kommunen müssten Defizite der Kliniken in Millionenhöhe ausgleichen. Bund und Länder nähmen billigend in Kauf, „dass die Kommunen aktuell Ausfallbürgen für die die finanziellen Risiken der Krankenhäuser sind“, sagte der erfahren Kommunalpolitiker und ehemalige Landtagsabgeordnete und verwies auf eine Erklärung des Niedersächsischen Städtetages. Das Geld fehle für andere wichtige Aufgaben der Städte und Gemeinden, etwa für Schulen, unterstrich auch Prof. Dr. Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages: „Wir brauchen eine Strukturreform, aber auch die finanziellen Rahmenbedingungen, um diese noch zu erreichen.“ Wohl in Anspielung auf die Zustimmung Niedersachsens im Bundesrat zum Krankenhaustransparenzgesetz äußerte er die Befürchtung, „den letzten Faustpfand haben wir schon verspielt.“

Ein Gespräch mit dem NKG-Vorsitzenden Rainer Rempe finden Sie hier