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Thema des Monats

„Wir müssen Kompetenz, Sicherheit und Ruhe ausstrahlen“ – Interview mit Vera Lux, Pflegedirektorin an der MHH, zum Thema gute Führung


Foto: Karin Kaiser/MHH

Was macht gute Führung aus?

Eine gute Führungskraft muss kommunikativ und offen sein. Die Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass sie sich der Führungskraft anvertrauen können, ohne dass das als Schwäche ausgelegt wird. Eine gute Führungskraft ist in der Lage, eigene Fehler einzugestehen und die eigene Meinung auch mal zu korrigieren. Eine gute Führungskraft muss klar, einschätzbar, verlässlich und ansprechbar sein. Sie hat Visionen, ist zukunftsorientiert und verfolgt, gemeinsam mit dem Team, die gesetzten Ziele.

Hätten Sie sich 1980 als Kinderkrankenschwester vorstellen können, dass Sie heute Pflegedirektorin an einer großen Uniklinik sind?

Nein, als ich meine Urkunde in den Händen hielt, war ich erstmal total stolz, weil ich ein Einser-Examen hatte. Das war mein Ziel, ich wollte das Examen schaffen und eine gute Kinderkrankenschwester werden. Ich wollte pflegen. Dann habe ich fünf Jahre als Kinderkrankenschwester gearbeitet und schnell gemerkt, dass ich mehr Verantwortung übernehmen möchte. So übernahm ich sehr bald die Leitung einer Frühgeborenen-Intensivstation.

Da es Ende der 80er-Jahre noch keine Studiengänge für die Pflege gab, beschloss ich, ich möchte Pflegedienstleitung werden und absolvierte die Weiterbildung an der Agnes-Karl-Schule in Frankfurt. 1992 wurde ich dann Oberschwester, später dann stellvertretende Pflegedirektorin und Pflegedirektorin. Mit jedem Schritt übernahm ich mehr Verantwortung. Ich bin immer den nächsten Karriereschritt gegangen. Geplant war das nicht, es hat sich so ergeben. Und, ich habe immer Förderer und Unterstützer gehabt, die Potenzial in mir gesehen und mich ermutigt haben.

Was unterscheidet Führung in der Klinik von anderen Branchen?

Wir arbeiten nicht für Produkte oder Dienstleistungen, sondern für kranke und hilfebedürftige Menschen. Das ist ein gravierender Unterschied, denn es handelt sich um Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden. Wir müssen Kompetenz, Sicherheit und Ruhe ausstrahlen und Vertrauen aufbauen. Denn Vertrauen ist die Basis für die Arbeit am Patienten, dem die Pflege (körperlich) oft so nahekommt wie kaum ein anderer Mensch. Ansonsten ist die Führungsaufgabe ähnlich wie in anderen Wirtschaftsbranchen. Mitarbeiter motivieren, interprofessionelle und interdisziplinäre Teams führen, Strategien und Ziele vermitteln, Veränderungen managen, Personal, Kosten und Leistungskennzahlen überwachen und natürlich Budgets einhalten. In den letzten Jahren gab es gerade für Kliniken eine Flut an neuen Gesetzen und Richtlinien, die es zu beachten und umzusetzen gilt. Ein großer Anteil in der Führungsarbeit ist Kommunikation.

Sie haben berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert. Braucht man das als Führungskraft in der Pflege?

Mir war schnell klar geworden, wenn ich in der Krankenhausleitung fachlich mitsprechen und respektiert werden will, dann brauche ich vertieftes betriebswirtschaftliches Know-how. Ich muss verstehen, wie die Krankenhausfinanzierung funktioniert, lernen, mit Kennzahlen zu arbeiten und diese zu bewerten, Risiken zu erkennen sowie strategische Entscheidungen zu treffen. Deshalb habe ich berufsbegleitend BWL studiert. Nach drei Jahren war ich Betriebswirtin mit dem Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft.

Gibt es genug Karrierechancen in der Pflege?

Als ich damals anfing, gab es nur zwei Möglichkeiten: Pflegepädagogik oder Pflegemanagement. Heute kann man alles machen, die Einsatzbereiche sind vielseitig und die Karrieremöglichkeiten enorm. Zahlreiche Studienangebote locken, wie zum Beispiel Public Health, Gesundheitsökonomie, Pflegewissenschaft, Pflegepädagogik oder Pflegemanagement u.a.m. Es gibt derart viele Möglichkeiten, dass es manchen schwerfällt, sich für eine Richtung zu entscheiden. Die Anforderungen an Führungskräfte steigen seit Jahren. Immer neue Regelungen, Gesetze und Richtlinien müssen beachtet, Ausbildung und Fortbildung gesichert sowie Qualitätsstandards gewährleistet werden. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen neue (akademische) Rollen entwickelt und Führungsstrukturen angepasst und weiterentwickelt werden.

Die Pflege ist in einigen Kliniken nicht im Vorstand vertreten. Wird das der größten Berufsgruppe im Krankenhaus gerecht?

Keineswegs. Die Krankenhausgesetze in den Bundesländern sind sehr unterschiedlich, ebenso die Hochschulgesetze und damit auch die Verortung der Pflege. Es gibt Bundesländer, da ist Pflege per Hochschulgesetz im Vorstand mit Stimme vertreten, also gleichberechtigt. Es gibt Bundesländer, da ist die Pflege im Vorstand, aber nur beratend. Und es gibt Bundesländer, da ist die Pflege nicht im Vorstand, sondern eine Ebene darunter, wie zum Beispiel hier in Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz oder in Thüringen. Ohne Vorstandsmandat hat die Pflege weniger Macht, bekommt weniger Informationen und ist bedingt in strategische Entscheidungen involviert.

Aber, auch wenn die Pflege im Vorstand vertreten ist, heißt das nicht automatisch, dass die Machtverhältnisse austariert sind. Auch da menschelt es und es gibt gute und weniger gute Beispiele. Dennoch ist die gesetzliche Verankerung der Pflege als Vorstandsmitglied mit Stimmrecht eine Grundvoraussetzung dafür, dass man seinen Verantwortungsbereich gestalten und unternehmerisch verantworten kann. In NRW war ich als Pflegedirektorin an der Uniklinik Köln im Vorstand mit Stimme vertreten, in Darmstadt war ich ebenfalls in der Krankenhausleitung im städtischen Krankenhaus. Damals mussten der Kaufmann, der Mediziner und die Pflege einstimmige Beschlüsse fassen. So gesehen ist meine jetzige Position in Hannover ein Rückschritt, was die Verortung in den Gremien angeht.

Bleibt die Pflege so hinter ihren Möglichkeiten zurück?

Das Potenzial und die Ressourcen der Pflege werden nicht hinreichend ausgeschöpft. Dabei würden die Kliniken von den unterschiedlichen Perspektiven, Sichtweisen und Fähigkeiten in der Unternehmensführung profitieren. Ein weiteres Vorstandsmitglied wird oft nicht als notwendig erachtet und erst recht, wenn es um die Managementkompetenz der Pflege geht. Immer dann, wenn Landeshochschulgesetze geändert werden, wird bisweilen sogar versucht, die Pflege wieder aus dem Vorstand zu streichen. Da, wo die Pflege gleichberechtigtes Vorstandsmitglied ist, trägt der Vorstand für die Unternehmensführung und finanzielle Entwicklung gemeinsam die volle unternehmerische Verantwortung. Bei der Verantwortung wird also nicht differenziert, bei den Gehältern dagegen sehr wohl. Denn die Gehälter der Pflege liegen noch immer weit hinter den Gehältern der Vorstandskollegen zurück.

Würden Sie heute alles genauso noch einmal machen?

Ich bin mit meiner Karriere sehr zufrieden und würde meinen Weg genauso wieder gehen. Ich habe die Chancen genutzt, die sich mir geboten haben. Und ich war immer bereit mich zu verändern, bin Risiken eingegangen, habe mich auf befristete Arbeitsverträge eingelassen, bin in andere Städte umgezogen. Natürlich kostet es auch Kraft, sich immer wieder zu verändern. Aber ich hatte auf meinem beruflichen Weg immer Menschen an meiner Seite, die an mich geglaubt und mich unterstützt haben.