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Thema des Monats

Wenn Pflege selbst zum Pflegefall wird


PwC-Studie: Deutschland steuert auf einen Personalnotstand zu, der die Gesundheitsversorgung gefährdet

Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen erreicht offenbar eine ganz neue Dimension. Laut einer aktuellen Studie von PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC, Juni 2022) zum Thema „Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Wenn die Pflege selbst zum Pflegefall wird“ wird der Wettbewerb im Gesundheitswesen eine ganz neue Stufe erreichen. Demnach werden bis zum Jahr 2035 voraussichtlich knapp 1,8 Millionen Kräfte fehlen. Dies ergaben Berechnungen des WifOR Institute im Auftrag von PwC Deutschland. Bereits heute liege der Versorgungsengpass bei rund sieben %.

Der Fachkräftemangel habe sich somit zur größten Bedrohung für das deutsche Gesundheitssystem entwickelt. Die drohende künftige Versorgungslücke entspreche einem „Engpass von 35 Prozent“, sagt Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland. Die Pflege sei neben dem Klima das Mega-Thema der 20er Jahre. Aus Sicht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sei es bereits fünf nach zwölf. Bereits vor zehn Jahren habe PwC in einer Vergleichsstudie auf den drohenden Fachkräftemangel hingewiesen. Zehn Jahre seien verstrichen, ohne dass sich an den Arbeits- und Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen Grundlegendes geändert habe. Umso wichtiger sei es jetzt, durch eine klug durchdachte Pflege- und Gesundheitspolitik die Weichen im Sinne des Patientenwohls anders zu stellen und die drohende Versorgungslücke abzuwenden.

Besonders betroffen vom Personalnotstand seien die Alten- und Krankenpflege. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens müssten sich auf große Herausforderungen in ihrem Personalmanagement einstellen. Sie könnten sich nicht allein auf die Rekrutierung neuer Kräfte konzentrieren, sondern müssten auch in die Mitarbeiterbindung investieren, denn die Wechselbereitschaft im Gesundheitswesen sei hoch: Unter Pflegekräften mit leitender Tätigkeit und Ärzten könne sich nur knapp jeder Dritte vorstellen, den Beruf bis zur Rente auszuüben. Was sind die Ursachen des Fachkräftemangels in der Pflege und im Gesundheitswesen allgemein? Wie kann gegengesteuert werden?

Furcht vor schwerer körperlicher Arbeit

Jetzt müsse an den Stellschrauben gedreht werden, dazu gehöre zwingend die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Stichworte sind hier: eine höhere Bezahlung, geringere Arbeitsbelastung, mehr Anerkennung, Weiterbildungsmöglichkeiten.

Eine wesentliche Ursache für den Fachkräftemangel in der Pflege seien– neben dem demografischen Wandel – die Arbeitsbedingungen in der Pflege. So beklagten 72 % der Ärzte und Pflegekräfte in leitender Funktion die körperliche Belastung, die mit dem Beruf einhergehe, gefolgt von der psychischen Belastung mit 59 %. Potenzielle Pflegefachkräfte wie 18- bis 29-Jährige mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren, Arbeitslose und Wechselwillige fürchteten vor allem die psychische Belastung, wie 63 % angeben. Erst an zweiter Stelle sehen sie mit 57 % die körperliche Anstrengung im Pflegeberuf. Insgesamt ist das Bild von Pflege bedenklich negativ geprägt, gerade erfahrenen Kräften scheint im Laufe der Zeit der berufliche Idealismus verloren zu gehen: Dass man in Gesundheitsberufen Menschen helfen kann, bestätigen nur 28 %.

Pflegekräfte wünschen sich mehr Wertschätzung

Zu besseren Arbeitsbedingungen gehöre eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung der Leistung von Pflegenden. Mehr Wertschätzung forderten auch 50 % der Ärzte und leitenden Beschäftigten im Pflegebereich ebenso wie 56 % der potenziellen Nachwuchskräfte. Die Covid-19-Pandemie habe die Systemrelevanz der Pflege zwar in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch nach Einschätzung der erfahrenen Kräfte werde dieser Effekt eher kurzfristiger Natur sein, nehmen 41 % der Befragten an. Der Mehrheit aus dieser Gruppe war mit 90 % auch vor Ausbruch der Pandemie bewusst, wie systemrelevant Pflege sei.

Ein wichtiges Signal für mehr Wertschätzung wäre ein angemessenes Gehalt. Damit ließe sich insbesondere die Gruppe derer für die Pflege anwerben, die als „stille Reserve“ gilt: Wechselwillige mit Interesse an der Pflege, Arbeitslose und Absolventen mit Schulabschluss in den vergangenen drei Jahren. Fragt man diese Gruppe, welche Bedingungen sich verbessern müssten, damit sie bis zur Rente in der Pflege bleiben, nennen 68 % die Bezahlung. An zweiter Stelle stehen bessere Arbeitszeiten (49 %), an dritter Stelle eine bessere personelle Ausstattung (47 %). Um diese Zielgruppe zu gewinnen, müssten Unternehmen also mit Gehaltsanreizen arbeiten. Diese seien auch für erfahrene Kräfte wichtig, werden aber nur von 41 % genannt.

Potenzial zur Entlastung in digitalen Technologien

Wie könnte die hohe körperliche und psychische Belastung in der Pflege verringert werden? Dabei spielen digitale Technologien eine wesentliche Rolle. Sie bieten das Potenzial, Pflegekräfte zu entlasten und gleichzeitig die Autonomie von kranken oder pflegebedürftigen Menschen zu stärken. Dieses Potenzial sehen die Studienteilnehmer durchaus. Insbesondere die Gruppe der 18- bis 29-jährigen Absolventinnen, Wechselwilligen und Arbeitslosen sei aufgeschlossen gegenüber der digitalen Transformation.

So bestätigen 62 %, dass intelligente Technologien das Personal entlasteten, und ebenso viele begrüßten die Chance zur besseren Beobachtung von Gesundheitsdaten. Im Arbeitsalltag kann sich das durch einen Zeitgewinn für Patienten bemerkbar machen, wie 59 % angeben.

Die Gruppe der erfahrenen Kräfte sieht das Potenzial der digitalen Transformation ebenso, ist in ihrer Einschätzung aber etwas verhaltener.

Fünf Wege aus dem Fachkräftemangel

Wie kann die Gesundheits- und Pflegepolitik so gestaltet werden, dass sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern? Welchen Beitrag können dazu Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens leisten? Die Autoren der Studie raten zu fünf Maßnahmen:

Botschafter ausbilden

Arbeitsbedingungen verbessern

Intelligente Technologien einsetzen

Berufliche Weiterbildung stärken

Aufgaben zwischen den Professionen neu verteilen

Beim Recruiting spiele die persönliche Ansprache eine wesentliche Rolle, wie die Studie zeigt. Daher sei es sinnvoll, Mitarbeitende zu Botschaftern für den Pflegeberuf zu machen.

„Wir werden dem Fachkräftemangel nicht mehr durch einzelne Maßnahmen begegnen können, sondern brauchen eine grundlegend neue Pflege- und Gesundheitspolitik. Dazu gehört vor allem die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege: durch eine höhere Bezahlung, mehr Anerkennung und eine angemessene personelle Ausstattung“, sagt Michael Burkhart, Leiter Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland.