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Thema des Monats

Thema: Compliance – Mit Lego zum besseren Krankenhaus


Konzipiert bei Vivantes Prozesse für eine bessere Patientenversorgung: Dr. Mina Baumgarten. Foto: Vivantes/Kevin Kuka

Dr. Mina Baumgarten, Ressortleiterin bei Vivantes, konzipiert Prozesse für eine bessere, standardisierte Patientenversorgung und für mehr Qualität

Man könnte meinen, eine Gruppe Kitakinder kommt gleich zum Spielen vorbei. Auf dem Besprechungstisch von Dr. Mina Baumgarten stehen Schalen mit vielen bunten Legosteinen, daneben wartet eine Klangschale auf ihren Einsatz. Was macht eine Ressortleiterin, zuständig für die Entwicklung der Krankenversorgung und Qualität beim Berliner Klinikkonzern Vivantes mit diesem Spielzeug in ihrem Büro?

„Strategien bauen“, lautet die verblüffende Antwort der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Lego-Methode helfe, Gedankenräume zu öffnen, Zukunftsprozesse zu denken, sagt sie und stellt die erste Legofigur mitten auf den Tisch. Will sie die Qualität und die Krankenversorgung mit Lego abbilden, dann braucht sie viele kleine Legofiguren, sagt sie. Eine Figur für den mündigen, vorinformierten Patienten, der selbstständig Entscheidungen trifft. Eine andere Figur für den Patienten, der gerne alles abgeben und an die Hand genommen werden möchte. Ein anderer Patient hat Sprach- und Verständnisbarrieren, wieder ein anderer Kranker ist blockiert durch Ängste. Gar nicht so einfach, für all diese diversen Patiententypen einheitliche Prozesse aufzulegen. Genau das ist eine der Aufgaben von Dr. Mina Baumgarten. Im Vivantes-Konzern werden jährlich etwa eine halbe Million ambulante und stationäre Patienten von rund 18 000 Mitarbeitern versorgt.

„Wir schauen uns die Prozesse der Behandlungen an und vergleichen die Ergebnisse. Der Goldstandard wird dann für alle Vivantes-Kliniken umgesetzt“, sagt sie. Das klingt einfach, dürfte vor Ort in den neun Vivantes-Kliniken, 18 Pflegeheimen und zwei Seniorenwohnhäusern aber auch auf Widerstände stoßen. Kritiker überzeuge sie mit der Versorgungsqualität, sagt sie. Gemeinsam mit den Teams der Medical Boards würden die neuen Behandlungsprozesse für die Patienten entwickelt.

Patientenzentriertes Benchmarking, vom Zählen zum Handeln, lautet ihre Vision. Baumgarten ist darüber hinaus auch für die Patientensicherheit und die Qualität zuständig. Sie begutachtet Komplikationen wie Infektionen oder Stürze. Wie können solche Vorkommnisse künftig vermieden werden? Sie will die Klinikumgebung für die Patienten risikoärmer gestalten.

Prozesse digital implementieren

Ihr wichtigster Sparringpartner ist der IT-Chef von Vivantes. Mit ihm implementiert sie digital die neuen Prozesse. Vorbei die Zeit, als nur pdf-Dokumente heruntergeladen wurden. Jetzt soll alles anwenderfreundlich und selbsterklärend sein. Das klingt alles noch sehr abstrakt. Geht es auch konkreter?

Ein Ergebnis ihrer Arbeit kann eine Patienten-App sein oder eine Spracherkennungssoftware. Oder ein Wartezeitenmonitor für die sieben Rettungsstellen der Vivantes-Kliniken in Berlin. Künftig erfahren die dort wartenden Patienten, wie viele Fälle von welchem Dringlichkeitsgrad gerade behandelt werden müssen, und welche Wartezeiten sich daraus ergeben. Ein Erklärvideo soll den wartenden Notfallpatienten verdeutlichen, warum manche Kranke sich länger in der Notaufnahme gedulden müssen als andere. Die Triage wird filmisch erklärt und darauf hingewiesen, dass mancher Patient gar nicht richtig ist in der Notaufnahme, sondern besser in einer hausärztlichen Arztpraxis versorgt werden sollte. Das folgt der Vivantes-Strategie, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen und hilft im besten Fall auch noch gegen verstopfte Rettungsstellen. „Wenn wir die Ressourcen im Gesundheitswesen effizient einsetzen, verbessert das auch die Qualität der Behandlung“, ist Dr. Baumgarten überzeugt. Sie wolle den Ablauf mitgestalten, die Patientenreise, von der Aufnahme bis zum richtigen Bett.

Keine Maßnahme ohne Kontrolle, getreu dem Motto von KTQ (Plan, Do, Check, Act) werde jeder neue Prozess evaluiert, versichert Dr. Baumgarten.  „Patienten-Empowerment“ ist auch so ein Lieblingsbegriff von ihr. Gemeint ist eine relativ neue Bewegung, die darum bemüht ist, die Stellung des Patienten durch Information, Mitwirkung und Mitentscheidung zu verbessern. Eine Form der Gesundheitsalphabetisierung.

Seit zwei Jahren bei Vivantes

„Fachfrau für Politik im Gesundheitswesen“ gab Baumgarten einst als Abiturientin in der Schülerzeitung als Berufswunsch an. Dem ist die gebürtige Brasilianerin heute schon sehr nahegekommen. Zunächst aber studierte sie Medizin und begeisterte sich vor allem für das Fach, „das mit Sprache diagnostizieren und heilen kann“, wie sie die Psychiatrie bezeichnet. Dem Studium der Humanmedizin in Münster folgten unter anderem wissenschaftliche und berufliche Stationen am King’s College in London, einer Gesundheits-Denkfabrik und schließlich an der Universitätsmedizin Greifswald. Dort war sie Referentin des Kaufmännischen Vorstandes und schließlich leitete sie den Geschäftsbereich Strategische Unternehmensentwicklung, bis sie im November 2020 zu Vivantes wechselte.

Bei so viel Fokus auf die Organisation von Versorgungsstrukturen, wie findet man da eigentlich für sich im Notfall den richtigen Versorgungsweg? Im letzten Jahr ist die 39-Jährige das erste Mal Mutter geworden. Als ihr Baby akut hohes Fieber hatte, überlegte sie schon: wohin jetzt? Statt Rettungsstelle half dann ein Anruf bei der ambulanten Kinderärztin und deren professionelle Ferndiagnose.

Tanja Kotlorz