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Thema des Monats

Starthilfe in die Sicherheitskultur

Jeder Segler kennt das: Bei der Übernahme eines Charterbootes erfolgt eine Einweisung in das Handling, die Sicherheitselemente und die Besonderheiten des Schiffes – Onboarding vor dem ersten Auslaufen und für einen unfallfreien Törn.

Auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen müssen systematisch und umfassend zu den Strukturen, Prozessen und Besonderheiten des Unternehmens „ins Boot“ geholt werden. Onboarding beschreibt den Prozess, der neu angestellte Mitarbeitende in ein Unternehmen oder eine Organisation integriert und ihnen die notwendigen Informationen, Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten bereitstellt, um schnell erfolgreich in die neue Rolle im Job hineinzuwachsen. Das Ziel eines Onboardings besteht darin, den Einstieg und die Eingewöhnung von neuen Mitarbeitern zu erleichtern, ihre Einsatzfähigkeit zu beschleunigen und sicherzustellen, dass sie sich in die Unternehmenskultur integrieren können. Im Bereich der Diagnostik, Therapie und Pflege spielt dabei die Vermittlung der Patientensicherheitsstrategien eine herausragende Rolle. Es geht um die Schulung sicherheitsfördernder Elemente, die in der Organisation fest verankert sind. Der Onboarding-Prozess beginnt in der Regel vor dem ersten Arbeitstag eines neuen Kollegen und kann mehrere Wochen oder Monate dauern, abhängig von der Komplexität, der Position und den Unternehmensanforderungen. Der Prozess beinhaltet verschiedene Schritte und Aktivitäten, die darauf abzielen, das Wissen, die Fähig- und Fertigkeiten der neuen Mitarbeiter zu erweitern, ein Verständnis für die Organisationsstruktur und -kultur zu entwickeln sowie Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten aufzubauen. Ein professionelles Onboarding trägt dazu bei, die Mitarbeiterbindung zu verbessern, die Fluktuation zu reduzieren und die Motivation zu steigern. Es kann nicht zuletzt das Image eines Unternehmens als attraktiver Arbeitgeber stärken und damit potenzielle Talente anziehen.

Onboarding und Sicherheitskultur

Die „International Atomic Energy Agency“ (IAEA) prägte Mitte der 1980er-Jahre erstmalig den Begriff „Sicherheitskultur“ nach den tragischen Ereignissen in Tschernobyl. Sicherheitskultur ist ein Begriff, der die Einstellungen, Werte, Überzeugungen und Verhaltensweisen einer Organisation oder einer Gruppe von Menschen in Bezug auf Sicherheit beschreibt. Es ist die Art und Weise, wie Sicherheit in einer bestimmten Umgebung wahrgenommen und in den alltäglichen Betrieb integriert wird. Die Sicherheitskultur beeinflusst maßgeblich das Sicherheitsbewusstsein und die praktischen Tätigkeiten von Mitarbeitern und Führungskräften. Guldenmund definiert Sicherheitskultur als ein relativ stabiles, multidimensionales Konstrukt, das auf geteilten Werten und Normen basiert. Diese wirken sich auf Einstellungen der Mitarbeiter, auf Wahrnehmungen und konkrete Handlungsfelder aus. Pfaff wird konkreter und definiert Sicherheitskultur als gemeinsamen Wissens-, Werte- und Symbolvorrat, der die Kapazität einer Gesundheitsorganisation erhöht, die Patientensicherheit zu verbessern.1)

Im Kontext eines Onboardings ist es demnach wichtig, durch Information, Schulung, Training und weitere Qualifikationsmaßnahmen, basis- und einsatzortbezogen Spezialkenntnisse zur Patientensicherheit zu vermitteln. Sicherheit als eines der Unternehmensziele ist zu operationalisieren und neue Mitarbeitende sind zu informieren, welche Regeln, Rituale und Statuten (Symbolvorrat), die nicht zur Diskussion stehen, Anwendung finden. Dies bezieht sich auf die Nutzung von Checklisten, SOPs und Verfahrungsanweisungen. Mit dem Global Patient Safety Action Plan 2021–2030 fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Einrichtungen des Gesundheitswesens auf, die 2020er- Jahre zu nutzen, um sicherheitsfördernde Strukturen zu etablieren. Die WHO verfolgt damit kein geringeres Ziel als die Entwicklung „einer Welt, in der niemandem im Rahmen der Gesundheitsversorgung Schaden zugefügt wird und jeder Patient jederzeit und überall eine sichere und respektvolle Versorgung erhält“. Sieben Aktionsfelder operationalisieren dieses Ziel. Das Aktionsfeld 5 widmet sich dabei explizit der Qualifikation des Personals in Gesundheitseinrichtungen. Patientensicherheit sollte curricularer Bestandteil sämtlicher Maßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung sein und tangiert selbstverständlich damit auch den Onboardingprozess.

Die WHO fordert mit dem Aktionsplan auf, Gesundheitspersonal zu inspirieren, auszubilden, zu qualifizieren und zu schützen, damit es zur Gestaltung und Umsetzung sicherer Versorgungssysteme für Patientinnen und Patienten beitragen

kann.2)

Vermittlung einer Patientensicherheitskultur

Selbstverständlich muss ein Onboardingprozess bedarfsgerecht und individuell angepasst erfolgen. Neue Mitarbeiter sollten einerseits nicht überfordert werden. Andererseits eignet sich die Vermittlung sicherheitsrelevanter Themen aufgrund ihres Verbindlichkeitscharakters in besonderem Maße für die Vorbereitung auf eine Tätigkeit im Unternehmen. Dabei sollten verfügbare digitale Medien zum Einsatz kommen.

Neue Kolleginnen und Kollegen im „Patient Safety Onboarding Prozess“

1) … sollten erfahren, wie die Themen „Patientensicherheit und klinisches Risikomanagement“ in den Organisationsstrukturen der Gesundheitseinrichtung eingebettet sind. Es sollte vermittelt werden, wie im unternehmensweiten Risikomanagement betriebs- und finanzwirtschaftliche sowie technische Risiken erfasst und analysiert werden und wie die unterschiedlichen Ebenen im „Corporate Risk-Management“ miteinander vernetzt sind und kommunizieren.

2) … sollten relevante Kompetenzträger, Verantwortliche und Ansprechpartner kennen. Dies sind nicht nur Funktionsträger im Bereich des Qualitäts-/ Risikomanagements und Patientensicherheitsbeauftragte, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen, die für das Schadenmanagement und Versicherungswesen zuständig sind. Sinnvoll wäre auch, wenn sie in Kenntnis gesetzt werden, ob die Einrichtung mit überregionalen Organisationen (zum Beispiel mit dem Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), der GQMG, medizinischen Fachgesellschaften), sicherheitsfördernden Initiativen (beispielsweise Aktion saubere Hände, Deutschland erkennt Sepsis, Patient Blood Management) oder internationalen Organisationen kooperiert bzw. Mitgliedschaften bestehen.

3) … sollten umfassend mit den patientensicherheitsrelevanten Standards der Einrichtung vertraut gemacht werden. Dies umfasst insbesondere Prozesse zur Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit, des Hygienemanagements und der Infektionsprävention, der Vermeidung von Diagnosefehlern, der Anwendung pflegeprophylaktischer Maßnahmen sowie der Sturzprävention. Darüber hinaus sollten im weiteren Prozess einsatzspezifische Kenntnisse zur Anwendung von Sicherheitsstandards beispielsweise in der Geburtshilfe (Management der Notfallkaiserschnittentbindung), in der Anästhesie (Airway-Management) oder in der Zentralen Notaufnahme (Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit) vermittelt werden.

4) … sollten einen Überblick erhalten, mit welchen Instrumenten des klinischen Risikomanagements in der Einrichtung aktiv gearbeitet wird und wie diese zu handhaben sind. Hierzu zählen die Nutzung von Erfassungssystemen kritischer Ereignisse (Critical Incident Reporting System – CIRS), die Durchführung von Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen, Peer-Review-Verfahren sowie allgemeine und einsatzspezifische Trainings.

5) … sollten umfassend in sicherheitsförderndes technisches Equipment eingewiesen werden.

6) … sollten über das betriebsinterne Beauftragtenwesen informiert werden (etwa Brandschutz-, IT-Sicherheit, Hygiene, Strahlenschutz, Transfusion, …).

7) … sollten im Kontext von Sicherheitsstandards und der Anwendung von Verfahren (siehe unter 3 u. 4) intensiv in die Nutzung der diesbezüglich zur Verfügung stehenden digitalen Erfassungssysteme eingewiesen werden und sie sollten wissen, wo Analysen und Ergebnisse des Sicherheitsmonitorings nachzulesen sind.

8) … sollten sämtliche Alarmierungssysteme und -verfahren kennen, auch wenn diese nicht zu ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld gehören. Sie sollten die Intervalle von Probealarmen kennen bzw. vorbereitet werden, dass Alarmsysteme auch unangemeldet zum Einsatz kommen.

9) … sollten die Patientenfürsprecher oder ggf. -beiräte kennen und mit entsprechenden Kontaktdaten ausgestattet werden. Dies schließt die Information über lokale Zusammenarbeit mit Patientenselbsthilfegruppen ein.

10) … sollten wissen, wem sie sich anvertrauen können, wenn es im Zusammenhang mit ihrer künftigen Tätigkeit zu einem sie belastenden kritischen Ereignis kommt, und wo sie Hilfe erhalten können, wenn sie potenziell an einem Behandlungsfehler beteiligt sind (Second-Victim-Phänomen).

Die in dieser Auflistung genannten Maßnahmen erfordern mitunter differenzierte Sprachkompetenzen. Ein entsprechendes Onboarding zur Patientensicherheit sollte daher im Idealfall auch Sprachbarrieren berücksichtigen können und Hilfen anbieten.

 Die Erfahrung zeigt, dass die Vorbereitung eines „Patient Safety Onboardings“ zwar umfangreich und anspruchsvoll ist, dass eine entsprechende Systematisierung aber in erheblichem Maße Transparenz herstellt und für die meisten Einrichtungen eine interne Standortbestimmung zum Thema Patientensicherheit beinhaltet, die beispielsweise für Zertifizierungsverfahren oder im Dialog mit Versicherern genutzt werden kann.

Das alte deutsche Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist sicher nicht mehr zeitgemäß. Zum Lernen ist man nie zu alt und insbesondere in der Medizin und Pflege ist ein lebenslanges Lernen notwendig und etabliert. Gleichwohl sind wir alle geprägt durch erste Eindrücke. Viele können sich sehr genau an die ersten Tage an einem neuen Arbeitsplatz, in einer neuen Funktion, mit neuen Aufgaben – selbst noch nach Jahrzehnten – erinnern. Spätere Ereignisse im beruflichen Umfeld geraten in der täglichen Routine schnell wieder in Vergessenheit. Insofern ist ein kenntnisreicher, motivierender, werteorientierter und gern auch spannender Onboardingprozess hilfreich und kann erheblich zur nachhaltigen Wissensvermittlung beitragen. Das gilt nicht nur, aber auch für das Patientensicherheitsmanagement.

Anmerkungen

1) Hammer, A., Manser, T., (2022) Die Kultur der Patientensicherheit, in: Gausmann, P., Henninger, M., Koppenberg, J., Patientensicherheitsmanagement,

Walter de Gruyter, Berlin, Seite 69

2) Global Patient Safety Action Plan 2021–2030 (who.int)

Anschrift des Verfassers

Dr. Peter Gausmann, GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH/Ecclesia Gruppe, Ecclesiastrasse 1–4, 32758 Detmold