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Thema des Monats

Klinik-Sanierung in Zeiten des Strukturwandels


Foto: shutterstock

Die finanzielle Lage deutscher Krankenhäuser ist zunehmend angespannt, der überwiegende Großteil der Krankenhäuser in Deutschland schreibt rote Zahlen. Diese Entwicklung zwingt so viele Häuser wie nie in Restrukturierungsverfahren. Der Reformbedarf liegt auf der Hand. Doch können die aktuellen Pläne des Bundesgesundheitsministeriums mit einer Abrechnungsanpassung auf 40 % Vorhaltebudget und 60% Fallpauschalen die Lösung sein? Die großteilige Beibehaltung der DRG-Fallpauschalen erhält den betriebswirtschaftlichen Konkurrenzdruck.

Die Entwürfe zur Vorhaltepauschale sind unzureichend, um wirtschaftliche Entlastung zu schaffen. Die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Entökonomisierung des Krankenhaussystems bezeichneten Pläne stellen sich bei näherer Betrachtung als Augenwischerei dar. Aktuelle Untersuchungen des Krankenhaus-Datenanalyseunternehmens Vebeto zeigen, dass das Regierungsvorhaben seine Pläne weit verfehlt. Die Reform konzentriert sich eher auf die Vergütung als auf die notwendige Finanzierung. Es besteht die Notwendigkeit einer effektiven Übergangslösung, insbesondere angesichts der aktuellen Herausforderungen wie Inflation, Energiekrise und Preissteigerungen. Entwicklungen, die ein bereits seit langem nicht auskömmlich refinanziertes System an die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit bringt.

Um sich nach Möglichkeit auf die wachsenden Herausforderungen im Gesundheitssektor vorbereiten zu können, wählen Kliniken den Weg über rechtliche Sanierungsverfahren. Wer die Voraussetzungen einer positiven Fortführungsprognose erfüllt, kann dabei die Wahl des sogenannten Eigenverwaltungsverfahrens treffen – ein privilegiertes Instrument des Insolvenzrechts, das eine Sanierung während des laufenden Geschäftsbetriebs bietet.

Die Erfahrung zeigt, dass durch die Eigenverwaltung eine Neuaufstellung in vergleichsweise kurzer Zeit erreicht werden kann und Gestaltungsspielraum gibt, um den Grundstein für die Verfolgung des eigenen Zukunftskonzepts zu legen.

Verfahren in Eigenverwaltung als Chance

Im Jahr 2019 wurde ich zur Geschäftsführerin an die südhessische Kreisklinik Groß-Gerau bestellt, um das Haus zu sanieren. Auf Grundlage einer aufgestellten Potenzialanalyse war klar: Ein „Weiter so“ des stark defizitären Hauses war mit Blick auf das durch den Landkreis als Träger zu stemmende Minus keine Option. Eine Schließung wäre für den Landkreis sogar finanziell überhaupt nicht zu stemmen gewesen. Eine Perspektive für das Haus, die Mitarbeiter und die in der ländlichen Versorgungsstruktur auf das Haus angewiesenen Patienten bot der Gang in das Eigenverwaltungsverfahren. 

Die Eigenverwaltung, eine in der Insolvenzordnung festgelegte Verfahrensweise, ermöglicht es einem Schuldner die Kontrolle über das Unternehmen auch während eines Insolvenzverfahrens zu bewahren und eigenständig Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Ein gerichtlich ernannter Sachwalter überwacht dabei die korrekte Verwaltung des schuldnerischen Vermögens. Als weiteres Kontrollorgan wird ein Gläubigerausschuss eingesetzt, der über Abstimmungsentscheidungen zu Liquiditätsplanungen und Kostenaufstellungen Einfluss auf die Verfahrensstrategie nimmt.

Diese Verfahrensform ist bei Krankenhausinsolvenzen von großem Vorteil, da sie gegenüber allen Beteiligten, einschließlich der Öffentlichkeit, durch das Wirken der beschriebenen Organe das Vertrauen des Gerichts in die ordnungsgemäße Fortführung des Krankenhauses demonstriert. Entscheidend für den Sanierungserfolg ist zudem das Vertrauen der gesetzlichen Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung und niedergelassener Ärzte in den Sanierungsprozess, verbunden mit der kontinuierlichen Patientenzuweisung. Dies wird durch die Beibehaltung bekannter Ansprechpartner im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung gefördert, die weiterhin wichtige Entscheidungen treffen.

Das Eigenverwaltungsverfahren zielt rechtlich, wie jedes Insolvenzverfahren, auf die maximale Gläubigerbefriedigung ab. Oft wird ein Investorenprozess zur externen Finanzierung eingeleitet, wobei potenzielle Investoren die Krankenhausfinanzen prüfen und Übernahmekonzepte vorlegen. Eine Fortführung durch die Geschäftsführung erfordert einen überzeugenden Sanierungsplan mit einer höheren Gläubigerbefriedigungsquote als Alternativen. Ein schlüssiges und eine wirtschaftlich tragfähige Zukunft in Aussicht stellendes Konzept fließt in den sogenannten Insolvenzplan, über welchen dann zum Verfahrensende die Gläubiger abstimmen und der dann final vom Gericht beschlossen wird.

In dem von mir an der Kreisklinik durchgeführten Verfahren bildete die ausgearbeitete Modell-Strategie eines Intersektoralen Versorgungszentrums für den Standort die Grundlage für dieses Sanierungskonzept.

Als Intersektionales Versorgungszentrum (IVZ) sollte für die Kreisklinik Groß-Gerau ein Ansatz geschaffen werden, der gestufte Versorgungsketten als strukturpolitisches Instrument nutzt. Die Überwindung von Sektorengrenzen ist als Schlüsselelement gerade in ländlichen Regionen geeignet, unter wachsenden Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Demografiewandel eine sichere Versorgungsstruktur zu gewährleisten. Sie sind ausgerichtet auf das Patientenwohl und spielen eine entscheidende Rolle beim Schließen von Versorgungslücken. Durch Synergieeffekte aus Kooperationen zwischen verschiedenen Gesundheitssektoren sind sie flexibel und bedarfsorientiert planbar. Durch die an der Kreisklinik Groß-Gerau verfolgte Campus-Lösung mit mehreren unabhängigen aber gemeinsam unter einem Dach verschmolzenen und verwalteten Behandlungsmöglichkeiten soll der Patient umfassende Therapieangebote erhalten und den gesamten Krankheitsverlauf, von Diagnose bis Nachversorgung, zentral an einem Ort erhalten. Für Ärzte und Pflegekräfte sieht das Modell einen geringeren Verwaltungs- und Bürokratieaufwand vor, dafür eine engere Vernetzung von Fachabteilungen und flexibel an dem Bedarf orientierten Einsatzgebieten – ein insbesondere auch auf die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchstalenten gerichteter Aspekt.

Die hohe Akzeptanz des ärztlichen und pflegerischen Personals in Intersektoralen Versorgungszentren resultiert aus dem patientenorientierten Leitbild. Seit Umsetzung und Aufbau der Kreisklinik hin zum Intersektoralen Versorgungszentrum konnten sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Bereich und in den Funktionsdiensten über die Landkreis- und sogar Bundeslandgrenzen hinweg neue Mitarbeiter durch Beschreibung des Modells gewonnen werden. 

Obwohl das grundsätzliche Strukturmodell auch politische Anerkennung gefunden hat, etwa durch Aufnahme der intersektoralen Versorgungsidee im ländlichen Raum, bleibt jedoch das Finanzierungsgerüst des Modells aus.

Die derzeitige – und auch die aktuell von Gesundheitsminister Lauterbach geplante – Krankenhausfinanzierung sieht keine Finanzierung über die Sektorengrenzen hinweg vor. Bildlich gesprochen: Eine intersektorale Versorgung in einem Gesundheitszentrum ist im übertragenen Sinne vergleichbar mit einem Supermarktangebot – ein Laden, viele Angebote, eine Kasse – so die Idee. Die derzeitige Realität sieht jedoch bestehende Ansätze nur als Campuslösung in Form einer Einkaufspassage mit verschiedenen Läden, eigenen „Öffnungszeiten“ und spezieller personeller Ausstattung. Zugangs-, Abrechnungs- und Kontrollfunktionen unterliegen weiterhin der Sektorentrennung. Auch die Zuordnung des Personals muss im Rahmen der jeweiligen Personalvorgaben für jeden Sektor einzeln nachgewiesen werden. Globalbudgets oder Capitation Modelle zur Finanzierung des intersektoralen Versorgungszentrums sind in weiter Ferne.

Insofern verblieb in Bezug auf das Praxisbeispiel der Kreisklinik Groß-Gerau zunächst im Rahmen der Sanierungsansätze im Insolvenzverfahren nur die Anwendung bestehender traditioneller Controllinginstrumente und Managementwerkzeuge des Krankenhaussektors. Der angedachte dreiteilige Prozess

  • Sanierung
  • Transformation in ein Campusversorgungsmodell mit
  • mögliche Transformation in ein „echtes“ intersektorales Versorgungszentrum

konnte bislang bis zur zweiten Transformationsstufe umgesetzt werden. Für den dritten Teil fehlt es an der Aufhebung der Sektorengrenzen mit entsprechenden Finanzierungsmodellen.

Grundsätzlich bedarf es jedoch zur Planung eines intersektoralen Versorgungsmodells an einer sektorübergreifenden Bedarfsanalyse.

Neben der Inanspruchnahme der Basisnotfallversorgung im ländlichen Raum, der Ermittlung der Verlängerung von Rettungswegen als auch der Nachsorgeangebote wurden ambulante, stationäre als auch pflegerische Versorgungsbedarfe analysiert, welche in die Portfolioerstellung einer stationären Basisversorgung einflossen. Konsequent erfolgte die Ausrichtung auf eine Grundversorgung mit stationären Elementen, da die Bedarfe besonders für hochbetagte internistische Patienten mit Patientenverfügungen einen großen Anteil am Krankenhausgeschehen haben. Elemente des Entlass- und Verlegungsmanagements wurden gestärkt, ebenso die Integration ambulanter Angebote. Im Rahmen der Errichtung einer Hybridstation erfolgte eine umfassende Ausrichtung auf eine proaktive Fallsteuerung (u.a. ambulante Operationen, Kurzlieger, stationäre Versorgung), welche aktuell mit der Integration von Hybrid-DRG einen weiteren Impuls erhalten hat.

Zuletzt die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit einer effizienten und flexiblen Gesundheitsversorgung, besonders in ländlichen Gebieten, verdeutlicht. Intersektionale Gesundheitszentren bieten Lösungen für die Herausforderungen der Sektoralisierung in der ambulanten und stationären Versorgung. Im Bereich des Controllings ist eine durchgängige Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung wesentlich, um eine verursachungsgerechte Zuordnung von direkten Kosten und Gemeinkosten zu gewährleisten.

Das Modell eines Intersektoralen Gesundheitszentrums mit einem Globalbudget adressiert somit effektiv die Herausforderungen der Finanzierung, die durch die sektorale Trennung entstanden sind. Dieses Modell bietet eine umfassende und zukunftsfähige Lösung für die sich wandelnden Anforderungen im Gesundheitswesen.

Die Bundesregierung hat mit einer Krankenhausreform die Chance, entsprechende Projekte zu fördern, indem sie eine Gestaltungsfreiheit belässt, die letztendlich durch individuell auf die vorliegenden Versorgungsbedürfnisse ausgerichtete Modelle das Wohl und die Sicherheit von Patienten nachhaltig sichern und dem Fachkräftemangel entgegenwirken kann.  

Die angespannte Finanzlage deutscher Krankenhäuser, insbesondere in ländlichen Regionen, hat 2023 ihren Höhepunkt erreicht, mit einer Insolvenzrate von über 75 %. Trotz der komplexen Herausforderungen durch Inflation und Fachkräftemangel, eröffnet die Insolvenz Chancen für eine strategische Neuausrichtung. Die aktuellen Reformpläne greifen zu kurz, da sie zentrale Probleme wie Finanzierungslücken und Wettbewerbsdruck nicht adressieren.

Sanierungsverfahren bieten Krankenhäusern die Gelegenheit, sich zukunftsorientiert und innovativ neu aufzustellen. Allerdings bedarf es schnellstmöglich einem politischen Rahmen, der die Sanierungsbemühungen stützt und nicht durch neue Herausforderungen blockiert.

Anschrift der Verfasserin

Prof. Dr. Erika Raab, Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau GmbH, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling.