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Thema des Monats

Interview mit Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin der Core Unit eHealth und Interoperabilität am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), Professorin für Digitale Medizin und Interoperabilität.


Foto: Rafalzyk

Ist der „Digitalisierungsbooster“, der den Krankenhäusern mit dem KHZG verschrieben wurde, ein Erfolg?

Das kann man noch nicht sagen, die KHZG-Mittel sind ja noch nicht ausgegeben. Die Ausschreibungen und die Zuteilungen laufen gerade. Die KHZG-Mittel haben ja auch erstmal nichts mit dem DigitalRadar der Krankenhäuser zu tun, aber man erwartet natürlich, dass sich dort eine gewisse positive Trendlinie abzeichnet. Es gibt im Zusammenhang mit dieser Untersuchung des digitalen Reifegrades der Kliniken zwei Messungen: in den Jahren 2021 und 2023. Viele Krankenhäuser werden bis 2023 die notwendigen Installationen noch nicht komplett geschafft haben. Das ist dem Bundesgesundheitsministerium klar. Man erwartet einen Trend, aber keine endgültigen Ergebnisse.

Das KHZG ist mit dem Regierungswechsel nicht verschwunden. Die Mittel sind bewilligt, Inhalte des KHZG ausgebaut. Man kann sich natürlich fragen, ob es weitere Mittel geben wird. Die Grundlage wird dann vielleicht nicht KHZG heißen, sondern wird wohlmöglich ein Finanzierungsgesetz für die Digitalisierung in anderen Bereichen, etwa den niedergelassenen Ärzten oder der Pflege.  

Gibt es genug Experten, die die Digitalisierung im Krankenhaus begleiten und mit Leben füllen können?

Das ist sein vielen Jahre ein großes Thema. Die Expertise ist in Deutschland weniger entwickelt als in anderen Ländern. Wir bilden nicht genug aus in diesem Bereich, und natürlich haben wir in Deutschland auch nicht diese innovative Umgebung, die es andernorts gibt. Viele gute IT-Fachkräfte wandern deshalb in Ausland ab. Wenn man als Experte wiederholt scheitert an den Regularien hierzulande, dann versucht man sein Glück eben anderswo. Inzwischen haben wir aber viele Startups über die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die auch Knowhow aufbauen können.

Vor allem in der Interoperabilität fehlt aber hierzulande Expertise. Aber durch die Medizininformatik-Initiative hat sich die Situation verbessert. Im Rahmen der Initiative wurden neue Studiengänge aufgebaut in der Hoffnung, viel mehr ausbilden zu können in diesem Bereich.

Ein weiteres Problem ist, dass die Krankenhaus-IT so hochspezifisch und komplex ist in Ihren Anforderungen. Da können wir nicht einfach Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Da ist neben den IT-Fachkenntnissen auch medizinisches Knowhow gefragt, zudem muss man das Gesundheitssystem in Deutschland gut kennen.

Jens Spahn hat die mangelnde Interoperabilität im Gesundheitswesen in Deutschland angeprangert. Gibt es spürbare Verbesserungen?

Ja, in diesem Punkt sind wir deutlich vorangekommen. Wir haben sogar einen wahren Jump Start gemacht, denn vor zwei, drei Jahren haben wir noch gar nicht über Interoperabilität gesprochen. Mittlerweile ist aber allen Playern klar, dass wir nur mit internationalen Standards auch Interoperabilität herstellen können. Wir wollen ja auch mit internationalen Firmen Geschäfte machen, und die haben keinerlei Interesse, diese proprietären Dinge aus Deutschland umzusetzen. Wir öffnen uns damit Märkte, die uns bisher verschlossen waren, und wir machen uns Innovation und Wissen zugänglich, das bislang nicht nach Deutschland kommen konnte, weil man eben diese Festsetzungen nicht gemacht hat. Durch die neuen Standards wie FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) und die Einführung der neuen, wichtigen Terminologien wie beispielsweise LOINC und SNOMED, die über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kostenfrei als open source zur Verfügung gestellt werden, und auch über Aufstellungen der gematik in Richtung ISiK, die Schnittstellenspezifikation für Krankenhäuser, haben die Firmen erstmals ein Rahmenwerk, an dem sie sich orientieren können. Das ist für manche Firmen nicht schön, weil sie denken, der Markt gehöre Ihnen, aber Firmen die international aufgestellt sind, begrüßen diese Entwicklung. Uns ich kann auch nur jedem Krankenhaus raten, in den Ausschreibungen darauf zu achten, dass diese Standards vom Anbieter auch zur Verfügung gestellt werden.

Die zunehmende Digitalisierung und die immer größere Menge an verfügbaren Gesundheitsdaten werfen immer wieder Fragen zum Datenschutz auf. Hat der Patient am Ende mehr Schaden als Nutzen von der Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Die Digitalisierung schadet den Patienten in keinster Weise. Im Gegenteil: Die Patienten profitieren von deutlich verbesserten Prozessen, von einer besseren Medizin, und sie gewinnen mehr Know-how über ihre eigene Erkrankung. Die Diskussion in Deutschland geht in die falsche Richtung. Wir nehmen Schaden, weil wir nicht ausreichend digitalisieren. Prozesse sind dadurch ineffizient, auch die Pflegekräfte und Ärzte müssen mit schlechten Systemen arbeiten und können ihre Arbeitszeit nicht effizient zum Wohle der Patienten nutzen.

Natürlich müssen die Systeme den höchstmöglichen Datenschutz aufweisen. Das tun sie auch. Aber letztendlich kommt es darauf an, wie viele Daten ich als Patient weitergeben möchte.

Datenpools können großen Nutzen bringen und Erkenntnisse generieren, von denen alle profitieren. So gab es beispielsweise Untersuchungen zur Wirksamkeit von Asthmaspray im Zusammenhang mit Covid 19, die wir in Deutschland gar nicht machen können, weil wir gar nicht wissen, wer das Spray benutzt.

Dies sind Fragen, die wir in diesem Land diskutieren und klären müssen. Meines Erachtens gehören die Daten nicht mehr jedem Einzelnen. Jeder, der am Gesundheitssystem partizipiert, profitiert ja auch, wenn anonymisierte Daten freigegeben werden und damit gearbeitet werden darf.

Sie haben sich insbesondere die Standardisierung von medizinischen Daten auf die Fahnen geschrieben. Nach zwei Jahren Pandemie: Gibt es hier Fortschritte?

International gibt es seit über zehn Jahren den sogenannten FHIR-Standard, der weiterentwickelt wird und international anerkannt ist. Und dieser Standard ist nun auch in Deutschland angekommen mit der Medizininformatik-Initiative. Sowohl Wissenschaft als auch Public Health als auch das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) vom RKI nutzen FIRH, dementsprechend sind Standards gesetzt. Es ist schneller und einfacher, sich zu verständigen. Daneben gib es Bildstandards, die seit über 20 Jahren im Einsatz sind, und wir können sehen, wie gut beispielsweise die digitale Pathologie und die digitale Radiologie funktionieren. Wichtig ist, dass man auch weiß, dass wir auch mit diesen Standards nur dann Algorithmen entwickeln und KI anwenden können, wenn wir gute Daten haben, die auf diesen Standards basieren. Dies ist sehr wichtig, auch für die Weiterentwicklung der Medizin weltweit.

Wo liegen die größten Probleme bei der Standardisierung?

Die Problematik liegt weiterhin bei den noch nicht klar zentrierten Zuständigkeiten, da müsste man nochmal gemeinsam eine Governance aufstellen, wie die verschiedenen Organisationen aus der Wissenschaft, KBV, gematik und BfArM zusammenarbeiten sollen und wer Zugriff auf die Daten haben wird.

Jetzt geht es an die Implementierung, Wir können Spezifikationen schreiben, wie zum Beispiel ein Mutterpass aussehen soll, aber der Softwarehersteller muss den Mutterpass dann in genau dem Format auch herstellen. Diesen Schritt müssen wir den nächsten zwei Jahren gehen, für alle Bereiche. Auch und vor allem bei der elektronischen Patientenakte: Sie ist im Moment nur eine lose Blattsammlung von Pdfs, das ist keine Interoperabilität. Wir brauchen Daten-Interoperabilität, sodass ich einzelnen Vitalwerte abrufen kann und nicht ein Blatt Papier, auf dem der Wert steht.

Was kann das Krankenhausmanagement tun?

Digitalisierung ist ein Management-Thema. Die Krankenhausleitung sollte sich mit den Themen der Digitalisierung befassen und entsprechende Prioritäten setzen: Man sollte einen Chief Digital Officer einsetzen, und das Krankenhaus sollte die digitale Transformation aktiv mitgestaltet. Es geht nicht darum, irgendwelche Produkte zu kaufen. Es ist sehr wichtig, die Ausschreibungen intelligent zu gestalten und immer wieder auf die Interoperabilität hinweisen. Ich kann nur raten, sich Expertise heranzuziehen und sich nicht einfach auf den Anbieter zu verlassen. Die Hersteller müssen den Druck der Krankenhäuser als Anwender spüren. Nur dann werden sie sich bewegen.

Das hat man auch im DigitalRadar gemerkt. Alle Krankenhäuser haben teilgenommen. Jeder hat gesehen, wo seine Stärken und Schwächen liegen. Es gilt jetzt, die Bereiche, an denen es hapert, auszubauen. Im Mittelpunkt steht der Patient als ein Teil des Prozesses im digitalen Krankenhaus. Deshalb sind Möglichkeiten der Patientenpartizipation im Prozess der Digitalisierung sehr wichtig. Wir müssen die Softwareanbieter als Partner ansehen und die eigenen Hausaufgaben hinsichtlich der Prozesse und der medizinischen Dokumentation gemeinsam angehen.

Das Interview führte Katrin Rüter, Chefredakteurin „das Krankenhaus“