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Thema des Monats

Im Gespräch mit Adelheid Jakobs-Schäfer, Generalbevollmächtigte und Geschäftsführerin Sana Kliniken AG Einkauf & Logistik


Adelheid Jakobs-Schäfer, Generalbevollmächtigte Sana Klinken AG und Geschäftsführerin Sana Einkauf & Logistik GmbH. Foto: Sana Kliniken AG

Die Krisen der Gegenwart – die Pandemie und der Krieg in der Ukraine - betreffen auch den Einkauf medizinischer Produkte und des Krankenhausbedarfs: Lieferketten reißen ab, Waren werden knapp und extrem teuer. Wie kann die Versorgung in hoher Qualität gesichert werden?

Die Coronapandemie hat die Routinen von Einkauf und Logistik auf einen bisher nicht gekannten Prüfstand gestellt. Was sich als nicht performant oder flexibel genug erwies, musste durch vereinfachte Parallelprozesse ersetzt werden. Zugleich haben wir erlebt, was belastbare Partnerschaften leisten können und wie entscheidend Solidarität, Fairness und Transparenz zwischen allen Partnern bei der Verteilung knapper Ressourcen sind.

Die Krisen der Gegenwart haben uns verändert – auch die Gesundheitswirtschaft und Einkauf und Logistik. Die öffentliche Wahrnehmung und der Blick der Experten richten sich wie nie zuvor auf die Versorgungssicherheit mit medizinischen Leistungen, Arzneimitteln, Medizinprodukten, Energie, Rohstoffen, Lebensmitteln und Technologien. ,,Kaufen sie nur die für ihren Haushalt nötigen Mengen ein. Wir sorgen für Nachschub“. So heißt es in großen Lebensmittelmärkten. Das hätten wir uns in 2019 nicht ansatzweise träumen lassen bzw. hätte unsere Vorstellungskraft so weit nicht gereicht.
Aber: Die aufgezählten Krisen der Gegenwart mit der Pandemie, Überschwemmungen, Krieg und Umweltproblemen, sind ja nicht das Ende der Fahnenstange. Das Ausmaß der Problem- bzw. Zukunftsorientierung muss zumindest darüber hinaus auf die Altlasten ausgeweitet werden. Seien wir ehrlich: Der Reformstau in unserem Gesundheitssystem und auch in Einkauf und Logistik, war bereits vor 2019 offenbar. Und deshalb dürfen wir neben den aktuellen Kriseninterventionen auf keinen Fall die präventiv strategischen Überlegungen vernachlässigen.
Die Krisen zeigen, wie wichtig das gute Zusammenspiel der Akteure in der Supply Chain für die Patientenversorgung ist. Die Probleme kann keiner alleine lösen. Die Zusammenarbeit in der Supply Chain, als wesentlicher Teil der Gesundheits-wirtschaft, braucht ein starkes „Wir“. Dieses „Wir“ muss die Versorgungskette gemeinsam gestalten, um in Zukunft eine sicherere, nachhaltigere Patientenversorgung zu ermöglichen. Aktionismus und voreilige Schlüsse sind zu vermeiden: Als Krisenreaktion können sie gefährlich sein und langfristig neue Probleme schaffen. Wir müssen auch lernen, unter Unsicherheit zu entscheiden und zu handeln. Mit einer erhöhten medizinischen Leistungsbündelung in Zentren und mit verlässlicheren Vorhersagen mit Fallzahlentwicklung bekommt die Supply Chain mehr Skalierbarkeit, mehr Standardisierung und Sicherheit.

Sind die immer globaleren Märkte ein Problem? Gibt es regionale Alternativen für den Einkauf der Kliniken?

Es gibt viele gute und weniger gute Gründe, warum es globale Märkte und damit Abhängigkeiten gibt. Sie sind über viele Jahrzehnte entstanden und sie müssen mit den vorliegenden Erkenntnissen und Krisen neu justiert werden. Die weltweiten Abhängigkeiten können wir aber nicht einfach zurückzudrehen oder mit Regionalität komplett kompensieren. Teillösungen mit regionalen Beschaffungen und Herstellung können helfen u.a. in der Lebensmittelversorgung. Aber auch solche ,,Kehrtwendungen“ würden ein grundsätzliches Umdenken im Verbrauch der Konsumenten, den Herstellungskosten und in der Haltung zum Konsum bedeuten.
Politik und Wirtschaftsgremien sind gefragt, mit Abkommen einen krisenfesteren Rahmen zu schaffen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist auf den Weg gebracht und fragt nachhaltig Anforderungen zu Menschenrechten und Umweltthemen ab, und das sowohl bei Herstellern als auch bei Käufern. Insofern wird der Einkauf bei Verhandlungen nicht nur den Preis bewerten können.
Es braucht stabile und verlässliche Handelsabkommen, die im politischen Zusammenspiel der Handelsnationen eine faire Verteilung knapper Güter sichern und egoistische Entscheidungen und Handlungen, wie zum Beispiel die Beschlagnahmung von Ware, verhindern.

Welche Rolle spielt die neue EU-Medizinprodukteverordnung?

Die Medizinprodukteverordnung (MDR) ist in der Kritik aufgrund der Unsicherheiten über daraus entstehende Lieferprobleme, Innovationshemmnisse und Neuzulassungen von Produkten.
Eine gute Diskussion zu diesem Thema findet um Beispiel mit den Gremien der BVmed und Politik statt, auch zu Nischenprodukten.  Wir dürfen Gründlichkeit nicht mit Bürokratie verwechseln: Der Regulierungsrahmen muss der Patientenversorgung, medizinischer Entwicklung und Handlungsfähigkeit gleichermaßen dienen. Es braucht auch eine gewisse Flexibilität, um Entscheidungen zügig treffen zu können. Wir unterstützen den BVmed bei seiner Forderung einer EU-weiten Regelung für Nischenprodukte. Die Schaffung von Förderprogrammen zur Unterstützung kleiner und mittelständischer Hersteller bei der (Re-) Zertifizierung von Orphan Medical Devices könnte dazu beitragen, negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung zu vermeiden. Denn gerade die Nischenprodukte brauchen mehr Aufmerksamkeit und selektive Lösungen.
Die Lieferindustrie arbeitet ja laufend an Veränderungen zur Produktion von Medizinprodukten und Arzneimitteln. Das ist auch notwendig ­ schon wegen des globalen Bevölkerungswachstums. Die Zahl Weltbevölkerung wird sich laut einer UN-Prognose bis 2100 auf 10,87 Milliarden erhöhen. Die Zahlen sprechen für sich. Die Menschen müssen oder wollen versorgt werden, auch wenn in unterschiedlicher Weise. Die aktuellen Kriseninterventionen erzeugen einen zusätzlichen Druck auf die Industrie, zu überlegen, welche Veränderungen es hinsichtlich Produktionsstandorten, Produktionsabläufen und Maßnahmen zur Risikoreduzierung in der Supply Chain braucht.

Wie gehen Sie in Ihrer Kooperation mit diesen Problemen um?

Die Sana und die Sana Einkauf & Logistik setzt nicht nur bei Problemen in der Zusammenarbeit auf ein starkes „Wir“, im Einkauf mit den kooperierenden Kliniken und den Geschäftspartner der Industrie. Es bildet die belastbare Grundlage unserer Kooperationskultur. Nur so verstehen wir einander, finden Lösungen für strategische Fragen, erzielen skalierbare Mehrwerte, die allen nutzten. Wir schaffen auch robuste Kompromisse in schwierigen Zeiten. Mit den wertvollen Ergebnissen können wir arbeiten. Sie helfen uns den Weg aus den Krisen und zur Situation in der Gesundheitswirtschaft nach Corona besser zu gestalten. Die Themen reichen von Digitalisierung über Wirtschaftlichkeit bis zur Versorgungskette. Wir sichern gemeinsam eine hochwertige Versorgung für das Patientenwohl. Und schaffen spürbaren Mehrwert in Einkauf & Logistik.
Über diese Form der Zusammenarbeit haben wir Kontinuität in der Strategie, sind aber auch schnell und wendig bei akuten Themenstellungen und bringen strategische Themen wie Nachhaltigkeit und damit Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geordnet auf den Weg.

Sie führen eine Kooperation für den Einkauf mit fast 1400 medizinischen Einrichtungen von kleinen Akutkrankenhäusern bis zu Universitätskliniken. Profitieren alle gleichermaßen von der Kooperation?

Die Gesundheitsversorgung hat unterschiedliche Versorgungsstrukturen und Leistungen in den urbanen Bereichen und in der Fläche. Damit einhergehend gibt es auch unterschiedliche Versorger und damit wiederum Einkaufsstrukturen. Und auch in Zukunft wird es diese Vielfalt brauchen, auch wenn zugleich ein Umbau, Abbau und Ausbau der Versorgungsstrukturen u.a. durch die Ambulantisierung im Markt stattfinden wird. Die Sana Einkauf & Logistik hat ihr Dienstleistungsanbot in der Vergangenheit darauf ausgerichtet, dass mit dieser Vielfalt ein Mehrnutzen als Vollsortimenter im Portfolio und den Dienstleistungen entsteht und aber alle nach ihren individuellen Anforderungen profitieren können. Die Anforderungen rekrutieren sich aus unterschiedlichen Bedarfen im Einkauf der Einrichtung. Eine Uniklinik hat einen anderen Bedarf an den Einkauf u.a. Innovationen, als ein Grundversorger.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei Einkauf und Beschaffung?

Die Digitalisierung ist der unersetzbare Schrittmacher, und gerade hier halten wir das Tempo hoch. Wir investieren laufend, damit alle Einkaufs- und Geschäftsprozesse zuverlässig, effizient und skalierbar sind. Die Waren-, Informations- und Kommunikationsströme werden mit Unterstützung von e-Procurement-Plattformen unter dem Dach der e-Healthcare Supply Chain voran bewegt.

Das Thema Nachhaltigkeit rückt bei den Kliniken zunehmend in den Fokus. Auch bei der Beschaffung?

In der Gesundheitsbranche steht ganz oben auf der Agenda, künftig nachhaltiger zu arbeiten und zu wirtschaften. Als integrierter Gesundheitsdienstleister werden wir diesen Veränderungsprozess aktiv begleiten und wichtige Impulse setzen. Wir haben sowohl auf der Sana Konzernebene und im Einkauf Sustainability Officer geschaffen. Mit einer strukturierten Agenda gehen wir das Thema nachhaltig an. Durch die Mitgliedschaft in der Value Balancing Alliance (VBA) setzt die Sana Kliniken AG ein weiteres Zeichen für ein systematisches Nachhaltigkeitsmanagement. Unsere Anteilseigner unterstützen unser Engagement ausdrücklich. Das Gesundheitswesen steht in diesem Bereich noch am Anfang und wir möchten durch unser Handeln positive Impulse in der Branche setzen.

Welche Rolle spielt Compliance?

Compliance-konformes Verhalten und Werte haben gerade in anspruchsvollen Zeiten mit Krisen noch mehr Aufmerksamkeit und Beachtung. Es braucht Fairness und Verständnis für das Gemeinwohl und auch, um die eigenen Interessen auszubalancieren.
Deshalb ist eine verantwortungsbewusste und nachhaltige Unternehmensführung ein entscheidender Teil unserer Unternehmenskultur und unseres geschäftlichen Handelns. In unserem Sana Compliance Codex haben wir die wesentlichen Regeln und Grundsätze für ein rechtlich korrektes und verantwortungsbewusstes Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sana Kliniken AG und ihrer Tochtergesellschaften formuliert. Der Verhaltenskodex spiegelt die Wertvorstellungen wider, die für uns verbindlich sind. Und das schon seit Jahren und nicht erst, seit Compliance vom Gesetzgeber als Stellschraube entdeckt wurde.
Es ist wichtig für uns, dass wir unserer ethischen und rechtlichen Verantwortung als Unternehmen gerecht werden. Nur so schaffen wir Vertrauen und werden als verlässlicher und integrer Partner im Gesundheitswesen wahrgenommen.
Ansprechpartner in Fragen von Compliance sind der zentrale Compliance-Beauftragte und die dezentralen Compliance-Beauftragten in den Regionen und Geschäftsbereichen. Die Compliance-Beauftragten unterstützen die Gesellschaften des Sana Konzerns und entwickeln gemeinsam das Compliance-System weiter.
Im Sinne geschützter Kommunikationswege für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch Dritte, hat Sana eine externe Beschwerdestelle, einen externen Ombudsmann sowie die Sana Hintbox, ein digitales Hinweisgebersystem, eingerichtet. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Unternehmens und auch unsere Geschäftspartner, also etwa Lieferanten und Kunden, haben darüber die Möglichkeit, Meldungen über Verstöße gegen Gesetze, den Verhaltenskodex und Richtlinien – vertrauensvoll und auf Wunsch anonym – abzugeben.
Ethik-Regeln hätten uns manchem Aktionismus entgegen wirken können: „Jeder nimmt, so viel er bekommt“ – das verstärkt Fehlallokationen und ist weder bei Lieferengpässen in Krisenzeiten eine Lösung noch vereinbar mit einer verlässlichen Routine.