Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Thema des Monats

Im Gespräch mit Dr. Meinrad Lugan, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Medizintechnologie e.V. (BVMed)


„Wir leiden unter einem handwerklich schlecht gemachten und zu komplizierten regulatorischen System für Medizinprodukte, das Innovationen ausbremst“, sagt der BVMed-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan. Foto: BVMed/Christian Kruppa

Welche Rolle spielt die Medizintechnologie bei der Krankenhausreform?

Derzeit eine eher untergeordnete, obwohl sie im Krankenhausalltag eine zentrale Rolle spielt. Beispielsweise ist in der Krankenhausreform die sachkostenintensive Medizin bislang zu wenig mitgedacht worden. So kann die geplante Vorhaltefinanzierung, als Kernbestandteil der Reform, zu Fehlentwicklungen führen. Beispielsweise zu einem eingeschränkten Zugang zu medizinisch notwendiger sachkostenintensiver Medizin. Deshalb müssen für Behandlungsfälle mit einem hohen Sachkosten- bzw. Medizinprodukteanteil gute Lösungen entwickelt werden.

Der Ansatz aus dem jüngsten Arbeitspapier, die variablen Sachkosten vor der Ausgliederung der Vorhaltefinanzierung herauszulösen, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das muss nun sehr sorgfältig und sachgerecht ausgestaltet werden. Eine eingehende Analyse durch unseren BVMed-Arbeitskreis Stationärer Gesundheitsmarkt (AKS) hat auf jeden Fall gezeigt, dass mindestens die variablen, also direkt patientenbezogenen Sachkosten aus dem G-DRG-System abgegrenzt werden müssten, bevor die Vorhaltefinanzierung hieraus abgezogen wird.

Unser Appell: Die Vorhaltefinanzierung muss zu einer Verbesserung der Patientenversorgung führen – und darf diese nicht durch Umverteilungseffekte gefährden. Wir bieten hier gerne unsere Expertise an.

Gleiches gilt übrigens für die Einbeziehung der Medizintechnologien in die Investitionsfinanzierung. Es ist gut, dass die zukünftige Finanzierung der Gesundheitsversorgung gesichert werden soll. Die angedachten Maßnahmen der Krankenhausreform zur Konzentration von komplexeren Leistungsgruppen lassen aber den zentralen Baustein, die Investitionsfinanzierung der für die einzelnen Leistungsgruppen erforderlichen medizintechnischen Anlagegüter, bislang unberücksichtigt. Für die einem Krankenhaus zugewiesenen Leistungsgruppen müssen ausreichende Investitionsmittel für die räumliche und die medizintechnische Ausstattung bereitgestellt werden, um die vorgegebenen Qualitätskriterien erfüllen zu können.

Pandemie, Krieg in der Ukraine, steigende Energie- und Sachkosten: Wie steht es um den Standort Deutschland in der Medizintechnik?

Im Moment, ehrlich gesagt, nicht so gut – obwohl die Ausgangslage eigentlich ausgezeichnet ist. Unsere Branche ist ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Wir sind Innovationstreiber: im Durchschnitt investieren MedTech-Unternehmen rund 9 % ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Wir sind Jobmotor: Die Medizintechnik-Unternehmen beschäftigen in Deutschland über 250 000 Menschen und stellen 13 000 Ausbildungsplätze in Zukunftstechnologien. Wir haben Hidden Champions und sind Exportweltmeister: Unsere Exportquote liegt bei rund 67 %, der jährliche Gesamtumsatz bei über 38 % Mrd. €. Wir haben 93 % Mittelstand und Familienunternehmen mit Forschung und Produktion in Deutschland. Das alles zeigt: Deutschland ist bei Medizintechnologien Weltspitze. Noch. Denn: Der Medizintechnik-Standort Deutschland ist stark gefährdet. Das liegt vor allem an hausgemachten Problemen. Wir leiden unter einem handwerklich schlecht gemachten und zu komplizierten regulatorischen System für Medizinprodukte, das Innovationen ausbremst. Unter überbordende Bürokratisierung und Regulierungswut, die unsere kleinen und mittleren Unternehmen erstickt. Unter schleppender Digitalisierung des Gesundheitssystems und mangelnder Datennutzung. Und wir kämpfen mit einer unzureichenden Wahrnehmung und Unterstützung des Mittelstandes als das Herzstück der deutschen Wirtschaft.

Hinzu kommen die steigenden Kosten, die sie ansprachen. Das zeigen auch die aktuellen Ergebnisse unserer MedTech-Herbstumfrage. Die Erträge der Medizintechnik-Unternehmen gehen dadurch weiter zurück. Zwar haben sich die Umsätze mit einem Plus von 4,8 % gegenüber dem Krisenjahr 2022 leicht erholt. Dem stehen jedoch stark gestiegene Personal-, Logistik-, Rohstoff- und Energiekosten sowie die hohen Kosten für die MDR-Umsetzung gegenüber.

Die Folge: Wir sehen zunehmend attraktivere Standortbedingungen in den USA. Wir sehen, dass Unternehmen Forschungsprojekte nach Großbritannien oder in die USA auslagern, da dort Innovationszugang und Datennutzung besser geregelt sind. Jüngstes Beispiel: die Auslagerung der gesamten Krebsforschung von Biontech nach UK. Wir sehen, dass selbst die Schweiz sich in Richtung USA orientiert und nun auch das FDA-Approval für Medizinprodukte akzeptiert. Das müssen wir mit standortfreundlicheren Rahmenbedingungen verändern. Dafür brauchen wir ganzheitliche Ansätze.

Was fordern Sie von der Politik konkret?

Eine „MedTech-Strategie 2030“ aus einem Guss: zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Medizintechnik-Bereich in Deutschland mit Handlungskonzepten für den Forschungs- und Produktionsstandort. Dazu gehören aus unserer Sicht:

•       Eine wettbewerbsfähige Regulatorik. Der BVMed hat dazu ein ausführliches Whitepaper zur MDR-Weiterentwicklung vorgelegt. Zu den Forderungen der Branche gehört allen voran die Abschaffung der Re-Zertifizierung alle fünf Jahre.

•       Eine Entbürokratisierungs-Offensive, die konsequent Überregulierungen abbaut und in Berlin und Brüssel für standortfreundliche Regulierungen kämpft. Um unseren Mittelstand als Innovationstreiber zu stützen, nicht zu ersticken.

•       Ein besserer Datenzugang und ein Antragsrecht beim Forschungsdatenzentrum für Medizinprodukte-Unternehmen.

•       Die Stärkung der Resilienz des deutschen Gesundheitssystems und der Lieferketten. Dazu gehört eine bessere Einbeziehung der MedTech-Branche in die Erarbeitung von Lösungen, denn Resilienz erfordert eine enge Kooperation von Politik und Industrie.

Kliniken leiden nicht nur an Preissteigerungen und chronischem Mangel an Investitionsfinanzierung durch die Länder. Auch überbordende Bürokratie wird von alles Berufsgruppen beklagt. Unter welchen bürokratischen Hemmnissen leidet die Medizintechnik? Was bedeutet die EU-Medizinprodukteverordnung für die Branche?

Neben der zuvor genannten Ausbremsung von Innovationen verursacht die Medizinprodukteverordnung (MDR) eine ungewünschte Verknappung von Produkten in der medizinischen Versorgung – dazu besteht breiter Konsens. Ein Drittel der Produkte droht vom Markt genommen zu werden. Bereits jetzt sind viele Produkte nicht mehr auf dem Markt verfügbar. Studien zeigen: MedTech-Unternehmen sind in 65 % der Fälle gezwungen, Entwicklungsressourcen in die Regulatorik zu verlagern – auf Kosten der Innovationstätigkeit. Und 89 % der MedTech-Unternehmen priorisieren mittlerweile die US-amerikanische Zulassung ihrer Produkte, so eine Studie der Boston Consulting Group.

Wir wollen eine zukunftsweisende Reform, die Patientinnen und Patienten sowie dem Innovationsstandort Europa hilft – keine fortwährenden Klein-Klein-Korrekturen, wie sie bisher vorgenommen wurden. Die beiden MedTech-Branchenverbände BVMed und VDGH schlagen deshalb in einem gemeinsamen Whitepaper zur Weiterentwicklung der europäischen Medizinprodukte-Verordnung MDR und der In-vitro-Diagnostika-Verordnung IVDR unter anderem die Abschaffung der fünfjährigen Re-Zertifizierungsfrist sowie Fast-Track-Verfahren für Innovationen und Orphan Devices sowie Diagnostics vor.

Wir brauchen mehr Transparenz und Effizienz, mehr Berechenbarkeit und Schnelligkeit, mehr internationale Anschluss- und Wettbewerbsfähigkeit sowie eine gute Verwaltungspraxis.

Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten Europa wieder zu einem wettbewerbsfähigen MedTech-Standort machen und überzogene Strukturen aufbrechen sowie gute regulatorische Rahmenbedingungen schaffen – mit Mut und Zuversicht. Dafür fordern wir die europäischen Institutionen auf, mit uns und allen relevanten Akteuren in Deutschland und Europa in einen strukturierten Dialog zu treten, um so schnell wie möglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

Wie wirken die aktuellen Entwürfe zum Digitalgesetz (DigiG) und zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) auf die Versorgungsprozesse und auf die Medizintechnik-Industrie?

Die neue Digitalstrategie des Gesundheitsministeriums hat viele gute Ansätze, aber auch noch Verbesserungspotenzial. Beim GDNG begrüßen wir die geplante Einrichtung einer Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten und die Anbindung an die Verordnung über den europäischen Raum für Gesundheitsdaten EHDS. Entscheidend bleibt dabei ein gleichberechtigter Umgang mit allen Stakeholdern bei der Datennutzung. Die Ausrichtung nach dem Nutzungszweck im Sinne der Forschung und Entwicklung sollte im Vordergrund stehen.

Beim Digitalgesetz ist für uns eine bessere Einbeziehung der Medizinprodukte-Hersteller in die Festlegung der Interoperabilitäts-Standards von Daten in der elektronischen Patientenakte wichtig. Experten aus dem Informations- und Medizintechnologie-Umfeld sollten in den Gremien und dem Digitalbeirat vertreten sein. Wir sollten so eingebunden werden, dass eine realistische Umsetzung der Vorgaben möglich bleibt und die Versorgung der Patienten nicht unnötig eingeschränkt wird.

Wie hoch ist der Anteil der deutschen Medizintechnikproduktion, der in den Export geht?

Die deutsche Medizintechnikindustrie ist sehr exportintensiv. Der Auslandsumsatz der MedTech-Branche legte 2022 um 6,5 % zu und erreichte einen Wert von 25,8 Mrd. €. Die Exportquote liegt damit bei starken 67 %.

Was bedeutet dies vor dem Hintergrund der aktuellen Sanktionspolitik und der Diskussion über die Abhängigkeit von China?

China ist der drittwichtigste Einzel-Exportmarkt für die Branche – nach den USA und der EU. Die Medizintechnik-Branche ist seit geraumer Zeit besorgt über die industriepolitischen Regulierungen in China, die nicht einheimischen Unternehmen den Zugang zunehmend erschwert. Hintergrund ist, dass China eine größere Unabhängigkeit bei der Versorgung mit Medizintechnik anstrebt.

Wir haben in einer Stellungnahme zu den jüngsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen für eine stärkere Koordinierung seitens der Bundesregierung plädiert, um den Marktzugang zu wichtigen Drittmärkten wie China weitsichtig zu begleiten und so ausreichend zu sichern. Wir müssen mit China im Dialog bleiben, wie Hürden im chinesischen Markt, die unverhältnismäßig nicht einheimische Unternehmen betreffen, abgebaut werden können.

Die deutsche Medizintechnik-Branche stellt sich in ihren Lieferketten bereits diversifiziert auf. Die Asien-Pazifik-Region bleibt dabei bedeutend und bietet viel Potenzial. Eine Entkoppelung von China ist in einer globalen Wirtschaft weder realistisch noch zielführend. Wir müssen mit China im Dialog bleiben und die Herausforderungen adressieren.

Wo sehen Sie die Zukunft Ihrer Branche? Und wie wird das Gesundheitswesen insgesamt in zehn Jahren aussehen?

Wir benötigen für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft moderne technologische Lösungen. Die deutsche MedTech-Branche rettet täglich Leben und ist eine der innovativsten Leitbranchen der Welt. Unser starker Mittelstand ist der Fortschrittstreiber. Wir möchten, dass das so bleibt und fordern dafür einen konkreten Maßnahmenkatalog.

Wir sind da zuversichtlich. Die Südschienen-Ministerinnen und Minister – also Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz - haben im September unter Einbeziehung des BVMed sehr gute Beschlüsse gefasst, die eine forschungsstarke, leistungsfähige, wirtschaftlich gesunde und international wettbewerbsfähige Medizintechnik-Branche stärken. Das brauchen wir jetzt auch im Bund und in Europa.

Und um den Medizintechnik-Standort Deutschland gemeinsam zu stärken ist eines besonders wichtig: Kommunikation. Die Politik muss im Dialog mit der Wirtschaft bleiben.

Interview: Katrin Rüter