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Thema des Monats

Glanzbauten der Charité


Foto: Konstantin Börner

Renovierung eines Denkmals: von der Irrenanstalt zur modernen Psychiatrie

„Neue, sanierte Psychiatrie? Das ist doch das älteste Gebäude hier am Standort“, wundert sich der Pförtner am eingezäunten Charité-Campus in Berlin-Mitte. In der Tat ist dem denkmalgeschützten roten Backsteinbau aus dem Jahr 1906 rein äußerlich gar nicht anzusehen, dass er ein Rund-um-Lifting bekommen hat und nun – vor allem innerlich – im ganz neuen Glanz erstrahlt. Am 18. Januar 2023 wurde die neue alte „Psychiatrische- und Nervenklinik der Charité“ – wie es noch immer über dem Eingangsportal am Bonhoeffer Weg 3 heißt, eingeweiht. Ort des Festaktes: der Carl Westphal-Hörsaal. Jede Sitzreihe des Auditoriums atmet noch die über hundertjährige Geschichte des Hauses.

Altes muss nicht unbedingt schlecht sein, im Gegenteil. Charité-Vorstandschef Prof. Dr. Heyo K. Kroemer betonte, dass es zwischen den alten Klinikbauten und den Neubauten heutzutage doch gewaltige (Qualitäts)Unterschiede gebe. So legte die Charité Wert darauf, lieber Altes zu erhalten und behutsam zu renovieren, als neu zu bauen. Allerdings waren die Herausforderungen gewaltig. Ein Kraftakt, in jeder Hinsicht.

Der Patient heutzutage gibt sich nicht mit einem Vierbettzimmer ohne Dusche zufrieden. Ein- und Zweibettzimmer mit eigener „Nasszelle“ sind heute Conditio sine qua non. Um moderne Beleuchtung, Belüftung und Versorgungsleitungen einzubauen, war quasi ein Entkernen des Gebäudes nötig. Fast skelettiert kam die Psychiatrie zeitweilig während des sechs Jahre währenden Sanierungsprozesses daher. Und das alles bei laufendem Betrieb. Patienten und Mitarbeiter wurden während der Bauarbeiten in dem Gebäudetrakt hin- und hergeschoben. Zudem lauerte eine Überraschung unter dem Dach. Zwar fanden Ingenieure, Handwerker und Architekten keinen Asbest, so etwas gab es zu Wilhelm Griesingers Zeiten zum Glück noch nicht, dafür wucherte der Hausschwamm im Dachstuhl und sorgte für große Abrissarbeiten, wie Jochen Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereichs Bau, rückblickend erzählte. Das Dach musste neu gedeckt werden. Der Laie erkennt das gar nicht. So besteht die Kunst der Sanierung nach Vorgaben des Denkmalschutzes offenbar darin, dass man von der Sanierung auf den ersten Blick gar nichts sieht. Alles sieht – irgendwie – so aus wie vor hundert Jahren, ist aber dennoch neu.

Bauchef Brinkmann erläuterte den Spagat, wie man es schafft, das äußere Erscheinungsbild eines denkmalgeschützten Ensembles zu erhalten und es zugleich zu sanieren. Zum Beispiel das neue Dach: „Es hatte eine Schiefereindeckung in altdeutscher Deckung, genau die gleiche Deckung haben wir wieder hergestellt, mit dem gleichen Material: Naturschiefer.“ Einzelne Firmen beherrschten noch dieses Handwerk. Die neuen Fenster seien energetisch besser, stellten zugleich aber keine Veränderung der Rahmengeometrie dar. Die neue Isolierung der Fenster musste mit der unteren Denkmalschutzbehörde abgestimmt werden. Diese Prozesse seien finanziell und zeitlich sehr aufwändig. „Die neuen Fenster wurden von einer Tischlerfirma erstellt, die Fenster noch in alter Handwerkskunst herstellt“.

Die Grundrisse mussten zum Teil verändert werden, damit aus Vierbett- Zweibettzimmer mit Nasszelle werden konnten. Neue Abwasserrohre waren nötig. Eine Lüftung gab es gar nicht in dem jahrhundertealten Gebäude. Auch Kabel für moderne Medien waren nicht vorhanden und mussten eingezogen werden. „Die gesamte Infrastruktur nach dem heutigen Stand musste in das Gebäude hinein“, sagt Brinkmann.

Insgesamt kostete die Sanierung der Charité-Psychiatrie das Land Berlin 25 Mio. €. Wer nun glaubt, damit sei die Charité doch endlich mal durchsaniert, der irrt. Lediglich 15 % der Fläche der Uniklinik sind quasi „State oft the Art“, entsprechen dem heutigen Standard. Mit der Sanierung der Psychiatrie sind es mit Stand vom 18. Januar 2023 immerhin 16 %, erklärte Astrid Lurati, Vorstandsmitglied Finanzen und Infrastruktur der Charité. Somit müssten 84 % der nach eigenen Angaben größten Uniklinik Europas noch saniert werden. Derweil freute sich Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Bündnis 90/Die Grünen) lieber erst einmal über das „freudige Ereignis“, nämlich über die Eröffnung der runderneuerten Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Gote erinnerte daran, dass solche Orte einst „Irrenanstalt“ hießen und man die Patienten am liebsten an den Stadtrand und aus dem Blickfeld verbannte.

Der einstige Direktor der psychiatrischen Klinik der Charité, Wilhelm Griesinger (1817–1868), deutscher Internist, Psychiater und Neurologe, Begründer der modernen naturwissenschaftlich orientierten Psychiatrie, setzte da eine Zäsur. Er reformierte die Psychiatrie, legte Wert darauf, dass die Patienten vor Ort und nicht am Rand der Stadt behandelt werden und dass sie sich im Grünen erholen können. So profitieren Psychiatriepatienten noch heute von den Grünflächen inmitten des Backsteinbauensembles.

Als jenes Gebäude aber zu bröckeln begann und mehr als nur der sprichwörtliche Putz von der Decke fiel, da mussten Klinik und Bauaufsicht handeln. 2015 wurden erste Sofortmaßnahmen ergriffen. Die Sanierung startete 2017. Es folgte „ein hartes Stück Arbeit“, wie Sandra Scheeres (SPD), ehemalige Berliner Bildungssenatorin, in ihrem Grußwort erinnerte.

Die bauliche Arbeit ist nun geschafft, die Arbeit mit und für die Patienten geht weiter. Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, skizzierte das heutige großstädtische Patientenklientel seiner Klinik. Viele der Kranken seien wohnungslos und suchtkrank. Offene Türen auf der Akutstation hätten, dies ergäben Studien, einen „unglaublich entlastenden Effekt“. Im Anschluss besuchten alle ein schön saniertes Haus, in dem die medizinische und deutsche Geschichte, auch die Schrecken des Nationalsozialismus, noch immer sehr präsent sind.

BIH und Charité forschen im 100-Mio.-€-Center

Aus einem eher scheußlichen Funktionsgebäude wurde in einem fünfjährigen Prozess ein prachtvoller Lichtbau im Herzen Berlins. Er ist der neue Sockel des markanten und ebenfalls sanierten Charité-Bettenhochhauses an der Luisenstraße und heißt Rahel Hirsch Center für Translationale Medizin des Berliner Institute of Health in der Charité (BIH). Am 19. Januar 2023 wurde Eröffnung gefeiert. Der Besucher tritt in ein helles zweigeschossiges Foyer mit großer Wendeltreppe und gelangt von dort direkt in ein lichtdurchflutetes überdachtes Atrium, das über ein Glasdach den Blick hinauf zum Charité-Bettenhochhaus freigibt.

Damit aus einem hässlichen Entlein ein schöner Schwan werden konnte, war Geld nötig. Nicht 73 Mio. € (Bund, Land und Charité) wie ursprünglich avisiert, sondern letztlich knapp 100 Mio. € kostete die Sanierung, erinnerte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in ihrer Begrüßungsrede. Das neue Gebäude schaffe nun Raum für Begegnungen und Kommunikation, schwärmte Judith Pirscher (FDP), Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Die bauliche Genese des 15 000 Quadratmeter Nutzfläche umfassenden Komplexes beschrieben Astrid Lurati, Vorstandsmitglied Finanzen und Infrastruktur, sowie Jochen Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereichs Bau der Charité. Bis auf die Grundmauern musste der Vorgängerbau abgerissen werden. Der ganze Prozess zeige, wie wandlungsfähig die Charité sei, betonte Lurati. Eigentlich war das Gebäude vorher auch nicht scheußlich, sondern ein wichtiger, aber in die Jahre gekommener Zweckbau, in dem viele Leben gerettet wurden. Er beheimatete 20 Operationssäle, fünf Intensivstationen, eine Dialysestation, mehrere Kreißsäle, die Neonatologie und die Zentrale Notaufnahme am Charité-Campus Mitte.

In diesen Räumen ging es viele Jahre um Leben und Tod. Nach 36 Jahren, im Jahr 2016, hatten die DDR-Räume ausgedient. Im Zuge des kompletten Umbaus des Charité-Bettenhochhauses wurde auch dieser Komplex mit den OP-Sälen, Intensivstationen, Notaufnahme etc. um- und freigezogen. Zurück blieb ein leerer Komplex in DDR-Plattenbauweise in bester Citylage. Der Bau war abgenutzt und eine Altlast geworden. Mit einer großen Party wurden die alten Mauern verabschiedet und zugleich die baulärmgeplagten Charité-Mitarbeiter für 110 Dezibel durch die Hochhaussanierung entschädigt.

Die zweite Karriere des Hauses startete. Die Abrissbagger kamen und leisteten ganze Arbeit. Bis auf das Tragwerk wurde alles rückgebaut. Es entstand das Rahel Hirsch Center für Translationale Medizin des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Schwerpunkte werden Datenwissenschaften und genomische Medizin sein. Wobei das BIH noch jung ist und erst später zur Charité kam. Dadurch mussten die Baupläne nochmal geändert werden. Noch mehr Forschungsfläche war plötzlich nötig, unter anderem dadurch erklären sich die gestiegenen Kosten. „Wir haben zusätzlich noch ein Staffelgeschoss in einer Stahlkonstruktion in der sechsten Ebene eingeplant“, sagte Brinkmann. Auch Schadstoffe mussten entfernt werden. Entstanden sind moderne Klinik- und Laborflächen, viel Kommunikationsraum, offene Treppenanlagen und alles in direkter Nachbarschaft zum Patientenbett. Berlins neues Center für Translationale Medizin im Herzen der Stadt.

Tanja Kotlorz