Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Politik

„Wir brauchen ein tragfähiges alternatives Konzept“


„Keines der politischen Ziele, die der Bundesminister mit der Reform zu erreichen verspricht, wird tatsächlich erreicht. Auch nicht die Existenzsicherung der kleineren Kliniken, sie profitieren nicht von der Vorhaltefinanzierung“, so der DGK-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Foto: Jens Jeske

Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht von vielen positiven Auswirkungen der Vorhaltefinanzierung. Die Reform wird als „Existenzgarantie für kleine ländliche Hauser“ verkauft. Stimmt das?

Lauterbach verspricht der Öffentlichkeit seit Monaten, dass sich durch seine Krankenhausreform und sein Transparenzgesetz die wirtschaftliche Lage der Kliniken verbessert und Insolvenzen verhindert werden. Genau diese Aussagen müssen wir aber auf den Prüfstand stellen. Das haben wir beim Transparenzgesetz getan, indem wir die Liquiditätshilfen einmal genau berechnet haben. Wir kommen dabei nicht auf die vom Minister verkündeten 6 Mrd. €, sondern auf 2 Mrd. €, die sich an Liquidität ergeben könnten, wenn die Pflegepersonalkosten schnell refinanziert werden. Das ist aber kein zusätzliches Geld, es steht den Kliniken ohnehin zu. Es ist nur die schnellere Auszahlung der bestehenden Forderungen der Krankenhäuser. Das verbessert allenfalls kurzfristig die Kassenlage einzelner Krankenhäuser, kann aber die negative Perspektive in keiner Weise verbessern.

Auch unter dem Stichwort „Vorhaltefinanzierung“ erzählt Minister Lauterbach immer wieder, dass sich die Lage insbesondere der kleinen Kliniken hiermit deutlich verbessern wird. Auch dies haben wir jetzt gemeinsam mit der Firma Vebeto in einer Simulation getestet. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung?

Die Untersuchung zeigt: Keines der politischen Ziele, die der Bundesminister mit der Reform zu erreichen verspricht, wird tatsächlich erreicht. Auch nicht die Existenzsicherung der kleineren Kliniken, sie profitieren nicht von der Vorhaltefinanzierung. Aber auch die großen Kliniken, die ja durchaus profitieren sollen von der Konzentration komplexerer Leistungen und von der Zusammenführung von Leistungsgruppen, wären in dem neuen Finanzierungssystem nicht bessergestellt als im gegenwärtigen System. Im Gegenteil: Auch für sie ergeben sich Nachteile im Rahmen des geplanten Systems der Vorhaltefinanzierung.

Für die kleinen Krankenhäuser sind die Ergebnisse besonders problematisch, denn diese Häuser sollen ja auch Leistungsgruppen an größere Zentren abgeben. Deshalb erwarten diese Häuser zu Recht, dass dieser Verlust an Leistungen auf der Erlösseite durch die neue Finanzierung ausgeglichen werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Wer durch die neue Krankenhausplanung mit Leistungsgruppen eine Leistungsgruppe verliert, wird durch die Vorhaltefinanzierung in keiner Weise geschützt. Er verliert in vollem Umfang alle Erlöse dieser Leistungsgruppe. Es bleibt ihm auch kein Anteil an Vorhaltefinanzierung, um die Strukturkosten der verbleibenden Grundversorgung besser zu refinanzieren.

Was folgt daraus für die Kliniken?

Die Situation der Kliniken wird noch problematischer. Das Krankenhaussterben wird unvermittelt weitergehen und bekommt sogar eine neue Dynamik mit der neuen Krankenhausplanung und ihrem Ziel, komplexere Leistungen von diesen wohnortnahen Kliniken wegzunehmen.

Entstehen Fehlanreize über eine Vorhaltefinanzierung oder werden sie vermieden?

Es entstehen weitere Fehlanreize, etwa Erlössprünge als Verluste oder Zuwächse an den Grenzen der sogenannten Fallzahlkorridoren zu vermeiden oder zu erreichen, weil die Vorhaltefinanzierung dann deutlich abgeschmolzen wird oder einen entsprechenden Zuwachs hat. Man wird gezwungen sein, Leistungssteuerung an diesen Korridorgrenzen zu führen.

Die Berechnungen der Vorhaltekosten scheinen sehr komplex. Wie verträgt sich das mit dem Ziel des Abbaus von Bürokratie?

Auch hier werden die Ziele der Krankenhausreform verfehlt. Den Kliniken wurde eine Entlastung von Bürokratie versprochen. Es soll einfacher werden im Bereich der Finanzierung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt für die Krankenhäuser. Stattdessen wird das Gegenteil erreicht: Wir behalten in vollem Umfang das DRG-System, nur wird nun ein Teil des Finanzierungsvolumens herausgerechnet und dann in anderer Weise verteilt über die Vorhaltepauschalen.

Das System ist enorm komplex. Die Vebeto-Berechnungen zeigen, dass sich das Ergebnis für das Haus im Vergleich zum bisherigen Fallpauschalensystem nur marginal verändert. Das heißt, wir betreiben einen gewaltigen Aufwand mit der Vorhaltefinanzierung und wir haben einen enormen Zuwachs an Komplexität und damit an Regulierung und bürokratischem Aufwand in der Umsetzung des Systems. Dieser Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen im Vergleich zum heutigen System der Fallpauschalen. 

Hätte ein Vorhaltebudget gegenüber dem „alten“ System der Finanzierung überhaupt Vorteile?

Wir können in dem aktuellen Konzept des Bundesgesundheitsministeriums keinen relevanten Nutzen erkennen. Das Ziel war ja eigentlich, eine stärkere Unabhängigkeit der Erlöse vom einzelnen Fall zu erreichen. Die Vebeto-Analyse zeigt: Die Erlöse folgen auch in Zukunft in hohem Maße der Fallzahlentwicklung am Standort, die Ergebnisse zeigen sich nur etwas verzögert. Die Fallzahlkorrelation bleibt erhalten. Von Entökonomisierung kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Das vorgelegte Konzept ist untauglich, um die politischen Ziele der Krankenhausreform zu erreichen. 

Müssen die Pläne des BMG zur Krankenhausreform zu leistungsunabhängigen Elementen der Vergütung im Detail nachgebessert oder grundsätzlich neu gedacht werden? Auch in Konzeptvorschlägen der DKG ist die Finanzierung der Vorhaltekosten ein wichtiges Element.

Wir brauchen Instrumente, die die Strukturkosten der Krankenhäuser in gewissem Maße unabhängig von Fallzahlen macht. Das ist notwendig, damit beispielsweise Notfallversorgung rund um die Uhr auch in ländlichen Regionen gewährleistet werden kann. Diese Strukturkosten in Teilen unabhängig von Fallzahlen zu refinanzieren: Das muss das Ziel eines neuen Finanzierungskonzepts sein. Das jetzt vorgelegte Konzept des Gesundheitsministers taugt dafür nicht. Wir brauchen ein tragfähiges alternatives Konzept, das sich direkt auf die Strukturkostenfinanzierung der Krankenhäuser auswirkt. Wir sind nicht der Auffassung, dass man das Konzept des BMG mit ein paar Anpassungen verbessern und wirksam machen kann.

Die Bauern protestieren mit einigem Erfolg, die Hausärzte haben ein Ende der Budgetierung erreicht. Gibt es noch Hoffnung für die Kliniken auf ein „Vorschaltgesetz“, auf schnelle Finanzhilfen vom Bund?

Das ist wohl ein Ausdruck der politischen Kultur der Gegenwart, dass man schon recht martialisch auftreten muss, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Wir können und wollen das nicht in gleicher Weise. Die Krankenhausmitarbeiter streiken nicht, die Kliniken sind an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden für ihre Patienten da. Aber die Bürgerinnen und Bürger und auch die Beschäftigten der Krankenhäuser nehmen diese Ignoranz der Politik gegenüber den Nöten der Krankenhäuser sehr wohl wahr, und sie reagieren auch darauf.

Auch in diesem Jahr werden wir jeden Monat 500 Mio. € mehr ausgeben als wir von den Krankenkassen bekommen, um die Patientenversorgung sicherzustellen. Das bedeutet, dass die Krankenhäuser fortgesetzt Defizite machen müssen, um Patienten zu versorgen. Ein sehr wichtiger Teil der sozialen Infrastruktur bröckelt. Die Politik muss etwas tun. Diese Entwicklung zersetzt auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Leistungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit unseres Staates.

Was muss aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Krankenhäuser jetzt geschehen?

Wir brauchen eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage. Das geht nur über einen sofortigen Inflationsausgleich für die Kostensteigerungen aus den Jahren 2022 und 2023, für die es bisher keine Anpassungen in den Erlösen gab. Das heißt, die Landesbasisfallwerte und Psychiatrieentgelte müssen sofort erhöht werden, damit die Lage zunächst entschärft wird und sich die Defizite nicht Monat für Monat weiter aufbauen. Dann brauchen wir einen anderen Prozess zur Entwicklung der Krankenhausreform. Die Reform ist notwendig, daran haben wir keinen Zweifel. Aber wir benötigen mehr Partizipation und Transparenz.

Wir haben uns immer als konstruktiven Akteur in dieser Debatte verstanden und uns zu Veränderungsprozessen bekannt. Doch der aktuelle politische Prozess, der zum Teil von massivem Streit zwischen Bund und Ländern und Ausgrenzung der Selbstverwaltung geprägt ist, ist nicht geeignet, um in einem so komplexen System wie der Krankenhausversorgung in Deutschland zu weitreichenden und konsentierten Veränderungen zu kommen. Wir brauchen mehr Transparenz. Die Akteure der Krankenhausversorgung müssen an diesem Prozess beteiligt werden. Wir können die Reform der Gesundheitsversorgung nicht ohne den Sachverstand derjenigen gestalten, die seit Jahren und Jahrzehnten im System arbeiten. Dann werden wir auch in der Reform der Finanzierung zu vernünftigen, wirksamen Neuregelungen kommen. Geschieht das nicht, werden wir 2024 ein Desaster erleben – politisch und wirtschaftlich.

Das Interview führte Katrin Rüter, Chefredakteurin