Die Bund-Länder-Gespräche zur Klinikreform am 20. Juni endeten ergebnislos: Eckpunkte zu der Krankenhausfinanzierungsreform wurden nicht verabschiedet. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich in Berlin traf, hat keine Einigung erzielt und die Verkündung der Eckpunkte auf den 10. Juli vertagt. Die Minister treffen sich noch einmal am Bodensee, in Baden-Württemberg, dessen Gesundheitsminister Manne Lucha (B 90/Die Grünen) derzeit Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz ist. Lucha und der Bundesgesundheitsminister gaben sich zuversichtlich, dass dann eine Einigung gelingt. „Der Zeitplan steht: Wir werden die Eckpunkte beschließen. Über den Sommer werden wir einen Gesetzentwurf erarbeiten und auf den Weg bringen. Am 1. Januar 2024 tritt das Gesetz in Kraft“, so Karl Lauterbach. Eine Verständigung mit den Ländern sei trotz einiger offener Fragen in greifbarer Nähe.
Man habe sich deutlich aufeinander zubewegt, sagte Manne Lucha, der auf der Pressekonferenz nach den Beratungen hin und wieder den Bundesminister in seiner Euphorie bremste und auf noch auszuhandelnde Punkte verwies.
Eine deutliche Abfuhr gab der Bundesminister den Forderungen nach einem Vorschaltgesetz, das aktuell durch Fallzahlrückgängen und massiven Kostensteigerungen akut bedrohten Kliniken das Überleben sichern soll, bis die Reform greift: „Rettungsaktionen mit der Gießkanne wird es nicht geben“, so Lauterbach. Dafür gebe es keine Spielräume im Bund.
An der Einteilung der Kliniken in Level will Lauterbach festhalten, um Patientinnen und Patienten „die Leistungen der Kliniken transparent zu machen“. Sein Amtskollege aus Baden-Württemberg sieht dies weiter kritisch: „Die Bürger verbinden Level und Stufen zunächst immer mit Qualität und Güte“, so Lucha. Lauterbach stellte jedoch klar: „Wir werden die Level veröffentlichen.“ Erfahrung, Fallzahlen, Komplikationsraten, Anzahl der Fachärzte und Pflegekräfte all diese Leitungs- und Qualitätsstandards sollen mit den jeweiligen Leveln ablesbar sein. Die vorgesehene Vorhaltevergütung soll sich dabei an den Leistungsgruppen und nicht an der Levelzuordnung orientieren.
Zur Vorhaltefinanzierung herrscht wohl im Großen und Ganzen Einigkeit zwischen Bund und Ländern. Effizienzgewinne durch Zentralisierung und Spezialisierung sollen belohnt werden, das Budget bleibe auch bei sinkenden Fallzahlen erhalten.
Die Leistungsgruppen sollen als „lernendes System“ nach jeweils zwei Jahren in einem mehrstufigen Verfahren weiterentwickelt werden.
Die wissenschaftliche Vorarbeit sollen die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) leisten. In einer zweiten Stufe ein soll ein gesetzlich festgeschriebener Krankenhaus-Leistungsgruppen-Ausschuss mit der Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Leistungsgruppen beauftragt werden. „Dieser wird paritätisch besetzt von Bundesärztekammer und Deutscher Krankenhausgesellschaft einerseits und dem GKV-Spitzenverband andererseits. Kommt es innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht zu einer Einigung, wird ein Schiedsverfahren vorgesehen. Kommt es nicht zu einer Einigung, erfolgt die Festlegung durch eine Ersatzvornahme. Diese wird in der Folge vom BMG mit Zustimmung des Bundesrates erlassen“, heißt es in einem Eckpunktepapier-Entwurf vom 28. Juni.
DKG: „kein Ende des Kliniksterbens“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert den Ausgang der heutigen Bund-Länder-Verhandlungen zur Krankenhausreform. DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß:
„Die Botschaft, die die heutige Bund-Länder-Runde an die Bevölkerung ausgesendet hat, lautet: Der kalte Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft und das Kliniksterben werden weitergehen und sogar eine neue Dynamik entfalten. Weder der Bund noch die Länder werden den Krankenhäusern den notwendigen Inflationsausgleich bei den Erlösen gewähren und lassen die Kliniken mit ihren hohen Verlusten aufgrund der gestiegenen Sach- und Personalkosten im Regen stehen. Es geht dabei weder um Rettungsgeld mit der Gießkanne noch um Almosen, sondern um die gesetzlich gebotene Anpassung der Erlöse.“
Die Verantwortung für diesen Inflationsausgleich trage die Bundesregierung. Die Ansage, dass in einem 500 Mrd. € umfassenden Bundeshaushalt für die Sicherung der Krankenhausversorgung kein Geld vorhanden ist, würden die Menschen in den betroffenen Regionen weder verstehen noch akzeptieren.
Nach dieser Absage der Politik wird es für die Geschäftsführungen in den Krankenhäusern nahezu unmöglich, eine positive Fortführungsprognose ihres Klinikstandortes im Rahmen der Wirtschaftsprüfung und der Jahresabschlüsse zu erreichen. „Damit werden viele Geschäftsführungen von der Politik gezwungen, unmittelbar einen Antrag auf Insolvenz zu stellen, weil sie absehbar die Rechnungen des Krankenhauses sowie Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlen können. Das ist eine Katastrophe und stellt eine noch nie dagewesene Bedrohung, der für die Gesundheitsversorgung wichtigsten Infrastruktur in Deutschland, dar“, so Gaß weiter. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ruft daher alle betroffenen Klinikträger auf, einen sofortigen Antrag auf Betriebskostenzuschüsse und Defizitausgleiche an die für sie zuständigen Städte und Landkreise zu stellen, um zu retten, was noch zu retten ist. Rechtlich sind die kommunalen Gebietskörperschaften in letzter Konsequenz für die Sicherstellung der Krankenhausversorgung in ihren Regionen verantwortlich. Dies gilt völlig unabhängig von der Frage, in welcher Trägerschaft die dortigen Krankenhäuser stehen. Dies werden sicher nicht alle Städte und Landkreise leisten können.
„Wir fordern den Bundesgesundheitsminister und die Bundesländer erneut auf, das Kliniksterben und die durch die Verschiebung gewonnene Zeit noch zu nutzen, um massive Lücken bei der Patientenversorgung zu verhindern“, appelliert der DKG-Chef.
„Enttäuschend: Die Kraft zur Reform fehlt“
„Es ist enttäuschend, dass die Länder und der Bund heute nicht die Kraft hatten, gemeinsam mutige und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. Die Klärung der zentralen Streitpunkte wird damit in die Zukunft verschoben. Es fehlt damit der verlässliche Rahmen für die Umgestaltung der Krankenhausstrukturen wie auch die Planungssicherheit für die dafür notwendigen Mittel“, so Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutsche Evangelische Krankenhausverbandes (DEKV). Momentan sei das Vertrauen gering, dass die Länder und der Bund verlässliche und konkrete Eckpfeiler gemeinsam am 10. Juli 2023 beschließen.
„Die Krankenhausstrukturen neu aufzustellen, ist eine Herkulesaufgabe in sozialer, gesellschaftlicher, unternehmerischer und finanzieller Hinsicht. Das ist ein enormer Kraftakt, der den Mitarbeitenden und dem Management in den Krankenhäusern, der Politik und den Bürgern viel abverlangt. Die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern müssen die Sicherheit im Wandel gewährleisten, damit die Mehrheit die Veränderung nicht als Bedrohung empfindet“, mahnt Radbruch.
Besonders die angedachte Verknappung von Kapazitäten durch den Leistungskorridor im Vorhaltebudget lasse ein ernstzunehmendes Problem aufziehen. „Dabei handelt es sich um Planwirtschaft. Die fatalen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung müssen jetzt mit der Krankenhauspraxis gemeinsam bewertet werden. Das ist mehr als überfällig“, kommentiert Radbruch.
Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW): „Die NRW-Krankenhäuser begrüßen es, dass sich Bund und Länder weitere Zeit nehmen, um dieses bedeutsame Reformvorhaben gemeinsam abzuschließen. Dennoch werden viele Kliniken diese Reform nicht mehr erleben: Denn die klare Absage von Lauterbach an die Krankenhäuser, ihnen keine ausreichende Refinanzierung für die wachsenden Inflationslasten und die vereinbarten Tariferhöhungen zu gewähren, wird zu einem kalten Strukturwandel führen. Damit gefährdet er, dass die Klinik-Beschäftigten die verdiente Tariferhöhung auch erhalten.“ Die Krankenhäuser würden diese steigende Belastung wirtschaftlich schwerlich durchhalten. Als Folge drohe im kommenden Jahr eine Serie von Klinik-Insolvenzen, die die Daseinsvorsorge massiv einschränken werde. Die Bundesregierung verletze damit ihre gesetzliche Pflicht, die Betriebskosten der von den Ländern als bedarfsnotwendig festgestellten Krankenhäuser sicherzustellen.
Entscheidend für die Krankenhäuser ist ein Reformansatz, der wie hier in Nordrhein-Westfalen klaren qualitativen Kriterien folgt und den Bedürfnissen in den einzelnen Regionen gerecht wird Mit dem in der NRW-Krankenhausplanung entwickelten Konzept der Leistungsgruppen seien umfassende Qualitätsvorgaben verknüpft. Damit werde sichergestellt, dass einheitliche Maßstäbe und Anforderungen gelten. Zudem liefere schon heute jedes Krankenhaus jährlich einen öffentlich zugänglichen Qualitätsbericht ab, sie unterlägen ausreichenden und umfassenden Qualitätssicherungsmaßnahmen. „Dass Minister Lauterbach trotzdem ein zusätzliches Qualitätsmonitoring des Bundes aufsetzen will, ist darum unverständlich“, so Morell.
„regionale Versorgungsplanung in den Mittelpunkt“
Der BDPK erneuert seinen Vorschlag an die Verhandler der Krankenhausreform, eine integrierte regionale Versorgungsplanung in den Mittelpunkt der anstehenden Beratungen zu stellen.
Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken warnt davor, die Reform weiterhin allein auf die Planung der Krankenhausversorgung zu fokussieren. Wenn die ambulante, rehabilitative und pflegerische Versorgung sowie der Rettungsdienst ausgeblendet bleibe, sei kein wirklicher Fortschritt für die Patienten möglich. Vielmehr müssten die Versorgungsbereiche im Ganzen und in ihrer Wechselwirkung Berücksichtigung finden. Ansonsten drohen vor allem in den ländlichen Regionen Versorgungsdefizite. Der BDPK hatte bereits vor den jüngsten Bund-Länder-Gesprächen vorgeschlagen, dass Bund und Länder gemeinsam ein Planungsinstrument entwickeln, das auf die relevanten Versorgungsangebote in den Regionen ausgerichtet ist. Die anstehenden Beratungen sollten nach Ansicht des BDPK dafür genutzt werden, dieses Planungsinstrument zu konkretisieren. Im Zentrum stehe die Frage, welche Versorgungsangebote die Menschen in einer Region in ambulanter und stationärer Form wohnortnah benötigen. Zudem sollte durch eine „radikale Entbürokratisierung“ für mehr Effizienz gesorgt werden: Jede Regelung im Gesundheitssystem müsse ihren Sinn für eine gute Versorgung beweisen, wenn er fehle, müsse die Regelung gestrichen werden.
Katrin Rüter