Das Datum war symbolträchtig: Fast auf den Tag ein Jahr, nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Nikolaustag 2022 die „Revolution“ in den Krankenhäusern angekündigt hat, traf er erstmals mit jenem Landeskollegen zusammen, der ihm damals schon voraus war: NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Beim KGNW-Forum 2023 der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen am 5. Dezember 2023 in Düsseldorf konnten die rund 320 Gäste dieses Zusammentreffen erleben. Die Überschrift des Forums: „Reformdebatte – frisst die `Revolution´ Ihre Krankenhäuser?“
Diese Premiere auf offener Bühne wäre für sich genommen schon spannend gewesen. Denn kurz zuvor hatte Lauterbach im Bundesrat das Tauziehen verloren, das Krankenhaustransparenzgesetz wurde in den Vermittlungsausschuss geschoben. Und obendrein stimmte eine erdrückende Ländermehrheit für den aus NRW initiierten Antrag für ein Vorschaltgesetz. Deshalb hatte Lauterbach für den Folgetag alle Länderkolleginnen und -kollegen zum direkten Gespräch eingeladen. Hinter verschlossenen Türen spricht man in der Gesundheitsministerkonferenz zurzeit durchaus Tacheles. Würde es also ein Duell – oder mit Blick auf die laufenden Verhandlungen doch ein Duett?
Beide Minister waren aus Termingründen per Video zugeschaltet. Der drängendste, aber vielleicht nicht mal schärftse Konfliktstoff: die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser angesichts der inflations- und tarifbedingten Kostensteigerungen. „Wir können keine Krankenhausplanung machen, wenn uns dauernd Insolvenzen dazwischen kommen“, mahnte NRW-Gesundheitsminister Laumann unnachgiebig die Berliner Ampel-Koalition. Die Krankenhäuser stünden unter einem großen Druck, deshalb bräuchten sie zusätzliche finanzielle Ressourcen, damit sie die durch Inflation und Tarifabschlüsse bedingten Mehrkosten tragen könnten. Dafür müsse man auch um 0,2 % höhere Krankenkassenbeiträge „in Kauf nehmen“.
Der Bundesgesundheitsminister nahm den Ball auf, für ein Vorschaltgesetz gebe es keinen Spielraum. Lauterbach betonte: „Für mich ist es kein Ziel, sondern heute betrüblich, wenn Krankenhäuser, die wir dringend benötigen, in ihrer Existenz gefährdet sind.“ Gerade in ländlichen Regionen müsse dies verhindert werden, denn die Kliniken und die mit ihnen verbundenen Versorgungsstrukturen könnten nicht wieder aufgebaut werden. Mit ihnen gehe auch die fachärztliche Versorgung verloren. „Diese Krankenhäuser werden wir versuchen zu halten.“ Das war schon ein deutlich veränderter Zungenschlag als noch beim Deutschen Krankenhaustag drei Wochen zuvor: Da hatte der Minister noch die Gefahr einer größeren Insolvenzwelle für das Jahr 2024 ausgeschlossen.
Trotzdem hielt Lauterbach unbeirrt an seiner Linie fest: Für die Rettung der Kliniken sei es wichtig, dass das Krankenhaustransparenzgesetz in Kraft treten könne, um die damit verknüpfte vorzeitige Auszahlung von bis zu 6 Mrd. € aus den Pflegebudgets zu ermöglichen. Lauterbach räumte immerhin ein, das sei kein „frisches Geld“, aber es schaffe Liquidität. Kein Vorschaltgesetz, aber der Bundesminister wählte eine verbindliche Tonlage: „Wir sind alle an einer auskömmlichen Finanzierung des Systems interessiert.“ Damit würden sich Bund und Länder „in den kommenden Tagen und Wochen“ auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang werde es auch um eine systematische Anpassung beim Landesbasisfallwert und um einen Transformationsfonds zur Krankenhausreform gehen. „Die Hand ist weiter ausgestreckt“, sagte er in dem Wissen, dass dieses Angebot der Protokollerklärung im Bundesrat nicht überzeugt hat.
Seinen Düsseldorfer Amtskollegen beeindruckte das nicht, er beharrte auf einem Vorschaltgesetz. Laumann begrüßte zwar Lauterbachs Entgegenkommen beim Landesbasisfallwert. Vor allem aber erneuerte er seine Kritik an den Regelungen im Krankenhaustransparenzgesetz, das aus Sicht der Länder ein „Krankenhauserschwernisgesetz“ sei. Es schaffe über die geplante Einteilung der Kliniken in Level und die Erstellung eines neuen Groupers Fakten, die den Bundesländern die eigene Krankenhausplanung schwer mache. Das sei ein wunder Punkt. Über den müsse nochmal gesprochen werden. Ob Minister Lauterbach zum wunden Punkt noch etwas sagen wolle, fragte Moderator Ralph Erdenberger. Lauterbachs Antwort: „Auf jeden Fall, aber nicht heute, sondern morgen.“ Gelächter im Saal. Gemeint war das vertrauliche Gespräch der Gesundheitsminister am nächsten Tag.
Es war vielleicht ein Moment, in dem man ahnen konnte, dass diese Ministerrunde durchaus schwierig werden könnte. Der Bundesgesundheitsminister gab sich hier zugeknöpft bis zum Hals: „Ich bin einfach kein Freund von öffentlichen Debatten.“ Das belustigte Publikum in Düsseldorf nahm das nicht so ernst, wie es vielleicht gemeint war. Lauterbach griff dennoch die Kritik seines Kollegen an einer Parallelstruktur durch das Transparenzgesetz auf: Die Leistungsgruppen würden nach dem NRW-Modell festgelegt, betonte er. „Die Länder sind es zum Schluss, die bestimmen werden, welches Krankenhaus welche Leistungsgruppe abrechnen darf.“ Sie hätten es damit in der Hand, wohin die Vorhaltepauschalen fließen sollen. Diese Entscheidung werde der Bund nicht übernehmen.
Mal stichelnd, mal abgrenzend, mal kompromissbereit: Beide Minister führten ihren öffentlichen Disput eher moderat, die politische Spannung zwischen ihnen jedoch deutlich spürbar. Dabei eint beide Politiker nach wie vor die Einschätzung, dass das Zeitfenster für eine bundesweite Krankenhausreform nicht mehr allzu lange offen ist.
NRW sei hier schon weit fortgeschritten, betonte Gesundheitsminister Laumann. „Das feste Ziel ist, dass wir die Krankenhausplanung im kommenden Jahr umgesetzt haben, so dass jedes Krankenhaus weiß, welche Bereiche es zukünftig machen soll und machen kann. Ich will diesen Zeitplan unbedingt einhalten, weil es wichtig ist, dass wir das in den nächsten zwölf Monaten hinkriegen.“ Vom Bundesgesundheitsminister forderte er, der verabredete dritte Arbeitsentwurf für die gemeinsame Krankenhausreform müsse schnell vorgelegt werden, damit ihn die Länder bewerten könnten. Lauterbach hingegen machte deutlich, dass er das weitere Vorgehen bei der Krankenhausreform daran knüpft, dass das Transparenzgesetz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zügig durchgewunken wird.
Das Tauziehen zwischen Bund und Ländern war nicht das einzige Reizthema beim KGNW-Forum 2023. Denn seitdem die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ein Jahr zuvor die Pläne für eine bundesweite Krankenhausreform vorgelegt hat, sind die Geschäftsleitungen von Trägern und Krankenhäusern immer wieder mit den – durchaus auch umstrittenen – Empfehlungen dieses Wissenschaftlergremiums konfrontiert worden. Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik verbunden mit der Frage, wer wen dabei wie beeinflusst, stand vor dem „Ministergespräch“ im Fokus.
In einem Impulsvortrag setzte sich Prof. Dr. Erika Raab, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling und Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau, kritisch mit der Arbeit der Regierungskommission auseinander. Eine wissenschaftlich fundierte Expertise müsse ihre Faktenbasis transparent machen, nur dann seien Rückschlüsse überprüfbar. Ihr fehle – gerade in der Fünften Stellungnahme zu Qualitätsfragen – zum Teil eine Differenzierung zwischen Zusammenhängen und Ursachen. Wissenschaft bilde immer nachprüfbar den Stand von Hypothesen ab. In der aktuellen Debatte sei aber eine politische Prämisse erkenntnisleitend. Nicht zuletzt müsse man von Wissenschaftlern erwarten, dass sie eine Auswirkungsanalyse durchführen. Die Vorwürfe der Regierungskommission von Tausenden vermeidbaren Todesfällen seien nicht haltbar, weil die genutzten Daten der Krankenkassen nicht ausreichend gewichtet worden seien, betonte Raab.
In der anschließenden Podiumsdiskussion hob die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, hervor, gerade in der Gesundheitspolitik müssten Entscheidungen inmitten vielfältiger Interessen, Positionen und zudem den Möglichkeiten der Kostenträger getroffen werden. Als Abgeordnete müsse sie „nicht nur abwägen, sondern ich muss in der Praxis tragfähige Lösungen herbeiführen“, meinte Klein-Schmeink. In ihren Entscheidungen stütze sie sich auf wissenschaftliche Empfehlungen, diese würden aber nicht eins zu eins umgesetzt. In der Krankenhauspolitik solle die Kommission helfen, einen jahrelangen Stillstand zu durchbrechen.
Der Anspruch an die Politik sei aber, jenseits des experimentellen Vorgehens der Wissenschaft die Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu berücksichtigen, betonte Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Die eine eindeutige Antwort kann es aus der Wissenschaft nicht geben.“ Die Reformüberlegungen folgten der Maßgabe, dass die Situation mit weniger Krankenhäusern besser werde. Das verenge aber den Blick für die richtigen Lösungen.
Hilmar Riemenschneider