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Politik

AOP-Katalog: ein erster Schritt zur Ambulantisierung

Ein Anfang April veröffentlichtes Gutachten des IGES-Instituts zeigt: Die Potenziale für mehr ambulante Behandlungen sind bei Weitem nicht ausgeschöpft. Nach Aussagen der Gutachter könnten die aktuellen Leistungen des AOP-Katalogs um fast 90 % erweitert werden.

Bislang zählt der AOP-Katalog 2 879 Leistungen. Hinzukommen könnten laut IGES-Gutachten 2 476 Leistungen (gemäß Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS), ein Plus um 86 % auf insgesamt 5 355 Leistungen. Die meisten der für eine Erweiterung vorgeschlagenen Leistungen, rund 60 % (1 482 Leistungen), sind Operationen, vor allem Operationen an der Haut, am Auge sowie am Muskel- und Skelettsystem. Zweithäufigste Neuaufnahme mit 546 Leistungen sind diagnostische Maßnahmen wie diagnostische Endoskopien.

Gesetzgeber beschließt AOP-Katalog substanziell zu erweitern

Beauftragt wurde das umfangreiche Gutachten über das Ambulante Operieren im Krankenhaus (AOP) durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den GKV-Spitzenverband. Bereits heute erfolgen Leistungen aus dem sogenannten AOP-Katalog sowohl ambulant als auch stationär. Die drei Organisationen der Selbstverwaltung vereinbaren den AOP-Katalog (Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen nach § 115b SGB V) sowie eine für Krankenhäuser und niedergelassene Vertragsärzte einheitliche Vergütung der darin enthaltenen Leistungen.

Mit dem Anfang 2020 in Kraft getretenen Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass der AOP-Katalog substanziell erweitert werden sollte, um die Ambulantisierung voranzutreiben. Das Verzeichnis ist seit mehr als 15 Jahren weitgehend unverändert geblieben. Die Grundlagen für die Erweiterung soll das von DKG, KBV und GKV-Spitzenband beauftragte Gutachten schaffen. Es sollte den Stand der medizinischen Erkenntnisse zu ambulant durchführbaren Operationen, stationsersetzenden Eingriffen und stationsersetzenden Behandlungen untersuchen. Ambulant durchführbare Operationen, stationsersetzende Eingriffe und stationsersetzende Behandlungen zur Erweiterung des Kataloges nach § 115b SGB V sollten konkret benannt und in Verbindung damit verschiedene Maßnahmen zur Differenzierung der Fälle nach Schweregraden analysiert werden.

Die Protagonisten des Gesundheitswesen sind sich einig: Die Nutzung ambulanter Potenziale wird wesentliche Voraussetzung sein, um dauerhaft eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Versorgung in Deutschland gewährleisten zu können. „Wir begrüßen das Ergebnis des Gutachtens zur Anpassung und Erweiterung des AOP-Katalogs und unterstützen den Ansatz, dass deutlich über eine reine Anpassung des Katalogs hinausgegangen wurde. Wir sind überzeugt, dass die Nutzung der ambulanten Potenziale der Krankenhäuser in Zukunft ein echter Mehrwert für die Patientenversorgung sein wird“, erklärte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG.

Neue AOP-Leistungen erfolgen rund 15 Millionen Mal pro Jahr

Die für eine Erweiterung des AOP-Katalogs empfohlenen Operationen und Prozeduren wurden im Jahr 2019 insgesamt rund 15 Mio. Mal zur vollstationären Behandlung von Patienten durchgeführt. Das sind mehr als ein Viertel aller etwa 58 Mio. vollstationär erfolgten Leistungen. Am häufigsten waren diagnostische Maßnahmen, die gut sieben Mio. Mal stationär vorkamen, überwiegend die Endoskopie, meist von Magen und Darm. Je nach patientenindividueller Situation, also dem Behandlungskontext, könnten diese Leistungen zukünftig teilweise ambulant durchgeführt werden, so die Gutachter.

Alles theoretisch ambulant Mögliche bewertet

Die relativ hohe Zahl von Leistungen, die Krankenhäuser gemäß den Empfehlungen zukünftig auch ambulant erbringen können, resultiert aus einem sogenannten potenzialorientierten Ansatz der Gutachter. Maßgeblich war, dass Möglichkeiten für eine ambulante Durchführung bestehen. Dies folgerten sie aus übergeordneten medizinischen Kriterien, aus Empfehlungen von Fachgesellschaften sowie aus AOP-Erfahrungen im Ausland. Die Experten berücksichtigten hierbei zudem Leistungen, die derzeit in AOP-nahen Versorgungsbereichen im Krankenhaus erbracht werden, etwa bei vor- oder teilstationären Behandlungen, stationären Behandlungsfällen mit kurzen Liegezeiten oder die im Zusammenhang mit ambulant-sensitiven Diagnosen stehen, also Erkrankungen, die in der Regel ambulant versorgt werden könnten.

Kontextfaktorenmodell als Grundlage für eine patientenindividuelle Begründung einer stationären Leistung

Vor dem Hintergrund dieses offenen Ansatzes empfehlen die Gutachter daher ergänzend ein Prüfverfahren zu implementieren, mit dem Kliniken fallindividuell begründen können, warum sie Patienten wenn nötig doch stationär behandeln. Gründe dafür können erhöhte Krankheitsschwere, altersbedingte Risiken, soziale Begleitumstände oder erhöhte Betreuungsbedarfe der Patienten sein, also der jeweilige Behandlungskontext.

Dieses Kontextfaktorenmodell ist die Grundlage für eine patientenindividuelle Begründung einer stationären Leistungserbringung, auch wenn die Leistung potenziell ambulant erbringbar wäre. Es soll zudem Grundlage der gesetzlich geforderten Schweregraddifferenzierung für ein noch zu entwickelndes Vergütungsmodell sein.

Dieser Bereich des Gutachtens orientiert sich an internationalen Erfahrungen, die zeigen, dass komplexe ambulante Versorgung am Krankenhaus möglich ist, wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. Es zeige aber auch, dass die Krankenhäuser der richtige Ort für diese Behandlungen sind, weil nur dort die notwendigen Strukturvoraussetzungen existieren, so Gaß: „Durch den gewählten potenzialorientierten Ansatz bietet das Gutachten über die Empfehlungen zur Erweiterung des bisherigen AOP-Kataloges hinaus gute Ansätze, auf deren Basis ein Katalog stationsersetzender Leistungen für einen eigenen neuen klinisch-ambulanten Bereich definiert werden kann, und bei dem die Krankenhäuser zukünftig nach medizinischen Aspekten selbst entscheiden, ob sie diese Leistung klinisch-ambulant oder stationär erbringen. Ein solcher klinisch-ambulanter Leistungsbereich an den Krankenhäusern kann ideal mit den im Koalitionsvertrag angesprochenen Hybrid-DRG vergütet werden. Damit werden starke Anreize für eine Ambulantisierung bisher vollstationärer Leistungen gesetzt und allein medizinische Aspekte bei der patientenindividuellen Wahl des Behandlungsortes in den Mittelpunkt gestellt.“

Unnötige Prüfungen durch den Medizinischen Dienst für Kliniken vermeiden

Das Verfahren der Kontextprüfung sei so konzipiert, dass es sich praktikabel und ohne größeren administrativen Mehraufwand umsetzen lässt, so die Gutachter. Kliniken können dafür bereits existierende Routinedokumentationen nutzen und automatisiert auswerten. Vorteil sei zudem, dass dadurch die im gegenwärtigen AOP-Katalog verwendeten undifferenzierten Leistungskategorien „in der Regel ambulant” oder „sowohl ambulant als auch stationär” entfallen können, weil je nach Fall entschieden werden kann. Dies soll nicht nur dazu beitragen, arbeitsaufwendige Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst künftig zu vermeiden. So leitete der MD im Jahr 2019 mehr als eine halbe Million Prüfverfahren wegen unzulässiger stationärer Behandlungen ein, wie Befragungen von Krankenkassen für das Gutachten ergaben. Bei rund 44 % der Verfahren lag nach Ansicht des MDK wirklich eine Fehlbelegung vor.

Vor allem soll die neu entwickelte Kontextprüfung die Sicherheit für Patienten erhöhen, weil spezifisch auf individuelle Risiken und besondere Versorgungsbedarfe geschaut wird, die eine stationäre Aufnahme begründen können.

Schweregrade von Behandlungsfällen besser erkennen

Darüber ist eine weitergehende Abstufung der Kontextfaktoren vorgesehen, also der jeweiligen Krankheits- und Behandlungsumstände. Damit können Patienten identifiziert werden, die einen erhöhten Versorgungsaufwand bei ambulanter Durchführung benötigen. Anhand dieser Faktoren lassen sich die zu vereinbarenden sektoreneinheitlichen Vergütungen nach dem Schweregrad des Behandlungsfalles differenzieren und erhöhte Versorgungsbedarfe berücksichtigen. Dies können zusätzliche Nachbetreuungs- und Nachsorgeleistungen sein wie pflegerisch betreute Übernachtungen in einer ambulanten Einrichtung oder postoperative Patientenbesuche zu Hause, um den Heilungsverlauf, die Medikation oder Wunden zu kontrollieren.

Bisher existiert keine eindeutige AOP-Statistik

Eine genaue Übersicht zu den 2 879 Leistungen des aktuellen AOP-Kataloges ist aufgrund erheblicher Datenlücken - es gibt keine trennscharfe und vollständige AOP-Statistik für alle Versorgungsbereiche - nur eingeschränkt möglich. So können etwa Leistungen im Rahmen von Selektivverträgen, durch Spezialambulanzen der Krankenhäuser oder Hochschulambulanzen nicht mitgezählt werden.

Auf Basis der derzeit verfügbaren Daten wurden im Jahr 2019 knapp 13 Millionen AOP-Leistungen erbracht, die sich rund 6,1 Millionen ambulanten und rund 2,7 Millionen stationären Behandlungsfällen zuordnen lassen. Generell nimmt die Anzahl ambulanter Operationen auf Basis des AOP-Kataloges, die in Krankenhäusern erfolgten, seit 2011 durchschnittlich um 1,1 % pro Jahr ab.

Ambulant am Krankenhaus wurden etwa 2,2 Mio. AOP-Leistungen (Abschnitte 1 und 2 des AOP-Katalogs) durchgeführt. Am häufigsten waren Leistungen der Fachrichtungen Gastroenterologie, Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Gynäkologie. Mit einem Anteil von rund 16 % war die diagnostische Koloskopie die häufigste Leistung.

In der vertragsärztlichen Versorgung entfiel etwa ein Drittel der insgesamt rund drei Millionen durchgeführten Leistungen von Abschnitt 1 des AOP-Katalogs auf den augenärztlichen Bereich. Besonders häufig kamen auch Eingriffe an der Hand, Gelenken und Varizen vor.

Neue AOP-Leistungen schrittweise implementieren

Die potenzialorientierten Vorschläge zur Erweiterung des AOP-Katalogs sind längerfristig ausgerichtet, da sich nicht alle der vorgeschlagenen neuen ambulanten Leistungen sofort umsetzen lassen. So ergeben sich bei einem Teil der empfohlenen Leistungen erweiterte Möglichkeiten einer ambulanten Durchführung, wenn die Patientensicherheit durch eine längere und intensivere postoperative Nachbetreuung erhöht wird. Dafür müssten vielerorts erst die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Gutachter empfehlen daher, den AOP-Katalog stufenweise und im Sinne eines „lernenden Systems“ umzusetzen und intensiv wissenschaftlich-fachlich zu begleiten.

Das Gutachten steht u.a. auf den Websiten des IGES-Instituts (www.iges.com) und der DKG (www.dkgev.de) zum Download zur Verfügung. krü