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Politik

45. Deutscher Krankenhaustag: Ambulant vor stationär im Krankenhaus


Dr. Martin Albrecht, Dr. Christian Graf, Dr. Dirk Spelmeyer, Dr. Michael A. Weber, und Dr. Gerald Gaß im Streitgespräch „ambulant vor stationär?“. Foto: krü

Ambulant vor stationär im Krankenhaus 

Ein Hauptanliegen der Gesundheitspolitik Karl Lauterbachs ist die stärkere Ambulantisierung und Entbürokratisierung. Das System soll entlang der Sektorengrenze zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zeitgemäß in Richtung mehr Effizienz weiterentwickelt werden. Auch die Telemedizin soll dabei eine Rolle spielen.

Einige aktuelle Änderungsanträge zum Entwurf der Bundesregierung für ein Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) betreffen die Ambulantisierung in Klinken. Sie scheinen vor allem mehr Bürokratie und Dokumentationsaufwand für die Krankenhäuser und – im Falle der Hybrid-DRGs – einen finanziellen Anreiz für die niedergelassenen Ärzte zu bedeuten und überantwortet letztlich die angestrebte Ambulantisierung dem vertragsärztlichen Bereich.

AOP-Katalog: Stufe 1 der Erweiterung startet zum Neuen Jahr

Schon im Frühjahr 2022 wurde ein IGES-Gutachten zur Erweiterung des AOP-Katalogs, in dem knapp 2500 zusätzliche Leistungen zur Aufnahme in den Katalog der AOP-Leistungen empfohlen werden, vorgestellt. Ziel einer Erweiterung des AOP-Katalogs sei neben einer größeren Kosteneffizienz auch eine Reduzierung der Prüfanlässe zu primärer Fehlbelegung, die stets für viel Streit zwischen Krankenhäusern, Kostenträgern und Medizinischem Dienst geführt hat.

Mit einem Impulsvortrag am dritten Tag des Deutschen Krankenhaustages gab IGES-Gutachter Martin Albrecht Stoff für ein Streitgespräch zum Thema „ambulant vor stationär“, zu AOP-Katalog, Hybrid-DRGs und Tagesbehandlungen.

Bis Jahresende sollen die Klinken zusammen mit den KVen und dem GKV-Spitzenverband eine erste Vereinbarung treffen, um in erster Stufe eine Erweiterung des AOP-Katalogs umzusetzen. Schon vom 1. Januar 2023 an soll diese Wirksam werden. Dr. Michael A. Weber ist an den an den Verhandlungen in der Unterarbeitsgruppen für Leistungen beteiligt. Der Präsident VLK – Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte e.V. berichtete vom Stand der Verhandlungen und zeigte sich optimistisch: „Wir haben uns für die erste Stufe auf rund 220 OPS-Ziffern geeinigt für komplexe Fälle, die ambulant behandelt werden und EBM-finanziert starten sollen.“ Auch bei den Kontextfaktoren, die eine wichtige Rolle spielen bei der Entscheidung, welcher Patient geeignet ist für eine ambulante Behandlung, konnten sich die Parteien auf ein praktikables Maß einigen. Hier sind, so Weber, vor allem der Arztvorbehalt sowie soziale Faktoren wichtig.

Wie sich die Reform der EBM-Vergütung sich entwickeln wird, aber auch eine Regelung für die auch die Schweregradeinteilung, sei noch nicht abgestimmt. „Aber das sollte lösbar sein. Wir sind auf einem guten Weg“, so der VLK-Präsident.

Ambulantisierung: von Praxen oder Kliniken getragen?

Wie groß das Potenzial der Ambulantisierung bisher stationär vorgenommener Behandlungen auch sein mag – unterschiedliche Untersuchungen gehen von einem Potenzial von 10 bis 25 % der stationären Fälle aus – Kassenärzte, Kassen und Kliniken streiten längst, wer die Ambulantisierung künftig federführend tragen wird. Die Kliniken wollten sich durch neuen Sektor gesundstoßen, unterstellte Dr. Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzende der KV Westfalen Lippe. Der ambulante Bereich sei für die vorgesehene Ambulantisierung prädestiniert, weil er kostengünstig Qualität ermögliche. Die niedergelassenen Ärzte seien flexibel genug, um die Patienten zu übernehmen, die nicht stationär versorgt werden müssten. Dr. Christian Graf, Leiter der Abteilung „Versorgungsmanagement und Prävention“ der Barmer, bezweifelt dies: „Wenn wir ambulante Potenzale bisher stationär behandelter Fälle heben wollen, müssen uns fragen, ob der niedergelassene Bereich die zusätzlichen ambulanten Fälle einfach wegatmen kann.“ IGES-Gutachter Martin Albrecht ist überzeugt, dass die niedergelassenen Ärzte dies nicht allein bewältigen können. „Die Frage ist, ob die Ambulantisierung kooperativ zwischen den Sektoren gelöst wird oder im Wettbewerb um Patienten und Fachärzte.“

Es gehe nicht um ambulante, sondern um stationäre Patienten, denen künftig eine ambulante Behandlung angeboten werden soll, entgegnete Dr. Gerald Gaß zuvor auf dem Medica Econ Forum. Gerade angesichts des Ärztemangels mache es keinen Sinn, neben einem Krankenhaus einen „hochgerüsteten ambulanten OP-Bereich“ aufzubauen. Er warb dafür, Fachkräfte über die Sektorengrenzen hinweg einzusetzen. „Wenn wir es nicht hinbekommen, ein Stück weit zusammenzuarbeiten, werden wir ein neues Wettbewerbsfeld aufmachen, unter dem die Krankenhaus-Versorgung deutlich in die Knie gehen wird“, warnte Gaß.

Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Ambulantisierung ziele auf eine bedarfsgerechte Versorgung und ein effizienteres System, konstatierte im Rahmen einer Diskussion Medica Econ Forum Stefanie Stoff-Ahnis. Die Kliniken sind für die Vorständin des GKV-Spitzenverbands nicht die erste Adresse in der Umsetzung: „Es fehlt das Geld, es fehlt das Personal, und die Patienten gehen nicht mehr ins Krankenhaus.“

Hybrid-DRGs im Schnellverfahren

Der Koalitionsvertrag sieht die Einführung von Hybrid-DRG vor, um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern. Die soll es nun schon ab dem 1. Januar 2023 geben – Das Bundesgesundheitsminister will dies im Schnellverfahren ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen.

Eine sektorengleiche Vergütung nach dem Motto „DRG minus Übernachtungskosten“? Bei komplexeren Leistungen wird es wohl komplizierter werden müssen, wenn auch für die Kliniken fair kalkuliert werden soll. „Die Hybrid-DRG sind in erster Linie als finanzieller Anreiz gedacht, um den vertragsärztlichen Bereich zu stärken“, so Albrecht.

Kritik an Tagesbehandlungen

Auch Lauterbachs Modell der Tagesbehandlungen, wonach Behandlungen in Kliniken sollen in bestimmten Fällen künftig auch ohne Übernachtung möglich sein sollen, stößt auf Kritik. „Die Erwartungen haben sich in Luft aufgelöst. Das Konzept ist zu komplex, zu bürokratisch“, so DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß. „Tagesbehandlungen erhöhen die Komplexität“, so der IGES-Experte Martin Albrecht. Die Tagesbehandlung soll für „medizinisch geeignete Fälle“ in Frage kommen, dabei sei ein „mindestens sechsstündiger stationärer Aufenthalt mit überwiegend ärztlicher und pflegerischer Behandlung“ vorausgesetzt werden. Indikation und Abgrenzung werden spannend für die Kliniken, fürchtet Albrecht. Zusätzlicher Dokumentations- und Bürokratieaufwand dürfte damit gesetzt sein.

Ob die Pflege dadurch wirklich entlastet wird, bleibt indes fraglich. Nach Ansicht von Dr. Sabine Berninger vom Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), bleibt skeptisch: Es würde diejenigen Patienten betreffen, die wenig Pflegebedarf haben und wenig nächtlichen Einsatz benötigten. So würden weniger Betten belegt, die Arbeitsbelastung für die Pflege würde sich aber wohlmöglich verdichten und verschärfen.

Auch Kostenersparnis soll mit den Tagesbehandlungen erreicht werden: „Das hat man damit gelöst, dass man die Fahrtkostenerstattung herausgenommen hat“, so Albrecht. Patienten müssen also für An- und Abtransport selbst einstehen. Katrin Rüter