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Interviews und Meinungen

Wie eine moderne Einbauküche


Dr. Katja Trommler, Oberärztin Unfallchirurgie und Orthopädie am BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin, und Stefan Wollschläger, Pflegeleitung Rettungsstelle. Foto: krü

Dunkle, enge Räume ohne Tageslicht, altes Mobiliar, abgestoßene Wände: So präsentieren sich viele Notaufnahmen in Deutschland. Wartende Angehörige sitzen eng aufeinander, nicht wenige müssen stehen. Patienten, bei denen keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, bleiben lange Zeit ohne Kontakt zu Pflegekräften und Ärzten. Chaos statt Betriebsamkeit – so erleben Patienten und Angehörige oftmals ihren Aufenthalt in der Notaufnahme der Krankenhäuser.

Es geht auch anders: „Wir haben die Notaufnahme konzipiert wie eine moderne Einbauküche“, sagt Stefan Wollschläger, der die Neuaufstellung der Rettungsstelle vor gut zehn Jahren konzipiert hat. „Das bedeutet: Alles, was man nicht braucht, verschwindet. Klare Raumstruktur, alles ist hell, übersichtlich, zweckmäßig“, so der Pflegeleiter der Rettungsstelle am BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (ukb). Die Wege für die Mitarbeiter sind kurz, die Patienten immer im Blickfeld der Pflegekräfte. Im Schockraum ist jeder Patient im 360-Grad-Radius zugänglich für Pflege und Ärzte. Alles ist einfach zu reinigen und hygienisch einwandfrei. Das offene Raumkonzept erleichtert die visuelle und akustische Kontrolle der Patienten und der Abläufe wesentlich.

An allen Plätzen der Rettungsstelle überwacht ein Monitor permanent die Vitalwerte. Andere Bildschirme zeigen eine Übersicht aller aktuell in der Rettungsstelle angemeldeten Patienten, ihren Triage-Status und wo in der Rettungsstelle sie sich befinden. Schautafeln an der Wand erinnern, was wann zu tun, wer wann zu informieren oder einzubeziehen ist. Angelehnt an diese Abläufe sind die Schränke mit Buchstaben versehen: Jede Phase der Versorgung hat einen Buchstaben – die Materialschränke folgen dem System und sind nach ABC-Prinzip bestückt (nach dem sog. ATLS-Standard). Ein Schrank für Kindernotfälle bietet alle Materialien nach Alter bzw. Größe des Kindes geordnet. Eine zeitraubende Suche nach dem jeweils Notwendigen wird so vermieden.

Das Einzugsgebiet der ukb-Rettungsstelle umfasst regional mehr als 746 000 und überregional sogar bis zu 7 600 000 Einwohner. Rund 65 000 Patienten werden pro Jahr in der interdisziplinären Rettungsstelle des ukb mit 37 Behandlungsplätzen, davon 18 Überwachungsplätze, versorgt. Dort arbeiten Notfallmediziner, Internisten, Unfallchirurgen und Ärzte aus weiteren Fachbereichen sowie Fachpflegekräfte mit der Zusatzweiterbildung Notfallpflege und weitere Pflegekräfte rund um die Uhr, um Notfallpatienten zu versorgen. Alle beteiligten Fachdisziplinen, auch die Teams der Herzkatheter- und Brandverletztenversorgung sowie die Spezialisten für Schlaganfallbehandlung, arbeiten dabei Hand in Hand. Bei Bedarf können Experten aller Fachdisziplinen schnell hinzugezogen werden.

Eine Aufnahmestation nimmt übergangsweise Patienten auf, bevor sie zur Weiterbehandlung auf den Stationen aufgenommen werden können. Einige Patienten können zunächst akut versorgt werden – etwa nach einem Armbruch – und dann heim, bis zum OP-Termin am ukb.

Am Beginn der Notfallbehandlung wird jeder neu eintreffende Patient nach seinen Symptomen zunächst nach dem Manchester-Triage-System, einem standardisierten Verfahren zur systematischen Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit, in eine von fünf Dringlichkeitsgruppen eingeordnet. Besteht akute Lebensgefahr, muss der Patient sofort behandelt werden. In mehreren Abstufungen wird die Dringlichkeit mit einer bestimmten Wartezeit verknüpft, die nicht überschritten werden sollte. Jeder Stufe ist eine Farbe zugeordnet: von rot bis grün. Die Farbe blau steht für Patienten, die eigentlich in eine niedergelassene Praxis gehören. Sie können am ukb in eine unmittelbar benachbarte Poliklinik, ein MVZ, verwiesen werden.

Rund 6 000 Patienten mit weniger dringlichen Erkrankungen werden in der Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung gleich neben der Rettungsstelle, die freitags, sonnabends, sonn- und feiertags geöffnet hat, ambulant behandelt. „Für uns bedeutet das eine immense Entlastung“, bestätigt Dr. Katja Trommler, Oberärztin Unfallchirurgie und Orthopädie am ukb.

Dennoch sind Patienten, die eigentlich nicht in die Notaufnahme einer Klinik gehören, auch in der ukb-Rettungsstelle ein Problem. Rund 60 % der Patienten kommen zu Fuß in die Rettungsstelle, nur 10 % davon sind nicht als Bagatellfälle zu werten, schätzt Wollschläger. Gerade in unserem Einzugsbereich ist der Mangel an niedergelassenen Fachärzten besonders eklatant. Dann kommen die Bürger mit ihren Rückenschmerzen eben zu uns“, so der Pflegeleiter. Wollschläger konstatiert zudem eine „Lieferando-Mentalität“ der „Laufkundschaft“ unter den Patienten in der Notaufnahme: Auch die Behandlung in der Rettungsstelle wird als Dienstleistung gleichsam „konsumiert“ und ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Leistung, und zwar „full Service“, jederzeit und so schnell wie möglich zur Verfügung steht.

Die Rettungsstelle des ukb zeigt: Die Situation in der Notaufnahme lässt sich durch transparente und effiziente Strukturen deutlich entschärfen. Dennoch müsse sich auch in der Politik endlich etwas bewegen, meint Wollschläger: Von einer Reform der Notfallversorgung erhofft er sich eine konsequente Steuerung der Patienten in die ambulanten Strukturen.

Auch auf dem DGINA-Kongress im Mai wurde die Frage diskutiert, wie das Problem überfüllter Notaufnahmen gelöst werden kann. Zwei von der DGINA initiierte Blitzumfragen in deutschen Notaufnahmen hatten 2022 und 2023 eine anhaltend hohe Belastung dokumentiert. Der Hauptgrund für sogenanntes „Overcrowding“ sei die Tatsache, dass Kliniken nicht genügend Betten für Notfallpatienten vorhalten, erklärte Kongresspräsident Christoph Dodt. „Wenn wir die Patienten nicht zeitnah auf andere Stationen verlegen, können wir keine neuen Fälle aufnehmen.“ Die DGINA fordert daher strukturelle Änderungen in Krankenhäusern.

Eines aber scheint gewiss: Eine gut funktionierende, effizient und ansprechend gestaltete Notaufnahme ist das Aushängeschild einer Klinik. Funktioniert sie nicht, hat das gesamte Haus ein massives Imageproblem.

Katrin Rüter

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Die Rettungsstelle des ukb

●             37 Behandlungsplätze, davon 18 Überwachungsplätze, in einer offenen Raumstruktur

●             Schockraum für 4 Parallelbehandlungen auf 156 m²

●             großzügiger Wartebereich mit 60 Sitzplätzen, dazu Liegend-Wartebereich mit 6 Plätzen

●             2 Eingriffsräume (Septischer und Aseptischer OP), 2 Isolationsräume, großer Gipsraum, Funktionsräume HNO, MKG, Sonographie, CT, Röntgen

●             Trennvorhänge zur Wahrung der Privatsphäre

●             Lichtdurchflutetes, modernes Ambiente

●             Im Schockraum Decken- Versorgungseinheiten (sogenannte Ampeln: keine Stolperfallen, reduzierte Keimbelastung) mit Monitoring, Beatmungsgeräten, Infusionstechnik, Digitaleinheit zur Darstellung und Betrachtung von externen Bildquellen, Röntgenbildern etc.

●             Materialschränke nach ABC-Prinzip bestückt (ATLS-Standard) – Schrank für Kindernotfall – alle Materialien nach Alter/Größe des Kindes geordnet.

●             24 h OP-Bereitschaft (alle chirurgischen Fachrichtungen)

●             24 h Herzkatheterversorgung und Kardiologische Intensivüberwachung

●             24 h Brandverletztenversorgung

●             24 h Schlaganfallversorgung (Stroke Unit)

●             24 h Rückenmarkverletztenversorgung

●             2 Helikopter-Landeplätze auf dem Dach – ein Hubschrauber fest am ukb stationiert

Das Unfallkrankenhaus Berlin ist ein Traumazentrum der Maximalversorgung mit über 730 Betten auf 26 Stationen. Für die 25 Fachbereiche und Abteilungen, darunter ein zertifiziertes Kopf-Hals-Tumor-Zentrum, ein zertifiziertes Prostata-Zentrum, ein zertifiziertes Darmzentrum und eine zertifizierte Stroke Unit (überregionale Schlaganfallversorgung) hält das Krankenhaus 17 OP-Säle, davon einen im Zentrum für Schwerbrandverletzte und vier für ambulante Operationen, vor.

Die Klinik verfügt über eine interventionelle Kardiologie mit drei Herzkatheterlaboren, ein Zentrum für Physikalische Therapie und Rehabilitation, ein Forschungszentrum sowie ein Zentrum für Notfalltraining. Das ukb unterstützt mit seinem Institut für Telemedizin andere Krankenhäuser durch digitale Radiologie und Tele-Neurologie.