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Interviews und Meinungen

„Vernetzung und Zusammenarbeit der militärischen und zivilen Strukturen“


Interview mit Generalstabsarzt Dr. Norbert Weller, Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und Kommandeurs Gesundheitseinrichtungen

Gibt es Pläne, nach denen der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr aufgelöst werden soll? Es gab einen gemeinsamen Brief einiger Verbände an den Bundesverteidigungsminister hierzu.

Der Bundesminister der Verteidigung hat zur Erarbeitung von Vorschlägen einer neuen Struktur die Projektgruppe „Struktur Bundeswehr“ geschaffen. Diese hat Vorschläge vorgelegt, die zum Ziel haben, die Bundeswehr als Gesamtes kriegstüchtig zu machen. Dabei geht es auch im Hinblick auf den Sanitätsdienst darum, die Verantwortung klar zu verorten, Schnittstellen zu reduzieren und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, vor allem aber die notwendige Unterstützung im gesamten Einsatzspektrum der Bundeswehr gewährleisten zu können.

Sind die Kliniken des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in gleicher Weise von strukturellen Problemen – Fachkräftemangel, Unterfinanzierung – betroffen wie zivile Kliniken?

Die fünf Bundeswehrkrankenhäuser sind zunächst Teil des militärischen Systems mit dem Auftrag Soldaten und Soldatinnen rundum im In- und Ausland versorgen zu können, der Träger der Kliniken ist also das Bundesministerium der Verteidigung. Die Kliniken sind 24/7 in die regionale klinische Akut- und Regelversorgung für die Angehörigen der Bundeswehr aber auch der Zivilbevölkerung eingebunden. Dies bedeutet für uns natürlich Hochwertmedizin zu realisieren, ausgerichtet an den hohen zivilen Qualitätsansprüchen und Regelungen des BMG und des G-BA. Dabei stehen die Bundeswehrkrankenhäuser gemeinsam mit allen anderen Kliniken vor einem zunehmend von Personalmangel geprägten Arbeitsmarkt und dem wachsenden Bedarf an qualifiziertem Personal.

Vor genau 25 Jahren unterzeichneten das Bundesverteidigungsministerium und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine Gemeinsame Erklärung zur zivil-militärischen Zusammenarbeit der Krankenhäuser, die eine Verstärkung der Kooperation zwischen zivilen und Bundeswehrkrankenhäusern zum Ziel hatte. Ist das gelungen?

Die intensive Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitssystem, insbesondere in der Krankenhausbehandlung und der Einbindung in den zivilen Rettungsdienst in den Feldern Patientenbehandlung, Weiterbildung aber auch Forschung ist aus Sicht der Bundeswehr ein Erfolgsrezept. Wir haben damit vor mehr als 20 Jahren etwas Neues begonnen, vielleicht sogar einen Paradigmenwechsel vollzogen, der uns ermöglicht hat, unsere Leistungsfähigkeit als militärisches Gesundheitssystem deutlich zu verbessern.

Haben sich Netzwerke und Partnerschaften mit Kliniken in ziviler Trägerschaft also bewährt?

Netzwerke und vor allem strategische Partnerschaften sehe ich derzeit als eine Chance zum einen, um qualitätsgesichert Patientenbehandlung und Weiterbildung realisieren zu können, zum anderen aber, hierüber gemeinsam Nachwuchs in das Gesundheitssystem zu bekommen und hier zu entwickeln. Die Kooperation des Bundeswehrkrankenhauses Westerstede mit der Ammerlandklinik ist hier als ein Beispiel zu nennen, die ineinandergreifend das Klinikzentrum der Region bildet. Aktuell hat Herr Bundesminister Pistorius den bestehende Vertrag mit der Ammerlandklinik um weitere 30 Jahre verlängert, um dieses bewährte Modell weiter fortzusetzen.

Sind Kliniken des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in gleichem Maße vom Fachkräftemangel und Personalengpässen betroffen?

Auf dem zunehmend härter umkämpften Arbeitsmarkt werden die erfolgreiche Personalregeneration und vor allem -bindung eine Schlüsselrolle auch für den Sanitätsdienst der Bundeswehr einnehmen. Ich denke, der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist hier gut aufgestellt. Wir sind – als eigenständiges Gesundheitssystem „am Markt“ sichtbar für Bewerber und Bewerberinnen der Gesundheitsberufe. Wir haben für die unterschiedlichen Berufsgruppen gezielte Maßnahmenpakete für den Ausbau von Fachkarrieren im Sanitätsdienst entwickelt. So wird derzeit gerade eine „Fachkarriere Pflege“ für zivile und militärische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen etabliert, die Karriereperspektiven bis in höhere Führungspositionen ermöglichen. Bei den Ärzten, Apothekern, Zahnärzten und Veterinären gibt es seit jeher viele Möglichkeiten, sich in einer (rein) fachlichen oder Führungs- und Management Laufbahnen zu entwickeln. Mit der Laufbahn Sanitätsoffizieranwärter und -innen haben wir da schon früh Anreize geschaffen.

Der Bundesgesundheitsminister hat vor kurzem sinngemäß gefordert, auch die Kliniken in Deutschland müssten „kriegstüchtig“ werden. Sind sie es nicht?

In Deutschland ist mit den Traumanetzwerk der DGU eine Vernetzungsstruktur zwischen 650 Akutkliniken aufgebaut, in denen nahezu alle zur Akutversorgung von Unfallverletzungen infrage kommenden Akutkliniken Deutschlands zusammenarbeiten. Dieses Netzwerk ist homogen über ganz Deutschland verteilt und hält bereits bewährte und qualitätskontrollierte Strukturen vor, darunter 36 Universitätskliniken und neun Berufsgenossenschaftliche Akutkliniken. Diese Kliniken sind allesamt darauf spezialisiert, Schwerstverletzte zu behandeln. Fachlich gesehen ist dies eine gute Ausgangsbasis.  

Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit diese Ausgangsbasis erfolgreich ausgestaltet  werden kann?

Es geht meines Erachtens jetzt darum, diese qualitätsgesicherte Netzwerkstruktur weiterzuentwickeln. Die notwendigen Strukturen und Fähigkeiten können nicht erst im Bündnisfall entwickelt werden, sondern müssen schon angelegt sein. Dazu es bedarf der vertrauensvollen Vernetzung und Zusammenarbeit der militärischen und zivilen Strukturen, insbesondere der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes. Das ist - durch die Integration des Sanitätsdienstes in das zivile Gesundheitswesen, aber auch über die Kooperationsvereinbarung schon angelegt. Entscheidend sind gemeinsame Lagebilder und dann die Etablierung eines geeigneten Steuerungsmechanismus. Ein Ansatz dazu ist die Weiterentwicklung des sogenannten „Kleeblatts“ sein, was im Hinblick auf die Behandlung von Zivilpersonen und Militärangehörigen regional weiter aufgefächert werden müsste, um die Patientenversorgung dann Expertise-gerecht lenken zu können. Ein wesentliches Element ist natürlich auch der notwendige Rahmen durch das Gesundheitssicherstellungsgesetz.

Sind die Kliniken mit dem KAEP für den Fall einer Kriegsbeteiligung vorbreitet?

Das Thema kann vom Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht für die Kliniken in Deutschland bewertet werden. Aber an diesem Thema wird viel gearbeitet. Das BBK hat - mit dem Ende 2020 veröffentlichten Handbuch dazu Handlungsempfehlungen gemacht. Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung (DAKEP e.V.) betrachtet aktuell in seinem Positionspapier vom 18. März dieses Jahrs zum Beispiel die Hintergründe zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung in Katastrophen, Krise und Krieg. Prof. Dr. Wurmb und seine Mitautoren machen in diesem Kontext Vorschläge zu baulichen Maßnahmen, um die Vorbereitung auf ein solches Szenario zu verbessern und Behandlungskapazitäten und Funktionalität von Krankenhäusern aufrechterhalten zu können.

Was würde der „Bündnisfall“ für zivile Krankenhäuser bedeuten? Was würde geschehen bzw. geschehen müssen?

Deutschland ist schon allein aufgrund seiner zentralen geografischen Lage in Europa die Drehscheibe, um die NATO und die alliierten Partnerstreitkräfte zu unterstützen. Das betrifft Marschbewegungen und logistische Unterstützung, aber eben auch die medizinische Versorgung erkrankter oder verwundeter Soldatinnen und Soldaten – unserer eigenen und auch die der Partnernationen.

In einem Bündnisfall müssten die Kliniken in Deutschland nicht nur erkrankte oder verletzte Zivilpersonen, sondern auch eine große Zahl verwundeter Soldaten und Soldatinnen versorgen. Das beinhaltet die klinische Behandlung in einem geeigneten Krankenhaus genauso, wie die anschließende Rehabilitation und Wiedereingliederung in den Lebensalltag.

Interview: Katrin Rüter