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Interviews und Meinungen

Medizinische Vertretbarkeit weiterer Ambulantisierung


Eine zentrale Forderung in der aktuellen Diskussion um eine Reform der stationären Versorgung ist eine stärkere Ambulantisierung des Leistungsgeschehens. Welche strukturellen Voraussetzungen sind hierfür zu schaffen, unter welchen Voraussetzung ist eine weitere Ambulantisierung medizinisch vertretbar?

International wird im Vergleich zu Deutschland deutlich mehr ambulant operiert. Das Leistungsgeschehen findet dabei weit überwiegend an Krankenhäusern statt, um deren Infrastruktur und medizinische Interdisziplinarität zu nutzen.  In vielen Ländern haben spezielle Förderprogramme die ambulante Durchführung von Eingriffen vorangebracht. Häufig wurde in ambulante OP-Zentren an den Kliniken investiert und erfolgreich eine Ambulantisierung des Leistungsgeschehens durch Erlösanreize erreicht. Entscheidend war auch die Etablierung ambulanter Nachsorgestrukturen. Dadurch ergeben sich in diesen Ländern deutlich bessere strukturelle Voraussetzungen für die ambulante Durchführung von Eingriffen. Dies hat natürlich erheblichen Einfluss darauf, was als medizinisch vertretbar angesehen werden kann. Auch fehlt die für Deutschland typische sektorale Trennung der Versorgung, die bisher ein großer Hemmschuh in der Verbreitung des ambulanten Operierens war und ist.

Neben dem medizinisch-technischen Fortschritt, der die Durchführung vieler Leistungen vereinfacht hat, werden zunehmender Kostendruck, Patientenwunsch und Fachkräftemangel als Argumente für eine substanzielle Erweiterung des ambulanten Leistungsgeschehens angeführt. Leider steht der Kostendruck auf Kassenseite und im Bundesministerium zu sehr im Vordergrund der Motive angedachter Reformvorschläge.

Definition ambulanter Leistungserbringung

Zu der Frage nach der medizinischen Vertretbarkeit einer weiteren Ambulantisierung gibt es je nach Standpunkt und Interessenslage sehr unterschiedliche Einschätzungen. Dies beginnt bereits bei der Definition, was unter einer ambulanten Leistungserbringung zu verstehen sei. An sich scheint diese durch eine fehlende Übernachtung im Krankenhaus nach dem Eingriff gekennzeichnet. Die weitere Versorgung erfolgt dann im Haushalt oder der Familie, wozu sicher auch die Unterbringung in einem Patientenhotel neben der Klinik von einigen gezählt wird. Wirft man einen Blick ins Gesetz, so beschreibt der § 39 SGB V die Krankenhausbehandlung wie folgt: „Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht.“  Im weiteren heißt es: „Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung, einschließlich häuslicher Krankenpflege, erreicht werden kann.“ In dem viel zitierten Urteil des Bundessozialgerichts von 2004 wird eine stationäre Behandlung wie folgt definiert: „Als Aufnahme wird die organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungsystem des Krankenhauses verstanden. Von einer vollstationären Krankenhausbehandlung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht im Krankenhaus versorgt werden soll.“ Somit scheint die Unterteilung, ob mit oder ohne Übernachtung, der Sache doch recht nahe zu kommen. Dies hat wegen der Dauer, der damit möglichen Nachsorge bzw. Nachbeobachtung, aber erheblichen Einfluss auf die Entscheidung, was medizinisch ambulant möglich ist und was nicht. Patienten, die nach dem Eingriff länger als sechs Stunden in einem Aufwachraum oder auf einer Überwachungsstation nachbeobachtet werden müssen, wären danach formal in der Regel stationär. Unter anderem aus Kreisen der KBV wird vorgeschlagen, die strikte Trennung zwischen ambulant und stationär bezüglich der Nachtgrenze aufzuheben und eine verlängerte Nachbeobachtung und Finanzierung über Hybrid-DRGs anzustreben. Natürlich ist hier das Motiv, deutlich mehr Leistungen „ambulant“ erbringen zu können. Grundsätzlich erscheint dieser Gedanke vertretbar, wenn solche komplexeren Eingriffe am Standort des Krankenhauses mit einer entsprechenden Überwachungsmöglichkeit stattfinden, die im Falle eines Notfalles auch ein unmittelbares Eingreifen sicherstellen kann.

Möglichkeiten der ambulanten Leistungserbringung

Letztlich haben die Gesetzgebung, der Koalitionsvertrag, das IGES-Gutachten und die Vereinbarung zum ambulanten Operieren, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen im Krankenhaus der Selbstverwaltung (AOP Vertrag), eine Vielzahl von Möglichkeiten vorgegeben, die der unterschiedlichen Komplexität der Leistungen und Dauer der Nachbeobachtung Rechnung tragen. Im neuen AOP-Vertrag nach § 115b SBG V, der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen ist, haben sich die Partner der Selbstverwaltung auf weniger komplexe Eingriffe, EBM-finanziert, in einer ersten Stufe der Erweiterung des AOP-Katalogs verständigt.

Aktuell werden sie über die Aufnahme weiterer Leistungen in Verhandlungen treten. Dies betrifft die 2. Stufe von Leistungen im Sinne des MDK Reformgesetzes bzw. auch von Leistungen für den neu geschaffenen § 115f SGB V zu Hybrid-DRGs.  Hier hat der Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2023 gesetzt, die kaum einzuhalten ist. Danach will das BMG selbst im Sinne einer Ersatzvornahme tätig werden und vor allem Leistungen mit hohem Leistungsvolumen benennen. Auch die Finanzierung soll dann vom BMG letztverantwortlich als Hybrid-DRG festgelegt werden. Man kann in der Folge von einer drastischen Erweiterung der Ambulantisierung ausgehen.

 Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber zusätzlich die Möglichkeit der „tagesstationären“ Leistungen (§ 115e SGB V) geschaffen. Die Abrechnung erfolgt nach DRG mit einem Abschlag von 0,04 Bewertungsrelationen, wenn der Patient mindestens sechs Stunden täglich im Krankenhaus behandelt wird, aber nicht übernachtet. Die untere Grenzverweildauer mit den entsprechenden Regelungen zu Abzügen bei Unterschreitung bleibt davon aber nach unserem Informationsstand unberührt. Es ist damit eher an eine mehrtägige Behandlung ohne Übernachtung z.B. in der Onkologie gedacht.  Der § 115e ist ebenfalls bereits am 1. Januar 2023 in Kraft getreten.  Die Einführung tagesstationärer Behandlungen ist im Prinzip zu begrüßen. Allerdings gibt es noch viele Unklarheiten bzw. Ausschlüsse wie zum Beispiel Leistungen, die im AOP-Katalog § 115b verzeichnet sind oder noch werden. Auch die Abgrenzung zu rein ambulanten oder teilstationären Behandlungen könnte in der Gesamtkonstellation vor allem gegenüber dem MD schwierig werden. Somit wird man das tatsächlich hier in Frage kommende Volumen erst dann beurteilen können, wenn die Verhandlungen und Leistungszuteilungen zum § 115 f abgeschlossen sind. Bei diesen beiden Formen dürften aber stationäre Zusatzversicherungen ihre Gültigkeit behalten.

 Kontextfaktoren, Arztvorbehalt, soziale Faktoren

Im IGES-Gutachten werden die Empfehlungen zur Erweiterung des AOP-Kataloges eng geknüpft an die Einführung von Kontextfaktoren. Sie dienen zur individuellen Beurteilung der geplanten Leistung und des Patientenzustandes, um gegebenenfalls eine stationäre Leistungserbringung zu begründen, wenn sie ambulant nicht durchführbar erscheint. Da die vom Gutachten vorgeschlagenen Kontextfaktoren sich in den Verhandlungen aber als zu umfangreich und nicht praktikabel erwiesen haben, hat man sich im AOP-Vertrag für die erste Stufe auf eine vorläufige, deutlich reduzierte Version geeinigt. Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich gelingt, diese Kriterien so rechtssicher festzulegen, dass es nicht zu noch mehr Streitfällen zwischen Krankenhäusern und Kostenträgern kommt. Es ist aber bemerkenswert, dass im AOP-Vertrag nach § 115b unter § 2 (Zugang der Patienten zu Leistungen nach § 115b SGB V) in Absatz 2 steht: „Aus dem Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen kann nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, dass die dort aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind.  Der Arzt ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Art und Schwere der beabsichtigten Leistung, unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Patienten, die ambulante Durchführung, nach den Regeln der ärztlichen Kunst, mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erlaubt.“ Besser kann man den sogenannten Arztvorbehalt kaum formulieren, auch wenn er nicht als solcher benannt wird, da der Begriff in den Verhandlungen sehr umstritten war, obwohl er international absolut anerkannt ist.

Als ebenfalls besonders umstritten hat sich auch die Definition von sozialen Begleitumständen erwiesen, die die ambulante Weiterversorgung und damit den Behandlungserfolg gefährden könnten. Auch sie haben international einen entscheidenden Stellenwert in der Frage, ob ein Eingriff ambulant durchführbar ist. Hierzu hat man sich im AOP-Vertrag auf folgende Kompromissformel geeinigt: „Liegen abweichend von den genannten Kontextfaktoren medizinische Gründe oder soziale Gründe vor, die dazu führen, dass die Versorgung der Patienten in der Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist, so sind diese Gründe bei einer stationären Durchführung der Leistung fallindividuell darzustellen.“ Auch hier bleibt nur zu hoffen, dass Prüfungen des Medizinischen Dienstes diese Regelung nicht ad absurdum führen. Vergleichbares findet sich in der Begründung zum § 115e.

Bemerkenswert ist ein weiterer Satz in der Begründung zu Nummer 2 (§ 115e): „Entscheidet sich das Krankenhaus in medizinisch nicht geeigneten Fällen für die Erbringung von tagestationärer Behandlung, haftet es für hierdurch entstandene Schäden der Patientin oder des Patienten in gleicher Weise, wie wenn es die Behandlung ambulant oder teilstationär erbringt, obwohl aus medizinischer Sicht eine vollstationäre Behandlung erforderlich gewesen wäre.“ Ob es dieser expliziten Klarstellung der Verantwortlichkeit bedurft hätte, sei dahingestellt. Man kann nur hoffen, dass der Erkenntnisstand ex ante und nicht ex post herangezogen wird, es zeigt aber klar, welche Verantwortung die behandelnden Ärztinnen und Ärzte übernehmen. Es erscheint deshalb mehr als ratsam, die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften zum ambulanten Operieren genau zu beachten.

Den Medizinern ergibt sich also zukünftig ein Strauß von Möglichkeiten, Patienten ambulant zu versorgen. Viele Verfahren allerdings sind nicht als Alternativen für den individuellen Fall gedacht. Im Gegenteil: Es muss exakt geprüft werden, unter welche Regelung er denn fällt, um spätere Regresse zu verhindern. Abgesehen vom § 115e, mit noch unklarer Anwendungstiefe, wird über eine Aufnahme neuer Leistungen nur noch in der 2. Umsetzungsstufe des MDK-Reformgesetzes zur Erweiterung des AOP-Kataloges bzw. Einrichtung der Hybrid-DRG (§ 115f) verhandelt. Entsprechend ausgeprägt ist hier der Druck auf die Akteure, eine große Zahl an Leistungen in den Katalog aufzunehmen, die bisher durch eine kurze Liegezeit und ein großes Volumen der stationären Leistungserbringung gekennzeichnet sind.

Strukturvoraussetzungen

Wenn es, wie es jetzt ansteht, um den Einschluss von komplexeren Leistungen geht, spielen Strukturvoraussetzungen eine ganz entscheidende Rolle. Viele Fachgesellschaften haben ihre entsprechenden Positionspapiere deshalb aktualisiert bzw. sind gerade dabei. Die strukturellen und personellen Voraussetzungen sind, je nach Fachgebiet und Leistungsgruppe, natürlich unterschiedlich. Grundsätzlich können sich die Anforderungen für den jeweiligen Leistungskomplex bei ambulanter und stationärer Erbringung aber nicht unterscheiden. Zu nennen sind hier u.a. strukturelle Voraussetzungen eines OPs, Eingriffsraums oder Herzkatheterlabors. Gleiches gilt für die Hygienevorschriften sowie die operative Erfahrung der behandelnden Ärzte. Wir sprechen mehr über verbesserte Abläufe durch kurze Wege, OP-Programme unabhängig von einer Notfallversorgung, die die Einhaltung der Planungsabläufe verhindern. Alles im Setting eines ambulanten OP-Zentrums mit angeschlossenen Aufwachräumen bzw. Bereichen für die Nachbeobachtung mit oder ohne Monitorüberwachung. Es geht um hohe Prozessqualität und patientenorientierten Service und dadurch erhöhte Schlagzahl.

Die Dauer der Nachbeobachtung und Überwachung ist abhängig von der Art des Eingriffs, dem OP-Verlauf und dem jeweils aktuellen Zustand des Patienten. Die Art und Häufigkeit der möglichen typischen Komplikationen bestimmen das Ausmaß und die Dauer des notwendigen Monitorings. Im Falle einer Komplikation muss am besten unmittelbar ein Eingriff durch einen erfahren Arzt auch außerhalb der regulären Dienstzeit erfolgen können. Deshalb macht es Sinn, solche Eingriffe in enger Anbindung an ein Krankenhaus zu erbringen. Besteht die Möglichkeit, in diesem Sinne eine Überwachung und Nachbeobachtung zu organisieren, scheinen im Rahmen der Hybrid-DRG auch komplexe Eingriffe mit langer (> 6-12h) Nachbeobachtungszeit verantwortbar.

Die ambulante Weiterversorgung nach Entlassung muss im häuslichen Umfeld, mit oder ohne ambulanten Pflegedienst, gesichert sein. Bezüglich der ambulanten Pflegeeinrichtungen für die Nachsorge ambulant operierter Patienten besteht in Deutschland noch ein erheblicher Nachholbedarf. Zuletzt muss die Entfernung zum operativen Zentrum nach Entlassung, im Falle von Komplikationen einen Transportweg zurück zum Zentrum innerhalb maximal 30 Minuten zulassen. Entsprechende Transportmöglichkeiten mit freien Kapazitäten sind natürlich Voraussetzung. Es macht wenig Sinn, in der stationären Versorgung immer kürzere Einsatzzeiten am Patienten durchzusetzen, sie aber zu ignorieren, wenn es unbedingt ambulant vertretbar werden soll.

Medizinische Vertretbarkeit

Wieviel Sinn macht es medizinisch, die Anzahl ambulanter Operationen oder Möglichkeiten deutlich zu steigern? Wenn all die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, besteht grundsätzlich die Möglichkeit die Zahl ambulanter Eingriffe und Behandlungen erheblich auszuweiten. Dies lässt sich jedoch nur durch einen erheblichen Investitionsaufwand bewerkstelligen.

Das Ganze muss dabei in Stufen erfolgen, um den Einrichtungen überhaupt die Möglichkeit zu geben, die nötigen Strukturen in der Klinik zu schaffen. Gleiches gilt auch für die Einrichtungen der ambulanten Weiterversorgung.  Allein die Schaffung einer Abrechnungsmöglichkeit genügt dafür nicht. Aus der medizinischen Perspektive macht ein solcher, sicher in den meisten Fällen patientenorientierter Ansatz Sinn, und die Verantwortung kann übernommen werden, wenn die Prozessabläufe verbessert werden können und Qualität und Patientensicherheit gewährleistet sind. Das schont in den Kliniken dringend anderweitig benötigte Ressourcen, bei den der Personalmangel sicher an vorderster Stelle steht. An manchen Stellen wird die Erbringung des Eingriffs auch nur noch in solchen schlanken Strukturen möglich sein. Voraussetzung sind aber bei allen Sparvorstellungen der Kassen und des Ministeriums kostendeckende Erlöse. Sonst besteht die Gefahr, dass nicht nur die Ambulantisierung nicht vorankommt, sondern dass die Eingriffe gar nicht mehr erbracht werden. Dies kann nicht im Sinne der Patienten und somit der Versicherten der Krankenkassen sein.

Anschrift des Verfassers

PD. Dr. Michael A. Weber, Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärztinnen und -ärzte Deutschlands e.V. (VLK), Tersteegenstr. 9, 40474 Düsseldorf

Eine zentrale Forderung in der aktuellen Diskussion um eine Reform der stationären Versorgung ist eine stärkere Ambulantisierung des Leistungsgeschehens. Welche strukturellen Voraussetzungen sind hierfür zu schaffen, unter welchen Voraussetzung ist eine weitere Ambulantisierung medizinisch vertretbar?

International wird im Vergleich zu Deutschland deutlich mehr ambulant operiert. Das Leistungsgeschehen findet dabei weit überwiegend an Krankenhäusern statt, um deren Infrastruktur und medizinische Interdisziplinarität zu nutzen.  In vielen Ländern haben spezielle Förderprogramme die ambulante Durchführung von Eingriffen vorangebracht. Häufig wurde in ambulante OP-Zentren an den Kliniken investiert und erfolgreich eine Ambulantisierung des Leistungsgeschehens durch Erlösanreize erreicht. Entscheidend war auch die Etablierung ambulanter Nachsorgestrukturen. Dadurch ergeben sich in diesen Ländern deutlich bessere strukturelle Voraussetzungen für die ambulante Durchführung von Eingriffen. Dies hat natürlich erheblichen Einfluss darauf, was als medizinisch vertretbar angesehen werden kann. Auch fehlt die für Deutschland typische sektorale Trennung der Versorgung, die bisher ein großer Hemmschuh in der Verbreitung des ambulanten Operierens war und ist.

Neben dem medizinisch-technischen Fortschritt, der die Durchführung vieler Leistungen vereinfacht hat, werden zunehmender Kostendruck, Patientenwunsch und Fachkräftemangel als Argumente für eine substanzielle Erweiterung des ambulanten Leistungsgeschehens angeführt. Leider steht der Kostendruck auf Kassenseite und im Bundesministerium zu sehr im Vordergrund der Motive angedachter Reformvorschläge.

Definition ambulanter Leistungserbringung

Zu der Frage nach der medizinischen Vertretbarkeit einer weiteren Ambulantisierung gibt es je nach Standpunkt und Interessenslage sehr unterschiedliche Einschätzungen. Dies beginnt bereits bei der Definition, was unter einer ambulanten Leistungserbringung zu verstehen sei. An sich scheint diese durch eine fehlende Übernachtung im Krankenhaus nach dem Eingriff gekennzeichnet. Die weitere Versorgung erfolgt dann im Haushalt oder der Familie, wozu sicher auch die Unterbringung in einem Patientenhotel neben der Klinik von einigen gezählt wird. Wirft man einen Blick ins Gesetz, so beschreibt der § 39 SGB V die Krankenhausbehandlung wie folgt: „Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht.“  Im weiteren heißt es: „Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung, einschließlich häuslicher Krankenpflege, erreicht werden kann.“ In dem viel zitierten Urteil des Bundessozialgerichts von 2004 wird eine stationäre Behandlung wie folgt definiert: „Als Aufnahme wird die organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungsystem des Krankenhauses verstanden. Von einer vollstationären Krankenhausbehandlung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht im Krankenhaus versorgt werden soll.“ Somit scheint die Unterteilung, ob mit oder ohne Übernachtung, der Sache doch recht nahe zu kommen. Dies hat wegen der Dauer, der damit möglichen Nachsorge bzw. Nachbeobachtung, aber erheblichen Einfluss auf die Entscheidung, was medizinisch ambulant möglich ist und was nicht. Patienten, die nach dem Eingriff länger als sechs Stunden in einem Aufwachraum oder auf einer Überwachungsstation nachbeobachtet werden müssen, wären danach formal in der Regel stationär. Unter anderem aus Kreisen der KBV wird vorgeschlagen, die strikte Trennung zwischen ambulant und stationär bezüglich der Nachtgrenze aufzuheben und eine verlängerte Nachbeobachtung und Finanzierung über Hybrid-DRGs anzustreben. Natürlich ist hier das Motiv, deutlich mehr Leistungen „ambulant“ erbringen zu können. Grundsätzlich erscheint dieser Gedanke vertretbar, wenn solche komplexeren Eingriffe am Standort des Krankenhauses mit einer entsprechenden Überwachungsmöglichkeit stattfinden, die im Falle eines Notfalles auch ein unmittelbares Eingreifen sicherstellen kann.

Möglichkeiten der ambulanten Leistungserbringung

Letztlich haben die Gesetzgebung, der Koalitionsvertrag, das IGES-Gutachten und die Vereinbarung zum ambulanten Operieren, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen im Krankenhaus der Selbstverwaltung (AOP Vertrag), eine Vielzahl von Möglichkeiten vorgegeben, die der unterschiedlichen Komplexität der Leistungen und Dauer der Nachbeobachtung Rechnung tragen. Im neuen AOP-Vertrag nach § 115b SBG V, der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen ist, haben sich die Partner der Selbstverwaltung auf weniger komplexe Eingriffe, EBM-finanziert, in einer ersten Stufe der Erweiterung des AOP-Katalogs verständigt.

Aktuell werden sie über die Aufnahme weiterer Leistungen in Verhandlungen treten. Dies betrifft die 2. Stufe von Leistungen im Sinne des MDK Reformgesetzes bzw. auch von Leistungen für den neu geschaffenen § 115f SGB V zu Hybrid-DRGs.  Hier hat der Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2023 gesetzt, die kaum einzuhalten ist. Danach will das BMG selbst im Sinne einer Ersatzvornahme tätig werden und vor allem Leistungen mit hohem Leistungsvolumen benennen. Auch die Finanzierung soll dann vom BMG letztverantwortlich als Hybrid-DRG festgelegt werden. Man kann in der Folge von einer drastischen Erweiterung der Ambulantisierung ausgehen.

 Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber zusätzlich die Möglichkeit der „tagesstationären“ Leistungen (§ 115e SGB V) geschaffen. Die Abrechnung erfolgt nach DRG mit einem Abschlag von 0,04 Bewertungsrelationen, wenn der Patient mindestens sechs Stunden täglich im Krankenhaus behandelt wird, aber nicht übernachtet. Die untere Grenzverweildauer mit den entsprechenden Regelungen zu Abzügen bei Unterschreitung bleibt davon aber nach unserem Informationsstand unberührt. Es ist damit eher an eine mehrtägige Behandlung ohne Übernachtung z.B. in der Onkologie gedacht.  Der § 115e ist ebenfalls bereits am 1. Januar 2023 in Kraft getreten.  Die Einführung tagesstationärer Behandlungen ist im Prinzip zu begrüßen. Allerdings gibt es noch viele Unklarheiten bzw. Ausschlüsse wie zum Beispiel Leistungen, die im AOP-Katalog § 115b verzeichnet sind oder noch werden. Auch die Abgrenzung zu rein ambulanten oder teilstationären Behandlungen könnte in der Gesamtkonstellation vor allem gegenüber dem MD schwierig werden. Somit wird man das tatsächlich hier in Frage kommende Volumen erst dann beurteilen können, wenn die Verhandlungen und Leistungszuteilungen zum § 115 f abgeschlossen sind. Bei diesen beiden Formen dürften aber stationäre Zusatzversicherungen ihre Gültigkeit behalten.

 Kontextfaktoren, Arztvorbehalt, soziale Faktoren

Im IGES-Gutachten werden die Empfehlungen zur Erweiterung des AOP-Kataloges eng geknüpft an die Einführung von Kontextfaktoren. Sie dienen zur individuellen Beurteilung der geplanten Leistung und des Patientenzustandes, um gegebenenfalls eine stationäre Leistungserbringung zu begründen, wenn sie ambulant nicht durchführbar erscheint. Da die vom Gutachten vorgeschlagenen Kontextfaktoren sich in den Verhandlungen aber als zu umfangreich und nicht praktikabel erwiesen haben, hat man sich im AOP-Vertrag für die erste Stufe auf eine vorläufige, deutlich reduzierte Version geeinigt. Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich gelingt, diese Kriterien so rechtssicher festzulegen, dass es nicht zu noch mehr Streitfällen zwischen Krankenhäusern und Kostenträgern kommt. Es ist aber bemerkenswert, dass im AOP-Vertrag nach § 115b unter § 2 (Zugang der Patienten zu Leistungen nach § 115b SGB V) in Absatz 2 steht: „Aus dem Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen kann nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, dass die dort aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind.  Der Arzt ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Art und Schwere der beabsichtigten Leistung, unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Patienten, die ambulante Durchführung, nach den Regeln der ärztlichen Kunst, mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erlaubt.“ Besser kann man den sogenannten Arztvorbehalt kaum formulieren, auch wenn er nicht als solcher benannt wird, da der Begriff in den Verhandlungen sehr umstritten war, obwohl er international absolut anerkannt ist.

Als ebenfalls besonders umstritten hat sich auch die Definition von sozialen Begleitumständen erwiesen, die die ambulante Weiterversorgung und damit den Behandlungserfolg gefährden könnten. Auch sie haben international einen entscheidenden Stellenwert in der Frage, ob ein Eingriff ambulant durchführbar ist. Hierzu hat man sich im AOP-Vertrag auf folgende Kompromissformel geeinigt: „Liegen abweichend von den genannten Kontextfaktoren medizinische Gründe oder soziale Gründe vor, die dazu führen, dass die Versorgung der Patienten in der Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist, so sind diese Gründe bei einer stationären Durchführung der Leistung fallindividuell darzustellen.“ Auch hier bleibt nur zu hoffen, dass Prüfungen des Medizinischen Dienstes diese Regelung nicht ad absurdum führen. Vergleichbares findet sich in der Begründung zum § 115e.

Bemerkenswert ist ein weiterer Satz in der Begründung zu Nummer 2 (§ 115e): „Entscheidet sich das Krankenhaus in medizinisch nicht geeigneten Fällen für die Erbringung von tagestationärer Behandlung, haftet es für hierdurch entstandene Schäden der Patientin oder des Patienten in gleicher Weise, wie wenn es die Behandlung ambulant oder teilstationär erbringt, obwohl aus medizinischer Sicht eine vollstationäre Behandlung erforderlich gewesen wäre.“ Ob es dieser expliziten Klarstellung der Verantwortlichkeit bedurft hätte, sei dahingestellt. Man kann nur hoffen, dass der Erkenntnisstand ex ante und nicht ex post herangezogen wird, es zeigt aber klar, welche Verantwortung die behandelnden Ärztinnen und Ärzte übernehmen. Es erscheint deshalb mehr als ratsam, die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften zum ambulanten Operieren genau zu beachten.

Den Medizinern ergibt sich also zukünftig ein Strauß von Möglichkeiten, Patienten ambulant zu versorgen. Viele Verfahren allerdings sind nicht als Alternativen für den individuellen Fall gedacht. Im Gegenteil: Es muss exakt geprüft werden, unter welche Regelung er denn fällt, um spätere Regresse zu verhindern. Abgesehen vom § 115e, mit noch unklarer Anwendungstiefe, wird über eine Aufnahme neuer Leistungen nur noch in der 2. Umsetzungsstufe des MDK-Reformgesetzes zur Erweiterung des AOP-Kataloges bzw. Einrichtung der Hybrid-DRG (§ 115f) verhandelt. Entsprechend ausgeprägt ist hier der Druck auf die Akteure, eine große Zahl an Leistungen in den Katalog aufzunehmen, die bisher durch eine kurze Liegezeit und ein großes Volumen der stationären Leistungserbringung gekennzeichnet sind.

Strukturvoraussetzungen

Wenn es, wie es jetzt ansteht, um den Einschluss von komplexeren Leistungen geht, spielen Strukturvoraussetzungen eine ganz entscheidende Rolle. Viele Fachgesellschaften haben ihre entsprechenden Positionspapiere deshalb aktualisiert bzw. sind gerade dabei. Die strukturellen und personellen Voraussetzungen sind, je nach Fachgebiet und Leistungsgruppe, natürlich unterschiedlich. Grundsätzlich können sich die Anforderungen für den jeweiligen Leistungskomplex bei ambulanter und stationärer Erbringung aber nicht unterscheiden. Zu nennen sind hier u.a. strukturelle Voraussetzungen eines OPs, Eingriffsraums oder Herzkatheterlabors. Gleiches gilt für die Hygienevorschriften sowie die operative Erfahrung der behandelnden Ärzte. Wir sprechen mehr über verbesserte Abläufe durch kurze Wege, OP-Programme unabhängig von einer Notfallversorgung, die die Einhaltung der Planungsabläufe verhindern. Alles im Setting eines ambulanten OP-Zentrums mit angeschlossenen Aufwachräumen bzw. Bereichen für die Nachbeobachtung mit oder ohne Monitorüberwachung. Es geht um hohe Prozessqualität und patientenorientierten Service und dadurch erhöhte Schlagzahl.

Die Dauer der Nachbeobachtung und Überwachung ist abhängig von der Art des Eingriffs, dem OP-Verlauf und dem jeweils aktuellen Zustand des Patienten. Die Art und Häufigkeit der möglichen typischen Komplikationen bestimmen das Ausmaß und die Dauer des notwendigen Monitorings. Im Falle einer Komplikation muss am besten unmittelbar ein Eingriff durch einen erfahren Arzt auch außerhalb der regulären Dienstzeit erfolgen können. Deshalb macht es Sinn, solche Eingriffe in enger Anbindung an ein Krankenhaus zu erbringen. Besteht die Möglichkeit, in diesem Sinne eine Überwachung und Nachbeobachtung zu organisieren, scheinen im Rahmen der Hybrid-DRG auch komplexe Eingriffe mit langer (> 6-12h) Nachbeobachtungszeit verantwortbar.

Die ambulante Weiterversorgung nach Entlassung muss im häuslichen Umfeld, mit oder ohne ambulanten Pflegedienst, gesichert sein. Bezüglich der ambulanten Pflegeeinrichtungen für die Nachsorge ambulant operierter Patienten besteht in Deutschland noch ein erheblicher Nachholbedarf. Zuletzt muss die Entfernung zum operativen Zentrum nach Entlassung, im Falle von Komplikationen einen Transportweg zurück zum Zentrum innerhalb maximal 30 Minuten zulassen. Entsprechende Transportmöglichkeiten mit freien Kapazitäten sind natürlich Voraussetzung. Es macht wenig Sinn, in der stationären Versorgung immer kürzere Einsatzzeiten am Patienten durchzusetzen, sie aber zu ignorieren, wenn es unbedingt ambulant vertretbar werden soll.

Medizinische Vertretbarkeit

Wieviel Sinn macht es medizinisch, die Anzahl ambulanter Operationen oder Möglichkeiten deutlich zu steigern? Wenn all die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, besteht grundsätzlich die Möglichkeit die Zahl ambulanter Eingriffe und Behandlungen erheblich auszuweiten. Dies lässt sich jedoch nur durch einen erheblichen Investitionsaufwand bewerkstelligen.

Das Ganze muss dabei in Stufen erfolgen, um den Einrichtungen überhaupt die Möglichkeit zu geben, die nötigen Strukturen in der Klinik zu schaffen. Gleiches gilt auch für die Einrichtungen der ambulanten Weiterversorgung.  Allein die Schaffung einer Abrechnungsmöglichkeit genügt dafür nicht. Aus der medizinischen Perspektive macht ein solcher, sicher in den meisten Fällen patientenorientierter Ansatz Sinn, und die Verantwortung kann übernommen werden, wenn die Prozessabläufe verbessert werden können und Qualität und Patientensicherheit gewährleistet sind. Das schont in den Kliniken dringend anderweitig benötigte Ressourcen, bei den der Personalmangel sicher an vorderster Stelle steht. An manchen Stellen wird die Erbringung des Eingriffs auch nur noch in solchen schlanken Strukturen möglich sein. Voraussetzung sind aber bei allen Sparvorstellungen der Kassen und des Ministeriums kostendeckende Erlöse. Sonst besteht die Gefahr, dass nicht nur die Ambulantisierung nicht vorankommt, sondern dass die Eingriffe gar nicht mehr erbracht werden. Dies kann nicht im Sinne der Patienten und somit der Versicherten der Krankenkassen sein.

Anschrift des Verfassers

PD. Dr. Michael A. Weber, Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärztinnen und -ärzte Deutschlands e.V. (VLK), Tersteegenstr. 9, 40474 Düsseldorf