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Interviews und Meinungen

Im Gespräch mit Sebastian Polag, Vorstand Finanzen und IT der Agaplesion gAG, zum Controlling


Sebastian Polag, Vorstand für Finanzen & IT bei der Agaplesion gAG, motiviert junge Mitarbeiter für das Controlling, da man Dinge für die Patienten und für die Volkswirtschaft verbessern kann. Foto: Agaplesion

Das Klinik-Controlling findet seit der Pandemie unter Extrembedingungen statt. Welche Auswirkungen haben Kostenexplosionen, Inflation, Lohn- und Gehaltssteigerungen und die nach wie vor zu geringen Einnahmen der Kliniken auf das Controlling?

Wir sind durch die Kostenexplosion in einer extrem herausfordernden Situation – gerade für das Controlling! Es gibt ein absolutes Ungleichgewicht zwischen der Einnahmen- und der Ausgabenseite in Deutschland. Und im Jahr 2024 verschärft sich das weiter massiv. Wir haben Tarif- und Personalkostensteigerungen von über 11 %, Sachkostensteigerungen von 7 bis 10 % und dabei nur eine Erlössteigerung von 5,12 %. All dies ist gesetzlich so definiert worden. Das heißt, das Controlling ist jetzt an erster Stelle gefragt, wenn es darum geht, beim Kostencontrolling oder beim Verbrauchscontrolling zu optimieren. Für uns als Konzern ist darüber hinaus das Thema Verweildauersteuerung ganz wesentlich. Wir möchten die Dienstleitung für unsere Patientinnen und Patienten bestmöglich erbringen, dabei aber auch unsere Ressourcen sehr effizient einsetzen. Das müssen wir auch, damit wir überhaupt einigermaßen über die Runden kommen. Das versuchen wir unter anderem durch die Verweildauersteuerung unserer Patienten in den Krankenhäusern. Ziel ist es, dass Patienten so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich stationär behandelt werden. So können wir unsere Behandlungen kompakt erbringen und auch optimal hintereinander weg. Das ist auch im Sinne der Patienten. Insgesamt ist die Situation schwierig und herausfordernd. Das sieht man daran, dass im vergangenen Jahr schon über 70 Insolvenzen stattgefunden und begonnen haben. Auch dieses Jahr rechnen wir mit einer deutlichen Steigerung der Klinikinsolvenzen.

Sie versuchen der Kostenexplosion mit der Verkürzung der Verweildauer und neuen, günstigeren Einkaufsgemeinschaften und -verträgen zu begegnen?

Genau. Es gibt bei uns noch Synergieeffekte, beispielsweise durch Rahmen-verträge im Einkauf und der Logistik. Das können wir als großer Klinikkonzern noch anders verhandeln als kleine

alleinstehende Krankenhäuser. Wir müssen die Versorgungsmaterialien und medizinische Gerätschaften einsetzen, für die wir einen vernünftigen, guten Preis verhandeln können. Wir haben uns als Agaplesion-Konzern mit „clinicpartner“, einer Einkaufsgemeinschaft angeschlossen, und günstige Konditionen mit Dienstleistern vereinbart. Ein Beispiel: Bei Hüftimplantationen gibt es viele unterschiedliche Anbieter und Produkte. Wir haben uns dazu entschieden, drei bis fünf Anbieter auszuwählen, mit denen wir besonders gute Konditionen verhandeln konnten. Nun ist es Aufgabe der Controlling-Mitarbeiter vor Ort, zu überwachen, ob unsere Ärzte im OP auch diese Produkte einsetzen und nicht Produkte anderer Hersteller in beispielsweise schlechterer Qualität zu höheren Preisen.

Ein anderes Beispiel aus dem Bereich Verbrauchscontrolling: Wenn es um Handschuhe geht, ist es wichtig, dass wir gute Qualität zu fairen Preisen bekommen. Manche kaufen die allerbilligsten Handschuhe, die drei Cent weniger kosten und stellen dann fest, dass sie viele Handschuhe wegwerfen müssen, weil sie reißen. Oder, dass man zwei übereinander anziehen muss. Hier gilt es Kosten und Nutzen bestmöglich abzuwägen– nicht nur aus der wirtschaftlichen Perspektive, sondern auch aus Gründen der Nachhaltigkeit.

Können Sie die Schere zwischen zu geringen Einnahmen und größeren Ausgaben der Kliniken mit diesen Maßnahmen kompensieren?

Nein, auf keinen Fall. Das Ungleichgewicht können wir dieses Jahr überhaupt nicht kompensieren. Vermutlich werden in diesem Jahr über 90 % aller Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen schreiben. Das sieht auch bei uns im Konzern aufgrund der politischen Rahmenbedingungen nicht anders aus. Selbst gut laufende Krankenhäuser müssen im Moment vom Ersparten leben, das muss man klar sagen.

Wie bewerten Sie die vom BMG mit der Krankenhausreform geplante Vorhaltefinanzierung?

Aus Sicht des Controllings bringt das grundsätzlich keine Veränderung. Es kommt ja nicht mehr Geld ins System, sondern es wird nur anders verteilt. Von daher ist die Vorhaltefinanzierung keine Lösung.

 Man versucht mit der Vorhaltefinanzierung eine vermeintlich unfaire Verteilung der Gelder auszugleichen. Das Problem ist nur, dass diese Gelder nach wie vor gedeckelt sind. Solange der Kern des Problems nicht angegangen wird, also entweder mehr Finanzmittel in das System gelangen, oder weniger Leistungserbringer auf dem Markt sind, wird eine Vorhaltefinanzierung überhaupt keine Probleme lösen. Im Gegenteil, ich sehe sogar das Risiko, dass durch die Vorhaltefinanzierung kein positiver Optimierungsdruck bei Ineffizienzen ausgeübt wird. Kommunale Kliniken machen häufig gigantische zweistellige Millionenverluste, während wir als gemeinnütziger Träger durch allerhöchsten Einsatz bessere Ergebnisse erzielen. Durch die Vorhaltefinanzierung werden keine Anreize geschaffen, weitere Synergien im Kliniksektor zu heben.

Welche Auswirkungen werden die von der Bundesregierung geplanten Leistungsgruppen auf das Klinik-Controlling haben?

Man wird noch gezielter die Leistungsinhalte überwachen und steuern müssen, weil man dann nur noch spezifische Leistungen aus der jeweiligen Leistungsgruppe erbringen darf. Das bringt neue Herausforderungen für das Controlling mit sich. Wie geht man beispielsweise damit um, wenn sich ein Patient im Laufe einer Diagnostik und Behandlung in eine andere Leistungsgruppe entwickelt? Was passiert dann mit dem Patienten, den man eigentlich aufgrund der definierten Leistungsgruppe in dem Haus nicht mehr weiter versorgen dürfte? Das wird eine große Herausforderung für das Controlling und ist schlecht für unser Gesamtsystem, weil immer mehr Geld an den falschen Stellen ausgegeben werden muss, nämlich im Bereich der Verwaltung und nicht bei den Patienten. Und, es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass dadurch ein weiteres Bürokratiemonster entstehen wird. Alleine das, was man jetzt schon an Formularen, an Nachweisen, Budgetunterlagen, an Mindestvoraussetzungen und an Strukturmerkmalen bearbeiten muss, ist so gigantisch, dass wieder zusätzliche Ressourcen und Stellen im Controlling und in der Verwaltung geschaffen werden müssen, um überhaupt noch Herr der Lage zu bleiben. Dabei ist die Entbürokratisierung, die zwingend erforderlich ist, ein erklärtes Ziel der Klinikreform des Bundesgesundheitsministers. Das Gegenteil findet aber statt: Die Bürokratisierung ist so schlimm wie noch nie.

Ein Ziel der Reform ist die stärkere Fusion und Kooperation in der Branche. Wie geht das Controlling der Kliniken mit diesen Perspektiven um?

Für uns ist dieser Ansatz gelebte Praxis und Teil unserer Unternehmensstrategie. Wir haben bereits an vielen unserer Standorte Kräfte gebündelt, um die medizinisch-pflegerische Versorgung an den Bedürfnissen der Bürger einer Region auszurichten und den Krankenhausbetrieb durch Synergien auf wirtschaftlich stabile Beine zu stellen. Jüngstes Beispiel ist das Agaplesion Klinikum Hagen, wo wir dies gemeinsam mit katholischen Trägern aus der Region durch Umstrukturierung und Spezialisierungen umgesetzt haben. Herausfordernd wird es sicher für die Einrichtungen sein, die nicht Teil eines Verbundes und einer Einkaufsgemeinschaft sind. Hier kann ich nur jedem Controller empfehlen, rechtzeitig mögliche Synergieeffekte einer Verbundlösung durchzurechnen und mögliche Partner anzusprechen. Gemeinsam ist man in der Regel stärker unterwegs.

Ist ein strategisches Controlling derzeit noch möglich, um die Entscheidungen des Krankenhausmanagements zu unterstützen?

Meiner Meinung nach ist gerade jetzt die Zeit, in der strategisches Controlling so wichtig ist wie noch nie. Controller müssen jetzt alles, was politisch verlautbart wird, agil und schnell durchrechnen und bewerten. Sie müssen alle Szenarien, die in der Branche diskutiert werden, wie Vorhaltebudget, Leistungsgruppen, ambulantes Potenzial, schon mal durchrechnen und simulieren. Sie müssen immer am Puls der Zeit bleiben und die ‚Ergüsse‘ der Politik und deren Auswirkungen bewerten. Ein gutes strategisches Controlling zeichnet sich dann dadurch aus, dass schon Vorschläge und Lösungsempfehlungen für die Herausforderungen formuliert und ausgearbeitet werden.

Wie setzt das Controlling die Ambulantisierung um? Gibt es ein Reporting?

Dafür haben wir bei uns ein neues Reporting geschaffen. Die Ambulantisierung birgt neue Chancen und Risiken. Es gibt Vergleichsrechnungen, was hätte ich stationär erlösen können, was erlöse ich jetzt nur noch ambulant dafür? Man braucht spezielle Reportings für die neuen Leistungsformen, Stichwort ‚Hybrid-DRG‘ oder Stichwort ‚Ambulantes Potenzial‘, damit man pro Klinik, pro Fachabteilung, pro DRG hier sehr differenziert auswerten kann. Wo gehen stationäre Fälle über in eine ambulante Leistungserbringung? Und wie erbringe ich diese Leistung ambulant? Was müssen wir neu entwickeln und an Strukturen aufbauen?

Stehen die Erlöse bei ambulanten Eingriffen im Verhältnis zu dem Aufwand?

Wenn man in klassischen Krankenhausstrukturen diese ambulanten Leistungen erbringt, dann rechnet sich das in der Regel nicht. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder der Gesetzgeber steuert nach und sorgt dafür, dass eine auskömmliche Erlössituation für Leistungen in dieser Qualität und in dieser Struktur sichergestellt wird. Oder die Krankenhäuser müssen die Strukturen anpassen, analog zu den niedergelassenen Leistungserbringern. Auch da stellt sich die Frage nach der Finanzierung, denn diese Umstrukturierungen sind kostenintensiv.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Ein stationärer und ambulanter OP-Bereich sind zwei unterschiedliche Welten. Sowohl was das Personal, als auch was die Infrastruktur oder die Standards anbelangt. Also müsste man im Krankenhausbereich Strukturen schaffen, die wettbewerbsfähig sind, vergleichbar mit dem niedergelassenen Bereich. Das ist eine riesige Herausforderung, denn Klinikpersonal tickt einfach anders. Sie haben andere Prozesse und Herangehensweisen verinnerlicht. Hier muss man vielleicht losgelöste, separate Strukturen schaffen. Beispiel OP: Man bräuchte einen baulich und strukturell gesonderten Bereich, der komplett getrennt ist vom Zentral-OP oder von der Klinik, wo von morgens bis abends ambulante Operationen stattfinden. Da werden dann mehrere Patienten parallel eingeleitet, betreut und überwacht. Der spezialisierte Operateur wechselt zwischen den OP-Räumen. Aus Sicht der Patienten wird durch den hohen Spezialisierungsgrad eine hohe Behandlungsqualität sichergestellt. Durch das effiziente OP-Management ist weniger Pflegepersonal im Einsatz und so könnten wir mit den Erlösen, die es im ambulanten Bereich gibt, vermutlich gerade so hinkommen.

Welche Anforderungen und Eigenschaften muss ein Krankenhauscontroller heute erfüllen?

Als Krankenhauscontroller braucht man Spaß und Freude an Herausforderungen, denn die sind aktuell in unserer Branche definitiv gegeben. Man muss gleichzeitig flexible und agile Kalkulationen und Szenarien berechnen können, angesichts der sich immer wieder verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Auch kommunikative Fähigkeiten zum Beispiel gegenüber dem ärztlichen Dienst, dem Pflegepersonal oder den anderen Dienstgruppen sind wichtig. Was für mich den besonderen Reiz im Controlling ausmacht: Durch strategisch kluges Controlling kann man am Ende einen elementaren Beitrag für verlässliche und hochwertige medizinische Versorgung der Menschen sicherstellen. Sich das vor Augen zu halten, kann helfen, wenn man mal wieder eine der vielen bürokratischen Hürden nehmen muss.

Gibt es noch Controller auf dem Arbeitsmarkt?

Wir haben das Glück, dass wir in unserem Konzern die besten Controller im Einsatz haben. Unsere Unternehmenskultur – unser gelebtes Miteinander – hilft allen Teammitgliedern bei den vielen aktuellen Herausforderungen im Controlling. Aber wir merken auch, dass Führungskräftenachwuchs rar wird, denn für Neueinsteiger ist dieser ganze Bereich des Krankenhauscontrollings extrem komplex. Man braucht nicht nur die klassischen Skills eines Controllers wie Verbrauchs-, Personal-, Erlös- oder Kostencontrolling, sondern auch zusätzlich noch das ganze Know-how im Krankenhausbereich wie Budgetverhandlungen, Erlösausgleiche, Pflegebudgets, Strukturvoraussetzungen, PsychPV etc. Es gibt immer neue Verordnungen oder auch Statistiken, die eingereicht werden müssen mit Mahnfristen, mit zum Teil hohen finanziellen Strafen, wenn man sie nicht rechtzeitig abgibt. Das ist schon eine große Herausforderung. Krankenhauscontrolling ist aber auch eine extrem spannende und tolle Sache. Auch mir bereitet sie immer noch viel Freude, wenn ich mal wieder „tief in die Zahlen“ einsteigen kann. Man hat darüber hinaus viel Potenzial Dinge zu verbessern auch im Sinne der Patientinnen und Patienten und auch im Sinne unserer Volkswirtschaft. Was gibt es also Schöneres, als zum Wohle der Gesundheit arbeiten zu dürfen? Ich möchte nur alle jungen Controller motivieren, diese Herausforderung anzunehmen und zu sagen: Ja, wir kommen gerne ins Krankenhaus und wir haben Spaß an dieser Arbeit, denn wir wollen was bewegen.

Das Interview führte Tanja Kotlorz