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Interviews und Meinungen

Im Gespräch mit Jens Leveringhaus, Vorstandsvorsitzender P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG


Auf EU-Ebene sollten gewisse Produkte vorgehalten werden, sagt Jens Leveringhaus, Vorstandsvorsitzender P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG. Foto: P.E.G

Welche Herausforderungen gibt es aktuell im Bereich Einkauf für die Kliniken?

Die Herausforderungen, mit denen der Einkauf seit mehr als drei Jahren konfrontiert ist, sind wirklich gewaltig. Darauf war niemand vorbereitet. Begonnen hat es mit der Pandemie 2020. Anfang vergangenen Jahres hatten wir alle die Hoffnung auf Licht am Ende des Tunnels, dann kamen der Ukrainekrieg und dessen unmittelbare Folgen – die Energiekrise, die Rekordinflation und letztlich die Neuausrichtung der globalen Wirtschaftsordnung. Die Inflation führt zu einer generellen Steigerung der Sach- und Arbeitskosten. Das wirkt sich direkt auf den Einkauf in den Kliniken aus, und das bekommen auch wir tagtäglich zu spüren. Die derzeitigen Preissteigerungen sind natürlich das beherrschende Thema, das alle Einkäufer beschäftigt – neben den fragilen Lieferketten.

Welche Lieferengpässe treffen die Kliniken denn am härtesten?

Ich habe den Eindruck, dass die Industrie nach wie vor versucht, die Krankenhäuser bevorzugt zu beliefern, um hier Engpässe zu vermeiden, aber es fehlen zum Beispiel viele pharmazeutische Präparate. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Eine Ursache ist der Mangel an Rohstoffen. Produkte können nicht in den Mengen produziert werden, wie sie derzeit gebraucht werden. Ursache sind auch die gestörten Lieferketten. Viele Artikel werden im außereuropäischen Ausland wie China oder Indien hergestellt. Derzeit wird darüber diskutiert, systemkritische Produkte wieder vermehrt in der EU herstellen zu lassen. Ich hoffe nicht, dass wir uns gänzlich von der Globalisierung verabschieden und jedes Land nur noch für sich selbst produziert, aber dass wir auf EU-Ebene gewisse Produkte vorhalten sollten, halte ich für wichtig. Wir als P.E.G. achten zum Beispiel bei Verhandlungen mit Herstellern darauf, ob sie nur außerhalb oder auch innerhalb der EU produzieren.

Was kann, was sollte die Politik tun?

Wichtig ist, dass die geplante Krankenhausreform und deren Umsetzung schnell kommt, damit die Krankenhäuser endlich wieder eine gewisse Planungssicherheit haben. Wenn für die Kliniken jetzt erst einmal eine lange Hängepartie folgt, wäre das für alle von Nachteil – wissend, dass die Reform nicht perfekt sein wird. Für die zukünftige Vermeidung von Engpässen in den Lieferketten sollten die EU, aber auch die Bundesregierung Anreize für die Wirtschaft schaffen, damit Firmen wieder ihre Produktion in der EU ansiedeln. Die derzeitigen inflationären Energiepreise sind dabei nicht gerade hilfreich. Natürlich wird gerne dort produziert, wo die Sach-, Energie- und Personalkosten niedrig sind. Hilfreich wären deshalb auch, zumindest befristete, steuerliche Anreize. Weiterhin gilt es, die Bürokratie und Überregulierung abzubauen.

Wie wirkt sich die Verknappung auf die Patientenversorgung aus?

Das wirkt sich natürlich nachteilig auf die Versorgung von Patienten aus. Wenn Produkte nicht zur Verfügung stehen, können zum Beispiel Operationen nicht durchgeführt oder müssen Behandlungen abgebrochen werden. Die EU-Richtlinien zur MDR und IVDR könnten die Verknappung wichtiger medizinischer Produkte sogar noch weiter verschärfen. Möglicherweise wird es hier Sonderregelungen geben müssen, oder Fristen für Neuzulassungen von Medikamenten oder Medizinprodukten müssten verkürzt werden.

Können die Kliniken beim Einkauf noch sparen?

Zum jetzigen Zeitpunkt sind Preisreduzierungen schwer verhandelbar. Es geht eher darum, Preissteigerungen abzuwenden, da spielen Einkaufsgemeinschaften eine wichtige Rolle. Für die Kliniken gilt, die Kosten ganzheitlich zu betrachten, dabei geht es auch um Prozessoptimierung. Ein weiterer Hebel für Einsparungen ist nach wie vor der der Standardisierung.

Rücken die Themen Green Health und Nachhaltigkeit jetzt in den Hintergrund angesichts von Energiekrise und Inflation?

Das könnte man vermuten, ich glaube es aber nicht. Was sind die Indikatoren dafür: Zum einen, wenn man sich die Themen auf Kongressen und Veranstaltungen der Gesundheitswirtschaft in diesem Jahr anschaut, dann fällt auf, dass das Thema Nachhaltigkeit dort einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Das war in den letzten Jahren nicht so. Von daher glaube ich, dass das Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen und in den Kliniken angekommen ist. Zum anderen gibt es der Gesetzgeber vor, angefangen mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bis hin zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zu der die Krankenhäuser zukünftig verpflichtet sein werden. Der Fokus auf nachhaltiges Wirtschaften im Gesundheitswesen wird nicht mehr verschwinden und aus meiner Sicht weiter an Bedeutung hinzugewinnen.

Wirken sich die Pläne der Regierungskommission zur Klinikreform auch auf den Einkauf aus?

Ja, die Klinikreform wird sich auch auf den Einkauf auswirken. Wenn es zu Krankenhausschließungen kommen sollte, führt dies zwangsläufig zu Konsolidierung, Konzentrierung, Spezialisierung und auch zu weiteren Bündelungseffekten. Das hat Einfluss auf den Einkauf. Eine Klinik, die sich zum Beispiel weiter spezialisiert, kauft dann nicht mehr wenig von vielem, sondern viel von wenigem ein, gerade wenn man sich auf bestimmte Therapiefelder konzentriert und gleichzeitig die Standardisierung von Produktgruppen weiter vorantreibt.

Was denken Sie über die Klinikreform?

Wir brauchen dringend eine Krankenhausreform, sie wird allerdings nicht ohne den Rückhalt in der Bevölkerung funktionieren. Meiner Ansicht nach muss sich das Anspruchsdenken in unserer Gesellschaft bezüglich ihrer medizinischen Versorgung ändern, denn der Glaube, dass alle Gesundheitsleistungen stets und überall verfügbar sind, lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. An der Stelle kommt der Politik die wichtige Aufgabe zu, schmerzliche Wahrheiten offen auszusprechen. Ich kann nur hoffen, dass wir bereit sind, diese zu akzeptieren und uns anzupassen. Wir wollen Versorgungssicherheit und Medizin auf höchstem Niveau, aber sind wir auch bereit für die notwendigen Kompromisse? Akzeptieren wir zum Beispiel, wenn wir unseren Angehörigen nicht jeden Tag in der Klinik besuchen können, weil die Spezialklinik, in der er versorgt wird, in einer entfernteren Stadt liegt? Wir werden sehen.

Die Vision der P.E.G. ist eine gesunde Welt für gesunde Menschen. Wie lässt sich das umsetzen?

Wir haben mittlerweile sämtliche Geschäftsaktivitäten der P.E.G. auf das Thema Nachhaltigkeit ausgerichtet. Zunächst haben wir intern angefangen und uns hinterfragt: Wie nachhaltig agieren wir im täglichen Geschäftsleben? Wir haben eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet und uns Ziele gesetzt, ab wann wir als P.E.G. klimaneutral sein wollen. Über das interne Vorschlagswesen haben wir die Belegschaft motiviert, Dinge aufzuzeigen, die wir verändern wollen. Das war der erste wichtige Schritt. Frei nach dem Motto: Wir können nicht Wasser predigen und selbst Wein trinken. Damit haben wir es auch geschafft, die Belegschaft für das Thema zu begeistern und das Bewusstsein geschaffen, dass jeder etwas tun kann und muss. Anschließend haben wir uns den Kernbereich Einkauf und Beschaffung angeschaut. Zu den Standardartikeln haben wir nachhaltige Produktalternativen gesucht, die wir unseren Mitgliedern anbieten können. Wir klassifizieren Lieferanten danach, wie nachhaltig sie agieren und sich aufstellen. Zusätzlich unterstützen wir Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen dabei, ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und auch umzusetzen. Wir machen das vollumfänglich und ganzheitlich.

Welche Rolle spielen KI und Digitalisierung beim Einkauf?

Das große Thema ist Transparenz. Es gilt, vorhandene Daten sichtbar und nutzbar zu machen, bessere Einsicht in Abläufe und Prozesse zu erhalten und gesammelte Informationen intelligent anzuwenden. In den Kliniken sind für den Einkauf sowohl Stamm-, Ereignis- als auch Bewegungsdaten von großer Bedeutung. Um Einkäufer in Krankenhäusern zu unterstützen, haben einige Einkaufsgemeinschaften, zu denen auch die P.E.G. gehört, eine Initiative gestartet, um beim Thema Stammdaten einen neuen Standard zu setzen, das sogenannte HCDP (Health Care Content Data Portal) – das zukünftige Stammdatenportal für das Beschaffungswesen in der Gesundheitswirtschaft. KI wird in Zukunft dem Einkauf viele Aufgaben erleichtern, vielleicht sogar abnehmen, sei es im Rahmen von Mengenplanungen, der Erstellung von Prognosen oder auch bei der Bewertung von Prozessen.

Wie beurteilen Sie die Zukunft des Einkaufs?

Der Einkauf steht derzeit permanent vor neuen Herausforderungen und ich schätze, dass die damit verbundenen Probleme nicht so schnell verschwinden und die Aufgaben weiter zunehmen werden. Lobend erwähnen möchte ich, dass sich alle Beteiligten extrem engagieren, um die Patienten- und Versorgungssicherheit sicherzustellen. Alle in der Gesundheitswirtschaft verdienen Lob und Anerkennung dafür. Ich glaube, es gibt zukünftig keine Einzellösungen mehr, wir werden nach systemischen Lösungen suchen, ganzheitlich denken und nachhaltig handeln müssen. Dabei muss der Patient weiterhin im Fokus stehen.

Das Interview führte Tanja Kotlorz