Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Interviews und Meinungen

Im Gespräch mit Dr. Marc Baenkler, Geschäftsführer der Median Unternehmensgruppe in Deutschland


Dr. Marc Baenkler, Geschäftsführer der Median Unternehmensgruppe. Foto: Median

Der Gesetzgeber hat die Krankenhäuser zu effektivem Entlassmanagement verpflichtet. Was ist gutes Entlassmanagement?

Ein gutes Entlassmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass der Übergang der Patienten vom Akutkrankenhaus zur Anschlussversorgung, wie beispielsweise einer Rehabilitationsklinik, nahtlos erfolgt. Idealerweise sollte der Patient nicht bemerken, dass verschiedene Sektoren überwunden werden oder dass möglicherweise ein anderes Sozialgesetzbuch die Grundlage für die Leistung bildet. Es ist daher notwendig, bereits im Akutkrankenhaus, am besten sogar vor einem geplanten Eingriff, den individuellen Bedarf des Patienten zu ermitteln und frühzeitig einen Entlassplan zu erstellen. Dafür ist ein vorausschauender, umfassender und effizienter Prozess in den Akutversorgern erforderlich. Das Schlüsselwort „frühzeitig“ spielt hierbei eine zentrale Rolle: Die Akutkrankenhäuser müssen sich so früh wie möglich an die Einrichtungen der Nachversorgung, wie zum Beispiel die Reha-Klinik, die Pflegeeinrichtung oder den Vertragsarzt, wenden, um die Kapazitäten rechtzeitig abzustimmen und eine nahtlose Weiterbehandlung zu gewährleisten. Eine besondere Herausforderung besteht dabei in der teilweisen erforderlichen Kostenübernahme durch die Kostenträger im Voraus.

Wie funktioniert die strukturierte Weitergabe von Informationen zwischen den Leistungserbringern?

Damit die Weiterbehandlung bei einem anderen Leistungserbringer möglich ist, muss zunächst die Einwilligung des Patienten zur Datenweitergabe eingeholt werden. Wichtig ist dabei auch die Wahrung des Wunsch- und Wahlrechts des Patienten. Im Beispiel einer im Anschluss an die Akutversorgung verschriebenen Rehabilitation nehmen dann meistens die Sozialdienste des Akuthauses Kontakt zur Reha-Klinik auf. Neben der Kapazitätsprüfung gilt die Kontaktaufnahme in erster Linie der Prüfung der medizinischen Eignung. So wird jede Anfrage vor Reha- Antritt individuell ärztlich geprüft, um den größtmöglichen Rehabilitationserfolg sicherzustellen. Herausfordernd dabei ist, seit August 2022, dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung im Rahmen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes, die gesetzliche Verpflichtung für Akutversorger Verlegungsverzögerungen nachzuweisen. Dies bedeutet für die Sozialdienste in den Krankenhäusern einen erheblichen Mehraufwand durch eine Vielzahl zusätzlich zu führenden Telefonaten. Konkret heißt das an einem Beispiel: seit der Gesetzesänderung ist das Anrufaufkommen in manchen Bereichen bei identischer Patientenzahl um 50 % gestiegen. Doch durch die Anrufe wird kein Aufnahmeverfahren beschleunigt, kein Rehabilitationsplatz früher verfügbar, sondern allein administrativer Aufwand geschaffen.

Wie hoch ist der administrative Aufwand?

Median wird von den einweisenden Krankenhäusern auf verschiedenen Kommunikationswegen kontaktiert, darunter Telefon, E-Mails, Faxe und postalische Kommunikation. Um einen

schnellen Reha-Antritt für möglichst viele Menschen zu ermöglichen und die interne Organisation zu optimieren, hat Median vor einigen Jahren den Zentralen Reservierungsservice (ZRS) mit entsprechenden Telefon-Hotlines eingerichtet. Diese Maßnahme hat deutlich dazu beigetragen, den administrativen Aufwand zu reduzieren und die Wartezeit der Patientinnen und Patienten auf eine passende Rehabilitationsklinik von Median zu verkürzen. Leider bestehenden beim Prozess nach wie vor diverse Analog-Digital Schnittstellen, die unnötigenAufwand herbeiführen, überflüssige Verzögerungen verursachen und auch Fehlerquellen darstellen.

Der Vorteil eines funktionierenden Entlassmanagements für die Patienten liegt auf der Hand. Ist er quantifizierbar?

Absolut! Dafür ist es erforderlich, dass alle Beteiligten sich an die etablierten Prozesse halten. Auch Vorgaben des Gesetzgebers sollten sich an den tatsächlichen Bedarfen der Patienten und der Leistungserbringer orientieren. Maßgabe sollte sein, bürokratische Hürden zu vermeiden, Prozesse zu verschlanken und, wo immer möglich, auch zu digitalisieren. Das bestmögliche Rehabilitationsziel muss bei allen Bemühungen das höchste Ziel bleiben.

Wie unterscheidet sich die Überleitung von der Reha in die poststationäre Weiterversorgung von der aus der stationären Versorgung?

Der Unterschied ist sehr groß. Das liegt unter anderem daran, dass Akutkrankenhäuser andere Vorgaben für die Entlassung haben. In der Akutbehandlung wird der Patient auf seine Entlassung aus der Klinik vorbereitet, dass er mithilfe der ersten Grundversorgung an Medikamenten und gegebenenfalls mit Hilfsmitteln in die Obhut einer weiterbehandelnden Einrichtung oder Praxis überwiesen werden kann. Erster Schritt in der Weiterbehandlung bei einem niedergelassenen Arzt ist dann beispielsweise zuallererst die präzise Fortführung der Medikation. In der Rehabilitation bei Median legen wir großen Wert darauf, Patienten mit möglichst wenig Hilfsmitteln in ihren Alltag zurückkehren zu lassen. So sollen unsere Patienten nach der Entlassung den Alltag so selbstständig wie möglich bewältigen können. Dazu gehört auch, dass die Sozialdienste unserer Rehabilitationskliniken auch im Bedarfsfall den Arbeitsplatz des Patienten zu seiner Rückkehr so ausstatten lassen, dass dieser möglichst wieder in seiner vorherigen Position tätig sein kann. Wir heilen, schulen und fördern die Patienten für eine gute Wiedereingliederung mit möglichst hoher Eigenständigkeit und Teilhabe. Einen großen Anteil an der Wahrung und am Ausbau des Rehabilitationserfolgs hat dabei die Nachsorge, und insbesondere die digitale Nachsorge wie sie beispielsweise MyMEDIAN@ home bietet.

Funktioniert die Prozessbrücke zwischen akutstationärer Behandlung und Reha-Klinik besser als das Schnittstellenmanagement zwischen stationärer und ambulanter Behandlung?

Jede Schnittstelle hat ihre eigene Herausforderung. Entscheidend ist jedoch, dass an der Schnittstelle von Akutversorgung zur Rehabilitation erhebliches Verbesserungspotential liegt. Beginnend vom Abbau von Analog-Digital-Schnittstellen, der vollständigen digitalen Übermittlung der Gesundheitsdaten, bis hin zur semiautomatischen Zuweisung geeigneter Rehabilitationskapazitäten ergibt sich ein breites Feld. Median prüft derzeit als ersten Schritt eine digitales Eigenprodukt um die beiden erstgenannten Aspekte aufzugreifen.

Wie werden Patienten mit besonderen Bedarfen identifiziert?

Hierbei kommt den Mitarbeitenden der Sozialdienste einerseits und relevanten Daten eine wichtige Rolle zu: Die Sozialdienstmitarbeitenden identifizieren in Gesprächen die individuellen Bedarfe der Patienten und stehen im Austausch mit den medizinischen und therapeutischen Kollegen, um aus allen Blickwinkeln den Gesamtbefund und die individuellen Bedarfe festzustellen. Mithilfe von Daten-Clustern zu erfolgreichen Behandlungspfaden können die für einen einzelnen Patienten individuell wirksamsten Therapien ermittelt werden. Dabei unterstützt der datenbasierte Ansatz der Median Kliniken mit dem Erfahrungen aus Zigtausenden von Outcome-Ergebnissen. Die multiprofessionellen Teams in unseren Kliniken führen alle Aspekte wie Puzzleteile zusammen, um das Gesamtbild der optimalen Therapiemaßnahmen abzuleiten.

Welche Rolle spielen die Kostenträger in diesem Prozess?

Der Kostenträger spielt in der Regel eine partnerschaftliche Rolle. Allen gemein ist das Ziel der Outcome-Maximierung im Sinne des Patienten. Im Jahr 2023 war das Verhältnis jedoch in Teilen angespannt; für die stark gestiegenen Kosten gab es teilweise kein Verständnis. Persönlich würde ich einen Pay-for-Performance-Ansatz für Ergebnisqualität bevorzugen und Median stellt sich dabei gerne in volle Transparenz.

Läuft der Austausch und die Koordination weitgehend digital?

Der Austausch mit den Kostenträgern läuft über diverse Medien: selten per Mail, häufig Fax, teilweise per Datenübertragung, jedoch auch noch immer viel über den postalischen Weg. Es gibt immer wieder Pilotprojekte zu digitalen Austauschplattformen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern, an denen sich MEDIAN stets beteiligt. Wir haben in Deutschland noch viel Potential, den administrativen und bürokratischen Aufwand im Gesundheitssystem zu reduzieren.

Kommt die Digitalisierung des Entlassmanagements voran?

Bei Median setzen wir konsequent auf die Digitalisierung in allen Bereichen des Reha-Aufenthalts, einschließlich des Entlassmanagements. Ein bedeutender Fortschritt ist die Nutzung eines umfassenden und integrierten Klinikinformationssystems als Single-Point of Information. So gelingt es teilweise bereits, dass Ärzte Befunde direkt nach der Visite in das System diktieren. Das gesprochene Wort wird dabei automatisch in einen schriftlichen Visitenbericht umgewandelt. Diese Berichte dienen als Grundlage für die Entlassbriefe, die aus den verschiedenen Bausteinen der Visitenberichte zusammengestellt werden. Diese innovative Vorgehensweise bietet zahlreiche Vorteile: Sie spart den Kolleginnen und Kollegen wertvolle Zeit bei der Vorbereitung der Patientenentlassung. Diese gewonnene Zeit kann stattdessen für die eigentliche Behandlung und Betreuungder Patienten genutzt werden. Darüber hinaus werden potenzielle Fehler vermieden, die aufgrund von Zeitdruck oder manueller Übertragung von Informationen auftreten könnten. Durch die Einführung dieses digitalen Systems optimieren wir den Entlassungsprozess und stellen sicher, dass alle relevanten Informationen präzise und effizient in den Entlassbriefen festgehalten werden. Dies trägt zu einer reibungslosen und qualitativ hochwertigen Entlassung der Patienten bei und unterstützt die nahtlose Fortführung der Behandlung in der Anschlussversorgung. Darüber hinaus bietet sich durch die vollintegrierte digitale Nachsorge eine perfekte Basis für die digitale Nachsorge nach der Entlassung: die Behandlung aus einer Hand auf digitaler Basis.

Welche Rolle spielt die Telemedizin?

Für Median eine ganz entscheidende! Jede Patientin und jeder Patient bekommt im Anschluss an seine Rehabilitation Zugang zu seinem ganz individuell zusammengestellten Trainingsplan in der eigens entwickelten MyMEDIAN@ Home-App. Schon während des Aufenthalts in der Klinik wird der Umgang mit dieser in den Therapien mit den Patienten geübt. Wieder zuhause können die Patienten dann Übungen weiterführen, die sie schon in der Klinik gemacht haben, um ihre Genesung noch weiter zu verbessern und zu verstetigen. Sie haben in der App auch Zugriff auf Wissensinhalte in Form von Videos oder Podcasts und die Möglichkeit, direkt aus der Anwendung heraus Kontakt zu einem Therapeutin oder einem Therapeuten aufzunehmen. Uns geht es darum, dass sich die Patienten nach der Entlassung aus der Klinik wieder gut in ihren Alltag einfinden und diesen mit digitaler Unterstützung so selbstständig wie möglich meistern können.

Welche Rolle spielt KI für das Entlassmanagement bzw. welche Rolle könnte KI spielen?

Die Basis für KI sind Daten. Median nutzt eine Vielzahl an ganz unterschiedlichen, anonymisierten und stark geschützten Daten, um beispielsweise Therapiepfade stärker auf die Bedürfnisse der Patienten maßzuschneidern oder den Rehabilitationserfolg vorherzusagen. Wenn wir immer besser verstehen, welche Faktoren diesen am meisten beeinflussen, kann gezielt auch die Behandlungsqualität optimiert werden. Es gibt bereits Evidenz zukünftig personalisierte, individualisierte Rehabilitation anbieten zu können im Sinne des Patienten. Gerade hierbei vermag KI einen entscheidenden Beitrag zu liefern, um die Ressourcen für das bestmögliche Outcome zu optimieren. Die Digitalisierung und KI im Besonderen können auch im Bereich des Entlassmanagements dazu beitragen, wiederkehrende Aufgaben zu verschlanken, zu automatisieren und Routinen zu vereinfachen. So werden die hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen, die am Prozess des Entlassmanagements beteiligt sind, entlastet, Wartezeiten, sowohl auf Seiten der Patienten als auch aufseiten überweisender Akuthäuser, werden reduziert und Fehler durch manuelle Verarbeitung vermieden.

Das Interview führte Katrin Rüter