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Editorial

„Man wird ja bescheiden“

„Man wird ja bescheiden“, sagte meine Nachbarin, Anästhesistin in einer Berliner Klinik, zum Jahreswechsel 2020/21 beim Anstoßen um Mitternacht mit Sekt und Silvesterknallerei im kleinen Kreis. Ein Jahr später, zum Eintritt in das Jahr drei der Coronapandemie, rief sie in Anlehnung an Dantes Commedia „Lasst alle Hoffnung fahren“ vom Balkon – ohne Feuerwerk, mit einer Tasse Fencheltee in der Hand.

Die Lage ist entmutigend. Nicht von einer fünften Welle, von einer „Wand“ wir nun gesprochen. Eine Welle hat einen Höhepunkt, danach geht es hinab. Eine Wand, ist sie hoch genug, scheint unüberwindbar. Angesichts der neuen Gefahr durch die Omikron-Virusvariante dräut bereits ein weiteres Krisenszenario: Der Zusammenbruch kritischer Infrastrukturen durch den Ausfall zu vieler Beschäftigter in Krankenhäusern, bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, bei Energieversorgern, Telekommunikation, Bahn, Handel und Logistik.

Die Pandemie hat die Kliniken noch immer fest im Griff. Von Normalbetrieb kann keine Rede sein. Obwohl mit dem Regierungswechsel ein Neubeginn ansteht, bleibt doch für Zuversicht nur wenig Raum. Zwar sieht die Ampel-Regierung den Handlungsbedarf in Bezug auf die Krankenhäuser, bleibt im Koalitionsvertrag aber sehr vage. Dort werden ein Bürokratieabbaupaket, die Reform der Krankenhausfinanzierung, Vorhaltepauschalen und Hybrid-DRGs angekündigt. Von „nötigen Reformen“, zu definierenden „Leitplanken“ und „Empfehlungen“ ist die Rede. Konkrete Ziele und Vorgaben zu Bundeszuschüssen für Krankenhausinvestitionen werden nicht genannt.

Eine neuer Corona-Krisenstab wird von einem Krisenmanager der Bundeswehr, Generalmajor Carsten Breuer geleitet. Werden die Kliniken als Vertreter eines zentralen Teils der kritischen Infrastruktur in diesem Land am Krisenstab beteiligt? Bisher nicht. Immerhin sind im neuen Expertenbeirat der Ampelregierung einige Ärzte und Klinikmanager vertreten.

Die Situation der Krankenhäuser in Deutschland nach zwei Jahren Coronapandemie ist denkbar schlecht. Die Ergebnisse des Krankenhaus-Barometers 2021, die in dieser Sonderausgabe von „das Krankenhaus“ detailliert dargestellt und diskutiert werden, zeigen dies deutlich. Neben der Einschätzung der Klinikmanager zur wirtschaftlichen Situation Ihrer Häuser und zu aktuellen Themen der Gesundheits- und Krankenhauspolitik werden die Klinikmanager bei der jährlichen Repräsentativbefragung auch zu ihren Erwartungen für die Zukunft befragt. Die Ergebnisse belegen einen nie dagewesenen Pessimismus unter den Krankenhausleitern.

Auch der Fachkräftemangel macht den Kliniken weiter zu schaffen, auch hier sind die Zukunftsaussichten laut DKI-Umfrage düster. Die Lage hat sich im zurückliegenden Jahr noch verschärft, die Personalsituation in der Pflege, insbesondere in den Intensivstationen, hat sich zugespitzt. Die permanente Belastung in zwei Jahren Coronapandemie bleibt nicht ohne Folgen: Viele Pflegekräfte reduzieren ihre Arbeitszeit, werden selbst krank im Dauerstress oder geben den Beruf ganz auf.

Der Pflegepersonalmangel ist das drängendste Problem der Gesundheitspolitik. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten müssen nachhaltig verbessert werden, darin sind sich alle Akteure der Branche einig. Ein Pflegebonus, wie ihn die Ampelkoalition in Anerkennung der Bedeutung der Pflege für die Bewältigung der Pandemie und ihrer hohen Belastung in dieser Zeit in Aussicht gestellt hat, ist ein guter Anfang. Diesen aber dann nur denen, die unter „besonderer Belastung“ stehen, zuzugestehen, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Anfang Januar ankündigte, würde nur Ärger und Zwietracht unter den Pflegenden säen. Wie detailliert wären die Kriterien für die ausreichend hohe Belastung denn zu definieren, und vor allem, wie wären sie zu dokumentieren? Ein bescheidener Bonus wäre das, der mit noch mehr Bürokratie daherkommt.

Und doch, könnte nicht gerade die Krise auch eine Wende zum Guten bedeuten? Omikron, so ist von einigen Experten zu hören, könnte wohlmöglich die Pandemie beenden und Corona zu einer Endemie werden lassen. Die Coronakrise hat überdeutlich gezeigt, wie wichtig die Krankenhäuser – Maximalversorger, Häuser der Regel- und der Grundversorgung und auch Rehakliniken ­ sind. Auch die Politik hat das wohl verstanden: Eine Agenda, die weiter auf einen kalten Strukturwandel setzt, wäre kaum vermittelbar.

Dantes Inferno erwartet uns wohl nicht im Jahr 2022. Auch die Nachbarin auf dem Balkon ist mit Hoffnung in das Neue Jahr gegangen. Sie wird im Mai heiraten, im Sommer ein Kind zur Welt bringen. Und auch die Kliniken werden dann klarer sehen, was sie von der Politik zu erwarten haben. Vielleicht sind die Perspektiven am Ende doch nicht so schlecht.

Katrin Rüter, Chefredakteurin