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Editorial

Fachkräfte dringend gesucht

Fachkräfte dringend gesucht

Die Hilferufe aus den Kliniken werden lauter und zahlreicher: Der Fachkräftemangel führt an immer mehr Standorten zu Leistungseinschränkungen durch Bettensperrungen. Es mangelt nicht an Patienten, aber an der Möglichkeit, wie gewohnt, zu jeder Zeit die Versorgung der Patienten zu ermöglichen. Nach Jahrzehnten drohen erstmals Wartelisten in nennenswerter Form in deutschen Krankenhäusern. Wesentliche Ursache dafür ist nicht Corona. Die Gründe sind vielfach politisch hausgemacht und auch nicht einfach durch den demografischen Wandel zu erklären.

Der Arbeitsplatz Krankenhaus ist dem Grunde nach hoch attraktiv und entspricht in vielerlei Hinsicht den Erwartungen gerade der jungen Generation: Die medizinische Versorgung und Pflege der Patientinnen und Patienten ist eine ausgesprochen sinnstiftende Tätigkeit. Man arbeitet in gemischten Teams unterschiedlicher Qualifikation und Berufsgruppen. Der Arbeitsplatz ist sicher, die Bezahlung gut, meist inklusive einer zusätzlichen Altersversorgung. Eigentlich beste Voraussetzungen, um gegenüber anderen Branchen erfolgreich im Wettbewerb um den Nachwuchs bestehen zu können. Und dennoch bereitet uns der Fachkräftemangel erhebliche Sorgen.

Viel zu lange wurde das Personal im Krankenhaus als Kostenfaktor betrachtet, der zugunsten der Produktivität möglichst knapp gehalten werden musste. Deutschland hat im internationalen Vergleich der Volkswirtschaften weit unterdurchschnittliche Fallkosten im Krankenhaus. Auch um die fehlende Investitionsförderung der Länder auszugleichen musste an Personal gespart werden. Die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten ist zwar ein folgerichtiger Schritt der Politik, erhöht aber ohne die erforderliche Aufstockung der Investitionsmittel den Druck auf die sonstigen Kostenfaktoren nochmals.

Doch nicht nur der Politik sind Versäumnisse anzulasten. Nicht alle Klinikträger haben rechtzeitig erkannt, welche Gefahr vom Fachkräftemangel ausgeht und zu wenig getan. Mehr Ausbildungsplätze an den Gesundheitsfachschulen, neue Standorte auch in den ländlichen Räumen, enge Kooperationen mit den allgemeinbildenden Schulen vor Ort, kreative Instrumente zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten, eine mitarbeiterorientierte Unternehmens- und Führungskultur: Das sind die Chancen, die wir selbst mit Leben füllen können und müssen.

Doch auch die Arbeitgeber, die sich bei diesen Herausforderungen schon längst auf den Weg gemacht haben, kommen aufgrund der problematischen Rahmenbedingungen an ihre Grenzen. Die besondere Belastung des Personals durch die nun 20 Monate andauernde Coronapandemie drückt die Stimmung zusätzlich. Wir brauchen dringend ein Signal des Aufbruchs.

Der noch auszuhandelnde Koalitionsvertrag muss deutliche Botschaften für die Krankenhäuser und ihre Beschäftigten enthalten: Die Finanzierung muss neu gestaltet werden und eine gute Personalausstattung und wettbewerbsgerechte Bezahlung über alle Berufsgruppen hinweg ermöglichen. Das neue Pflegebudget muss an den hausindividuellen Pflegebedarf gekoppelt werden. Die streitbehaftete und vom Misstrauen der Kostenträger begleitete unbegrenzte Selbstkostendeckung kann damit überwunden werden. Detailverliebte Vorgaben zum Personaleinsatz bis auf die Stationsebene zerstören jede Form der Innovation zu personalentlastenden Maßnahmen oder zu einem angemessenen Qualifikationsmix. Die Zahl der vollstationären Krankenhausfälle kann gesenkt werden, wenn die Politik den Kliniken das Recht einräumt und die Finanzierung ermöglicht, im Grenzbereich von ambulanter und stationärer Versorgung nach medizinischen Kriterien die Versorgungsform zu wählen. Die Bürokratie und die Misstrauenskontrolle muss insgesamt deutlich reduziert werden, damit die Beschäftigten wieder mehr Zeit für die Patienten gewinnen. Und nicht zuletzt brauchen wir eine Investitionsförderung, die qualitativ hochwertige und ressourcenschonende Behandlungsprozesse ebenso ermöglicht wie attraktive Umfeldbedingungen für die Beschäftigten.

Noch ist es nicht zu spät, den Arbeitsplatz Krankenhaus aufzuwerten und wieder so attraktiv zu machen, dass wir im Wettbewerb um engagierte und motivierte Fachkräfte erfolgreich sind. Es steht sehr viel auf dem Spiel, wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt, Gesundheit und Pflege zu sichern.

Dr. Gerald Gass, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)