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Editorial

Krankenhäuser an den Pranger


Für tausende von Toten und zehntausende verlorene Lebensjahre macht die Regierungskommission in ihrer 5. Stellungnahme die Krankenhäuser in Deutschland verantwortlich. Die von Karl Lauterbach bestellte Auswertung von Abrechnungsdaten zur Qualitätsbewertung markiert damit einen neuen Tiefpunkt in der politischen Debatte um die Zukunft der Krankenhausversorgung in Deutschland. Seine Regierungskommission soll nun auch das politische Geschäft für ihren Minister im Streit mit den Bundesländern erledigen. Erledigt hat der Minister aber vor allem eines: seinen Anspruch auf eine wissenschaftlich fundierte Politik und einen wissenschaftlich validen und objektiven Diskurs um Qualität im deutschen Gesundheitswesen. Aus unwissenschaftlichen Analysen abgeleitete plakative Aussagen über vermeidbare Todesfälle bei Krebspatienten und Schlaganfällen sind kein konstruktiver Beitrag zu einer sachlichen politischen Debatte. Den vom Minister beauftragten Autoren sind offensichtlich keine Schlussfolgerungen zu schlicht, um sie nicht für ihre Zwecke zu nutzen.

Auch wenn die Autoren der Studie dies nicht zur Kenntnis nehmen: Kaum ein Versorgungsbereich in Krankenhäusern wird so umfassend durch eigens beauftragte Qualitätsstellen dokumentiert wie die Schlaganfallversorgung. Diese Daten zeigen: Schlaganfallpatienten werden zu über 90 % schnellstmöglich nach einem akuten Schlaganfall in Stroke Units behandelt, um dort mit intensiven Therapien Erfolge zu erzielen. Verbesserungspotenzial im Interesse der Patienten gibt es deshalb allenfalls bei der frühen Erkennung vor der Aufnahme in die Klinik. Abrechnungsdaten sind für diese Qualitätsbeurteilung völlig ungeeignet. Dem Minister ist aber mittlerweile anscheinend nahezu jedes Mittel recht, um seine Vorstellungen von einer kompletten Neuordnung der Krankenhauslandschaft, verbunden mit einem radikalen Kahlschlag, bei den Standorten durchzusetzen. Wenn dies am Ende doch nicht gelingt, weil die Länder auf eine abgestimmte Vorgehensweise und eine kalkulierbare Krankenhausreform setzen, dann wird Karl Lauterbach die von seiner Regierungskommission hochgerechneten Toten und verlorenen Lebensjahre als Preis für die aus seiner Sicht verfehlte Politik der Länder erneut ins Feld führen. So funktioniert Politik über Talkshows und Schlagzeilen.

Am 1. Januar 2024, so Minister Lauterbach jüngst im ZDF-Talk bei Markus Lanz, werde er eine Landkarte im Internet veröffentlichen, auf der die Bürgerinnen und Bürger die Krankenhäuser anklicken könnten und dann in einer Art Nutri Score feststellen, mit welcher Ampelfarbe sie belegt sind. Dass das nicht funktionieren kann, weil es keine validen und risikoadjustierten Ergebnisqualitätsdaten für alle Krankenhausstandorte und alle dort erbrachten medizinischen Leistungen gibt, müsste eigentlich auch der selbst ernannte evidenzbasierte Minister wissen. Aber wer aus den Abrechnungsdaten der Krankenkassen die Zahl der vermeidbaren Toten bei Schlaganfällen hochrechnen können zu glaubt, der schreckt auch vor einem öffentlichen Pranger für Krankenhäuser im Internet nicht zurück.

Krankenhäuser beteiligen sich seit vielen Jahren freiwillig gerade auch im Bereich der Krebstherapie mit großem Engagement an Qualitätssicherungsmaßnahmen und Zertifizierungen.

Nicht genug, dass der Minister die Kliniken bewusst und aktiv in die Insolvenz steuert, um das Geschäft der Standortreduktion den unsichtbaren Marktkräften zu überlassen: Jetzt soll der Qualitätsatlas im Internet den Rest erledigen. Noch kein Minister vor ihm hat es geschafft, die Krankenhausversorgung in Deutschland derart in Misskredit zu bringen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitsversorgung so umfassend zu zerstören. Es geht am Ende um seine Reform und seine Ideen. Völlig egal, ob dabei viele hundert Krankenhausstandorte mit ihren Mitarbeitern, die während der Pandemie unter Einsatz ihre eigenen Gesundheit den Schutz der Bevölkerung gewährleistet haben, unwiederbringlich von der Landkarte gefegt werden. Die Ergebnisse dieser Politik spüren die Menschen zum Teil schon heute, und sie werden jeden Tag sichtbarer. Es droht eine Spaltung der Gesellschaft und der Regionen in die, die sich wegen guter Steuereinnahmen kommunale Zuschüsse in ihre defizitären Kliniken leisten können und die, die die Pleite ihrer Krankenhäuser tatenlos mit anschauen müssen.

DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß