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Thema des Monats

IT und Technik: Die elektronische Patientenakte. Ein Instrument zur Versorgungssteuerung?

IT und Technik: Die elektronische Patientenakte. Ein Instrument zur Versorgungssteuerung?

Prof. Dr. Peter Coy

Die Notwendigkeit, Leistungserbringer und Patienten besser zu vernetzen, wird vielfach beschrieben. Dabei spielt das Thema Digitalisierung der Gesundheitsversorgung eine große Rolle.

Die Erkenntnisse über den umfänglichen Nutzen einer elektronischen Patientenakte sind nicht neu: Ideen zur Umsetzung von elektronischen Patientenakten gibt es bereits seit mehr als 30 Jahren. Seit 2004 ist die elektronische Patientenakte im GKV-Modernisierungsgesetz „gesetzlich verankert“. Durch das in 2016 verabschiedete E-Health-Gesetz wurden die Vorgaben vom Gesetzgeber konkretisiert und so ein zeitlicher Rahmen von der Regierung vorgegeben. Dadurch sollen die Entwicklungen rund um die ePA vorangetrieben werden. Bis Ende 2018 sollten alle Voraussetzungen geschaffen werden, um die Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur anzuschließen: Alle technisch-organisatorischen Maßnahmen für eine sektorenübergreifende Vernetzung sollten umgesetzt sein.

Gesundheitsminister Jens Spahn will nun den Entwicklungsprozess der elektronischen Patientenakte zügig vorantreiben, auch auf dem Smartphone oder Tablet sollen die Patienten Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten haben. Bis 2021 sollen die Angebote für die Krankenkassen verpflichtend sein. Verschiedene Konzepte seitens Industrie und Krankenkassen, wie beispielsweise die App-basierte Gesundheitsakte Vivy, sind bereits auf dem Gesundheitsmarkt angelangt. Die Nachfrage der Patienten nach einem selbstbestimmten Gesundheitsmanagement ist groß, die Politik ist gefragt, die notwendigen einheitlichen Standards festzulegen.

Notwendigkeit einer ePA

In Deutschland führt der demografischen Wandel zu einer stetig wachsenden Anzahl multimorbider und chronisch kranker Menschen. Der Trend zu einer immer mehr spezialisierten Medizin schreitet weiter voran. Die gesundheitliche Versorgung wird dadurch zu einem komplexen Zusammenspiel aus ambulanten, stationären und pflegerischen Einrichtungen. In der Folge sind Informationen asymmetrisch über den ambulanten und stationären Sektor verteilt. Es existiert keine gebündelte Informationssammlung im Gesamtsystem. Der erhobene Digitalisierungsgrad der deutschen Gesundheitswirtschaft schneidet regelmäßig sehr schlecht ab. Lediglich 1,5 % der Gesamtkosten eines Krankenhauses sind den IT-Investitionen zuzuschreiben. In unseren Nachbarländern wie der Schweiz oder Österreich liegt diese Quote bisweilen bei 4 bis 5 %. Der potenzielle Nutzen einer elektronischen Patientenakte wirkt sich nicht nur auf Patienten, sondern auch auf Arztpraxen, Krankenhäuser, Politik als auch Sozialleistungsträger aus. Patienten dürfen durch den Einsatz einer ePA eine bessere Zusammenarbeit mit Leistungserbringern, bessere Versorgungsqualität und die Übernahme von Eigenverantwortung erwarten. Praxen und Krankenhäuser können ihre Prozesse effektiver gestalten, Entscheidungen auf guter Informationslage treffen und durch die Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern ihre Effizienz steigern. Eine reine elektronische oder papierbasierte Befundübermittlung wird einem solchen Anspruch nicht gerecht. Die sehr arbeitsteiligen Prozesse in den Versorgungseinrichtungen und die Fragmentierung des Versorgungssystems insgesamt führen dazu, dass die Behandler immer nur Teilaspekte der Versorgungssituation und des Behandlungsverlaufes ihrer Patienten kennen. Daraus ergibt sich die notwendige Konsequenz, den Einsatz einer einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakte zu ermöglichen. Dies ermöglicht in der Folge die Sicherstellung einer patientenzentrierten, koordinierten und bestmöglichen Versorgung. Damit können sowohl die Versorgungskontinuität als auch die Versorgungsqualität maßgeblich optimiert werden.

Anforderungen

Die Ansprüche an eine ePA sind umfassend: Die Bedürfnisse der heterogenen Nutzergruppen sind unterschiedlich ausgeprägt. Ein chronisch Kranker profitiert beispielsweise über eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit und durch die Reduzierung oder Vermeidung von Doppeluntersuchungen. Nicht erkrankte Versicherte nutzen die ePA vermutlich eher zu Präventionszwecken. Die Ärzteschaft wiederum hat den primären Fokus auf die für die Behandlung notwendigen relevanten Daten, die für Diagnose, Indikationsstellung und die Weiterbehandlung notwendig sind. Durchsetzen kann sich letztlich das System, welches den Anforderungen der unterschiedlichen Nutzergruppen gerecht wird und eine hohe Praktikabilität im Versorgungsalltag sicherstellt.

Schutz und Sicherheit der Patientendaten

Der Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit kommt aufgrund der Neuartigkeit der Datensammlung und der Sensibilität der gesammelten Daten eine extrem hohe Bedeutung zu. Personenbezogene Daten unterliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit. Durch die Digitalisierung der Kommunikationswege zwischen Krankenhäusern, Versicherungen, Arztpraxen und Patienten entstehen neue höchst sensible Gesundheitsdatensätze. Die Struktur der Datenverarbeitung und der Datenfluss müssen zwingend transparent gemacht werden.

Technische Vernetzung

Basis für die technische Vernetzung im Gesundheitswesen ist die Telematikinfrastruktur und damit der Einsatz von definierten IT-Standards im Gesundheitswesen. Die Interoperabilität der einzelnen Systeme muss sichergestellt werden und eine Kommunikation über die Systemgrenzen der Primärsysteme hinaus bis hin zum Patienten muss möglich sein. Ein technisches System soll ermöglichen, was rechtlich zulässig ist und unterbinden, was rechtlich unzulässig ist, auch um den datenschutzrechtlichen Ansprüchen zu genügen.

Ethische Anforderungen

Bei der ethischen Beurteilung ist angesichts begrenzt verfügbarer Ressourcen im Gesundheitswesen besonders die Effizienz technischer Neuerungen mit einzubeziehen. Im Fokus stehen ebenso die Datensouveränität und das Recht der informationellen Selbstbestimmung sowie die Auswirkungen auf die Patientenautonomie als auch auf die Arzt-Patienten-Beziehung. Die ePA darf nicht nur als reines Dokumentationsinstrument angesehen werden, sondern muss nachhaltig als Kommunikationsinstrument in die Gesundheitsversorgung zwischen Arzt und Patienten und unter den Leistungserbringern etabliert werden – orientiert am Nutzen für den Patienten.

Hürden

Die Behandlungsqualität verbessern, Transparenz schaffen, Doppeluntersuchungen vermeiden, die Digitalisierung vorantreiben: Das alles sind logische und gute Konzepte, die mit der Anwendung einer elektronischen Patientenakte verfolgt werden können. Der Weg hin zu einem digitalen und damit fortschrittlichen Gesundheitswesen ist allerdings vor einige Herausforderungen gestellt. Nicht zuletzt deshalb, weil die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen, etwa die Partner der Selbstverwaltung, im Prozess der Einführung mit unterschiedlichen Interessen und Wünschen auftreten, was mitunter zu Kompetenzstreitigkeiten führt. Dies erschwert die Suche nach einer Gesamtlösung, die für alle Beteiligten akzeptabel wäre. Im Rahmen der notwendigen Digitalisierung des Gesundheitswesens ist die Einführung der elektronischen Patientenakte ein hochkomplexer gesellschaftlicher und technischer Prozess, dessen verzögerte nationale Entwicklungen eher ein politisch-institutionelles als ein technisches Problem zugrunde liegt. Innovationshürden bei der Umsetzung sind verbunden mit der Realisierung des Datenschutzes und der Datensicherheit, der Diskussion um die Datenhoheit und der ärztlichen Schweigepflicht, der Regelung von Rechten und Pflichten für Patienten und Leistungserbringer, der Einigung auf technische Richtlinien, der Etablierung einheitlicher Dokumentationsstandards, fehlende Standardisierung und Interoperabilität, ein fehlender Austausch zwischen einzelnen E-Health-Projekten, fehlende gesetzliche Vorgaben und Regularien sowie der Deckung notwendiger Investitions- und Betriebskosten.

Ausblick

Aus internationalen Erfahrungen zeigt sich, dass vor allem diejenigen Nationen eine elektronische Patientenakte erfolgreich einführen konnten, die vorab einen spezifischen Rechtsrahmen für der Rechte und Pflichten der Leistungserbringer als auch des Patienten als Nutzer des Systems geschaffen haben. Der Referentenentwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vom 23. Juli 2018 bringt bereits Neuregelung für die Telematikinfrastruktur und die elektronische Patientenakte mit. Für den Zugriff über mobile Endgeräte muss die gematik gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Lösungen für die Umsetzung der technischen Anforderungen bis zum März 2019 erarbeiten. Zudem soll die ePA zentral auf einem Server gespeichert werden, was vor allem Datenschützer hellhörig werden lässt. Eine gigantische Sammlung sensibler Gesundheitsdaten ist für Hacker ein attraktives Ziel von hohem finanziellem Wert. Zusammengefasst bringen die bisher getroffenen Rahmenbedingungen noch zu wenig Klarheit im Umgang mit einer elektronischen Patientenakte. In der Diskussion stehen weiterhin die Schwierigkeiten bei der Umsetzung komplexer technischer Standards, die mit einer sektorenübergreifenden Vernetzung verbunden sind, wie beispielsweise Lieferschwierigkeiten der Konnektoren, die die Praxen an die Telematikinfrastruktur anschließen sollen. Aufgrund fehlender Spezifikation, zeitlichen Verzögerungen, komplexen technischen Konzepten und ungeklärter Finanzierungregelungen fehlt bislang das Vertrauen in die Telematikinfrastruktur. Die Krankenkassen sahen sich aufgrund der zeitlichen Verzögerung der Politik gezwungen, eigene Lösungen einer Gesundheitsakte zu entwickeln. Noch ist unklar, wie diese zukünftig neben der ePA bestehen können, denn ein Wust an Insellösungen sollte bestenfalls verhindert werden. Es bestehen also berechtigte Zweifel, ob der Zeitplan der gematik zur Umsetzung der ePA bis zum Jahr 2021 realistisch ist. Es bleibt zu hoffen, dass das geplante E-Health-Gesetz II eine mögliche Klarstellung im Umgang mit den verschieden Aktensystemen bringt.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. h.c. Peter Coy, Wiesbaden Business School, Studiengang Gesundheitsökonomie, Bleichstraße 44, 65183 Wiesbaden