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Politik

Digitalisierungsrückstand deutscher Krankenhäuser: Bilanz und Ursachen

Digitalisierungsrückstand deutscher Krankenhäuser: Bilanz und Ursachen

Zum WIdO-Krankenhaus-Report 2019

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat seinen diesjährigen Krankenhaus-Report dem Thema Digitalisierung im Krankenhaus gewidmet. Zahlreiche Wissenschaftler untersuchen im Report den aktuellen Digitalisierungsgrad sowie die zentralen Herausforderungen der Krankenhäuser.

Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser im internationalen Vergleich

Vor allem die Analyse verschiedener Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin fand große Beachtung in den Medien.[1] Diese analysierten mit dem weithin anerkannten „Electronic Medical Record Adoption Model“ (EMRAM)[2] den Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser und ordneten diesen im internationalen Vergleich ein. Im Ergebnis sehen die Wissenschaftler einen erheblichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung in den Krankenhäusern. Auf einer Skala von 0 bis 7 erreichten die untersuchten 167 deutschen Krankenhäuser einen Wert von 2,3 und lagen damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 3,6. Besonders auffällig ist, dass 38,3% der Krankenhäuser nicht die Anforderungen für Stufe 1 erfüllten und damit kaum über digitale Infrastruktur verfügten. Gleichzeitig erreichte kein deutsches Krankenhaus die höchste Stufe. Zudem zeigten sich Auffälligkeiten hinsichtlich der Krankenhausstruktur. Während bei Kranken­häusern mit mehr als 500 Betten der EMRAM-Wert durchschnittlich 3,4 betrug, lag der Mittelwert von kleinen Krankenhäusern mit weniger als 200 Betten lediglich bei 1,3.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kamen auch Wissenschaftler der Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen an der Hochschule Osnabrück[3]. Diese erheben seit 16 Jahren mittels einer Umfrage im Rahmen des IT-Reports Gesundheitswesen den Stand der IT-Durchdringung in deutschen Krankenhäusern. An der letzten Befragungsrunde für das Jahr 2017 nahmen insgesamt 205 IT-Verantwortliche teil, die teilweise für mehrere Krankenhäuser zuständig waren. Dabei erreichten die deutschen Krankenhäuser im Durchschnitt 55 von 100 möglichen Punkten. Innerhalb der Untersuchung ist auch eine Unterscheidung nach Prozessebenen möglich. Überdurchschnittliche Werte (65 Punkte) konnte die OP-Vorbereitung verzeichnen. Dagegen war die Aufnahme mit einem Mittelwert von 44 Punkten am geringsten digitalisiert. Darüber hinaus wurde auch die Innovationsfähigkeit der Krankenhäuser analysiert. Während die Anwenderorientierung des IT-Bereichs mit 75 von 100 möglichen Punkten gut abschnitt, hatte die Innovationskultur mit 44 Punkten noch deutlichen Nachholbedarf.

Damit ergänzt der WIdO-Krankenhaus-Report 2019 ­- ohne wirklich weitergehende Informationen zu generieren – eine Reihe von Analysen, die dem deutschen Gesundheitswesen insgesamt einen erheblichen Digitalisierungsrückstand bescheinigen.[4] Im Wirtschaftsindex „Digital 2018“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ist das Gesundheitswesen mit durchschnittlich 37 von 100 Punkten die am geringsten digitalisierte Branche. Ihr wird jedoch das prozentual größte Wachstum in den nächsten fünf Jahren vorhergesagt.[5] 

Ursachen für bestehenden Nachholbedarf sind vielfältig

Leider vergibt das WIdO an dieser Stelle die Chance auf einen größeren Erkenntnisgewinn, indem es auf eine umfangreiche Ursachenforschung verzichtet. Stattdessen wird insbesondere in der anlässlich der Veröffentlichung des Krankenhaus-Reports verfassten Pressemitteilung den Krankenhäusern einseitig die Verantwortung für den digitalen Nachholbedarf zugeschoben. Gerade bei der Einführung neuer Technologien zeigt sich jedoch, dass das Gesundheitswesen ein sehr komplexes und zugleich stark reguliertes Umfeld ist.[6] Zu häufig können wichtige Innovationen aufgrund institutioneller Blockaden erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung eingeführt werden.[7] Krankenhäuser für diese Umstände und Entwicklungen verantwortlich zu machen, ist vor diesem Hintergrund nicht nur inhaltlich falsch, sondern verkennt auch das Interesse der Krankenhäuser, digitaler zu werden.

Mangelhafte Investitionsfinanzierung

Befragungen von Krankenhäusern belegen deren Bereitschaft zur Digitalisierung deutlich. Die von der Unternehmensberatung Roland Berger jährlich durchgeführte Krankenhaus-Studie ergab, dass die Krankenhäuser Digitalisierung in allererster Linie als Chance verstehen.[8] Jedoch verdeutlicht diese Studie auch die „Zwickmühle“[9], in der sich die Krankenhäuser befinden: Viele möchten digitaler werden, ihnen fehlen jedoch die dafür notwendigen Investitionsmittel. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung beziffern allein den bestandserhaltenden Investitionsbedarf der Krankenhäuser bundesweit auf mehr als 6 Mrd. € jährlich. Aktuell kommen die Bundesländer jedoch nur für ungefähr die Hälfte des errechneten Bedarfs auf. Die Folge ist, dass die Krankenhäuser notwendige Investitionen in die Digitalisierung eigenständig finanzieren müssen, was nicht selten nur über Kredite erreicht werden kann. Die ohnehin bedrohliche wirtschaftliche Situation[10] vieler Krankenhäuser wird damit noch verstärkt und der Rückstand im Bereich der Digitalisierung vergrößert. Während hochgradig digitalisierte Krankenhäuser im Ausland bis zu 5 % ihres Umsatzes in digitale Prozesse investieren, können deutsche Krankenhäuser nur selten mehr als 2% aufwenden.[11]

Forscher fordern staatliches Förderprogramm „Digital Boost“

Auf diese Problematik weist auch der aktuelle Krankenhaus-Report hin. So konstatieren Boris Augurzky und Andreas Beivers: „Da die Digitalisierung in einem Krankenhausunternehmen ein groß angelegtes Projekt ist, sind dafür enorme Investitionen notwendig. Die Knappheit der Investitionsfördermittel für Krankenhäuser erschwert es aber, solche Großprojekte umzusetzen“.[12] Aus diesem Grund plädieren die Autoren dafür, ein auf acht Jahre befristetes staatliches Investitionsprogramm aufzulegen. Dieser „Digital Boost“ besteht zu zwei Dritteln aus Bundes- und einem Drittel aus Ländermitteln und hätte ein Volumen von 1,08 Mrd. € jährlich. Damit könnten verschiedene Maßnahmen der Digitalisierung finanziert werden. Selbst mit diesem Förderprogramm könne die Förderlücke allerdings nicht vollständig geschlossen werden. Sie diene vielmehr der Entlastung der Krankenhäuser. Diese Zahlen verdeutlichen, wie groß der Bedarf der Krankenhäuser an Investitionsmitteln für die Digitalisierung ist. Erstaunlicherweise wurde dieser Befund nur unzureichend in der Öffentlichkeit thematisiert.

Verfügbare Infrastruktur

Um digitale Anwendungen sinnvoll nutzen zu können, ist eine ausreichende Infrastruktur unverzichtbar. Besonders im Gesundheitswesen, einem sehr datenintensiven Wirtschaftsbereich[13], ist ein Breitbandanschluss für eine schnelle Datenübertragung essenziell. Hier zeigt sich, dass Deutschland erheblichen Nachholbedarf beim Breitbandausbau hat. Laut Statistischem Bundesamt verfügten lediglich 12 % aller Wirtschaftsunternehmen über einen Internetanschluss mit einer Geschwindigkeit von 100 Mbit oder mehr.[14] Eine Befragung der Krankenhäuser im Rahmen des WIdO-Krankenhaus-Reports ergab, dass lediglich 30 % der Kliniken über einen Breitbandanschluss mit mindestens 50 Mbit an das Internet angeschlossen sind[15]. Selbst diese Geschwindigkeit reicht nicht aus, um in akzeptabler Zeit eine große Datenmenge zu transferieren. Digitalisierung kann erst dann einen vollumfänglichen Nutzen haben, wenn der Datenaustausch zwischen Leistungserbringern gewährleistet ist. Eine geringe Internetgeschwindigkeit ist dabei ein zentrales Hindernis. Die Digitalisierungsbemühungen der Kliniken werden dadurch zusätzlich behindert.

Datensicherheit und Datenschutz

Neben dem erschwerten Datenaustausch sind Krankenhäuser mit besonderen Herausforderungen im Bereich der Datensicherheit und des Datenschutzes konfrontiert. Dabei kursiert der Vorwurf, in Deutschland würde ein überzogenes Datenschutzbewusstsein vorherrschen, auf das sich die Krankenhäuser berufen, um die Digitalisierung zu bremsen. Zweifelsohne können bestimmte Regelungen hinterfragt werden, jedoch sind gesundheitsbezogene Daten unbestreitbar besonders schützenswert. Dies schreibt nicht zuletzt die EU-weite Datenschutzgrundverordnung fest. Auch infolge des IT-Sicherheitsgesetzes von 2015 wird der Cyber-Sicherheit im Gesundheitswesen eine größere Bedeutung eingeräumt.[16] Trotz oder wegen dieser rechtlichen Verpflichtungen bleiben für die Krankenhäuser jedoch erhebliche Rechtsunsicherheiten, die bislang nicht ausgeräumt werden konnten. Vielfach bleibt unklar, welche gesetzliche Grundlage gilt.[17] Eine Harmonisierung fand bislang nicht statt.

Zu diesen rechtlichen Unsicherheiten kommt die wachsende Gefahr von Cyber-Attacken hinzu. Im Rahmen der Krankenhaus-Studie von Roland Berger gaben fast 60 % der Befragten an, bereits Opfer von Hackerangriffen geworden zu sein.[18] Zum Schutz sensibler Patientendaten sind daher besondere Maßnahmen notwendig, die kostenintensiv und aufwendig sind. Auch vor diesem Hintergrund ist der häufig angebrachte Blockadevorwurf gegenüber den Krankenhäusern nicht haltbar.

Digitalisierung im Krankenhaus – weitaus komplexer als gedacht

Diese Einflussfaktoren, die maßgeblich durch eine aktive Gesundheitspolitik gestaltet und verändert werden könnten, sind zentrale Hindernisse für eine umfassende Digitalisierung der Krankenhäuser. Auf diese Ursachen geht der diesjährige Krankenhaus-Report jedoch nur unzureichend ein. Stattdessen beschränkt er sich auf einen Nachweis des bestehenden Nachholbedarfes im Bereich der Digitalisierung der Krankenhäuser. Dadurch bleibt der Erkenntnisgewinn des Krankenhaus-Reports gering, denn dies haben bereits zahlreiche andere Untersuchungen ergeben.

Damit Krankenhäuser digital aufholen können, sind sie endlich auf eine bessere Finanzierungsgrundlage zu stellen. Insbesondere die Bundesländer müssen dringend ihren Verpflichtungen nachkommen und den bestehenden Mangel bei der Investitionsfinanzierung beheben. Darüber hinaus muss neben dem finanziellen Sonderprogramm in Höhe von ca. einer Mrd. € pro Jahr, das auch Augurzky und Beivers im Krankenhaus-Report fordern, ein Digitalisierungszuschlag in Höhe von 2 % auf jede Krankenhausabrechnung eingeführt werden.

Anmerkungen

[1] Vergleiche Stephani, Victor/ Busse, Reinhard /Geissler, Alexander (2019): Benchmarking der Krankenhaus-IT: Deutschland im internationalen Vergleich. In: Klauber/Geraedts/Friedrich/Wasem (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2019. Berlin: Springer Open, Seite 17-32.

[2] Gocke, Peter (2018): Das digitale Krankenhaus. In: Janssen/Augurzky (Hrsg.): Krankenhauslandschaft in Deutschland. Zukunftsperspektiven – Entwicklungstendenzen – Handlungsstrategien. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, Seite 188.

[3] Vergleiche Hübner, Ursula / Liebe, Jan-David / Esdar, Moritz et al. (2019): Stand der Digitalisierung und des Technologieeinsatzes in deutschen Krankenhäusern. In: Klauber / Geraedts / Friedrich / Wasem (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2019. Berlin: Springer Open, Seite 33-48.

[4] Siehe dazu u.a. Baierlein, Jochen (2017): Grad der Digitalisierung im Gesundheitswesen im Branchenvergleich – Hinderungsgründe und Chancen. In: Pfannstiehl / Da-Cruz / Mehlich (Hrsg.): Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen II – Impulse für das Management. Wiesbaden: Springer, Seite 1-12.

[5] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2018): Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL 2018, S. 13. Abrufbar unter: www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/monitoring-report-wirtschaft-digital-2018-langfassung.pdf

[6] Bork, Ulrich / Weitz, Jürgen (2019): Cloud Computing im Gesundheitswesen – Mehr Chancen als Risiken. In: Deutsches Ärzteblatt 14/116, Seite 679.

[7] Augurzky, Boris (2018): Zwischen Shareholder Value und roten Zahlen – Die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser. In: Janssen / Augurzky (Hrsg.): Krankenhauslandschaft in Deutschland. Zukunftsperspektiven – Entwicklungstendenzen – Handlungsstrategien. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, Seite 74.

[8] Rong, Oliver / Magunia, Peter (2018): Roland Berger Krankenhausstudie 2018. Abrufbar unter: www.rolandberger.com/de/Publications/Innovationsbedarf-in-deutschen-Krankenh%C3%A4usern.html

[9] Krüger-Brand, Heike E. (2017): Digitalisierung im Krankenhaus: Der Infrastruktur fehlt die Finanzierung. In: Deutsches Ärzteblatt 48/114, Seite 2258.

[10] Auf Standortebene schrieb 2015 fast jedes dritte Krankenhaus einen Jahresverlust, siehe Augurzky (2018), Seite 64.

[11] Weckerling, Sarah (2019): Metamorphose zum Hotspot für E-Health. In: Ärzte Zeitung 44/2019, S. 14.

[12] Augurzky, Boris / Beivers, Andreas (2019): Digitalisierung und Investitionsfinanzierung. In: Klauber / Geraedts / Friedrich / Wasem (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2019. Berlin: Springer Open, S. 74.

[13] Bork, Ulrich / Weitz, Jürgen (2019): Cloud Computing im Gesundheitswesen – Mehr Chancen als Risiken. In: Deutsches Ärzteblatt 14/116, Seite 682.

[14] Statistisches Bundesamt (2018): Statistisches Jahrbuch 2018 – Deutschland und Internationales, S. 536. Abrufbar unter: www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2018-dl.pdf

[15] Stephani, Victor / Busse, Reinhard / Geissler, Alexander (2019): Benchmarking der Krankenhaus-IT: Deutschland im internationalen Vergleich. In: Klauber / Geraedts / Friedrich / Wasem (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2019. Berlin: Springer Open, Seite 29.

[16] Karbach, Philipp / Reiher, Michael (2017): Digitalisierung in den Versorgungssektoren: Aktueller Stand und Perspektiven. In: Pfannstiehl / Da-Cruz / Mehlich (Hrsg.): Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen I – Impulse für die Versorgung. Wiesbaden: Springer, S. 246.

[17] Vergleiche Krüger-Brand, Heike E, (2019): Gesundheitsdatenschutz – Die Komplexität nimmt zu. In: Deutsches Ärzteblatt 15/116, Seite 725-728.

[18] Rong, Oliver (2018): Umfassende Digitalisierung befindet sich noch in den Anfängen. Abrufbar unter: https://www.rolandberger.com/de/Point-of-View/Digitalisierung-im-Krankenhaus.html

Anschrift des Verfassers

Jan Eilrich, Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., Dezernat Politik, Wegelystr. 3, 10623 Berlin