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Politik

Perinatalzentren: Personalanforderungen nicht verantwortbar

Perinatalzentren: Personalanforderungen nicht verantwortbar

QFR-RL-Übergangsregelung zur Erfüllung von Personalvorgaben verlängert

Der G-BA hat in seiner Sitzung am 20. Juni 2019 angekündigt, die Übergangsregelung zur Erfüllung der Personalvorgaben zu verlängern. „Es besteht Einigkeit darüber, dass die zum 31. Dezember 2019 endende Übergangsregelung zur Erfüllung der Personalvorgaben verlängert werden muss. Es werden bereits verschiedene Szenarien beraten, um dem Personalmangel Rechnung zu tragen, ohne die ja aus gutem Grund bestehenden hohen Qualitätsanforderungen an Perinatalzentren auszuhöhlen. Der G-BA wird im Juli 2019 das Stellungnahmeverfahren zu den Regelungsvorschlägen einleiten, um hier zügig zu einer Lösung zu kommen“, erklärte der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken.

Hintergrund war ein Antrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) für die Sitzung des G-BA am 20. Juni 2019 auf kurzfristige Anpassungen der QFR-RL. Nach kontroverser Debatte und Drängen der DKG konnte schließlich Einigkeit darüber hergestellt werden, dass die zum 31. Dezember 2019 endende Übergangsregelung zur Erfüllung der Personalvorgaben verlängert werden muss. Durch die Verlängerung des Zeitraums für einen „klärenden Dialog“ mit den Perinatalzentren wird die Gefährdung der intensivmedizinischen Versorgung von Früh- und Reifgeborenen ab dem 1. Januar 2020 zunächst abgewendet. „Das ist ein wichtiges Signal für die Kliniken. Der G-BA ist uns in der grundsätzlichen Beurteilung gefolgt. Die drohende Einschränkung von verfügbaren Kinderintensivplätzen aufgrund zu rigider Personalvorgaben kann damit für 2020 abgewendet werden“, erklärt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG. Die Selbstverwaltungspartner müssten nun so schnell wie möglich die notwendigen Anpassungen beschließen.

Von den 211 auf www.perinatalzentren.org gelisteten Perinatalzentren gaben 191 an, die Anforderungen der Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen (QFR-RL) an die pflegerische Versorgung nicht zu erfüllen. Sie befinden sich im sogenannten „klärenden Dialog“. Im klärenden Dialog wird durch das Lenkungsgremium auf Landesebene im Rahmen der Übergangsregelung eine Zielvereinbarung mit der betroffenen Klinik über die konkreten Schritte und Maßnahmen zur schnellstmöglichen Erfüllung der Personalvorgaben getroffen. Die Übergangsregelung für Krankenhäuser die Anforderungen an die pflegerische Versorgung nicht erfüllen, sollte laut QFR-RL nach dem 31. Dezember 2019 enden. Erfüllen Krankenhäuser bis dahin die Kriterien nicht, dürften sie ab dem 1. Januar 2020 keine Frühgeborenen versorgen.

„Die Scharfstellung der Pflegepersonalanforderungen auf den neonatologischen Intensivstationen zum 1. Januar 2020 kann nicht verantwortet werden. Wenn von 211 Perinatalzentren 191 die Anforderungen nicht erfüllen können, müssen die Anforderungen an die Realität und Machbarkeit angepasst werden“, erklärt Georg Baum. Ausschlaggebend für die Situation seien nicht ein fehlender Wille in den Krankenhäusern, sondern objektive Gegebenheiten: die fehlende Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal auf dem Arbeitsmarkt, unkalkulierbares Patientenaufkommen und unvorhersehbarer Personalausfall. Gründe, auf die das Krankenhaus praktisch keinen Einfluss hat.

Die vielen Fachdialoge mit den Kliniken, die die Normen nicht jederzeit erfüllen konnten, machten deutlich, dass die Anforderungen an die Versorgungsrealität der Krankenhäuser angepasst werden können, ohne dass die Versorgung auf den Kinderintensivstationen beeinträchtigt wird. Denn die größte Gefährdung für die Säuglinge ist der Weitertransport zu anderen Zentren, wenn aufgrund der zu engen und restriktiven Anwendung der Personalvorgaben Intensivplätze abgemeldet werden müssen. Normative Vorgaben dürfen nicht zur lebensbedrohlichen Falle für Frühchen werden.

Im Mittelpunkt einer versorgungsgerechten Anpassung müsse eine Flexibilisierung für die Erfüllung der extrem hohen Mindestanforderung einer 1:1 bzw. 1:2 Besetzung mit Pflegefachpersonal geschaffen werden. Dass von dieser Mindestanforderung nur maximal zwei Schichten abgewichen werden kann, ist eine viel zu enge Vorgabe. „Der Flexibilitätskorridor muss erweitert werden“, fordert Baum. Die DKG hat konkrete Vorschläge gemacht und eine kurzfristige Anpassung der Personalanforderungen der Richtlinie gefordert.

Die Änderungsvorschläge betreffen neben der Verlängerung des klärenden Dialogs eine befristete, stichtagsbezogene Anrechenbarkeit von berufserfahrenen und fachweitergebildeten Gesundheits- und Krankenpflegekräften auf den Pflegedienst und eine Berücksichtigung von sich in einer Fachweiterbildung befindendem Pflegepersonal auf die Fachweiterbildungsquote. Auch eine Verlängerung der bisherigen Anrechenbarkeit von berufserfahrenen Gesundheits- und Krankenpflegekräften auf die Fachweiterbildungsquote, die Berücksichtigung von Ausnahmetatbeständen, die Streichung bzw. Flexibilisierung des Zwei-Schicht-Kriteriums sowie eine Entlastung bei der Dokumentation sind gefordert.

GKV-SV und DKG hatten über entsprechende Änderungen der Personalanforderungen monatelang beraten und in der zuständigen Arbeitsgruppe des G-BA gemeinsam einen Beschlussentwurf erarbeitet. Dieser Beschlussentwurf wurde in der Sitzung des Unterausschusses Qualitätssicherung im Mai 2019 beraten. Zu dieser Sitzung legte der GKV-SV unerwartet umfassende Änderungsvorschläge vor, die aus Sicht der DKG eine grundlegende Abweichung vom bisherigen konsentierten Beratungsstand darstellten und entsprechend umfangreiche Beratungen erfordern werden.

Personalanforderungen der QFR-RL

Die QFR-RL bestimmt anhand eines risikobezogenen Stufenkonzeptes (Perinatalzentren Level 1 und 2, Perinataler Schwerpunkt und Geburtsklinik) die jeweils vorzuhaltenden Strukturen und Prozessmerkmale sowie die Mindestanforderungen an deren Qualität. Hier sind unter anderem die Anforderungen an die pflegerische Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm festgelegt. Auf der neonatologischen Intensivstation eines Perinatalzentrums muss jederzeit mindestens eine Kinderkrankenpflegerin oder ein -krankenpfleger je intensivpflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1 500 Gramm verfügbar sein. Bei intensivüberwachungspflichtigen Frühgeborenen gilt ein Schlüssel von 1:2. Zudem müssen 40 % der Pflegekräfte auf neonatologischen Intensivstationen (Level 1-Zentren) Kinderkrankenpflegekräfte sein, die die Fachweiterbildung „pädiatrische Intensivpflege“ absolviert haben. In Level 2-Zentren ist ein Anteil von 30 % vorgesehen.

Als Nachweis für die Erfüllung des Personalschlüssels für die pflegerische Versorgung auf neonatologischen Intensivstationen gilt eine dokumentierte Erfüllungsquote von mindestens 95 % aller Schichten des vergangenen Kalenderjahres. Dabei dürfen nicht mehr als zwei Schichten, in denen die in der Richtlinie vorgegebenen Personalschlüssel nicht erfüllt werden, direkt aufeinanderfolgen.

Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung auf ihrer Intensivstation nicht erfüllen, sind seit dem 1. Januar 2017 verpflichtet, dies dem G-BA unter Angabe der konkreten Gründe unverzüglich mitzuteilen. In diesem Fall werden mit dem Krankenhaus auf Landesebene konkrete Schritte und Maßnahmen zur schnellstmöglichen Erfüllung der Personalvorgaben vereinbart: Die Details des einzuleitenden klärenden Dialogs und der Zielvereinbarung hat der G-BA mit Beschluss vom 18. Mai 2017 geregelt.

RWI-Studie zeigt: Richtlinie gefährdet flächendeckende Versorgung von Frühgeborenen

Dass die Richtlinie die flächendeckende Versorgung von Frühgeborenen akut gefährdet, zeigt eine von der Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) in Auftrag gegebenen Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Demnach liegt die geschätzte Wahrscheinlichkeit einer Nichterfüllung zwischen 25 und 100 %. Auch Zentren für Neu- und Frühgeborene (Perinatalzentren) mit dem zurzeit besten Erfüllungsgrad werden im Durchschnitt alle vier Jahre die Personalvorgaben der Richtlinie verletzen und damit die Versorgung stoppen müssen.

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NKG: Versorgung von Frühgeborenen akut gefährdet

 „Sollte die Richtlinie nicht durch den G-BA geändert werden, dann dürfen viele dieser Zentren ab dem 1. Januar 2020 keine Frühgeborenen mehr versorgen“, so NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke: Das hätte zur Folge, dass Frühgeborene möglicherweise unter lebensbedrohlichen Risiken in andere Krankenhäuser verlegt werden müssten.

Dr. Thomas Beushausen, Ärztlicher Direktor Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover sieht als ausschlaggebend für die Situation vor allem die fehlende Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal auf dem Arbeitsmarkt, unkalkulierbares Patientenaufkommen und unvorhersehbaren Personalausfall: „Das sind Gründe, auf die das Krankenhaus praktisch keinen Einfluss hat.“

Erhebungen bei den niedersächsischen Krankenhäusern machen laut Engelke deutlich, dass die Anforderungen an die Versorgungsrealität der Krankenhäuser angepasst werden können, ohne dass die Versorgung auf den Kinderintensivstationen beeinträchtigt werde. Denn die größte Gefährdung für die Säuglinge sei der Weitertransport zu anderen Zentren, wenn aufgrund der zu engen und restriktiven Anwendung der Personalvorgaben Intensivplätze abgemeldet werden müssten: „Normative Vorgaben dürfen nicht zur lebensbedrohlichen Falle für Frühchen werden.“

Im Mittelpunkt einer versorgungsgerechten Anpassung müsse eine Flexibilisierung für die Erfüllung der extrem hohen Mindestanforderung einer 1:1 beziehungsweise 1:2 Besetzung mit Pflegefachpersonal stehen, so Engelke. Dass von dieser Mindestanforderung nur maximal zwei Schichten abgewichen werden könne, sei eine viel zu enge Vorgabe. Die Kliniken bräuchten mehr Möglichkeiten, das erforderliche Personal auch über langjährig im Bereich der Neonatologie tätige Pflegekräfte sicherzustellen. Hier müssten die Übergangszeiträume für die Anerkennung der Pflegekräfte ebenfalls erweitert werden.

„Krankenhäuser werden die Versorgung von Frühgeborenen nicht einstellen, aber der Widerspruch zwischen Realität und Regelwerk muss jetzt aufgelöst werden und der hierzu dringend notwendige Beschluss kann nicht zu Lasten der Frühgeborenen aufgeschoben werden“, so der Verbandsdirektor.

Die NKG fordert von den Krankenkassen, im G-BA die erforderlichen Korrekturen an der bestehenden Richtlinie nicht zu verweigern. Ansonsten müsse der Gesetzgeber durch entsprechende Vorgaben eingreifen. Fachpersonalknappheit dürfe durch überzogene Vorgaben nicht auch noch verstärkt werden.