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Sachsen steckt schon im Transformationsprozess


Friedrich R. München, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen e. V., warnt vor Versorgungseinschränkungen durch das KHVVG. Foto: Susann Friedrich Fotografie

In Sachsen hat niemand auf die große „Klinik-Revolution“ von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gewartet. Um bedarfsnotwendige Kliniken - vor allem im ländlichen Raum - einerseits für die Gesundheitsversorgung zu erhalten, andererseits auch für die ambulante Versorgung zu öffnen, ermöglicht das sächsische Krankenhausgesetz Kliniken, sich als Gesundheitszentren auszuweisen und weiterhin als bedarfsnotwendig im Landeskrankenhausplan zu stehen. Diese Kliniken bieten eine ambulante und eine stationäre Versorgung an, als ambulant-stationäre Gesundheitszentren. Am 1. Januar 2023 trat das Gesetz in Kraft. So will man im Flächenland Sachsen Kliniken als Ankerpunkte der Versorgung halten. Statt wie Lauterbach auf der Makroebene eine Krankenhausplanung schematisch für ganz Deutschland zu machen, findet in Sachsen die Klinikreform auf Mikroebene längst statt, und zwar dicht dran am Bedarf der Patienten der jeweiligen Region.

Seit 2018 gibt es in Sachsen zudem Regionalkoordinatoren, zunächst in zwei Modellregionen, in Weißwasser im Landkreis Görlitz und im Erzgebirgskreis. Durch die positiven Erfahrungen in den beiden Modellregionen entschied der Freistaat allen Landkreisen eine dauerhafte Finanzierung von Regionalkoordinatoren zu ermöglichen über die sogenannte Kommunalpauschale. Jeder Landkreis hat somit die Option, Regionalkoordinatoren zu beschäftigen mit einer 100-prozentigen Finanzierung. Inzwischen gibt es sechs Regionalkoordinatoren, quasi als Kümmerer für den ambulanten und stationären Bereich. Ein solcher Kümmerer ist Markus Cording. Er ist seit 2018 Projektkoordinator für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung im Landratsamt Görlitz. Cording ist Ansprechpartner für die Krankenkassen, die Landesärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die Landeskrankenhausgesellschaft, das Sozialministerium, das Landratsamt, den Bürgermeister und die Bürger. „Damit wird die Rolle der Kommunen als Kümmerer für die stationäre und ambulante Versorgung deutlich aufgewertet“, sagt Cording. Zudem verbessere er durch seine Aufgabe die Dialogkultur zwischen den Körperschaften.

Regionalkoordinatoren als Kümmerer vor Ort

Cording war unter anderem als Rettungssanitäter, als Leiter Rettungsdienst für den Landkreis Görlitz, als Landesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes in Sachsen tätig und hatte im Auftrag der Krankenkassen den Sicherstellungsauftrag der notärztlichen Versorgung in Sachsen aufgebaut. Er ist vernetzt mit den Verantwortlichen des Gesundheitswesens vor Ort.

Im Landkreis Görlitz gibt es acht Klinikstandorte. Darunter befindet sich auch der Klinikstandort Weißwasser, in der Trägerschaft vom Landkreis Görlitz, der als kleiner Regelversorger jetzt in ein „ambulant-stationäres Gesundheitszentrum“ umgewandelt wurde und immer noch wird. Das Leistungsportfolio der Klinik wurde eingeschränkt. Die Innere Medizin und die Chirurgie werden nach wie vor stationär vorgehalten, ebenso wie die Gynäkologie. Die Kinderheilkunde wurde geschlossen. Etwa 200 Kinder wurden dort im Jahr noch versorgt. „Damit kann man natürlich keine Pädiatrie mehr erhalten“, sagt Cording. Die Alternative jetzt: Die Pädiatrie wird ambulant neu aufgebaut. „Wir konnten das stationäre pädiatrische Personal überzeugen, in die ambulante Tätigkeit zu gehen“, sagt Cording. Die Notfallversorgung der Versorgungsstufe 1 wird ebenfalls am Standort weiter behalten. Ambulant werden zudem die Chirurgie und die Gynäkologie angeboten.

Um noch Ärzte, auch Ärzte in der Ausbildung, an den Standort zu locken wurden Netzwerke mit Maximalversorgern gebildet sowie ein Weiterbildungsverbund mit ambulanten Ärzten gegründet. Weißwasser ist Lehrkrankenhaus der Universitätsklinik Dresden. Arztpraxen reagierten positiv und wurden zu ambulanten Lehrpraxen. „Sie glauben nicht, wie viel Liter Kaffee man gemeinsam trinken muss, um solch ein Netzwerk aufzubauen“, sagt Cording. Heute besteht die Möglichkeit am Klinikstandort Weißwasser als angestellter Arzt unter einem Anstellungsvertrag sowohl ambulant als auch stationär tätig zu sein. Ein Erfolg bei der Neudefinition von Arbeitswelten für ärztliches Personal.

Umwandlung in Gesundheitszentrum

Sowohl die Planungsbehörde als auch die Krankenkassen hatten festgestellt, dass die Klinik Weißwasser bedarfsnotwendig ist. „Die jetzige Form der Umwandlung ist eine Chance, bedarfsnotwendige Kliniken am Netz zu halten“, sagt Cording. Die Klinik in Weißwasser mit dem Zusatz Gesundheitszentrum bleibt somit als Regelversorger im Krankenhausplan.

Auch die Klinikstandorte in Ebersbach und in Zittau, die ebenfalls unter der Trägerschaft vom Landkreis Görlitz stehen, sollen in Zukunft umgewandelt werden. In Zittau sollen stationäre Leistungen gebündelt werden, zum Beispiel ist hier die stationäre Chirurgie beheimatet. In Ebersbach verbleibt stationär die Innere Medizin, die Geriatrie und die Palliativmedizin sollen aufgebaut bzw. erweitert werden. Somit bleibt Ebersbach Klinikstandort der Planungsbehörde, aber es sollen dort vor allem ambulante Leistungen entwickelt werden. Das ist mit vielen Emotionen, Bürgerversammlungen und Besprechungen verbunden. Innerhalb kürzester Zeit sammelte eine Bürgerinitiative über 20 000 Unterschriften für den Erhalt der Geburtshilfe. Eine Analyse zeigte aber, dass die meisten Geburten aus dem Umfeld und nicht direkt aus Ebersbach kamen. Andere Standorte können die Geburten auffangen, es entstehe keine Versorgungslücke. „Dennoch bleibt beim Thema Geburtsklinik immer noch eine Emotionalität übrig“, erlebt Cording. Die Geburtshilfe soll eventuell am Standort in Zittau konzentriert werden. „Wir sind zuversichtlich, dass es funktioniert“, sagt Friedrich R. München, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen e. V., noch vorsichtig. Die Landeskrankenhausgesellschaft Sachsen, die Krankenkassen, die KV, die Geschäftsführung vor Ort und viele andere sind dazu „in intensiven Gesprächen“.

Am Klinikstandort Zittau wird die stationäre Chirurgie konzentriert. Dafür musste untersucht werden, wie sich dies auf die Fahrtwege und den Einsatz der Rettungsdienste für die Patienten auswirken könnte. Nach Evaluation wurde schließlich ein zusätzliches Rettungsfahrzeug am Ort etabliert. So fügen sich viele Mosaiksteinchen aneinander.

Keine ausreichende Finanzierung

Gelingen können solche Prozesse nur, so Cording, wenn auch die Stadtparlamente und die Bürgerschaft in den Dialog einbezogen werden. So mussten auf der Mikroebene viele Gespräche stattfinden, damit solche Transformationsprozesse erfolgreich verlaufen. „Das ist auch eine wesentliche Aufgabe des Regionalkoordinators, die Dialogkultur vor Ort mit dem Landrat zu pflegen.“ Cordings Rat: „Frühzeitig in den Dialog treten mit den Bürgern und den politischen Gremien.“  Denn: Jede Veränderung bringt Unmut mit sich.

Dennoch beißt sich auch Markus Cording die Zähne aus, wenn es beispielsweise um die ausreichende Finanzierung ambulanter Leistungen in der Klinik geht. Eine kluge und nachhaltige Finanzierung liege für Intersektoralität nach wie vor auch seitens des Bundes nicht vor.

„Aktuell droht ein politisches Desaster, denn Kliniken, die bedarfsnotwendig sind, geraten in finanzielle Schwierigkeiten und werden die Klinikreform gar nicht mehr erleben“, sagt Cording. „Die Kliniken, die bedarfsnotwendig sind, denen muss eine auskömmliche Finanzierung zeitnah zur Verfügung gestellt werden“, fordert der Regionalkoordinator. Diese Kliniken bräuchten eine Zwischenfinanzierung.

„Wir sind frühzeitig selbst aufgestanden, um die Klinikreform nach unseren Notwendigkeiten umzusetzen“, sagt Cording. Bereits vor zehn Jahren gab es den ersten Kreistagsbeschluss zur Sicherung einer bedarfsnotwendigen nachhaltigen Gesundheitsversorgung. Aber: „Intersektorale Klinikstandorte lassen sich finanziell immer noch nicht nachhaltig darstellen.“ Dabei würden solche Klinikstandorte der Intersektoralität dringend gebraucht, um im ländlichen Raum Gesundheitsversorgung ambulant und stationär „aus einer Hand“ abzubilden.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte zwar angekündigt, dass Kliniken Geld für den Transformationsprozess bekommen sollen, aber mehr als die Ankündigung gibt es nicht. Und was passiert eigentlich mit den Kliniken, die längst unterwegs sind, wie Weißwasser und Ebersbach in Sachsen? „Wir brauchen jetzt Transformationsgelder, wenn wir zum Beispiel Leistungen an einem Standort zentralisieren, wenn wir Prozesse verändern und Gebäude umgerüstet werden müssen“, sagt Cording. „Manchmal fragt man sich auch, ob es immer gut ist, der Erste zu sein?“

Klinikanzahl in Sachsen fast halbiert

Wie in allen östlichen Bundesländern hat auch in Sachsen der Strukturwandel in der Kliniklandschaft bereits Anfang der 90er Jahre stattgefunden. Gab es 1991 noch 120 Krankenhäuser im Freistaat, sind es jetzt nur noch 76. „Dafür war aber eine gute Strukturanalyse nötig, um die Versorgung noch zu gewährleisten“, betont Friedrich R. München. Eine solche gute Strukturanalyse vermisst München bei der Bundesgesundheitspolitik von Minister Lauterbach bisher.

„Die Ostbiografie der Kliniken in den neuen Bundesländern muss bei der Klinikplanung des Bundes dringend mitgedacht werden“, appelliert auch der Mikromanager und Projektkoordinator Markus Cording. Schließungen von Klinikstandorten dürfe es in Sachsen nicht geben.

Der fortgeschriebene Krankenhausplan, der zum 1. Januar 2024 in Sachsen in Kraft trat, sieht somit weiterhin 76 Kliniken, aber einen Abbau von etwa 500 Klinikbetten vor. Im psychiatrischen Bereich werden mehr tagesklinische Betten bereitgestellt, vor allem im somatischen Bereich gibt es einen Bettenschwund. Auch auf die demografische Entwicklung geht der Plan ein, denn der Anteil der über 80-Jährigen hat innerhalb von zehn Jahren um 41,6 % zugenommen, während der Anteil der 24- bis 65-Jährigen im gleichen Zeitraum um 7,4 % zurückgegangen ist. In der Klinikplanung wurde das geriatrische Fachprogramm ad acta gelegt. Geriatrische Fälle können nun auch auf der Inneren, der Chirurgie oder auf anderen Stationen versorgt werden. „Es gibt eine Überalterung der Bevölkerung und mehr Bedarf an geriatrischen Betten, deshalb hat man die Reglementierung und Beplanung an der Stelle aufgegeben“, erklärt München. Diese politische Entscheidung eröffne den Kliniken mehr Flexibilität.

Längst vor der angekündigten Klinikreform des Bundes hatte sich Sachsen auf den Weg gemacht. In einer Zukunftswerkstatt, die vor der Coronapandemie stattfand, bei der alle Gesundheitspartner ein Bild vom „Krankenhaus 2030“ entwickelten, kam heraus, dass kleine, aber bedarfsnotwendige Kliniken als Ankerpunkte der Versorgung erhalten bleiben müssen. Solche Häuser gelte es umzuwandeln in stationär-ambulante Zentren. Der Impuls dafür ging damals von einem Klinikträger aus. Der Landkreis Görlitz fürchtete, dass seine kleinen Krankenhäuser in Weißwasser oder in Ebersbach sonst finanziell nicht mehr zu halten sind.

„Man ist da jetzt schon mitten in den Transformationsprozessen“, sagt München. Aus dem Krankenhausstrukturfonds gebe es wenigstens Mittel, um OPs von stationären in ambulante Strukturen umzuwandeln. „Wir warten nicht auf den Lauterbach, weil wir sonst ein Versorgungsproblem hätten.“

Strukturanalyse vor Umwandlung

In Ebersbach und in Weißwasser fand eine sektorenübergreifende Strukturanalyse statt. Man schaute, wie sieht die ambulante Struktur aus, wie sieht die stationäre Struktur aus? Wo kommen die Patienten her? Wo können die Patienten nach einer Umstrukturierung versorgt werden? „Es gab eine richtige Versorgungsanalyse. Das war ein sehr konstruktiver Prozess“, sagt München.

Sorge bereitet München die akut schlechte wirtschaftliche Lage der Kliniken. Wie im gesamten Bundesgebiet klaffen auch bei den sächsischen Kliniken Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinander. Das Defizit der sächsischen Krankenhäuser beträgt 300 bis 400 Mio. €. Eine Klinikinsolvenz gab es in Sachsen auch, im Frühjahr 2023 ging die Paracelsus-Klinik in Reichenbach vom Netz.

Manche Bundesländer spannen Rettungsschirme in Form von Krediten oder Bürgschaften wie zum Beispiel Thüringen. München sieht das skeptisch. „Die Kliniken brauchen keine günstigen Kredite, sondern frisches Geld“, sagt der Geschäftsführer der Sächsischen Krankenhausgesellschaft.

Auch die Oppositionsparteien haben die Klinikmisere schon als Wahlkampfthema für sich entdeckt. Am 1. September 2024 sind in Sachsen Landtagswahlen. Das Kabinett Michael Kretschmer II aus CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD muss sich dem Bürgervotum stellen. Schon jetzt plakatiert Die Linke offensiv, dass Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) angeblich die Kliniken mit seiner 100-Mio. €-Bürgschaft „rette“. Die AfD geht auf Stimmenfang, indem sie propagiert, es gebe genug Geld, die Mittel müssten nur anders verteilt werden. Mit einfachen Rezepten sollen Wähler gewonnen werden. Den Kliniken hilft das nicht aus ihrer akuten Not.

„Wir haben Kliniken, die noch nie in den roten Zahlen waren, aber genau seit Frühjahr 2022 bewegen sie sich im roten Bereich“, sagt München. Selbst große Schwerpunktversorger wie das Klinikum St. Georg in Leipzig mussten schon gerettet werden. Für den Fehlbetrag des städtischen Klinikums für das Geschäftsjahr 2023 in Höhe von 37,67 Mio. € sprang die Stadt über eine Kapitaleinlage ein. Die Gesellschafterkreditlinie durch die Stadt wurde auf 200 Mio.€ erhöht – im März 2023 hatte die Stadt bereits eine Kreditlinie von 100 Mio. € genehmigt. Freigemeinnützige oder private Kliniken kommen nicht in den Genuss solcher Rettungsmaßnahmen. Einige Kliniken kommen in Sachsen nur auf eine Auslastung von 50 % im Vergleich zu 2019.

Mit Skepsis sieht München die Chancen für die Kliniken durch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). „Wir sind sehr besorgt. Wenn das so kommt mit den Leistungsgruppen und die Leistungsgruppenzuordnung nach Gutachten vom MD, dann gibt es auf Landesebene nur noch wenig Möglichkeiten, Planung zu betreiben.“

In Sachsen gebe es zum Beispiel drei Schlaganfallnetzwerke, die gut funktionierten. Wenn die Schlaganfallversorgung künftig aber nur noch an die Innere Medizin angedockt existieren dürfe und nicht mehr in Anbindung an die Neurologie und die Psychiatrie, dann müssten Stroke Units vom Netz gehen. Wie soll das aufgefangen werden?

Münchens Prognose: Wenn das KHVVG so kommt, wie der Entwurf es jetzt vorsieht, dann werden in Sachsen einige Krankenhäuser ihre Versorgung einstellen müssen. „Für die Patienten heißt das: weitere Wege zum Krankenhaus und Wartelistenmedizin.“

Tanja Kotlorz