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NRW-Allianz für die Krankenhäuser: Daseinsvorsorge auf der Kippe


Ingo Morell. Foto: KGNW

Die Krankenhäuser müssen für 2024 mit empfindlichen Defiziten planen, die viele in eine wirtschaftliche Schieflage bis hin zur konkreten Insolvenzgefahr bringen. Der Grund: Die Bundesregierung gewährt den Krankenhäusern bisher weder eine ausreichende Kompensation für die inflationsbedingten Kostensteigerungen, noch sorgt sie dafür, dass die für das Jahr 2024 von ihr verabredete Tarifsteigerung von rund 10 % gegenfinanziert wird. Die Folge: Die Krankenhäuser müssen für das kommende Jahr hohe Verluste – teils im zweistelligen Millionenbereich – einplanen.

Im laufenden Jahr haben bereist acht Kliniken in NRW Insolvenz anmelden müssen. Jüngster Fall: Das traditionsreiche St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn. Die St. Vincenz-Krankenhaus GmbH in Paderborn war bisher der größte Anbieter stationärer Leistungen im Kreis Paderborn. In 18 Fachabteilungen mit insgesamt 800 Betten werden jährlich über 41 000 Patienten versorgt. 3 000 Mitarbeiter sind betroffen.

Abwärtsstrudel für die Daseinsvorsorge

Die Mitarbeiter aller Kliniken haben ihr Bestes gegeben, sie waren gerade während der Coronapandemie unter höchster Belastung bis zur Erschöpfung für die Patienten da. Sie haben die Tarifsteigerung mehr als verdient: In anderen Bereichen wird über ein Tariftreuegesetz diskutiert – die Kliniken und ihre Mitarbeiter fühlen sich allein gelassen von der Bundesregierung.

„Alle Klinik-Geschäftsleitungen stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Sie wollen den Beschäftigten die verdiente Tariferhöhung zahlen. Denn damit werden die Wertigkeit ihrer Arbeit und ebenso die Attraktivität der Krankenhäuser als Arbeitgeber unterstrichen. Aber weil ihnen das Geld dazu fehlt, bringen sie ihr Krankenhaus und damit viele, viele Arbeitsplätze in Gefahr“, beschreibt Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), einen sich aufbauenden Konflikt. „Diese Gefahr ist absolut real und konkret nachweisbar. Der Bundesgesundheitsminister hat es in der Hand, einen gefährlichen Abwärtsstrudel für die Daseinsvorsorge zu verhindern. Dass er sich bisher weigert gegenzusteuern, ist rational nicht nachzuvollziehen. Dabei darf es nicht bleiben.“

KGNW-Präsident Ingo Morell: „Der Bundesgesundheitsminister hat es in der Hand, einen gefährlichen Abwärtsstrudel für die Daseinsvorsorge zu verhindern. Dass er sich bisher weigert gegenzusteuern, ist rational nicht nachzuvollziehen.“ Foto: KGNW

Konkrete Zahlen zeigen: Alle Krankenhäuser nehmen wirtschaftlich Schaden

Stellvertretend für die Notlage fast aller Krankenhäuser in NRW skizziert die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) die Situation zweier weiterer Kliniken mit konkreten Daten.

Klinikum Lippe

Das Klinikum Lippe mit rund 1 200 Betten erwartet nach einem positiven Ergebnis von fast 2,3 Mio. € im vergangenen Jahr für 2023 nun ein Minus von 7,6 Mio. €. Im nächsten Jahr wird dieses ohne Handeln der Bundesregierung auf 15 Mio. € steigen. So sind die Sachkosten seit 2022 um 13 % oder 14,8 Mio. € gestiegen, 2024 werden es knapp 11 Mio. € (8 %) sein. Der gesetzlich gedeckelte Anstieg der Vergütung beträgt aber nur 4,32 % im laufenden Jahr. Der Anstieg der Personalkosten für 2024 – ohne die über das Pflegebudget abgedeckte Pflege am Bett – wird aktuell mit rund 5,6 Mio. € kalkuliert.

St. Marien-Krankenhaus in Siegen

Das St. Marien-Krankenhaus in Siegen mit rund 380 Betten musste bereits das Jahr 2022 mit fast 1,6 Mio. € Verlust abschließen und erwartet im laufenden Jahr ein Defizit von 1,8 Mio. €. Aber unter den absehbaren Bedingungen für 2024 wird der Verlust auf 6,7 Mio. € klettern – getrieben von steigenden Personalkosten von rund 4,4 Mio. € (plus 8 %) sowie fast 4 Mio. € höherer Sachkosten (5 %).

Für KGNW-Präsident Morell unterstreichen diese und weitere Beispiele, dass die Weigerung der Bundesregierung, die Betriebskosten der Krankenhäuser entsprechend ihrer gesetzlichen Pflicht abzusichern, die Krankenhäuser in wirtschaftliche Turbulenzen stürzen wird. „Die Folgen für die wohnortnahe Versorgung der Patientinnen und Patienten sind nicht absehbar. Aber jeder unkontrollierte Niedergang eines Krankenhauses wird unweigerlich nicht mehr zu schließende Lücken reißen“, mahnt Morell. Anders als normale Wirtschaftsunternehmen können die Krankenhäuser ihre Preise nicht selbst erhöhen.

Bundesweiter Protest am 20. September: 11.55 Uhr vor dem Landtag in Düsseldorf

Mit einer großen Kundgebung vor dem Düsseldorfer Landtag wollen die Beschäftigten der NRW-Kliniken auf die Notlage der Krankenhäuser aufmerksam machen. Unter dem Motto „Die beste Medizin: saubere Finanzierung“ fordern sie am 20. September 2023 ab 11.55 Uhr den Bundesgesundheitsminister zum Umdenken auf.

KGNW-Präsident Morell betont: „Der Ärger und die Anspannung in den Krankenhäusern sind groß. Wir fordern von der Bundesregierung eine nachhaltige Absicherung der Krankenhäuser, indem sie einen ausreichenden Inflationsausgleich schafft und die vollständige Finanzierung der vereinbarten Tarifsteigerungen im Jahr 2024 gesetzlich möglich macht. Wir brauchen beides, wenn wir die Abwärtsspirale für die Krankenhäuser stoppen wollen.“

Unterstützt wird der Protest von der „NRW-Allianz für die Krankenhäuser“ aus in NRW arbeitenden Verbänden und Organisationen. Dahinter stehen die drei kommunalen Spitzenverbände Landkreistag, Städtetag sowie der Städte- und Gemeindebund, die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, die Pflegekammer NRW, die Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund, die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe sowie die Caritas in NRW, der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte, der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands und der Verband der Privatkliniken NRW.

Kompensation der Inflationskosten, Anhebung des Landesbasisfallwertes um 4 %

„Diese breite Unterstützung zeigt, dass die Sorge um die wirtschaftliche Stabilität der Krankenhäuser nicht nur die Klinikträger selbst umtreibt“, erklärt Morell bei der Vorstellung der NRW-Allianz für die Krankenhäuser am 11. September. Vielmehr sei es ein reales Szenario, dass die stationäre Gesundheitsversorgung durch eine drohende Insolvenzwelle, auch durch eine wirtschaftliche Schieflage drastisch eingeschränkt werden müsste. Denn die Entwicklung treffe auch die Häuser, die bisher noch positive Ergebnisse vermelden konnten.

Deshalb fordert die NRW-Allianz für die Krankenhäuser von der Bundesregierung eine dauerhafte Kompensation der Inflationskosten. Möglich wäre dies über eine mindestens 4-prozentige Anhebung des Landesbasisfallwertes ab 2024. Zudem müsse der Bund die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass die Preisanpassung für das kommende Jahr nicht wie bisher gedeckelt bleibe, sondern dass die Krankenkassen die vollen Tariferhöhungen finanzieren können.

Landrat Müller: Kommunen fürchten neue Millionenlöcher

Die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser und die noch schlechtere Perspektive treibt auch Jürgen Müller um, Landrat des Kreises Herford und damit auch verantwortlich für die vom Kreis getragenen Kreiskliniken Herford-Bünde: „Wir haben in einem mühsamen Komplex unsere Kliniken nach einer teuren Sanierung ohne ausreichende finanzielle Unterstützung des Landes NRW seit 2010 durch positive Effekte einer Fusion wirtschaftlich und medizinisch zukunftsfähig aufgestellt. Dieser Prozess wird nun in Frage gestellt. Die weiter steigenden Inflationskosten und die absehbar große Deckungslücke bei der Tarifsteigerung im kommenden Jahr werden die Kliniken erneut erheblich belasten. Der Kreis Herford – und das gilt für viele NRW-Kommunen – kann nicht immer wieder neue Millionenlöcher stopfen.“ Gerade durch viele andere kommunale Aufgaben seien keinerlei Spielräume mehr vorhanden, hebt Müller hervor, der auch    ist. Das müsse dem Bundesgesetzgeber, aber auch dem Landesgesetzgeber klar sein. Wenn Kommunen im schlimmsten Fall insolvente Krankenhäuser zwangsweise übernehmen müssten, seien sie in der aktuellen Lage hoffnungslos überfordert.

Jürgen Müller, Landrat des Kreises Herford und damit auch verantwortlich für die vom Kreis getragenen Kreiskliniken Herford-Bünde, sieht keine Spielräume in den Kommunen, um weitere Millionenlöcher zu stopfen. Wenn Kommunen im schlimmsten Fall insolvente Krankenhäuser zwangsweise übernehmen müssten, seien sie in der aktuellen Lage hoffnungslos überfordert. Foto: Kreis Herford

Ärztekammerpräsident Henke warnt vor weitreichenden Folgen

Zu dieser Situation dürfe es gar nicht erst kommen, warnt Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein: „Wenn Häuser ungeplant wegbrechen, dann ist das kein abstrakter Vorgang, den man mit Verweis auf genug weitere Krankenhäuser in der Region einfach hinnehmen kann. Denn neben der möglichen Verschlechterung der Versorgung stehen hinter jeder Insolvenz Beschäftigte, für die sich Lebenspläne ändern, sich Brüche in Aus- und Weiterbildung ergeben und die im schlimmsten Fall der medizinischen Versorgung dadurch langfristig nicht mehr zur Verfügung stehen. Angesichts eines schon jetzt akuten Fachkräftemangels im Gesundheitswesen darf das keiner wollen.“ Die NRW-Allianz für die Krankenhäuser wird zur Kundgebung am 20.September 2023 eine Erklärung veröffentlichen. krü

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein: „Neben der möglichen Verschlechterung der Versorgung stehen hinter jeder Insolvenz Beschäftigte, für die sich Lebenspläne ändern, sich Brüche in Aus- und Weiterbildung ergeben und die im schlimmsten Fall der medizinischen Versorgung dadurch langfristig nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Preisentwicklung

Die Krankenhäuser können auf die enormen Preissteigerungen für Energie, Lebensmittel, Medizinprodukte oder auch Dienstleistungen nicht durch eine Anpassung der Vergütung reagieren. Für sie wird im Voraus eine erwartete Kostensteigerung festgelegt, die dann ein Jahr unveränderlich gilt. Für 2022 wurden 2,32 % Kostensteigerung angenommen, die Inflation lag im Jahresdurchschnitt bei 6,9 %. Allerdings lag im Bereich der Krankenhäuser, die energieintensive Unternehmen sind, die Kostensteigerung teils deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das setzt sich auch 2023 fort: Immerhin 4,32 % höhere Kosten können die Krankenhäuser geltend machen, die Inflation lag Anfang des Jahres mit 8,7 % aber noch doppelt so hoch, im August lag sie bei 6,1 % (Quelle: Destatis).