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Neue Strukturen für den Rettungsdienst: Eine Leitstelle auf eine Million Einwohner


Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Flugrettung am Campus Benjamin Franklin der Charité. Foto: krü

Bundesweit einheitliche Vorgaben zu Organisation, Leistungsumfang, Qualität und Bezahlung des Rettungsdienstes fordert die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Der Rettungsdienst soll als eigenständiges Leistungssegment (Notfallbehandlung) in § 27 Absatz 1 SGB V aufgenommen werden.

Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beauftragte Regierungskommission hat am 8. September 2023 Vorschläge für eine Reform des Rettungsdienstes vorgelegt. Kernziel der Neunten Empfehlung der Regierungskommission: Über eine angepasste Finanzierung und Organisation des Rettungsdienstes sollen unter anderem unnötige Transporte ins Krankenhaus vermieden und so die Notaufnahmen der Kliniken entlastet werden. Derzeit wird die Fahrt des Rettungsdienstes im Falle einer ambulanten Notfallversorgung vor Ort oft nicht bezahlt, eine Fahrt zur Klinik schon. Im Ergebnis besteht so ein erheblicher Anreiz, in jedem Fall mit dem Patienten zur Notaufnahme einer Klinik zu fahren.

„Erreicht werden soll eine transparente, qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte patientenzentrierte präklinische Notfallversorgung nach bundesweit vergleichbaren Vorgaben; das dient zugleich dem Ziel von Qualität und Wirtschaftlichkeit“, heißt es dazu in der Neunten Stellungnahme und Empfehlung der Kommission.

Den Empfehlungen zufolge soll der Luftrettungsdienst erweitert werden, insbesondere durch Ausbau von Landemöglichkeiten und Nachtbetrieb. Hiermit soll vor allem die Notfallversorgung in ländlichen Regionen gestärkt werden.

Die Befugnisse von Notfallsanitätern soll ausgeweitet, die Qualifikation ausgebaut werden. Besonders qualifizierte Notfallsanitäter sollen mit eigener fachgebundener Heilkundebefugnis („advanced paramedic practitioner“, auf Bachelor- bzw. Master-Niveau) den jetzigen Notarztdienst ersetzen. Ärztliche Spezialressourcen sollen künftig nur bei Bedarf angefordert werden. Notärzte sollen nur in besonders komplexen Fällen zum Einsatz kommen.

Mit dem Ziel einer Entlastung der Notfallversorgung schlagen die Experten zudem vor, verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse an Schulen und am Arbeitsplatz zu etablieren und Ersthelfer-Apps einzuführen. Auf diesem Wege soll die allgemeine Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt werden.

Finanzierung des Rettungsdienstes

Krankenkassen sollen die Leistungen der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, den Notfalltransport sowie zusätzliche Dienste (wie die pflegerische Notfallversorgung) vergüten. Die Vergütung des Rettungsdienstes sollte sich aus Vorhalte- und Leistungsanteil zusammensetzen. Neben bundesweit geltenden Entgelten sollten regionale Anpassungsfaktoren vereinbart werden.

Die Bundesländer sollen die Koordinierung des Rettungsdienstes straffen. Eine Leitstelle auf rund eine Million Einwohner soll der Richtwert sein. Die Anforderungen an Struktur-, Prozess- und soweit möglich Ergebnisqualität sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals in Leitstellen und der Notfallrettung sollen länderübergreifend vereinheitlicht werden. Anzustreben ist die Etablierung eines Notfallversorgungsregisters mit Kerndaten zu KV-Notdienst, Rettungsdienst, Notaufnahmen, Notfallzentren soll etabliert werden. Um Patienten besser steuern zu können soll ein digitales Echtzeit-Register über vorhandene Ressourcen aufgebaut werden.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: „Unser Rettungsdienst braucht dringend eine Reform und klare Strukturen: einheitliche Standards, mehr Befugnisse, eine sinnvolle Vergütungssystematik. Deshalb ist es wichtig, dass die Regierungskommission dazu jetzt Empfehlungen vorgelegt hat. Diese Überlegungen werden wir in unsere Reformpläne einfließen lassen, wie wir das auch in anderen Reformfeldern tun. Im Notfall muss der Rettungsdienst schnell und zielgenau helfen. Die Notfallversorgung darf nicht weiter selbst ein Reformnotfall bleiben.“

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Rettungsdienst und Notfallversorgung: Die Vorschläge der Regierungskommission

1. Regelung des Rettungsdienstes im SGBV

Der konkrete Leistungsanspruch soll in einer eigenständigen Norm im Sozialgesetzbuch V (SGB V) geregelt werden. Berücksichtigt werden sollen dabei die Leistung der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, der Notfalltransport um komplementäre Notfallversorgungsnagebote, wie zum Beispiel pflegerische Notfallversorgung oder psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention.

2. Mehr Transparenz und bessere Qualitätssicherung

Festgelegt werden sollen Vorgaben für Mindestpersonalausstattung, Qualifikation und Weiterqualifizierung, Rettungsmittel.

3. Einheitliche Qualitätsstandards

Die Anforderungen an Struktur-, Prozess- und soweit möglich Ergebnisqualität sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals in Leitstellen und der Notfallrettung sollen länderübergreifend vereinheitlicht werden. Anzustreben ist die Etablierung eines Notfallversorgungsregisters mit Kerndaten zu KV-Notdienst, Rettungsdienst, Notaufnahmen, Notfallzentren.

4. Digitales Ressourcenregister

Um Patienten besser steuern zu können soll ein digitales Echtzeit-Register über vorhandene Ressourcen aufgebaut werden.

5. Leitstellen-Organisation

Die Bundesländer sollen die Koordinierung des Rettungsdienstes straffen. Richtwert ist dafür eine Leitstelle pro ca. eine Million Einwohner.

6. Personalmanagement

Die Befugnisse von Notfallsanitäterinnen und -sanitätern soll ausgeweitet werden (Medikamentengabe, invasive Maßnahmen).

Besonders qualifizierte Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sollen mit eigener fachgebundener Heilkundebefugnis („advanced paramedic practitioner“, Bachelor/Master-Niveau) den jetzigen Notarztdienst substituieren und die ärztlichen Spezialressourcen nur bei Bedarf anfordern müssen.

Notärztinnen und Notärzte sollen nur in besonders komplexen Fällen eingesetzt werden.

7. Notfallversorgung in ländlichen Regionen

Für eine hochwertige Notfallversorgung auch in ländlichen Regionen und in Abhängigkeit der Krankenhausplanung des Bundeslandes soll der Luftrettungsdienst, insbesondere durch Ausbau von Landemöglichkeiten und Nachtbetrieb, erweitert werden.

8. Allgemeine Gesundheitskompetenz

„Erste Hilfe“-Kurse sollen in den Grund- und weiterführenden Schulen und am Arbeitsplatz angeboten werden und verpflichtend sein. Ersthelfer-Apps sollen flächendeckend eingeführt werden. Öffentlich zugängliche Defibrillatoren sollen flächendeckend aufgestellt werden.

9. Finanzierung des Rettungsdienstes

Krankenkassen sollen die Leistungen der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, den Notfalltransport sowie zusätzliche Dienste (wie die pflegerische Notfallversorgung) vergüten. Die Vergütung des Rettungsdienstes sollte sich aus Vorhalte- und Leistungsanteil zusammensetzen. Neben bundesweit geltenden Entgelten sollten regionale Anpassungsfaktoren vereinbart werden.

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Martin Pin, Präsident der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA), bezeichnet die Vorschläge als „notwendig und längst überfällig“. Die Empfehlungen zeigten Lösungen für eine optimierte Versorgung medizinischer Notfälle auf und würden zu mehr Effizienz in der Notfallversorgung führen.

Der DGINA-Präsident begrüßt insbesondere die Pläne zur Vergütung von medizinischer Versorgung durch den Rettungsdienst vor Ort durch Übernahme des Rettungsdienstes in das SGB V und Stärkung alternativer Versorgungswege mit Schaffung einer speziellen ambulanten Notfallversorgung. Durch die Änderungen würden nicht notwendige Transporte in Krankenhäuser verringert und der Rettungsdienst als wichtiger Baustein des Gesamtsystems Notfallversorgung gestärkt werden. Dies würde nach Ansicht der Fachgesellschaft zu einer besseren Nutzung von aktuell deutschlandweit stark belasteten Kapazitäten der Notfallversorgung und einer bedarfsgerechteren Versorgung von Patientinnen und Patienten führen.

Auch die vorgesehenen standardisierten Qualitätsvorgaben für Rettungsdienst und Leitstellen sowie eine bessere Digitalisierung in der Notfallmedizin mit Darstellung von Krankenhaus- und Rettungsdienst-Kapazitäten in Echtzeit und Schaffung eines Notfallregisters sieht der DGINA-Präsident positiv. Im Endeffekt könne dadurch die Patientensicherheit erhöht werden und das Gesamtsystem nachhaltig besser funktionieren. Die weitere Professionalisierung des Notarztdienstes durch speziell und hochqualifizierte Notärzte und Notärztinnen, sowie die Entwicklung von nicht-ärztlichen hochqualifizierten Berufsbildern in der Präklinik seien zu begrüßen, so Pin. Er hoffe, dass die Politik nicht bei einer Reform des Rettungsdienstes stehenbleibt, sondern eine umfassende Notfallreform auf den Weg bringt und so Fehlanreize durch Teilreformen verhindert.

Zu den Vorschlägen der Regierungskommission für eine Reform des Rettungswesens sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband: „Das deutsche Rettungswesen gleicht einem Flickenteppich, die regionalen Strukturen sind ineffizient und intransparent. Eine Reform ist also dringend nötig, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und um nachhaltig wirtschaftlicher zu werden. Die Vorschläge der Regierungskommission sind ein guter Aufschlag dafür, den wir klar unterstützen.“

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, lobt die Vorschläge der Kommission: „Die Vorschläge der Regierungskommission zur Regelung einheitlicher, bundesweiter Qualitätsstandards für den Rettungsdienst und zur Schaffung einer eigenständigen Norm im Sozialgesetzbuch V genau in die richtige Richtung“, so Hoyer. Die Einsatzplanung dürfe künftig nicht mehr an den Kreis- und Ländergrenzen Halt machen. Zu begrüßen sei der Vorschlag der Kommission, ein digitales Echtzeit-Register über die vorhandenen Ressourcen aufzubauen und auch hier einheitliche Standards für das gesamte Bundesgebiet zu schaffen. „Bei der Finanzierung des Rettungsdienstes darf es aber am Ende nicht wieder darauf hinauslaufen, dass Kosten originärer Aufgaben von Ländern und Kommunen in Richtung der gesetzlichen Krankenversicherung verschoben werden“, so der Vize-Chef des AOK-Bundesverbandes. krü