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Der Klinik-Atlas des BMG


www.klinik-atlas.de, open streetmap contributors

Fehler und Lücken

Das Vergleichsportal www.bundes-klinik-atlas.de, das im Rahmen des Krankenhaustransparenzgesetzes geschaffen wurde, soll den Patienten je nach Region und Erkrankung bei der Wahl des besten Krankenhauses helfen. Doch bereits kurz nach dem Start des Klinik-Atlas wird deutlich, dass das Portal aus dem Bundesgesundheitsministerium zahlreiche Fehler und veraltete bzw. falsche Daten aufweist, die die Patientinnen und Patienten erheblich in die Irre führen können. Dazu erklärt die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Prof. Dr. Henriette Neumeyer:

„Lauterbachs Klinik-Atlas erfüllt leider nicht ansatzweise sein Versprechen, mehr Transparenz in der Krankenhausbehandlung zu schaffen. Im Gegenteil, zahlreiche falsche und fehlende Daten leiten Patientinnen und Patienten massiv in die Irre. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir den Informationssuchenden leider raten, den Atlas mit größter Vorsicht zu behandeln, unbedingt Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu halten und auf eine bewährte Plattform zurückzugreifen. Das Bundesgesundheitsministerium fordern wir auf, Fehler so schnell wie möglich zu korrigieren und den Atlas mit einem Hinweis auf noch zu behebende Fehler zu versehen.“

Die Gesundheitsminister der Länder nutzten das Bund-Länder-Treffen am 29. Mai, um dem Bundesminister eine erste gemeinsame Rückmeldung zum Bundes-Klinik-Atlas zu geben. GMK-Vorsitzende Ministerin von der Decken: „Eine erste Umfrage unter den Ländern hat gezeigt, das sich zuvor geäußerte Befürchtungen leider bestätigt haben. Statt einer von allen befürworteten Transparenz gibt es übereinstimmende Rückmeldungen von allen Beteiligten, dass das bisherige Portal – trotz eines Updates – fehlerbehaftet ist“. „Die Länder hätten daher den Bundesgesundheitsminister aufgefordert, weiterhin vorhandene Fehler innerhalb kürzester Zeit zu beheben, um Patientinnen und Patienten nicht durch Falschinformationen zu gefährden, so Ministerin von der Decken. 

 Das Portal soll Patienten zu Fallzahlen, Mindestmengen, zu Notfallstufen und Pflegepersonalzahlen sowie zu Zertifizierungen informieren – zunächst für Onkologie und Endoprothetik. Ziel ist, den Patienten im Sinne einer informierten Entscheidung zu unterstützen, welches Krankenhaus für den individuellen Fall geeignet ist – und das auch ohne Vorkenntnisse im Gesundheitswesen.

Komplikationsraten und Informationen zu Arztzahlen werden noch nicht ausgewiesen, sollen aber zeitnah ebenfalls abgerufen werden können. Die Daten werden zur besseren Einordnung und zum besseren Vergleich in einem Tacho-System dargestellt. Dafür werden die am Krankenhausstandort erbrachten Fallzahlen und die Personalausstattung in eine Relation zu denen der anderen Krankenhausstandorte in Deutschland gesetzt und in Korridoren von je 20 % dargestellt. Die Umsetzung des Klinik-Atlas soll das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) übernehmen.

Viele Kliniken stellten fest, dass Patienten über den „Klinik-Atlas“ falsche Informationen bekommen oder wichtige Daten ganz fehlen.  

Irreführende Fehler - konkrete Beispiele

Für den Standort Gehrden der KRH-Kliniken Siloah und Gehrden gibt der Klinik‑Atlas für radikale Prostatektomien eine Fallzahl von 4 an. Tatsächlich sind es aber 156. Sucht der Laie mit verwandten Suchbegriffen wird das Krankenhaus trotz Spezialisierung nicht einmal in der Ergebnisliste angezeigt. So macht der Klinik-Atlas aus einer spezialisierten Klinik mit zahlreichen Qualitätsmerkmalen eine Klinik mit Gelegenheitsversorgung.

Das Krankenhaus Bethanien in Solingen ist ein ausgewiesenes Lungenzentrum und zudem von der Krebsgesellschaft zertifiziert. Lungenkrebsbehandlung ist ein Schwerpunkt der Klinik mit viel Erfahrung und hoher Qualität. Nur leider listet der Klinik-Atlas das Krankenhaus bei der Suche nach Lungenkarzinom-Behandlung nicht auf.

Die irreführenden Fehler des Atlas treffen aber nicht nur kleine Kliniken. Nur sechs Fälle soll die Universitätsklinik des Saarlandes in Homburg bei der Frühgeborenen-Versorgung vorweisen können. Tatsächlich sind es durchschnittlich mehr als 75 pro Jahr. Hier handelt es sich um Fehler, die im Zweifel entscheidend in das Leben eines Menschen eingreifen können.

Über diese Beispiele hinaus haben die DKG ungezählte Meldungen aus Kliniken in allen Bundesländern erreicht, die falsche Angaben zu Ausstattungen, Notfallstufen und vor allem immer wieder zu niedrig angegebenen Fallzahlen beklagen. Dabei geht es nicht um minimale Abweichungen und gelegentliche Fehler, sondern um falsche Daten in großer Menge, die ratsuchenden Patienten in die Irre leiten können. Verwirrung herrscht auch bei vielen anderen Angaben: Kliniken, die noch nie die Personalvorgaben unterschritten haben, werden im Atlas plötzlich mit einer roten Ampel dargestellt. Sucht man nach psychiatrischen Behandlungen, empfiehlt der Klinik-Atlas Krankenhäuser ohne psychiatrische Fachabteilungen. Zahllose Kliniken erhalten Notfallstufen, obwohl sie keine Notfallversorgung anbieten, bei anderen fehlen die Angaben, trotz vorhandener Notfallversorgung.

Lokalzeitungen haben in Ihrer Region im Klinik-Atlas und berichten bereist von falschen Daten ihrer Krankenhäuser. Ein „übersichtlicher Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“, den Lauterbach angekündigt hatte, sieht anders aus.

Die Niels-Stensen-Kliniken, das Christliche Kinderhospital Osnabrück und das Klinikum Osnabrück kritisieren, dass der Bundes-Klinik-Atlas fehlerhafte Daten enthält und so den Vergleich von Kliniken verzerrt. So sind zum Beispiel Fallzahlen einzelner Abteilungen der Niels-Stensen-Kliniken, wie etwa die Anzahl von Geburten oder die Anzahl eingesetzter künstlicher Kniegelenke, veraltet. Für ein Krankenhaus im Niels-Stensen-Verbund wird sogar eine Notfallversorgung ausgewiesen, obwohl es dort keine gibt. „Solche Fehler sind grob fahrlässig und irreführend “, sagt Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niel-Stensen-Kliniken. Patienten würden mit diesem Atlas in ihrer Suche nach Transparenz getäuscht. „Mit dem des Bundes-Klinik-Atlas stiftet Gesundheitsminister Lauterbach nicht nur Verwirrung, sondern etabliert eine Parallel-Struktur ohne Mehrwert, die auf Kosten der Steuerzahler geht“, so Lullmann.

Kritik kommt auch aus dem Christlichen Kinderhospital Osnabrück (CKO). „Die im Klinik Atlas dargestellten Zahlen sind interpretationsbedürftig“, sagt Geschäftsführer Michael Richter. So würde man in der jetzigen Darstellung der sogenannten Pflegelast lediglich die durchschnittliche Pflegeausstattung einer Klinik sehen, nicht aber der einzelnen Fachabteilungen. „Auf diese Weise vergleichen wir Äpfel mit Birnen, denn die Pflegelast und der Personaleinsatz unterscheiden sich innerhalb der Abteilungen einer Klinik deutlich“, so Richter. Die Klinikleitung zeigt sich deshalb verwundert, weil sie die jeweiligen Daten an die vom Bundesgesundheitsministerium beauftragten Institute detaillierter übermittelt, als sie im Klinik-Atlas dargestellt werden. „Zudem wird derzeit nur die Pflege am Bett gemessen, nicht aber weitere pflegerische Themen wie Pflegeberatung oder sozialmedizinische Nachsorge“, stellt der Geschäftsführer fest.

Im Herbst soll auch die Einteilung der 1 700 Klinikstandorte in Level ins Portal einfließen – vorausgesetzt, das Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kann bis dahin den entsprechenden Leistungsgruppen-Grouper liefern. IQTIG-Leiter Claus-Dieter Heidecke sprach sich dafür aus, künftig auch Patientenbefragungen einzubinden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezeichnete den Klinik-Atlas als „politischen Aktionismus auf Kosten des Steuerzahlers“. Kurz vor der Vorstellung des Klinik-Atlas des BMG hatte die DKG ihr Portal, das Deutsche Krankenhausverzeichnis (www.deutsches-krankenhaus-verzeichnis.de) aktualisiert, das jeden Monat von mehr als eine halbe Million Menschen genutzt wird.

„Kein anderer Bereich unseres Gesundheitswesens ist in Sachen Behandlungsqualität so transparent wie der Krankenhaussektor. Mit dem Deutschen Krankenhausverzeichnis bietet auch die DKG seit Jahrzehnten einen Klinik-Atlas an, in dem sich alle Informationen über Behandlungsqualität, Fallzahlen, Personalausstattung, Komplikationsraten und vieles mehr der einzelnen Krankenhäuser laienverständlich online finden lassen“, so der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Der neue Klinik-Atlas bringe den Krankenhäusern noch mehr Bürokratie, denn die Krankenhäuser müssen ihr ärztliches Personal noch kleinteiliger dokumentieren und regelmäßige Meldungen dazu abgeben.

Die Daten im Krankenhausverzeichnis basieren auf den Qualitätsberichten der Krankenhäuser. „Mehr Datenmaterial steht auch dem Bundesgesundheitsminister für seinen Klinik-Atlas nicht zur Verfügung“, so Gaß weiter. Bis vor kurzem hat auch das Bundesgesundheitsministerium diesen Klinik-Atlas als geeignetes Transparenztool auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht und den Bürgerinnen und Bürgern zur Krankenhaussuche empfohlen.

Während das Deutsche Krankenhausverzeichnis den Suchenden aufgearbeitete und verständliche Daten übermittele, mit denen sie das geeignete Krankenhaus in eigener Entscheidung finden können, basiere Lauterbachs angekündigte Transparenz auf einem ministeriellen Ranking der Krankenhäuser in Level, vergleichbar mit Sterne-Kategorien bei Hotels, kritisiert der DKG-Vorstandsvorsitzende weiter: „Nur funktioniert dieses unterkomplexe System nicht bei Krankenhäusern. Ein auf eine bestimmte Behandlung hochspezialisiertes kleines Krankenhaus mit exzellenter Qualität, dem das Ministerium nun Level 1 zuteilt, kann so im Vergleich zum nicht spezialisierten Level-3-Haus das Nachsehen haben.

Das Deutsche Krankenhausverzeichnis verfügt nach seinem Update im Frühjahr 2024 über noch mehr Daten bei verbesserter Nutzerfreundlichkeit. Zu den 12,5 Millionen Daten der Qualitätsberichte sind nun auch Daten zu Long-Covid-Behandlungen hinterlegt. Krankenhäuser haben einen Direktzugang zum System und können so tagesaktuell Angaben zum Beispiel zum Personal aktualisieren. Die Nutzerinnen und Nutzer des Deutschen Krankenhausverzeichnisses können sich aber vor allem darauf verlassen, dass sie absolut neutral und rein datenbasiert informiert werden und nicht über intransparente Algorithmen in ein bestimmtes Krankenhaus gelotst werden. Denn hinter dem Deutschen Krankenhausverzeichnis stehen keinerlei wirtschaftliche Interessen und auch kein bestimmter Krankenhausträger.

Prof. Dr. Andreas Fritsche, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht einen Mangel an Transparenz auf Seiten des Bundesgesundheitsministers: „Mit der Etablierung eines neuen Klinik-Atlasses stellt sich derzeit die Frage, inwiefern dieser sich von bereits existierenden Registern abgrenzen möchte und kann“, so der Präsident der Fachgesellschaft. Zu einer weiteren Intransparenz führe der Konflikt zwischen dem BMG und anderen Akteuren wie der DKG, die bereits ein Krankenhausverzeichnis verwalte: „Dies schürt Unsicherheiten in der Bevölkerung. Es wirft die Frage auf, welches der bestehenden Register künftig am aussagekräftigsten sein wird. Zu befürchten ist, dass mehrere Register nebeneinander koexistieren und miteinander konkurrieren, was dem Ziel, mehr Transparenz zu schaffen, entgegenwirkt“, so Fritsche.  krü