Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Aktuelles

News

„Die Patientenversorgung ist in Gefahr!“


Foto: Jens Jeske

DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß warnt vor den Folgen massiver Preissteigerungen und Corona-Nachwirkungen für die Krankenhäuser. Im Rahmen einer bundesweiten Kampagne der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der 16 Landeskrankenhausgesellschaften unter dem Motto „Alarmstufe ROT: Krankenhäuser in Gefahr“ sind zahlreiche Protestkundgebungen geplant. Gleichzeitig startet eine Online-Petition (siehe www.dkgev.de).

Die haben in den letzten Wochen immer wieder auf die schwierige Lage der Krankenhäuser hingewiesen. Wie ist die Situation der Kliniken gegenwärtig?

Die Lage ist äußerst problematisch. Wir haben keine Erholungspause in der Sommerzeit gehabt. Üblicherweise haben die Krankenhäuser in der Urlaubszeit etwas weniger Patienten. In diesem Jahr ist das anders: Behandlungen, die im Frühjahr wegen der Coronapandemie verschoben werden mussten, müssen nun nachgeholt werden. Gleichzeitig hatten wir sehr viele Personalausfälle, so dass die anwesenden Mitarbeiter unter Höchstlast arbeiten mussten. Hinzu kommt, dass die Notaufnahmen sehr stark belastet sind, etwa durch Patienten, die von den aktuellen Hitzewellen gesundheitlich schwer beeinträchtigt sind. Zudem haben viele niedergelassene Ärzte ebenfalls ihre Praxen urlaubsbedingt geschlossen. Auch deren Patienten müssen die Notaufnahmen der Kliniken teilweise mitversorgen.

Zunehmend besorgt sind wir angesichts der wirtschaftlichen Lage der Kliniken. Bisher hat uns die Politik keinerlei Unterstützung in Aussicht gestellt. Im Gegenteil: Im Juni sind sämtliche Coronahilfen ausgelaufen. Die Kliniken haben aber weiterhin Belastungen aus der Coronapandemie zu tragen, die jetzt in keiner Weise ausgeglichen werden. Durch den Mehraufwand bei den Patienten können wir insgesamt deutlich weniger Patienten behandeln. Es können also weniger Erlöse erwirtschaftet werden. Hinzu kommt die galoppierende Inflation, für die es zurzeit auch keinen Ausgleich gibt. Das führt zu einer hochproblematischen wirtschaftlichen Situation für die Krankenhäuser.

Sie fordern mit Nachdruck einen Inflationsausgleich für die Krankenhäuser. Wie dringend ist die Not angesichts steigender Preise?

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Ein 500-Betten-Haus, das für seinen Wärmebedarf voll auf Gasversorgung angewiesen ist, muss in diesem Jahr insgesamt rund 2,2 Mio. € für seine Energieversorgung aufbringen.  Das waren im Jahr 2021 noch gut 600 000 €. Man sieht: Die Preise vervielfachen sich. Zu den massiv steigenden Energiepreisen kommen auch hohe Preissteigerungen etwa bei Medizinprodukten, bei Bau- und IT-Projekten, sodass wir damit rechnen müssen, dass sehr viele Krankenhäuser 2022 allein über die Preisentwicklung massiv in die roten Zahlen rutschen. Und 2023 wird die Lage noch dramatischer werden. Wir werden dann kaum noch Krankenhäuser haben, die ein ausgeglichenes Budget haben.

Beispiel: Ein Haus mit einem Budgetvolumen von 100 Mio. €, das im Jahr 2021 noch einen ausgeglichenen Haushalt hatte, also eine schwarze Null erreichen konnte, wird in 2023 ein Defizit von rund 16 Mio. € erwirtschaften, wenn sie dies auf alle Kliniken hochrechnen, kommen wir auf mehrere Milliarden Euro, die unbedingt ausgeglichen werden müssen. Ansonsten droht ein massiver Personalabbau in den Krankenhäusern, um die steigenden Kosten in den Griff zu bekommen und Insolvenzen zu vermeiden. Der Abbau von Personal ist das Gegenteil dessen, was die Kliniken wollen. Und es ist das Gegenteil von dem was wir brauchen, um die Versorgung zu sichern.  Und es wäre ein katastrophales Zeichen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, daran muss die Politik denken. Und es ist erst recht keine nachhaltige Lösung des Kostenproblems, aber eine Notmaßnahme zu der die Krankenhäuser von der Politik faktisch gezwungen werden. Man muss es ganz klar benennen: Die stationäre Versorgung der Patienten ist in Gefahr. Wir brauchen dringend Unterstützung von Seiten der Politik.

Jenseits der Inflation spüren die Krankenhäuser nach wie vor die Auswirkungen der Coronapandemie. Wie macht sich das bemerkbar?

Dabei geht es um zwei Aspekte: Einmal haben wir nach wie vor hohe Infektionsraten in der Bevölkerung. Natürlich gibt es deshalb auch viele unter den Mitarbeitern im Krankenhaus, die nach einem positiven Corona-Test einige Tage in Quarantäne müssen. Im Moment haben wir um 50 bis 60 % höhere Krankenstände als üblicherweise um diese Jahreszeit. Diese Mitarbeiter fehlen, außerdem haben wir Urlaubszeit.

Zudem haben die Krankenhäuser viele positiv getestete Patienten, die isoliert werden müssen und für die ein entsprechender Hygienemehraufwand in der Behandlung notwendig ist. Insgesamt sind die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt, deshalb sinken die Erlöse erheblich. Dir Kerze brennt an zwei Enden: Uns fehlen auf der einen Seite Mitarbeiter, auf der anderen haben wir einen deutlich erhöhten Aufwand für die einzelnen Patienten.

Wie geht es Ihrer Einschätzung nach im kommenden Jahr 2023 weiter?

Der aktuelle Krankenhaus Rating Report 2022 zeigt: Etwa 60 % der Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Im Jahr 2023 werden es demnach 80 % der Häuser sein. Ich fürchte, dass diese Prognosen sogar noch übertroffen werden, wenn die Politik jetzt nicht handelt. Ohne einen Inflationsausgleich und die Fortsetzung der Coronahilfen werden viele Häuser in extreme Insolvenzgefahr geraten. Wir werden dann viele Krankenhausschließungen erleben. Und viele Krankenhäuser werden  so wie schon gesagt im kommenden Jahr gezwungen sein, Personal abzubauen, um die hohen Kostensteigerungen zumindest so weit abzufedern, das Haus selbst nicht völlig in die Schieflage gerät und vom Netz gehen muss.

Die DKG und die Landeskrankenhausgesellschaft starten im September eine Kampagne. Was genau ist geplant?

Wir wollen in allen 16 Bundesländern in Aktionen und öffentlichen Auftritten darauf aufmerksam machen, wie die Lage in den Krankenhäusern ist. Denn wir sind ernsthaft besorgt, dass die Versorgungssicherheit, wie wir sie kennen, sehr bald nicht mehr gewährleistet sein wird. Wir wollen damit die Bürgerinnen und Bürger aufmerksam machen, und gleichzeitig wollen wir die Politik an ihre Verantwortung erinnern. Die Politik muss die Probleme der Kliniken endlich zur Kenntnis nehmen und handeln. Die Zahlen zeigen eindeutig, dass wir ansonsten im Herbst und im Winter in große Bedrängnis geraten. Es geht um nicht weniger als die Sicherung der Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Im Rahmen der Kampagne ist auch eine Online-Petition geplant. Worum geht es?

Die Petition richtet sich an Bürgerinnen und Bürger und an Beschäftigte in den Krankenhäusern. Wir wollen sie motivieren, ihre Sorgen zum Ausdruck zu bringen und auf diese Weise die Politik auf die Lage der Kliniken aufmerksam zu machen, damit endlich gehandelt wird. Weitere Informationen zur Kampagne und zur Online-Petition sind auf der Website der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu finden (www.dkgev.de).

Sie beschreiben die Lage insgesamt sehr düster und wenig optimistisch. Haben die Krankenhäuser noch Vertrauen in die Gesundheitspolitik von Herrn Lauterbach?

Wir erleben zurzeit einen Gesundheitsminister, der die Notlage der Kliniken schlicht ignoriert. Er nimmt sie zwar zur Kenntnis, bietet aber keine Lösung für die drängenden Probleme. Aber die Krankenhausversorgung gehört zur Daseinsvorsorge, sie ist ein wichtiger Teil der sozialen Infrastruktur, die funktionieren muss. Man kann als verantwortlicher Politiker nicht einfach tatenlos zusehen, dass Kliniken in großer Zahl vom Netz gehen müssen und das wir gezwungen werden, massiv Personal abzubauen. Wir verlieren so Fachkräfte, die wir nie wiedergewinnen können in den nächsten Jahren.

Dabei hatten wir große Hoffnungen nach dem Regierungswechsel und nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrags, dass sich diese Regierung auf den Weg machen würde, die großen Strukturprobleme des Gesundheitswesens zu lösen. Wir hatten die Hoffnung, dass wir gemeinsam an diesen Lösungen arbeiten werden. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erheblich erschüttert. Wir sehen, dass der Minister hinter verschlossenen Türen kleinteilige Regelungen erdenkt, die dann in Form von unausgegorenen Gesetzentwürfen an die Öffentlichkeit gelangen, aber keinesfalls geeignet sind, die großen Herausforderungen des demografischen Wandels und die Strukturprobleme im Gesundheitssystem zu lösen. Wir sind in großer Sorge, dass das „Klein-klein“ in der Gesundheitspolitik weitergeht und wir weiterhin in einem System zurechtkommen müssen, das keine Antworten bietet auf die drängenden Fragen und Probleme.