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Alarmstufe ROT: Bundesweiter Protest der Krankenhäuser


Viele hundert Teilnehmer protestierten am 6. September angesichts der Tatenlosigkeit der Politik – offenbar mit einigem Erfolg: Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) versprach Klinikbeschäftigen „mindestens nochmal 50 Mio. €“ als Ausgleich für die Coronabelastungen. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte zwei Tage später ein Hilfspaket für die Kliniken wegen stark gestiegener Betriebskosten an. Foto: Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg

Petition für Inflationsausgleich für die Krankenhäuser auf den Weg gebracht

Das Trillerpfeifenkonzert ist so ohrenbetäubend laut und schrill, als sollte es bis ins Bundesgesundheitsministerium an der Berliner Friedrichstraße zu hören sein. Lautstark machen sich die protestierenden Beschäftigten der Brandenburger Kliniken, die im Rahmen der bundesweiten Kampagne der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) „Alarmstufe ROT: Krankenhäuser in Gefahr“ am 6. September auf den Potsdamer Stadtplatz gekommen sind, ihrem Ärger Luft.

Potsdam war die erste Etappe einer Tour durch Deutschland: Mit einem Infomobil weisen Vertreter der DKG und aller Landeskrankenhausgesellschaften auf die Misere der Kliniken hin und werben für eine Petition: Am 5. September startete eine bundesweite Kampagne, mit der die DKG auf die massiven wirtschaftlichen Bedrohungen für die Krankenhauslandschaft aufmerksam machen möchte. Die Forderung der Krankenhäuser: einen umgehenden Inflationsausgleich für die Kliniken, um ungesteuerte Insolvenzen zu verhindern.

Zusammen mit den Landeskrankenhausgesellschaften war die DKG und die Landeskrankenhausgesellschaften an vielen Orten in den Bundesländern präsent und organisierten Aktionen. Proteste und Gesprächsangebote für Presse und Öffentlichkeit. Mit einer Online-Petition (http://openpetition.de/!AlarmstufeRot) wollen die Krankenhausverbände ihre Forderungen an die Politik bekräftigen. Schon am 21 September war das Quorum, das bei 50 000 Unterstützern liegt, erreicht.

Alarmstufe ROT ist mehr als nur ein Parole für die Kliniken: Nach den Belastungen der Pandemie trifft die Krankenhäuser nun die Inflation und insbesondere die extrem gestiegenen Energiepreise.

Die Kostensteigerungen treffen auf staatlich reglementierte Preise. Vorgesehen ist für 2022 nur eine Steigerung der Einnahmen für die Kliniken von 2,32 %. Allein die Inflation liegt schon bei knapp 8 % und wird auf 10 % steigen.

Hinzu kommen seit Jahren bekannte Probleme wie der chronische Personalmangel und die ausbleibende Investitionskostenfinanzierung der Länder. Bereits in diesem Jahr schreiben 60 % der Krankenhäuser rote Zahlen. Die Lage wird sich im kommenden Jahr weiter zuspitzen. Nach einer aktuellen Blitzumfrage sehen knapp 40 % der Krankenhäuser ihre wirtschaftliche Situation so gefährdet, dass Insolvenzen drohen.

Eine wirtschaftlich solide Finanzplanung ist derzeit unmöglich, und an vielen Orten droht deshalb die Schließung von Krankenhäusern – mit negativen Folgen für die Versorgungssicherheit.

Für viele Landkreise könnte das bedeuten, dass sie den Sicherstellungsauftrag übernehmen müssen, um für insolvente Kliniken einzustehen.

„Ohne einen Inflationsausgleich zur Stabilisierung der Krankenhäuser droht ein massiver Personalabbau mit negativen Folgen für die Patientenversorgung. Wir brauchen jetzt kurzfristige finanzielle Hilfe, und langfristig vernünftige Struktur- und Finanzierungsreformen. Wenn der Gesundheitsminister jetzt nicht hilft, wird sich der kalte Strukturwandel mit seinen Krankenhaus-Schließungen dramatisch weiter verschärfen. Dann gefährdet er die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung“, sagt der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß.

In Potsdam ist der DKG-Tourenbus für die #rettungsfahrt für Deutschlands Kliniken umringt von mehr als 400 märkischen Klinikmitarbeitern. Sie hielten Protestplakate in die Luft und Trillerpfeifen in den Händen – nur einen Steinwurf vom Potsdamer Landtag entfernt. Doch der Groll richtet sich nicht in erster Linie gegen die Landespolitiker, sondern gegen die Politik der Bundesregierung. Die Kliniken, die Pflegekräfte, die Ärzte, die Verwaltungsmitarbeiter, sie alle waren zu Beginn der Coronapandemie von der Bundespolitik als unersetzbar und systemrelevant tituliert und beklatscht und mit Coronahilfen notdürftig unterstützt worden. Doch ausgerechnet jetzt, wo die Finanzlage der Kliniken noch viel dramatischer geworden ist, da werden die Systemrelevanten kurzerhand im Stich gelassen vom BMG und BMF: Keine Coronahilfen mehr, kein Inflationsausgleich, kein Energiezuschuss, kein Rettungspaket, keine Strukturentscheidungen, keine Teilhabe. Stattdessen Gängelei, Regulierungswut, Sanktionen. Was Corona nicht geschafft hat, das schaffen jetzt Inflation und Energiepreisexplosion.

Nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) können 96 % der Krankenhäuser die gestiegenen Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen. Allein die Energiekostensteigerungen bringen Kliniken an den Rand der Zahlungsfähigkeit. „Ein Krankenhaus mittlerer Größe wird nach aktuellen Berechnungen 2023 über 6 Mio. € mehr für Gas und Strom bezahlen als im Jahr 2021. Mehrausgaben in Millionenhöhe, die nicht gedeckt sind. Allein das macht auf alle Kliniken hochgerechnet einen Fehlbetrag von rund 4 Mrd. €. Insgesamt gehen wir für das Jahr 2023 von einer Unterdeckung von 10 Mrd. € aus. Der Bund hat in den vergangenen Krisen sehr eindrücklich unter Beweis gestellt, dass kurzfristige Finanzhilfen für Unternehmen auch in solcher Größenordnung möglich sind. Nun ist es an der Zeit, dies auch für die Einrichtungen der Daseinsvorsoge zu leisten“, so Gaß.

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher verspricht 50 Mio. € zusätzlich für die Kliniken

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) versprach zum Auftakt der bundesweiten Protestveranstaltung in Potsdam den protestierenden Klinikbeschäftigen „mindestens nochmal 50 Mio. €“ als Ausgleich für die Coronabelastungen. Auch die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und CDU im Potsdamer Landtag unterstützen die zusätzlichen Corona-Hilfen. „Ich bin sehr gerne auf diesen Wagen aufgesprungen zur Rettungsfahrt der Krankenhäuser“, versichert Nonnemacher. Das Land Brandenburg verstehe sich als Partner der Kliniken und wolle helfen, wo es geht. An die Berliner Regierungsampel appelliert sie: „Der Bund darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen.“

„Die Zeichen stehen auf Sturm, alle leiden, sehen sich in ihrer Existenz bedroht“, skizziert Dr. Detlef Troppens, Vorsitzender der Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg, (LKB). Angesichts der Auswirkungen von Inflation und steigenden Energiekosten befürchtet Troppens, dass es auch zu Insolvenzen kommen könne. Den Kliniken stehe „das Wasser bis zum Hals“ und bald auch darüber. Die Energiekosten seien so drastisch gestiegen, die Mehrkosten entsprächen allein bei den Brandenburger Kliniken perspektivisch etwa dem Gehalt von 1 000 Pflegekräften. Verbandschef Troppens wirft Bundesgesundheitsminister Lauterbach Untätigkeit vor.

KGNW-Präsident Ingo Morell: Kliniken türmen toxische Defizite auf

Der BKG-Geschäftsführer Roland Engelhausen richtete in München, als das Infomobil in Bayern Station machte, eine klare Forderung an die Politik in Berlin: „Wir brauchen dringend für die nächsten 15 Monate einen Inflationsausgleich in Form eines Rechnungsaufschlags von 4 %. Sollte eine Lösung ausbleiben, fährt die stationäre Versorgung kurzfristig an die Wand. Der Schaden wäre mit Blick auf die Versorgungssicherheit und auf den Fachkräftemangel unkalkulierbar. Es droht eine enorme gesellschaftliche Vertrauenskrise, weil dies das Ergebnis der politischen Vorgaben wäre.“

Fast alle NRW-Kliniken seien finanziell geschwächt ins zweite Halbjahr 2022 gestartet, so Ingo Morell am 9. September in Düsseldorf. „Und das ist eine toxische Ausgangslage für die nationale und internationale Energiekrise, die uns seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bedrängt“, betonte der KGNWPräsident.

„Die Preissprünge bei Erdgas und ebenso beim Strom kann kein Krankenhaus aus eigener Kraft tragen. Anders als andere Wirtschaftsunternehmen können wir diese Kosten an niemanden weitergeben. Wir türmen bedrohliche Defizite auf, weil wir Geld ausgeben müssen, das wir nicht wieder einnehmen können.“

Lauterbach kündigt Hilfspaket für Kliniken an

Am 8. September, drei Tage nach dem Kampagnenstart, kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Hilfspaketfür die Kliniken wegen stark gestiegener Betriebskosten an. „In dieser Energie- und Inflationskrise lassen wir unsere Krankenhäuser nicht im Stich und werden sie über den Herbst und über den Winter bringen“, sagte Lauterbach in der Haushaltsdebatte im Bundestag. Dafür sollten in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge vorgelegt und mit den Ländern beschlossen werden. Es gehe um kurzfristige Lösungen, damit Kliniken jetzt nicht in unüberbrückbare Schwierigkeiten durch Liquiditätsprobleme kommen.

Inflationsausgleich per Rechnungsaufschlag auf Krankenhausrechnungen

Die Umsetzung eines Inflationsausgleichs ist nach Auffassung der DKG einfach und unbürokratisch möglich. „Wir fordern einen Inflationsausgleich in Form eines Rechnungsaufschlags auf die Krankenhausrechnungen. Dies wäre eine schnelle, unbürokratische Hilfe. Die Kosten dürfen aber nicht bei den Krankenkassen landen, sondern müssen vom Bund in Form eines höheren Zuschusses für die Kassen übernommen werden. Die Krankenhäuser sind in Not wie viele andere energieintensive Unternehmen auch. Aber die stützt der Bund mit Hilfen in Milliardenhöhe.

Dass im Sommer auch alle Corona-Hilfen für die Kliniken ausgelaufen sind, erschwert die Lage zusätzlich. Das werden wir insbesondere im Herbst und Winter spüren, wenn wieder mehr Corona-Patienten in den Kliniken behandelt werden müssen. Hier braut sich der perfekte Sturm zusammen“, so Gaß.

Langfristig müssen die Länder endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach ausreichender Finanzierung der Klinik-Investitionskosten nachkommen. Seit Jahrzehnten tragen sie nur einen Bruchteil der Kosten.

Die wirtschaftliche Situation trifft eben auch noch auf eine extrem angespannte Personalsituation in den Kliniken. Aktuelle Zahlen zeigen, dass Personalausfälle die Versorgungssituation

gefährden. Aktuell können 87 % der Krankenhäuser nicht ausschließen, Stationen zeitweilig schließen zu müssen. Und fast 80 % gehen davon aus, dass sie im Herbst wegen Personalmangels planbare Operationen und Eingriffe verschieben oder absagen müssen. Und in dieser Situation verschärfen hohe Personalvorgaben die Personalnot, und das verbliebene Personal wird mit extremer Bürokratie überlastet.

„Wir brauchen einen Befreiungsschlag. Zum einen müssen wir endlich entbürokratisieren und die Misstrauenskultur beenden. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern müssen von Bürokratie befreit werden, statt sie mit immer mehr Anforderungen zu konfrontieren. Dass Pflegekräfte und Ärzte drei Stunden täglich mit oft unnötigen Dokumentationsarbeiten verbringen müssen, ist inakzeptabel. Zum anderen brauchen wir einen großen Digitalisierungsschub, um unser Personal zu entlasten. Wir müssen aber auch weg von immer kleinteiligeren Personalvorgaben. Die Teams in den Krankenhäusern, die täglich die Versorgung der Patientinnen und Patienten stemmen, benötigen Vertrauen und Handlungsspielraum, um die Kolleginnen und Kollegen optimal und für die Versorgung und die Patienten nutzbringend einsetzen zu können. Absolut absurd wird die Situation dadurch, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auch noch den Pflegemangel verschärfen wird. Der Minister muss diese Pläne schnellstmöglich ad acta legen. Und wir brauchen für die Mitarbeitenden eine klare Perspektive für eine bessere Personalausstattung. Ich betone, auch wir Krankenhäuser sind hier gefordert, aber wir benötigen zuvorderst die politischen Rahmenbedingungen“, so Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG.

„Das Fass der Zumutungen ist voll. Krankenhäuser droht die Schließung aus wirtschaftlichen Gründen, der Personalmangel gefährdet die Versorgung, die Kliniken erwarten horrende Rechnungen für Gas und Strom, und das alles in Erwartung einer Herbst- und Winterwelle. Die Politik reagiert mit noch mehr Bürokratie, hält stur an der sinnlosen Impfpflicht fest, hat keine Konzepte gegen den Fachkräftemangel und schaut zu, wie Krankenhäuser ins Straucheln geraten. Im schlimmsten Fall werden Kliniken keine andere Wahl haben, als Personal abzubauen, um einer drohenden Schließung zuvorzukommen. Die Leidtragenden dieser Politik sind die Patientinnen und Patienten“, erklärt Gaß. tak/krü