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44. Deutscher Krankenhaustag


Foto: Messe Düsseldorf/Constanze Tillmann

Kliniken fordern umfassende Neuausrichtung in der Krankenhauspolitik

„Kurswechsel in der Krankenhauspolitik?!“ Das Fragezeichen, das dieses Motto des 44. Deutschen Krankenhaustags abschließt, steht wohl für die Unsicherheit angesichts der während des Kongresses laufenden Koalitionsverhandlungen in Bezug auf die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre. Das Ausrufezeichen steht für die Dringlichkeit der Forderung nach einer umfassenden Neuausrichtung der Krankenhauspolitik.

Der Kongress fand parallel zur weltweit größten Medizinmesse MEDICA vom 15. bis 17. November in Düsseldorf statt. Teilnehmer konnten sich, durch die Pandemie bedingt, in diesem Jahr per Livestream, nicht aber vor Ort, über die neuesten Trends aus dem Krankenhausbereich informieren. In jeder Session, in jeder Diskussion war immer auch um Corona ein Thema. Inzwischen ging es um die Bewältigung der vierten Welle der Pandemie.

Der diesjährige Kongresspräsident Dr. Gerald Gaß, zugleich Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), mahnte zum Auftakt vor zunehmender Belastung der Intensivstationen durch Corona-Patienten. Er fürchte, dass bald erneut mehr als 4 000 Intensivbetten in Krankenhäusern mit Covid-19-Patienten belegt sein werden. Die große Sorge sei nun, dass die Zahlen noch weit darüber hinausgehen, sagte Gaß: „Wir sehen aktuell, dass erneut Engpässe durch die zusätzlichen Covid-Patienten auftreten, die das Personal der Krankenhäuser sehr stark belasten.“

Rettungsschirm 2.0 und nachhaltiger Reformprozess für eine leistungsfähige Kliniklandschaft

Sofortige Maßnahmen, um die Corona-Entwicklung zu bremsen, forderten unisono die Vertreter der DKT-Gesellschafter im Rahmen der Eröffnungs-Pressekonferenz. „Dazu gehört auch ein handlungsfähiges neues Gesundheitsministerium, das schnell seine Arbeit aufnehmen sollte“, so Gaß. Zudem bräuchten die Kliniken wieder maximalen Handlungsspielraum, um das Regelsystem gezielt an die konkrete Belastung anzupassen.

Solange die Krankenhäuser nicht sicher sein könnten, dass ihr wirtschaftliches Überleben auch bei sinkenden Fallzahlen in der Regelversorgung gesichert sei, müssten sie die schwierige Balance zwischen Covid-Versorgung und planbaren Leistungen aushalten. „Die Krankenhäuser benötigen einen finanziellen Rettungsschirm und wirtschaftliche Stabilität auch über das Jahresende hinaus, um den Krankenhäusern Sicherheit und Freiheit zu geben, jenseits aller wirtschaftlichen Erwägungen das maximal Mögliche in dieser dramatischen Lage zu leisten“, so Gaß.

Dabei sei es dringend erforderlich, dass der Rettungsschirm die Besonderheit der regionalen Netzwerke, die sich in der Covid-Versorgung etabliert haben, berücksichtige. Deshalb dürfe das Augenmerk nicht ausschließlich auf die Kliniken gelegt werden, die stark und unmittelbar in der Covid-Versorgung engagiert sind: „Wir haben in den zurückliegenden 20 Monaten gelernt, dass regional angepasste Versorgungskonzepte zur Bewältigung dieser Krise erfolgreich waren.“

Deutschland sei bisher zwar gut durch die Pandemie gekommen, auch weil diese zeitversetzt in Deutschland angekommen sei. „Aber den Vorsprung haben wir ein Stück weit verspielt“, kritisierte Gaß. Die Kliniken begrüßten die verschärften Corona-Maßnahmen wie die 2G- und 3G-Regeln in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens, die kurz vor dem Kongress auf den Weg gebracht worden waren, sowie eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes.

Der DKG-Vorstandsvorsitzende forderte einen Nationalen Krisenstab aus Vertretern des Bundes und der Länder, ein digitales Meldeverfahren für Covid-19-Patienten und eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht. Die DKG stelle sich hinter den Aufruf des Deutschen Ethikrats,

die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einzuführen, so der DKG-Präsident. Es sei schwer nachvollziehbar, dass Arbeitgeber den Impfstatus ihrer Mitarbeiter nicht abfragen dürfen, „wo jeder bereitwillig in jeder Pizzeria seinen Impfnachweis vorzeigt“. Hier müssten die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Auch Dr. Sabine Berninger, Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft christlicher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen in Deutschland (ADS) sowie des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), unterstützt diese Aufforderung.

„Wenn eine Entscheidung für die Impfpflicht im Krankenhaus fällt, wird sich die Pflege nicht dagegenstellen“, so Berninger.

Personalflucht auf den Intensivstationen Der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK), Priv.-Doz. Michael A. Weber, prophezeite:

„Wir werden dringliche Operationen aufschieben müssen – zum Schaden der Patienten.“ Weber sprach sich für die Ausweitung der 2G-Regeln und Kontaktbeschränkungen aus, um Kliniken vor dem Kollabieren zu bewahren.

Gaß unterstrich die Leistungsfähigkeit der Kliniken während der Coronapandemie. Gleichzeitig seien aber die Grenzen und Mängel des Systems deutlich geworden. Dabei sei nicht verständlich, warum es in Deutschland bis heute keinen nationalen Krisenstab gebe, in dem sich die wesentlichen Akteure des Gesundheitswesens kontinuierlich mit der Politik austauschten.

Oder warum nach 20 Monaten Pandemie die Gesundheitsämter

den Kliniken noch immer kein digitales Meldeverfahren für Coronafälle zur Verfügung stellen würden: „Der Ärger über die Untätigkeit der Politik ist groß.“

Neben kurzfristigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Krankenhäuser in der vierten Coronawelle benötigten die Krankenhäusereinen nachhaltigen Reformprozess für eine leistungsfähige Kliniklandschaft.

Mit Blick auf die neue Regierung forderte der DKG-Vorstandsvorsitzende eine „Bund-Länder-Zukunftskommission Krankenhaus“, um ein abgestimmtes Handeln zwischen Bundesregierung und Ländern für eine zukünftige Krankenhausstruktur auf den Weg zu bringen. „Die Menschen erwarten Antworten: Wie viel Krankenhaus will die Politik in Zukunft noch, wie viel Zentralisierung, wie viel Wohnortnähe? Das sind schwierige Fragen, denen sich die Politik aber stellen muss“, so Gaß.

PPR 2.0: ein Personalbemessungsinstrument, ausgerichtet am Bedarf der Patienten

Die Pflege in deutschen Kliniken befinde sich in der Abwärtsspirale, mahnte Dr. Sabine Berninger. Eine Befragung zeige, dass rund 70 % der Intensivstationen in der Zeit der Pandemie massive Personalprobleme hätten, da überlastete Pflegekräfte ihre Arbeitszeit reduziert hätten oder ganz aus dem Beruf ausgestiegen seien. „Wir stehen mit dem Rücken an der Wand“, so Berninger.

Pflegekräfte müssten zu viele Patienten versorgen, hätten keine verlässlichen Dienstpläne und kaum Pausenzeiten. Die neue Bundesregierung dürfe notwendige Reformen nicht auf die lange Bank schieben: „Wir benötigen ein Personalbemessungsinstrument, das am Bedarf unserer Patientinnen und Patienten ausgerichtet ist – jetzt sofort und nicht erst in fünf oder zehn Jahren. Nur so schaffen wir es, eine Perspektive aufzuzeigen, dass die Pflegefachpersonen wieder so pflegen können, wie es fachlich gut und notwendig ist.“ Vielleicht könnten so auch wieder einige der Berufsaussteiger zurückgewonnen werden. Mit der PPR 2.0, dem von ver.di, dem Deutschen Pflegerat und der DKG vorgestellten Pflegepersonalbemessungsinstrument, liege als sofortige Lösung ein fundierter Vorschlag auf dem Tisch, der einsetzbar ist, sagte Berninger. Darüber hinaus seien Investitionen in den Pflegeberuf – in Ausbildung wie Arbeitspraxis – notwendig. Zudem sollten die Aufgabenzuordnungen zwischen den Gesundheitsberufen neu überdacht und am Fachwissen der Beteiligten sowie an der Patientenversorgung ausgerichtet sein. „Pflegende haben mehr Kompetenzen, als sie heute einsetzen dürfen. Sie sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen“, so Berninger. „Schlussendlich brauchen wir ein klares Bekenntnis der Politik für eine bessere Personalausstattung in den Krankenhäusern. Wir brauchen die politischen Rahmenbedingungen, damit das Personal weiß, dass eine wirklich nachhaltige Verbesserung ansteht.“ – Mehr Zeit für den Patienten statt noch mehr Bürokratie.

„Für eine effiziente und datensichere Digitalisierungsstrategie“

Priv.-Doz. Dr. Michael A. Weber forderte mit Nachdruck eine ausreichende Finanzierung der Betriebs- und Investitionskosten. „Der Rettungsschirm für die Krankenhäuser muss reaktiviert werden“, unterstrich auch der VLK-Präsident. „Wir müssen wegkommen von einer kalten Strukturbereinigung allein durch wirtschaftlichen Druck und Überregulierung hin zu einer wirklichen Strukturreform inklusive sektorenübergreifender Lösungen“, so Weber weiter. „Hinterfragen Sie die diffamierenden Berichte über die Leistungsfähigkeit der kleinen und mittleren Krankenhäuser! Sie haben in der Pandemie einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Versorgung vor allem in den Flächenländern geleistet“, mahnte der VLK-Präsident direkt an die Zuhörer adressiert. Eine Zentralisierung komplexer Leistungen sei sinnvoll, dürfe aber nicht zu einem Kahlschlag der Versorgungsstrukturen führen. OECD-Daten zum internationalen Vergleich ließen oft eine kritische Auseinandersetzung mit der Datenqualität vermissen. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage des VLK hätten sich 80 % der Bevölkerung gegen Krankenhausschließungen ausgesprochen, eher aber für eine Reduktion der Krankenkassen.

Bei aller Notwendigkeit einer Veränderung dürfe das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden, warnte auch Dr. Josef Düllings, Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD). So sei es ein grundlegender Irrtum, zu glauben, dass die flächendeckende Versorgung ausschließlich von wenigen Maximalversorgern und Universitätskliniken geleistet werden könne. „Wir brauchen unser Netz von gestaffelten kleinen, mittleren und großen Häusern, wie wir es bereits haben, die aber untereinander künftig Leistungen noch deutlich besser abstimmen müssen. Das ist bereits vielfach im Gange“, erklärte Düllings im Rahmen der Podiumsdiskussion der Eröffnung.

So wie jeder Patient eine individuelle Behandlung benötige, bräuchten die Kliniken eine bedarfsgerechte Versorgungsstruktur. Dies erfordere die Entwicklung sinnvoller Alternativen, um die flächendeckende medizinische Versorgung zu garantieren. Weber forderte zudem eine effiziente und datensichere Digitalisierungsstrategie, die den Ansprüchen des Klinikalltags gerecht werde. Darüber hinaus seien für ein gutes Gesundheitssystem gute Arbeitsbedingungen unabdingbar. „Wir brauchen ausreichende Investitionen und intelligente Lösungen in der Personalplanung – gegen die Unterbesetzung in Kliniken. Deutschland braucht die besten Ärztinnen und Ärzte. Deswegen setzen wir uns gegen einen überstürzten Abbau ärztlicher Stellen ein“, sagte Weber. Der VLK-Präsident forderte eine zielgenaue und differenzierte Strukturreform, um die hohen Qualitätsstandards deutschlandweit zu halten. „Im Mittelpunkt müssen dabei die Patienten stehen.“

Alle Beteiligten seien darüber einig, dass eines der großen Themen der nächsten Jahre die Vernetzung der Anbieter von Gesundheitsleistungen auch über Sektorengrenzen hinweg ist. „Dann muss allen, auch der Politik, klar sein, dass es ohne erhebliche Investitionen nicht gehen wird“, sagte VKD-Präsident Dr. Josef Düllings.

Düllings hob die Bedeutung einer ambulant-stationär integrierten Versorgung hervor. Diese sei nur von den Krankenhäusern zu leisten. „Der Gesetzgeber sollte daher die ambulante Behandlung am Krankenhaus in die Selbstverwaltungskompetenz der Kliniken überführen und eine auskömmliche Finanzierung dafür garantieren. In den Fachgebieten, in denen die kassenärztliche Versorgung die Sicherstellung nicht mehr zeitnah leisten kann, müssen die Kliniken für diese Leistungen per Gesetz zugelassen werden“, forderte der VKD-Präsident. Gleichzeitig sollten Bund und Länder als Letztverantwortliche der gesundheitlichen Daseinsvorsorge ein Zukunftskonzept „Deutsches Krankenhaus“ vorlegen und die seit Langem offene Frage der Investitionsfinanzierung endlich beantworten. Zudem müsse nach dem Krankenhauszukunftsgesetz die Digitalisierung der Kliniken durch Förderung von über 2 Mrd. € pro Jahr in den nächsten fünf Jahren fortgesetzt werden. „Vergütungsabschläge und unrealistische Fristsetzungen müssen aufgehoben werden“, forderte Düllings. Ambulante Potenziale der Krankenhäuser waren zudem ein Schwerpunktthema des diesjährigen Krankenhaustages.

Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg (FDP), der per Livestream an der politischen Diskussion der Auftaktveranstaltung teilnahm, wollte aus den Koalitionsverhandlungen zwar nichts preisgeben. Er betonte jedoch, auch er lehne eine Strukturbereinigung durch die Hintertür ab. Garg: „Das muss ein gestaltender Prozess sein.“ Und in diesem dürften Politiker keine Bestandsgarantie für jedes Krankenhaus in den Regionen versprechen.

Um dem demografischen Wandel gerecht werden zu können, müsse die sektorenverbindende Versorgung vorangebracht werden. Dazu gehöre, dass Telematik und digitale Anwendungen stärker als verbindende Elemente zwischen ambulantem und stationärem Sektor zum Einsatz kommen.

Die Bundesländer müssten aber auch ihrer Investitionsverpflichtung nachkommen, so Garg. In bemerkenswertem Gleichklang mit den Forderungen der Krankenhausseite sagte der Minister: „Ich wünsche mir hier, dass die Regierung im Rahmen eines Bund-Länder-Paktes bestimmte Leitlinien vorgibt, wie die künftige Krankenhausstruktur in Deutschland aussehen soll.“ Länder, die diesen Leitlinien folgten, sollten Unterstützung vom Bund erhalten. Auch bei der Betriebskostenfinanzierung sieht Garg Reformbedarf: „Das bisherige DRG-System hat zu deutlichen Fehlentwicklungen geführt.“ Er sprach sich für eine Ausgliederung von Vorhaltekosten aus. Es müsse ein Vorhalteblock definiert werden, über den eine Basisversorgung sichergestellt werden könne.