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Klinikarchitekten warnen vor negativen Auswirkungen auf die neue Transformation der stationären Einrichtungen
Die Klinikreform des Bundes wird zu einer Konzentration und Neugliederung der stationären Leistungen in Deutschland führen. Dafür müssen die Krankenhäuser baulich angepasst werden. Doch in Deutschland gibt es keinen singulären Lehrstuhl mehr für Krankenhausbau für die Erforschung und Lehre von Gesundheitsbauten. Eine Ausnahme: Am Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der Technischen Universität Braunschweig wird das Themenfeld Gesundheitsbauten gelehrt.
Für Marc Rehle, Vorstandsvorsitzender des Vereins „Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen e. V.“ (AKG), fehlt indes eine wichtige Voraussetzung zum Gelingen und zur Effizienz der Krankenhausreform des Bundes. „Einen singulären Lehrstuhl für Krankenhausbau gibt es nicht mehr in Deutschland. Dies wird Konsequenzen für die Effizienz von Gesundheitsneubauten haben.“
Seit den 50er Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland zwei große Lehrstühle für Krankenhausbau, in München und in Berlin jeweils an den Technischen Universitäten. Viele Neuentwicklungen gingen von diesen Lehrstühlen aus und wurden stilbildend, beschreibt Rehle. In München wurde der Lehrstuhl für Klinikbau schon vor längerer Zeit ersatzlos abgeschafft. Nach Angaben der Pressereferentin der TU München, Carolin Lerch, hat es den Lehrstuhl Krankenhausbau unter der Leitung von Professor Christoph Ottow bis zu dessen Emeritierung 1989 gegeben. In Berlin hatte zuletzt Prof. Christine Nickl-Weller den Lehrstuhl für Krankenhausbau inne. Sie genoss internationale Reputation. Nach ihrer Emeritierung wurde der Berliner Lehrstuhl 2023 formell umbenannt in das allgemeine Fachgebiet „Zukunft und Gesundheit“.
„Wir haben bisher den Schwerpunkt ‚Bauten des Gesundheitswesens‘ nicht aufgegeben, mussten aber ein Berufungsverfahren abbrechen“, stellt die Sprecherin der TU Berlin, Stefanie Terp, klar. Eine Neuzuweisung, also eine erneute Ausschreibung, sei in Bearbeitung.
Angehende Architekten könnten derzeit in Deutschland an keinem singulären Lehrstuhl das Fachgebiet „Krankenhausbau“ studieren, präzisiert Rehle. Der Lehrstuhl in München bietet diesen Bereich zwar im Rahmen ihrer Entwurfsaufgaben an, verfügt aber nicht über den Apparat, um diese Lücke in Forschung und Lehre zu schließen.
Das Centrum für Demographie und Diversität an der Technischen Universität Dresden unter Prof. Dr. Gesine Marquardt (Professur für Sozial- und Gesundheitsbauten) hat Forschungsthemen und Schwerpunkte wie demenzsensible Architektur, Architektur im demografischen Wandel, die Entwicklung von Wohn- und Pflegeformen sowie barrierefreies Planen und Bauen.
Bauliche Veränderungen durch Konzentration der Kliniken
Durch die Klinikreform werde es große Veränderungen im Klinikbau geben, prophezeit Rehle. Etwa 500 bis 800 der insgesamt 1 700 Klinikstandorte würden langfristig wegfallen, so Rehles Prognose. Die verbleibenden Kliniken müssten angepasst werden, zum Beispiel im Bereich der Zentralen Notaufnahme mit einer Vorhaltung für Infektionsereignisse und mit einer digitalen Umstellung antworten. Daneben müssten bisherige stationäre Einrichtungen für die ambulante Versorgung adaptiert werden. Für diese baulichen Veränderungen existierten keine Vorbilder in Deutschland. Internationale Beispiele seien aufgrund der besonderen Sektorentrennung in Deutschland in ambulant und stationär nicht übertragbar.
Nun gebe es aber keine Instanzen mehr, die diese neuen baulichen Herausforderungen thematisieren, untersuchen und sich Alternativen überlegen könnten, wie: „Was müssen wir tun, um die bestehenden Krankenhäuser für diese Veränderungen fit zu machen?“ Eine wesentliche Veränderung sei zum Beispiel die neue Versorgungsstufe der sektorenübergreifenden Versorgungszentren. Diese Einrichtungen, die die Verbindung von ambulanter und stationärer Versorgung leisten sollen, müssten entsprechend fit gemacht werden, sich vermehrt öffnen auch für Patienten, die nicht stationär bleiben. Größere Diagnostikeinrichtungen seien nötig. Solche Ideen und Konzepte entwickelten normalerweise Lehrstühle durch regelmäßige Entwürfe und Diskussionen. Gerade zu einem Zeitpunkt, wo das Gesundheitswesen aus budgetären und personellen Gründen einen Wandel zur Optimierung benötige, werde auf die Ressource von hochwertiger Planungsqualität verzichtet.
In fünf bis zehn Jahren werde man dieses Manko sehr deutlich spüren, denn es wird auch kein Nachwuchs mehr im Klinikbau ausgebildet. Der Verein „Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen e. V.“ (AKG) hat auf diese Fehlentwicklung bereits hingewiesen und sich im vergangenen Jahr schriftlich an das Bundesgesundheitsministerium und den damaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gewandt. Ohne Reaktion. Allerdings müssen eigentlich die Bundesländer an ihren Universitäten für die Einrichtung dieser fachbezogenen Lehrstühle sorgen.
„Wir stellen fest, dass Hochschulabsolventen kaum Wissen über Gesundheitsbauten haben“, weiß Martin Richter, Architekt der Planungsgesellschaft wörner traxler richter mbh. Dabei flössen öffentliche Gelder in großen Teilen in den Gesundheitsbau. Die größten Gebäude neben Flughäfen und Bahnhöfen seien die zu sanierenden oder neu zu bauenden Gesundheitszentren.
Gebaute Wertschätzung für Patienten und Mitarbeiter
Bauten des Gesundheitswesens gelten dabei als komplexeste Bauaufgabe schlechthin, beschreibt Rehle. Zahllose Funktionsbereiche und anspruchsvolle technische Ausstattungen müssen unter hohen hygienischen Anforderungen miteinander verknüpft werden. „Der Unterschied zum Bau eines Hauptbahnhofs oder eines Olympiastadions ist, dass ein Krankenhaus wie eine kleine Stadt ist“, beschreibt Rehle. Es bestehe nicht nur aus Bettenzimmern und Operationssälen, sondern es gebe so viele unterschiedliche Einrichtungen wie in einer Kleinstadt: Wäscherei, Küche, Müllentsorgung, Verbrennungsanlage, technische Werkstätten, Diagnoseeinrichtungen, Arztpraxen etc. „Und alle müssen so eng und effektiv wie möglich miteinander verbunden werden. Ein Krankenhaus muss wie eine Fabrik funktionieren. Alle Zahnräder müssen eng ineinandergreifen.“ Wird ein Krankenhaus nicht gut konzipiert, erreiche man keine optimalen Betriebsabläufe. „Das führt zu großen Verzögerungen.“ Klinikbauarchitekten könnten Kliniken entwickeln, die effizient und zugleich lebenswert seien, in denen nicht das typische Krankenhausgefühl erzeugt werde. „Eine spezialisierte Ausbildung kann die Gesundheitsversorgung in Deutschland verbessern, sowohl durch optimierte Betriebsabläufe als auch durch die Steigerung der Arbeitsqualität und durch gesundmachende Räume für die Patienten.“
Schaut man sich das geplante neue Deutsche Herzzentrum Berlin der Charité (DHZC) an, dann fällt das Narrativ der „gebauten Wertschätzung“ auf. Neben dem Wohl der Patienten steht für den Architekten Martin Richter auch das Wohlbefinden der Klinikbeschäftigten im Mittelpunkt. Eine üppige Dachterrasse lädt die Klinikmitarbeiter zum Verweilen und zu sportlichen Einheiten ein, in der prägnanten Gebäudefuge im siebten Geschoss mit Panoramablick können die Klinikbeschäftigten zunächst den grandiosen Ausblick über Berlin genießen, bevor sie in ihre Klinikkleidung schlüpfen.
Die politisch gewollte Ambulantisierung in den Kliniken werde dafür sorgen, dass Großgeräte nicht mehr doppelt vorhanden sein müssen und vorhandene Maschinen mehr ausgelastet werden, so Rehle. Ambulante Patienten müssten auch baulich in den Betriebsablauf eines Krankenhauses integriert werden, dafür werden zum Beispiel mehr oder größere Warte- und Aufwachräume benötigt.
„Die Transformation der Kliniken, die durch die Klinikreform intendiert ist, wird durch die fehlenden Lehrstühle für Klinikbau in der Effektivität deutlich eingeschränkt“, sagt Rehle.
Ein Lehrstuhl Klinikbau sei nicht nur dafür da, die Studenten auszubilden und zu schulen in den Aufgaben eines Krankenhausbaus, sondern er diene auch dazu, Informationsveranstaltungen und Vorträge für die Allgemeinheit und für Fachpersonal zu veranstalten. Lehrstühle betreuen Architekturwettbewerbe, sind Preisrichter und weisen den Weg in die und in der Zukunft.
Die optimale Organisation der klinischen Fachbereiche in dem großen Komplex eines Krankenhauses sei entscheidend nicht nur für den ökonomischen Erfolg, sondern auch für das Wohl von Patienten und Personal. Das Zukunftsziel seien Gesundheitshäuser, keine Krankenhäuser, wie die große Ausstellung der „Healing Architecture“ 2024 aufzeigte, so Rehle. Für diese Aufgabe benötigten die Architekten keine neuen Vorschriften, sondern die kreativsten Architekten mit einschlägiger Erfahrung im Krankenhausbau. Aber ausgerechnet diese wichtige Gesundheitsrichtung werde an den Architekturfakultäten nicht mehr gelehrt. Nurmehr rudimentäre Krankenhausbau-Vorlesungen als Teil der Baukonstruktion fänden an den Hochschulen in Aachen und München statt. Wer aber baut dann die zukünftige heilende Architektur? Rehle warnt davor, dass Deutschland auf dem Gebiet der Klinikarchitektur den Anschluss verlieren könnte. Kliniken seien oftmals die größten Arbeitgeber vor Ort. Deren Modernisierung sei ein wichtiges Thema für die Lebensumwelt. „Es wäre eine bittere Erkenntnis, wenn deren Verbesserung scheitert, weil uns zukünftig die kompetenten Planer fehlen“, sagt Rehle.
Längere Lebensdauer für Kliniken
Mehr Lebenszeit für Klinikbauten wünscht sich der Architekt Martin Richter. „Nach wie vor sind in Deutschland fast alle Krankenhausbauprojekte Neubauten.“ Auch von der Planungsgesellschaft wörner traxler richter würden 90 % der Kliniken neu gebaut und nur 10 % saniert. Viele Kliniken in Deutschland seien heute nach 30 Jahren nicht mehr nutzbar, weil – auch aus Kostengründen - zu niedrige Geschosshöhen gebaut wurden, in die die modernen Großgeräte und Lüftungsanlagen nicht mehr hineinpassen. Richter wünscht sich - auch aus Gründen der Nachhaltigkeit - ein Umdenken, mehr Weitblick, Flexibilität und bessere finanzielle Ausstattungen für Klinikbauten, damit diese nicht nur eine Generation, sondern vier oder fünf Generationen überdauern. Ein Lehrstuhl für Klinikarchitektur könnte hier wichtige Impulse geben.
Der Architektenverein fürchtet, dass sich Verschlechterungen in der universitären Ausbildung negativ auf die zukünftige Planungsqualität auswirken könnten. Dabei seien die Planungsaufgaben angesichts der notwendigen Gesundheitsreform enorm.
Wie groß die Herausforderungen im Klinikbau aktuell sind, davon kann Prof. Dr. Wolfgang Sunder berichten, der an der Technischen Universität Braunschweig die Professur Gesundheitsbau seit einigen Jahren innehat. Das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) hat sich im Verlauf der vergangenen zehn Jahre als zentraler Lehr- und Forschungsbereich für den Gesundheitsbau in Deutschland entwickelt und profitiert davon, dass es in der Bundesrepublik keinen singulären Lehrstuhl Krankenhausbau mehr gibt. Sunder hat den Arbeitsschwerpunkt Gesundheitsbau, Infektionsprävention, gesundes Raumklima, Internationale Gesundheit und Strategische Planung.
Ein Team von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bearbeiten in Lehre und Forschung in Braunschweig das Themenfeld Gesundheitsbauten. In den letzten zehn Jahren seien mehr als 15 Forschungsprojekte im Bereich des Gesundheitsbaus bearbeitet und erfolgreich abgeschlossen worden. Zudem werden Seminar- und Entwurfsthemen des Gesundheitsbaus für Bachelor- und Masterstudierende angeboten.
„Wir sehen uns als Netzwerk für den Gesundheitsbereich, sowohl für wissenschaftliche Institutionen, Klinikbetreiber, Planer als auch die Gesundheitswirtschaft. Wir sind der einzige Lehrstuhl in Deutschland, der zu Klinikbauten auch noch forscht und eng mit dem Bundesbauministerium und dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin zusammenarbeitet.“ Sunder sieht vor allem in der Reduktion und Fusion von Klinikstandorten neue Lehr- und Forschungsaufgaben für das Institut. „Zum Beispiel Braunschweig, hier gab es vier Klinikstandorte des städtischen Klinikums. Der Transformationsprozess ist im vollen Gang, damit es in Zukunft nur noch zwei Standorte des städtischen Klinikums geben wird. Klinische Zentren und Funktionsbereiche werden an neue Standorte überführt, Kompetenzen erweitert. Durch die jahrelange Zusammenarbeit mit dem städtischen Klinikum begleiten wir diese Veränderungen der Verdichtung und Konzentration ganz nah vor unserer Haustür mit“, sagt Sunder. Jeder Standort müsse individuell betrachtet werden. Sein Institut erstelle gemeinsam mit anderen Bereichen und der Kommune für jede Klinik Bewertungskataloge. Auch ein Thema dabei: Wie kann eine Klinik anders genutzt werden, denn als Krankenhaus?
Tanja Kotlorz