Der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß, fordert, den kalten Strukturwandel zu stoppen. Die Vorhaltefinanzierung müsse ausgesetzt, Regeln für ambulantes Operieren zurückgenommen werden. Foto: Jens Jeske.
„Wir haben keine zweite Chance!“, sagt Dr. Gerald Gaß. Der Vorstandsvorsitzende der DKG fordert im Interview mit das Krankenhaus, die Vorhaltefinanzierung müsse ausgesetzt, Regeln für ambulantes Operieren zurückgenommen werden.
Den Kliniken geht es so schlecht wie nie zuvor seit Einführung der Fallpauschalen. Kann diese dramatische Situation von Insolvenzen und Defiziten beendet werden?
Die Insolvenzen sind nur die Spitze des Einbergs. Das große Problem sind die Konsolidierungsmaßnahmen, zu denen sich die Krankenhausträger gezwungen sehen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Viele steuern ihr Unternehmen gerade am Rande einer Insolvenz. Auch wenn diese in Eigenregie durchgeführt wird mit dem Ziel, durch Restrukturierung den Fortbestand zu ermöglichen, bedeutet eine Insolvenz immer einen erheblichen Reputationsverlust für die Klinik. Das verunsichert die Fachkräfte, die am Fortbestand des Trägers zweifeln und den Standort verlassen. Neue Mitarbeiter sind in dieser Situation kaum zu gewinnen. Das ist ein enormes Risiko für das Krankenhaus. Deshalb versuchen die Träger, eine Insolvenz auf jeden Fall zu vermeiden.
Das aktuelle DKI-Barometer zeigt aber vor allem, dass es neben den Kliniken in Insolvenz eine sehr viel größere und wachsende Anzahl von Häusern gibt, die in negativen Zahlen stecken. Viele sind schon seit 2022 und 2023 in den roten Bereich gerutscht.
Das führt dazu, dass immer mehr Reserven aufgebraucht werden. Deshalb stehen wir im Jahr 2025 vor großen und vor allem ungeplanten Veränderungen in der Kliniklandschaft, die weniger durch die Krankenhausinsolvenzen verursacht werden als vielmehr durch die harten Maßnahmen, mit denen die Krankenhäuser eine Insolvenz zu vermeiden suchen. Sie können keine Rücksicht mehr nehmen auf bestimmte Versorgungserfordernisse in bestimmten Regionen, wo man bisher auch defizitäre Standorte gehalten hat, gestützt und gestärkt durch profitablere Standorte des Trägers, weil sie unverzichtbar waren für die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger auch in strukturschwachen Regionen.
Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass im Jahr 2025 gezwungenermaßen eine große Zahl von versorgungsrelevanten Standorten teilweise oder sogar ganz in Frage gestellt werden. Diese Entscheidungen werden nicht mehr nach der Frage getroffen, welche Standorte wichtig sind für die Versorgung bestimmter Regionen, sondern danach, welche Maßnahmen geeignet sind, das Unternehmen insgesamt zu konsolidieren und zu stabilisieren.
Die aktuelle Krankenhausreform soll doch gerade die Kliniken in ländlichen Bereichen stützen.
Wir rechnen damit, dass sich die Versorgung verschlechtern wird. Die Erzählung von Minister Lauterbach, dass die Vorhaltefinanzierung die Versorgungssicherheit gerade in der Fläche sichert, ist ein Mythos. Dass diese sagenhafte Erzählung des Ministers falsch ist, zeigen die aktuellen Daten des DKI. Nur fünf Prozent der Verantwortlichen in den befragten Kliniken rechnen demnach damit, dass sich ihre Lage durch die Vorhaltefinanzierung stabilisiert. Nur fünf Prozent! Das ist ein desaströses Urteil, das die Krankenhäuser über dieses zentrale Instrument der Krankenhausreform von Karl Lauterbach fällen.
Die Kliniken vor Ort rechnen mit einer Verschlechterung der stationären Versorgung in etlichen Regionen. Auch das ist eine Rückmeldung der Krankenhäuser im Zuge der DKI-Befragung. Ihre Versorgungsangebote werden ausgedünnt werden müssen. Das ist genau das Gegenteil der Ziele, die Minister Lauterbach vorgegeben hat: Die Versorgung zu stützen und zu verbessern. Aufgrund der Bedingungen durch des KHVVG und der notwendigen Vorbereitungen auf die verschärften Personalvorgaben, die mit dem Gesetz verbunden sind, werden wir 2025 einen harten Wettbewerb um die Fachkräfte haben. Auch hier wird es Gewinner und Verlierer geben. Dort, wo dieser Wettbewerb nicht erfolgreich sein kann, werden Fachkräfte fehlen. Deshalb müssen wir damit rechnen, dass sich Versorgungslücken auftun werden.
Was muss geschehen, was fordern Sie von einer kommenden Bundesregierung?
Der kalte Strukturwandel muss gestoppt werden. Auch die Länder haben einhellig diese Forderung immer wieder erhoben. Die Landesbasisfallwerte reichen nicht aus, um die Krankenhausversorgung ausreichend zu refinanzieren. Deshalb muss da etwas passieren. Die von Karl Lauterbach auf den Weg gebrachte verbesserte Tarifrefinanzierung ist völlig unzureichend, weil sie nur zusätzlich entstehende Kosten ausgleicht, nicht aber die aufgelaufenen Defizite aus den Inflationsentwicklungen 2022/2023. Diese Defizite schleppen die Krankenhäuser nach wie vor mit sich herum. Dieser enorme Druck muss von den Krankenhäusern genommen werden, damit sie Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Das ist der zentrale Punkt: Wir stehen vor einem großen Strukturwandel, in einer Transformationsphase, in der alle Akteure in die Lage versetzt werden müssen, aktiv im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgungssicherheit handeln und gestalten zu können.
Der zweite Punkt ist: Die Vorhaltefinanzierung muss ausgesetzt werden. Für die Vorhaltefinanzierung sind im KHVVG Fristen gesetzt, die die Bundesländer im Rahmen ihrer Krankenhausplanung in einem Maße unter Druck setzen, die der Sache überhaupt nicht gerecht werden. Bis Mitte 2026 sollen sie ihre Krankenhausplanung abgeschlossen haben. Wir brauchen jetzt eine Planung, die Sorgfalt vor Geschwindigkeit setzt. Es geht nicht darum, schnell zu handeln, sondern darum, sorgfältig zu planen, welche Versorgungsstrukturen wir brauchen. Da ist die Vorhaltefinanzierung mit ihren Fristsetzungen absolut kontraproduktiv. Sie wird auch keines der aktuellen Probleme lösen. Deshalb ist nichts damit verloren, wenn wir sie zunächst aussetzen.
Drittens: Die Regelungen im KHVVG für die Ausweitung des ambulanten Operierens müssen zurückgenommen werden, weil sie das Gegenteil bewirken werden. Das Gesetz sieht vor, die Hybrid-DRG-Pauschalen bis 2030 schrittweise auf AOP-Niveau abzusenken. Die mit den Hybrid-DRG beabsichtigten Anreize zur ambulanten Leistungserbringung würden damit konterkariert. Die Hybrid-Versorgung würde finanziell noch unattraktiver. Viele Krankenhäuser würden sich nicht mehr in der Lage sehen, diese ambulante Versorgung zu diesen Konditionen anbieten zu können. Die Folge wäre, dass Patientinnen und Patienten in diesen Leistungsbereichen zunehmend nach Versorgern suchen müssen. Das ist höchst problematisch und gefährdet die Gesundheitsversorgung.
Ist ein Gegensteuern im Sinne einer sachgerechten Strukturreform denn noch möglich? Bis sich eine neue Bundesregierung konstituiert, wird es eine Weile dauern.
Das ist eine Herausforderung, aber die ist lösbar. Wenn wir im Mai eine neue Bundesregierung haben mit einem neuen Minister oder einer neuen Ministerin, wird dieser oder diese sich zügig genau mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Die Aussetzung der Fristen für die Vorhaltefinanzierung ist politisch gewollt, die Bundesländer haben das einvernehmlich bis zuletzt immer wieder vorgetragen: Die Vorhaltefinanzierung verfehlt die wesentlichen politischen Ziele der Reform und muss deshalb zunächst mit ihren Einführungsfristen ausgesetzt werden. Das ließe sich zügig umsetzen. Wir müssen uns immer vor Augen halten: All das, was jetzt passiert, ist relevant für die 50 Mrd. € aus dem Fonds, mit dem der Umbau der Krankenhauslandschaft und die notwendigen Investitionen finanziert werden sollen. Wenn wir diese Mittel in die falschen Strukturen investieren, weil die Sorgfalt in der Krankenhausplanung fehlt und wir ad hoc entscheiden müssen, wo welcher Standort wie umgebaut wird, dann hat dies fatale Auswirkungen. Wir haben keine zweite Chance. Deshalb muss hier Sorgfalt vor Schnelligkeit gestellt werden.
Qualität vor Ökonomie war das Credo des amtierenden Gesundheitsministers für seine Krankenhausreform. Ist er gescheitert?
Minister Lauterbach hat den härtesten ökonomischen Druck für Krankenhäuser aufgebaut, den es je gegeben hat. Das zeigen die Fakten zur wirtschaftlichen Entwicklung der Kliniken und auch die Rückmeldungen aus den Krankenhäusern. Folgt man der Logik im KHVVG, wird sich daran auch nichts ändern. Obwohl Karl Lauterbach ständig behauptet: Das KHVVG werde die Fallpauschalen überwinden, Fehlanreize beseitigen und die Versorgung von der Ökonomie befreien – das sind bloße Worthülsen, er erzeugt das Gegenteil.
Der ökonomische Druck ist durch Lauterbachs Politik enorm gestiegen. Das war auch sein Ziel. Er hat dies mit der Erzählung kaschieren wollen, er wolle die Qualität der stationären Behandlung verbessern. Auch das gehört zur mythischen Botschaft des Ministers: Mit dem Schlagwort der Qualität hat er den kalten Strukturwandel vorangetrieben. Es wurden Botschaften ohne jede Evidenz in den Raum gestellt, etwa beim Krankenhausgipfel im Herbst 2024, als er sagte, 20 % weniger Versorgung seien ein Segen für die Patienten, oder dass die Lebenserwartung in Deutschland sehr unterdurchschnittlich im europäischen Vergleich sei – auch aufgrund der seiner Meinung nach schlechten Versorgung in den deutschen Krankenhäusern. Damit verunsichert Lauterbach die Bürgerinnen und Bürger, und zugleich offenbart er damit eine Geringschätzung gegenüber der stationären Versorgung, die sich auch gegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kliniken wendet.
Ein erklärtes Ziel der Politik war und ist, die Ambulantisierung voranzutreiben. Wird das gelingen?
Der Minister hat die Ambulantisierung als eines seiner zentralen Ziele auf die Agenda im Rahmen seiner Krankenhausreform gesetzt. Und es ist ja auch im Prinzip richtig: Wir brauchen mehr ambulante Versorgungsangebote an den Krankenhäusern, um die Patientenversorgung dort auch flexibler gestalten zu können. Wir sind ja in aller Regel darauf angewiesen, die Patienten stationär aufzunehmen und mit entsprechendem Ressourceneinsatz zu behandeln, was in einigen Feldern auch ambulant am Krankenhaus möglich ist. Allerdings hat Lauterbach es versäumt, dafür die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen zu setzen. Er hat ein einfaches Sparprogramm aufgelegt, hat definiert, Millionen von Fällen, die bisher stationär aufgenommen und behandelt wurden, sollen nun ambulant versorgt werden. Das InEK soll entsprechende Leistungskataloge aufstellen und die Vergütung soll dann sinken auf das Niveau des AOP-Katalogs. Das, was der Minister hier vorgelegt hat, ist einfach ein banales Sparprogramm, keine ernst zu nehmende Strategie.
Was ist mit Blick auf das erklärte Ziel der Entbürokratisierung zu sagen?
Die Bilanz Karl Lauterbachs ist in diesem Punkt verheerend. Er hat sich nachhaltig verweigert, einen einzigen Beitrag zu allen ressortübergreifenden Entbürokratisierungsgesetzen zu leisten, die von Bundesjustizminister Marco Buschmann koordiniert wurden. Bis zuletzt hat er dort nichts vorgelegt. Er hat behauptet, er plane ein großes Entbürokratisierungsgesetz. Aber bisher gibt es nicht einmal Eckpunkte dazu. Auf dieses Gesetz hätten wir auch dann weiterhin vergeblich gewartet, wenn es keine vorgezogenen Wahlen gäbe.
Entbürokratisierung und Deregulierung sind exakt das Gegenteil dessen, was der Minister tatsächlich will. Er ist offenbar der Überzeugung, dass nur durch kleinteilige Regulierung und Vorgaben an die Leistungserbringer seine Ziele in der Versorgung erreicht werden können. Sein KHVVG ist ein Bürkratiemonster sondergleichen.
Was bleibt von Lauterbachs Reform?
Was bleibt von der Krankenhausreform, das ist die Krankenhausplanung nach Leistungsgruppen. Wir unterstützen dieses zeitgemäßere Planungsinstrument.
Das hätte Karl Lauterbach aber auch einfacher haben können, denn Nordrhein-Westfalen ist an dieser Stelle schon vor einigen Jahren vorangegangen. Hätte der Bundesminister kompromissbereiter mit allen Ländern verhandelt, dann wären wir heute viel weiter, als es Lauterbach am Ende gelungen ist. Um dieses ganze Gesetzgebungsverfahren herum hat der Bundesgesundheitsminister außerdem so viel Unruhe gestiftet und Schaden angerichtet, dass man nicht von einer positiven Bilanz sprechen kann. Extrem negativ bewerte ich auch sein Handeln im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung. Da ist nichts Relevantes und Wirksames auf den Weg gebracht worden, obwohl wir in Deutschland hier ein riesiges Defizit haben und viele tausend Lebensjahre verlieren aufgrund vermeidbarer Erkrankungen. Hier muss sich der Minister vorwerfen lassen, dass er im Prinzip nichts getan hat.
Sehen Sie Licht am Horizont?
Das Licht am Horizont sind die Neuwahlen. Und die Chance, mit diesem Neuanfang im Bereich Gesundheitspolitik einen Neustart zu ermöglichen. Darauf setzen wir.
Das Interview führte Katrin Rüter, Chefredakteurin das Krankenhaus