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Interviews und Meinungen

Interview mit Dr. Gerald Gaß


Was erwarten die Krankenhäuser in Deutschland von der neuen Bundesregierung?

Wir brauchen einen Kurswechsel hin zu mehr klarer Orientierung: Das ist die Erwartung, die wir an die Politik haben. Wir wollen weg vom kalten Strukturwandel hin zu einer zielgerichteten Reform der Krankenhauslandschaft in Deutschland. Die Voraussetzung hierfür ist, klar zu definieren: Wie soll die Gesundheitsversorgung in Zukunft aussehen? Wieviel akutstationäre Versorgung wollen wir? Welchen Beitrag zur ambulanten Versorgung sollen die Kliniken leisten? Eine künftige Regierung muss Farbe bekennen und mit den Akteuren der Gesundheitsversorgung Strategien für eine nachhaltige Reform entwickeln.

Wir müssen über Herausforderungen beim Thema Krankenhausfinanzierung, über Qualitätssicherung und Qualitätsanforderungen, über Digitalisierung, Fachkräftemangel und sektorenübergreifende Versorgung sprechen: Das sind alles Themen, die nach Klarheit und Orientierung verlangen, um dann wichtige Reformen überhaupt angehen zu können. Die großen Fragestellungen müssen zwischen Bund und Ländern im Rahmen einer Bund-Länder-Zukunftskommission thematisiert und besprochen werden. Wir müssen die Ziele kennen, wohin es gehen soll in der Gesundheitsversorgung.

Im Wahlkampf war und auch jetzt im Zuge der Koalitionsverhandlungen ist nicht viel von den Belangen der Krankenhäuser zu hören. Wird der Krankenhauspolitik zu wenig Bedeutung beigemessen?

Auch bei den Diskussionen im Rahmen der „Trielle“ kamen Themen der Krankenhausversorgung so gut wie gar nicht zur Sprache. Das ist ein wenig enttäuschend, man kann das auch positiv sehen: Das lässt Handlungsspielraum für Koalitionsverhandlungen. Den sehen wir jetzt auch nach dem protokollierten Sondierungsergebnis.

Es wird spannend in der nahen Zukunft: Viele wichtige Gesundheitsexperten sind nun nicht mehr im Bundestag vertreten, viele neue junge Abgeordnete sind neu dabei. Sicher haben wir auch neue Impulse und neue Ansätze zu erwarten von den künftigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern und vom neuen Gesundheitsausschuss.

Stichwort Corona-Pandemie: Wie ist die Situation in den Krankenhäusern aktuell?

Was die Anzahl der Coronapatienten angeht, sehen wir wieder steigende Fallzahlen. Vielfach sind Prozesse verlangsamt durch die pandemiebedingten Notwendigkeiten. Wir haben zudem sehr viel höhere Auflagen etwa hinsichtlich der Hygiene, die wir erfüllen wollen.

Was die Regelversorgung angeht, haben wir auch deshalb noch nicht die Fallzahlen erreicht wie vor der Pandemie. Grundsätzlich hat sich ja der Versorgungsbedarf nicht verändert. Es ist dennoch schwer zu prognostizieren, wie sich die Fallzahlen mittelfristig entwickeln werden.

Aber das Thema „Pandemie“ und seine Auswirkungen wird uns auch 2022 noch beschäftigen. Deshalb geht auch unser dringender Appell an die Politik: Für das kommende Jahr brauchen wir noch einmal unbedingt eine Stabilisierung des Systems. Die gesamte Struktur der Betriebskostenfinanzierung ist auf der Fallzahlsituation aufgebaut, die  vor der Coronapandemie recht stabil war, nun aber deutlich zurückgegangen ist. Wenn man die Krankenhausstrukturen zumindest vorübergehend erhalten will, bevor eine notwendige Strukturreform zu Ergebnissen kommt, dann muss man für 2022 die Kliniken wirtschaftlich stabilisieren. Deshalb ist unser Vorschlag, dass die Systematik, wie wir sie für 2021 haben, wo die Budgets auf dem Niveau von 2019 erstmal gesichert werden, fortgeführt wird. Dazu gehören auch Maßnahmen der Liquiditätssicherung. Eine neue Regierung mit einem neuen Gesundheitsminister oder einer neuen Gesundheitsministerin wird sich diesem Thema sehr schnell widmen müssen.  

Welche Lehren sind aus der Pandemie für die Krankenhauspolitik zu ziehen?

Während der Coronapandemie haben wir eine ganz große Kooperationsbereitschaft der Kliniken über Trägergrenzen hinweg gesehen. Auch über Sektorengrenzen hinweg war unbürokratische Zusammenarbeit möglich. Wir haben vielfach vor Ort gesehen, wie gut das System der Gesundheitsversorgung funktioniert, wenn alle Player auf Kooperation setzen und gemeinsam Lösungen finden, um die Krise zu bewältigen: Wie kann die Versorgung der an Corona erkrankten Menschen am besten gewährleisten werden? Wie können wir die Regelversorgung gleichzeitig in der Balance halten? Schon zu Beginn der Pandemie haben sich regionale Netzwerke bewährt und erheblich dazu beigetragen, diese zu überwinden. Diese Netzwerke können eine Blaupause sein für eine Reform der Krankenhauslandschaft in Deutschland.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass man den Akteuren vor Ort vertrauen kann. Und dass sie dann das Richtige und Notwendige tun, wenn man ihnen den Handlungsspielraum gibt und ihnen auch eine gewisse wirtschaftliche Stabilität gewährt. Das ist die große Lehre, die wir aus der Pandemie gewinnen können. Dies sollten wir für die Zukunft des Gesundheitssystems weiterentwickelt, auf dieses Vertrauen in die Akteure sollte die Politik auch für die Strukturentwicklung der Zukunft setzen.

Wir haben aber auch lernen müssen, dass wir bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hinterherhängen und nochmals erfahren, welche zentrale Rolle das Personal spielt. 

Die Bundesländer sind ihrer Verpflichtung für die Investitionsfinanzierung sehr unzureichend nachgekommen. Viele Parteien fordern eine Beteiligung des Bundes an der Investitionsfinanzierung – aber auch eine größere Mitsprache bei der Krankenhausplanung. Soll der Bund das Heft in die Hand nehmen?

Erfreulich ist, dass allen klar geworden ist, dass Investitionsfinanzierung und die erheblichen Lücken, die wir hier haben, eine Vielzahl von Folgeproblemen im System nach sich ziehen. Krankenhäuser sahen sich vielfach gezwungen, Geld aus der Betriebskostenfinanzierung quasi umzuschichten für dringend notwendige Investitionsprojekte. Wo Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, führt das dazu, dass an anderer Stelle gespart werden muss. Das geschah auch beim Personal, was man uns vielfach vorwirft – was aber auch eine Konsequenz aus der Investitionsmisere ist.  

Auch haben viele Kliniken aus Mangel an Investitionsfinanzierung nicht überall die modernste Infrastruktur, was für ein hochentwickeltes Industrieland wie Deutschland nicht akzeptabel ist. In den Kliniken selbst geht dadurch auch ein Stück weit die Attraktivität der Arbeitsplätze verloren. Junge Menschen erwarten selbstverständlich gut ausgestattete Arbeitgeber, moderne Arbeitsplätze und digitalisierte Prozesse.

Das betrifft auch Strukturveränderungen, die wir brauchen, um das Gesundheitssystem effektiv zu machen, auch hin zu sektorübergreifenden Strukturen: Auch dafür müssen wir Investitionsmittel in die Hand nehmen. Das Thema Investitionen ist hier wirklich vordringlich, da müssen Bund und Länder gemeinsam anpacken. Wir sind aber realistisch: Die Länder werden die Mittel für Investitionen nicht verdoppeln, was aber nötig wäre, um dem Bedarf einigermaßen gerecht zu werden. Es wird also nur mit einer Form des Zusammenspiels von Bund und Ländern gehen.

Der Bund will dann natürlich auch mitreden bei der Planung. Wir gehen aber davon aus, dass wir dafür auch Lösungen finden könnten, die nicht tief in die Krankenhausplanung eingreifen und keine Kompetenzverschiebung bedeutet, für die eine Grundgesetzänderung benötigt würde. Der Bund kann über gesonderte Programme und klar formulierte Ziele dann auch Strukturen und Entwicklungen beeinflussen, wie wir es jetzt bei der Digitalisierung und über das KHSG erleben und ansatzweise auch beim Strukturfonds gesehen haben. So könnten Krankenhäuser auch bei Investitionen zum „Klimaschutz“ eine Rolle spielen.

Sie fordern ein Investitionsprogramm Green Hospital des Bundes.

Eines ist wohl sicher: Die künftige Bundesregierung wird einen starken Fokus auf das Thema Klimawandel haben. Klimaschutz ist auch ein Thema der Krankenhäuser: An Klinikstandorten werden viele Ressourcen gebraucht und verbraucht. Wir haben einen großen Modernisierungsstau, auch bei klimarelevanten Themen. Hier wäre es möglich, mit großem Effekt für den Klimaschutz zu investieren in die klimagerechte Modernisierung unserer Infrastruktur. Wir könnten mit einem Sonderprogramm „Green Hospital“ einen großen Beitrag für den Klimaschutz leisten. 

Würde die größere Rolle des Bundes Zustimmung im Bundesrat finden?

Das ist sicher keine leichte Aufgabe, muss aber aus unserer Sicht dennoch angegangen werden. Wir wünschen uns und erwarten auch, dass die Länder auch künftig das letzte Wort beim Thema Krankenhausplanung und -strukturen haben werden. Die Regionen unterscheiden sich einfach sehr stark voneinander, deshalb ist vor Ort großer Handlungsspielraum notwendig, um der jeweiligen Situation in der Gesundheitsversorgung gerecht zu werden. Aber wenn über große Reformvorhaben die Struktur und Finanzierung neu justiert werden soll, dann müssen die natürlich auch zu künftigen bundesweiten Krankenhausstrukturen passen. Deshalb wird es Absprachen zwischen Bund und Ländern brauchen, die von den Ländern auch akzeptiert werden müssen, was die Grundausrichtung angeht. Die Linie ist klar erkennbar: Es soll Zentralisierung im Bereich hochkomplexer Leistungen geben, gleichzeitig will man die flächendeckende Versorgung stärken und sichern. Für diese beiden großen Ziele brauchen wir einen Konsens zwischen Bund und Ländern, der dann auch für die Länder und die Krankenhausplanung Richtschnur sein muss.

Welche Rolle soll hier die Selbstverwaltung spielen?

Zu einem Kurswechsel nach der Bundestagswahl gehört auch, zu erkennen, dass der G-BA kein Gremium ist, um grundlegende Richtungsentscheidungen der Krankenhauspolitik zu treffen. Damit sind die Selbstverwaltungspartner überfordert. Dazu sind die Interessenunterschiede der Kostenträger auf der einen Seite und der Deutschen Krankenhausgesellschaft einfach zu groß.  In Fragen sektorübergreifender Strukturen kommt auch die KBV, also die niedergelassenen Ärzte, ins Spiel. Diesen Interessensausgleich in der grundlegenden Festlegung muss die Politik in den Parlamenten treffen. Sie muss auch die wesentlichen Wertefragen beantworten und die gesellschaftlichen Ausrichtungen der Gesundheitspolitik festlegen.

Unsere klare Botschaft ist deshalb: Die Politik darf nur das in die Selbstverwaltung tragen, was wir dort auch tatsächlich umsetzen können. Sie darf die Selbstverwaltung nicht überfordern mit Richtungsentscheidungen, denn sonst läuft sich das System an dieser Stelle tot. Es entstehen Enttäuschungen und Widerstände und ein Gegeneinander, das am Ende den Umsetzungsentscheidungen zuwiderläuft. Wir müssen handlungsfähig sein in der Selbstverwaltung. Das bedeutet, wir müssen als Partner der Selbstverwaltung in der Lage sein, die Gegensätze auch mal beiseite zu schieben - und das geht nur, wenn die Politik klar die Richtung vorgibt, in die es gehen soll.

Seit vielen Jahren wird von vielen Seiten mehr sektorenbergreifende Versorgung gefordert. Sehen Sie Chancen, hier weiterzukommen?

Es gibt grundsätzliche Festlegungen aus der Vergangenheit, die im Prinzip schon mit der Zuständigkeit beginnen. Wir haben die Zuständigkeit der Länder für die akutstationäre Versorgung und auf der anderen Seite haben wir die klare Kompetenzübertragung an die kassenärztlichen Vereinigungen für die Versorgung im klassischen niedergelassenen Bereich. Diese beiden Kompetenzen stehen im Moment klar gegeneinander, da gibt es keine echte Verzahnung.  

Wenn wir bei der sektorübergreifenden Versorgung vorankommen wollen, dann muss diese Kompetenzverteilung in einer sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgungsplanung zusammengebracht werden. Diese muss ganz klar bei den Ländern als demokratisch legitimierten Institutionen angesiedelt sein. Dass dann die kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhausgesellschaften mit am Tisch sitzen und wir gemeinsam diskutieren, was ist der richtige Weg, welche Optionen haben wir, das halte ich für selbstverständlich.

Muss es eine stärkere Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen geben?

Es geht uns nicht darum, die klassische Versorgung der niedergelassenen Ärzte zu übernehmen. Wir wollen nicht das in den Zuständigkeitsbereich der Kassenärzte hinein, die ja effiziente Strukturen und Prozesse haben und die ambulante Versorgung gut managen.

Es geht im Kern um zwei Themenfelder: Zum einen sind es die ländlichen Räume, in denen sich die fachärztliche Versorgung vielfach zurückgezogen hat und ambulante Versorgung nicht mehr gesichert ist. Hier den stationären Bereich zu öffnen für ambulante Versorgung ist im Interesse aller, auch im Interesse der niedergelassenen Ärzte. Dazugehört auch die ambulante Notfallversorgung, die am Krankenhausstandort effizient mit kompetenten Fachkräften und einer Verfügbarkeit an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr organisiert werden kann.

Der zweite Bereich, in dem wir Reformbedarf sehen, ist die klinische ambulante Versorgung: Wir wollen das ambulante Potenzial der Kliniken heben, im Sinne der Patienten, die heute stationär behandelt werden, obwohl vielleicht eine stärker ambulant ausgerichtete Versorgung möglich wäre. Es gibt heute einen Graubereich zwischen ambulant und stationär, wo man mit dem entsprechenden Aufwand und Strukturanpassungen viele Patienten klinisch-ambulant versorgen könnte, die heute vollstationär versorgt werden müssen. Wir wünschen uns hier mehr Handlungsspielraum. Dazu gehört auch ein sektorenübergreifendes Budget, abgeleitet von unserem vollstationären Budget, das es uns ermöglicht, nach medizinischen Kriterien zu entscheiden, ob der Patient vollstationär aufgenommen werden muss oder die Möglichkeit besteht, ihn ambulant zu behandeln. Dies ist perspektivisch auch in einem Kooperationsmodell zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken möglich. Erstmal müssen Krankenhäuser aber die Chance bekommen, sich in diesem Bereich zu entwickeln. Wir wollen die Patienten, die derzeit vollstationär versorgt werden, auch ambulant behandeln, wenn die medizinischen und pflegerischen Umstände dies zulassen.

Wie sollte die ambulante Notfallversorgung der Zukunft aussehen?

Das ist ein schwieriges Feld, aber eine Reform der ambulanten Notfallversorgung ist dringend notwendig. Rund zehn Millionen Patienten gehen pro Jahr als ambulante Notfälle in die Strukturen, die von den kassenärztlichen Vereinigungen über Bereitschaftsdienstzentralen oder Bereitschaftspraxen zur Verfügung gestellt werden. Etwa genauso viele, etwas mehr sogar, gehen aber in die Notfallambulanzen der Kliniken. Das wird zum Teil als ungeordnetes Nebeneinander beklagt, es ist aber zunächst einmal die Entscheidung des einzelnen Patienten, der sich den nächstgelegenen Weg sucht oder aber dorthin geht, wo er die beste ambulante Notfallversorgung vermutet.

Ohne Zweifel muss das Miteinander der Notfallversorgung durch die Kliniken auf der einen und die Kassenärztlichen Vereinigungen auf der anderen Seite künftig besser organisiert werden. Das beginnt bei der Steuerung der Notfallpatienten etwa bei den gemeinsamen telefonischen Leitstellen, die es ja geben soll. Dort werden dann Patienten über qualifizierte Einschätzungsverfahren in die richtigen Strukturen gelenkt.

Die zentrale Frage ist doch: Wer ist eigentlich zu welchen Zeiten erreichbar und zuständig? Außerhalb der Sprechstundenzeiten der niedergelassenen Ärzte, dort wo es eben keine entsprechenden Bereitschaften der KVen gibt, etwa weil das notwendige Personal nicht zur Verfügung steht oder weil es sich für sie nicht lohnt, an dieser Stelle entsprechende Strukturen aufzubauen, wäre es vorstellbar, diese Zuständigkeit auf die Krankenhäuser zu übertragen.

Die ambulante Notfallversorgung der Zukunft muss auf jeden Fall über Sektorengrenzen hinweg gedacht und umgesetzt werden. Auch hier brauchen wir bundesweite Vorgaben, gleichzeitig aber die Möglichkeit für länderspezifische Lösungen. Zugleich muss die dauerhafte Unterfinanzierung der ambulanten Notfallversorgung beseitigt werden.

Wie sollte dem Fachkräftemangel begegnet werden? Hat PPR 2.0 als Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument, das die DKG gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat und der Gewerkschaft ver.di entwickelt hat, in einer Ampelkoalition eventuell bessere Chancen?

Das hoffen und erwarten wir. Wir haben in den Wahlprogrammen teilweise gesehen, dass die Parteien sich für eine schnelle Umsetzung der Pflegepersonalbemessung in den Krankenhäusern einsetzen.  Auch sieht das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz vor, dass bis 2024 ein neues Instrument zur Pflegepersonalbemessung entwickelt und zum Einsatz gebracht werden soll. Aus unserer Sicht macht es jetzt Sinn, auch schnell zu handeln: In einem ersten Schritt kann die PPR 2.0 eingeführt werden, ein vielen Kliniken bekanntes, etabliertes System. Parallel dazu können wir ein modernisiertes System entwickeln, was darauf aufsetzen kann.

In der Diskussion über die stationäre Versorgung gerade in ländlichen Gebieten ist viel von einem anderen System der Finanzierung der Vorhaltekosten die Rede.

Wir müssen Finanzierungselemente ergänzen oder so justieren, dass wir eine bedarfsgerechte, faire Finanzierung bekommen. Krankenhäuser der Grundversorgung in dünn besiedelten Regionen, die täglich rund um die Uhr am Netz sein sollen, brauchen andere Finanzierungsbestandteile als eine hochspezialisierte Fachklinik in einem Ballungsraum, mit planbaren Leistungen, die sehr konzentriert und prozessorientiert ihre Leistungen erbringen kann.

Wie kleinteilig und detailliert müssten die Versorgungsaufträge der Kliniken definiert werden, auf deren Basis dann die Vorhaltekosten finanziert werden?

Es ist ja auch heute schon Aufgabe der Krankenhausplanung, zu schauen, welches Haus welche Aufgabe in der Versorgung einer Region übernehmen soll. Diese Aufgabe kann oft nicht optimal umgesetzt werden, wenn beispielsweise ein Grundversorger mit Notfallversorgung nicht in der Lage ist, im DRG-System seine gesamten Kosten zu refinanzieren. Deshalb haben die Bundesländer diesen Häusern vielfach speziellere Aufgaben und Fachdisziplinen außerhalb der Grundversorgung übertragen, um ihnen eine wirtschaftliche Basis zu geben, damit sie überhaupt existieren können.

Wenn wir zu einer vernünftigen Reform des Finanzierungssystems kommen, dann kann die Krankenhausplanung in Zukunft genauer Versorgungsstufen wie Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung definieren und Versorgungsaufträge daran ausrichten. Aber bitte in dieser Reihenfolge.

War die Ausgliederung der Pflege aus dem DRG-System eher Fluch oder Segen?

Die Ausgliederung der Pflege war die richtige Entscheidung. Sie ist der Bedeutung der Pflege angemessen und gibt ihr die Rolle, die ihr auch zusteht. Wo die Ausgliederung der Pflege ein Segen war, war die Umsetzung zumindest teilweise Fluch: Die Art und Weise, wie wir jetzt mit den Kassen in einem permanenten, auch strittigen Dialog kämpfen müssen, was denn nun in dieses neu konstruierte Pflegebudget gehört, ist sicher nicht zielführend.

Diesen Weg müssen wir noch einmal neu überdenken. Wir müssen zu einer Systematik kommen, die eine nicht unbegrenzte, aber bedarfsgerechte, volle Ausfinanzierung der Pflege ermöglicht. Wir wollen wegkommen von einem Finanzierungssystem, das  permanenten Streit zwischen den Akteuren auslöst, hin zu mehr selbststeuernden Anreizen. Wir müssen das hausindividuelle Pflegebudget mit der hausindividuellen Pflegebedarfsbemessung zusammenbringen  und so dann wieder zu Pauschalfinanzierung und zu mehr wirtschaftlichen Anreizen kommen.

Was bleibt? Ist das DRG-System am Ende?

Die DKG hat sich zu einer Reform des DRG-Systems bekannt. Wir haben aber ausdrücklich eine Reform, keine Abschaffung gefordert. Eine bedarfsgerechte und faire Finanzierung ist gefragt. Deshalb brauchen wir Bestandteile im DRG-System, die sich an besonderen Aufgaben der Standorte orientieren und ihnen die Möglichkeit gibt, mit Hilfe dieser Vorhaltekosten-Finanzierung plus einer leistungsbezogenen Finanzierung dann auch zurechtzukommen.

Wir haben jetzt über Jahre im DRG-System erlebt, dass viele Elemente nie wirklich mit Leben gefüllt wurden. Wir haben uns mit den Kassen nie wirklich einigen können über eine adäquate Sicherstellungsfinanzierung, die ja eigentlich vorgesehen, aber nie richtig in Gang gekommen ist. Jetzt haben wir Pauschalbeträge, die aber nicht wirklich auf das einzelne Haus bezogen sind sondern vielfach einfach nicht ausreichen.  

Wird es bei stärkerer Zentralisierung komplexer Behandlungen auf der einen und wohnortnaher Grundversorgung auf der anderen Seite noch Wettbewerb und Trägervielfalt geben?

Wir haben uns in Deutschland für ein System entschieden, das wettbewerblich organisiert ist und den Patientinnen und Patienten Wahlmöglichkeiten gibt. Das hat sich durchaus bewährt, auch in der Pandemie. Es besteht keine Notwendigkeit, diese Grundausrichtung zu ändern. Die Trägervielfalt ist ein wichtiges Element der stationären Versorgung. Doch ist es im Interesse aller Akteure des Systems, wenn die Krankenhausträger mehr kooperieren und weniger im Wettbewerb stehen beispielsweise um dringend benötigte, knappe Fachkräfte.  Auch die Patienten profitieren, wenn bestimmte Leistungsfelder an bestimmten Standorten zugunsten einer sehr hochwertigen und durchgängigen Versorgung besser konzentriert werden.

Es wird mehr Klarheit in den Versorgungsaufgaben geben. Das bedeutet auch, dass die eine oder andere Parallelstruktur so nicht weitergeführt werden wird. Das heißt: Der Wettbewerb wird ein Stück zurücktreten, mehr Kooperation wird Platz greifen.

Sind die Befürchtungen und Existenzängste beispielsweise einiger Träger kleinerer Häuser angesichts der Zentralisierungsbestrebungen gerechtfertigt?

Natürlich ist verständlich, dass sich Krankenhäuser der Grund- und Schwerpunktversorgung ihre Gedanken machen, wenn Stichworte wie Zentralisierung fallen oder sich die Unikliniken und Großkrankenhäuser gerade auch vor der Bundestagswahl stark in Position bringen. Am Ende ist es aber die Aufgabe der Politik, genau diese Balance zwischen Zentralisierung und wohlortnaher Versorgung auszutarieren.

 Die Menschen schätzen die wohnortnahe Gesundheitsversorgung sehr, und dazu gehören wesentlich auch die Krankenhäuser auf dem Land. Das ist ein zentrales Element der verfassungsrechtlich garantierten der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Krankenhäuser sind ein wichtiges Thema, wenn es um die Attraktivität ländlicher Räume geht. Eine Reform muss bedarfsnotwendige Standorte stabilisieren und ihnen Sicherheit und eine Perspektive geben. Die Politik muss diese Balance im Blick haben. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Gesundheitsversorgung in zehn Jahren aussehen?

Krankenhäuser werden auch in Zukunft gebraucht, aber sie werden sich verändern müssen.

Ich bin zuversichtlich, dass die Politik zu Entscheidungen kommen wird, die am Ende die Situation der Gesundheitsversorgung und auch die Lage der Kliniken verbessern werden.

Wenn uns die Politik die richtigen Rahmenbedingungen gibt, werden die Kliniken bereit und in der Lage sein, in der hochspezialisierten klinischen ambulanten Versorgung der Patienten ihre Fähigkeiten auszuspielen. Ich halte das für eine große Chance, auch für die Krankenhäuser als attraktive Arbeitgeber.

Ich bin optimistisch, dass eine anstehende Reform eine große Chance für die Krankenhäuser bedeutet - vor allem, wenn es gelingt, künftig wieder mit mehr Vertrauen und weniger Regulierung und Bürokratie das System zu steuern.