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Interviews und Meinungen

Die Strukturwandel-Diskussion vor dem Hintergrund der Pandemie


Quelle: Messe Düsseldorf/Constanze Tillmann

Wie muss die Krankenhausversorgung, wie die Krankenhausplanung in Zukunft aufgestellt sein?

Die aktuelle Krise hat die Systemrelevanz der Krankenhäuser eindrucksvoll belegt. Im internationalen Vergleich haben sich die ausreichenden Reservekapazitäten der deutschen Kliniklandschaft als enormer Vorteil erwiesen. Spätestens jetzt sollte allen bewusst geworden sein, wie relevant Kliniken für die Daseinsvorsorge sind. Diese an sich nicht neue Erkenntnis muss die Debatte über die Zukunft der Krankenhäuser endgültig in andere Bahnen lenken, weg von einer Kampagne ausschließlich zur Zentralisierung und Bettenschließungen. Das gemeinsame Ziel einer Krankenhausstrukturreform muss dabei eine weitere Verbesserung der Versorgung sein.

Lehren aus der Pandemie

Es fragt sich, ob und wenn ja welche Lehren man aus der Pandemie für eine postpandemische Krankenhausstruktur ziehen kann bzw. ziehen muss. Denn an sich sind die enormen Herausforderungen der Versorgung in der Pandemie weder mit einem geordneten Regelbetrieb zu vergleichen noch mit diesem zu vereinbaren. Unstrittig sind allerdings die Kliniken der richtige Ort der Versorgung für die bedrohlichen und kritischen Verläufe der Covid-19 Erkrankungen. Hier stößt die Diskussion nach einer Ambulantisierung der Versorgung klar an ihre Grenzen. Aktuell werden in Deutschland abhängig vom Altersdurchschnitt der Erkrankten ca. 10 % der Covid-19 Fälle stationär aufgenommen, ca. 2 % werden intensivpflichtig. Trotz dieser international sehr niedrigen Quote führt aber die schiere Zahl der Fälle dennoch zu einer erheblichen Belastung der Kliniken, in der ein Regelbetrieb nicht mehr möglich ist. Wir können daher von Glück reden, dass die vehement geforderte Krankenhausstrukturbereinigung noch nicht durchgezogen wurde. Aber die Diskussion versachlicht sich nicht. Die Matadore einer Krankenhausstrukturbereinigung, die sich am Ende einer langen krankenhauskritischen Kampagne fast an ihrem Ziel einer drastischen Standortbereinigung sahen, sind aufgeschreckt. Nichts fürchten sie mehr als die Erkenntnis aus der Pandemie, dass auch bzw. gerade die kleinen und mittleren Häuser einen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgung geliefert haben. Derzeit ist man in vielen Regionen froh über jedes freie Bett, jeden einsatzfähigen Arzt und jede Pflegekraft. Aber welche Rückschlüsse lässt das auf eine postpandemische Versorgungsstruktur zu? Viel dreht sich dabei um die Frage, ob kleinere und mittlere Krankenhäuser weiter für die flächendeckende Versorgung systemrelevant sind oder ein zentralisiertes System mit ausschließlich Schwerpunkt- und Maximalversorgern überlegen ist. Aus einer Analyse der ersten Welle der Pandemie wurde geschlossen, dass die Maximalversorger die Hauptlast der Behandlungen von Covid-19 Patienten getragen und die kleinen und mittleren Kliniken keinen wesentlichen Beitrag geleistet hätten1). Diese Aussage war aber falsch. Sie wird bereits durch die vom InEK erstellte Auflistung von Krankenhäusern, die einen Anspruch auf eine „Corona Prämie“ für Pflegekräfte haben (Sonderleistung gem. § 26 KHG), widerlegt2). Dort sind viele kleinere Kliniken enthalten, die dazu mindestens 20 Covid- 19 Patienten behandelt haben mussten. Dies beweist, dass kleinere Kliniken einen erheblichen Anteil an der Versorgung hatten. Auch eine Analyse der Behandlungszahlen und -ergebnisse der ersten Covid-19 Welle in großen und kleinen Kliniken der Clinotel Gruppe3) belegt dies.

Diese Erkenntnis ist für einige Experten schmerzlich, da sie deren gebetsmühlenartig wiederholte Kernaussage, dass die Versorgung der Bevölkerung allein durch die Schwerpunkt- und Maximalversorger zu sichern ist, widerlegt4). Letztere sind mittlerweile überlastet und müssen Patienten in die kleineren Kliniken verlegen. Das gestufte System der Versorgung, in dem außer für besonders schwierige Fälle primär die Klinken in der Region den Versorgungsauftrag haben, hat sich also trotz aller zuvor gestreuten Zweifel auch bzw. gerade in der Krise bewährt. Natürlich liegt in der Definition und Einstufung der Patienten als schwierige Fälle mit besonderem Behandlungsbedarf die hohe Kunst und Verantwortung der Ärzte vor Ort. Um beim Beispiel Covid-19 zu bleiben, sehen wir in Verlegungsraten von 10 % für alle und 25 % für beatmete Patienten kein Gegenargument, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass viele (90 %) in der Region ausreichend versorgt wurden und bei Weitem nicht alle Patienten gleich in die höchsten Versorgungstufen eingeliefert werden müssen5).

Anzahl und Art der Kliniken

Analysiert man in diesem Zusammenhang die Anzahl und Art der Krankenhäuser in Deutschland, so ergibt sich doch die eine oder andere Überraschung. Die Gesamtzahl der Krankenhäuser wird derzeit mit 1925 angegeben. Davon sind ca. zwei Drittel sogenannte allgemeine Krankenhäuser, welche die Hauptlast der akutstationären Versorgung leisten. Der Rest setzt sich aus spezialisierten Häusern, psychiatrischen Einrichtungen, Rehabilitationskliniken und Versorgungseinrichtungen zusammen. Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) führt 1285 meldende Standorte für intensivmedizinische Behandlung auf6). Ca. 430 davon sind der Notfallversorgungsstufe 2 oder 3 zuzuordnen7), die übrigen Kliniken der Stufe 1 mit einigen Spezialkliniken wie beispielsweise für Pneumologie der Stufe 0. Die vor allem öffentlich geführte Diskussion über eine zukünftige Krankenhausstruktur bezieht sich dabei primär auf die allgemeinen Krankenhäuser, geht aber meist von einer viel zu hohen Zahl aus. Bezieht man sich auf die Bettenzahl der allgemeinen Krankenhäuser, liegt Deutschland im OECD Vergleich in einem mittleren Bereich der Bettendichte bezogen auf die Bevölkerung8).

Notfallversorgung

Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Bedeutung der Häuser mit der Versorgungsstufe 1 für die zukünftige Notfallversorgung und stationäre Therapie. Konkret geht es dabei darum, ob diese Häuser weiter primär an der Notfallversorgung beteiligt werden, oder ob diese nur noch von Schwerpunktkliniken geleistet werden soll? Da diese Häuser in ihrer Belegung weit überwiegend von Notfallaufnahmen abhängig sind, können sie ohne Teilnahme an der Notfallversorgung wirtschaftlich nicht überleben. Das wäre ganz im Sinne des ein oder anderen Experten und des Bundesgesundheitsministeriums, die sich davon eine deutliche Standortbereinigung versprechen. Wir dagegen fordern, dass alle Kliniken mit der vom G-BA beschlossenen stationären Notfall-Versorgungstufe 1 weiter uneingeschränkt an der Notfallversorgung teilnehmen. Alles andere würde die flächendeckende Versorgung gefährden und zu einer deutlichen Angebotsverknappung führen. Häuser ohne Notfallversorgungsstufe – abgesehen von Spezialkliniken – benötigen unbedingt einen speziellen Versorgungsauftrag, wie zum Beispiel geriatrische Akutbehandlung im Verbund mit geriatrischer und oder neurologischer Rehabilitation oder eine MVZ Regelung, um den Standort und die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung zu sichern.

Zentralisierung (nicht) um jeden Preis

Seit langem wird eine ausschließliche Erbringung komplexer Leistungen an dafür spezialisierten Zentren gefordert. Hierzu bedarf es vernetzter und abgestimmter Strukturen in dem bestehenden gestuften System. Die grundsätzlich durchaus sinnvolle Diskussion über Mindestmengen wird dabei völlig überzogen. Jenseits des gemeinsam angestrebten Ziels einer Verhinderung von Gelegenheitseingriffen wird das Instrument zunehmend nicht mehr zur Qualitätssicherung, sondern zur Strukturbereinigung eingesetzt. Die Qualität der Häuser der niedrigen Versorgungsstufen wird anhand von schweren Erkrankungen mit komplexem Behandlungsbedarf wie etwa Pankreaskarzinom, Herzinfarkt oder Schlaganfall infrage gestellt, obwohl sie nur einen geringen Teil des Portfolios dieser Klinken ausmachen. Deren Schwerpunkt sollte grundsätzlich bei ganz anderen Erkrankungen wie dekompensierte Herzinsuffizienz, COPD oder Pneumonien liegen, in der Regel mit deutlich gesteigertem pflegerischem Aufwand. Selten wird dabei hinterfragt, unter welchen Umständen die Patienten mit komplexen Erkrankungen in diese Kliniken gekommen sind, warum sie nicht weiterverlegt wurden und ob bzw. welche medizinische Gründe es hierfür gab. Die völlig überzogene Diskussion über die angeblich hohe Herzinfarktsterblichkeit in Deutschland ist hierfür ein abschreckendes Beispiel9). Mindestmengen sind neben stringenten Strukturvorgaben ein wichtiges Instrument der Zentralisierung. Bei seinen Regelungen über Mindestmengen läuft der Gemeinsame Bundesausschuss aber Gefahr, seinen Beurteilungsspielraum bei den beschlossenen Mengen teilweise erheblich zu überziehen. Auch hier werden die Gerichte überprüfen müssen, ob die getroffenen Entscheidungen angemessen bzw. verhältnismäßig sind. Wir haben jüngst dazu einen kritischen Beitrag am Beispiel TAVI publiziert10). Dazu passt jetzt der Versuch, im Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG), das Recht der Länder zu streichen, zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung Ausnahmen von den Mindestmengenvorgaben des G-BA bei guter Qualität zu erlauben. Das ist eine weitere Aushebelung der Planungshoheit der Länder, in die der Bund zunehmend durch G-BA Beschlüsse und Gesetzte eingreift.

Fachkräftemangel

Seit Jahren gelingt es nicht, ausreichend zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen. Zwar ist in die Ausbildung für Pflegekräfte deutlich investiert worden und auch die Zahlen der Medizinstudierenden steigen endlich, aber es wird noch Jahre dauern, bis hierdurch eine wirkliche Entlastung eintritt. Dabei ist der Mangel an Pflegekräften durch vermehrtes vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf aufgrund der Arbeitsbedingungen weiter ein großes Problem. Durch eine Zentralisierung soll Personal über Klinikschließungen mobilisiert werden und den bestehenden Mangel abmildern. Die Rechnung geht aber nur auf, wenn dann auch weniger Patienten stationär behandelt werden, sonst bleibt der Schlüssel pro Patient unverändert. Der Personalmangel ist in Ballungsräumen und in ländlichen Regionen unterschiedlich stark ausgeprägt. In den Städten fehlt es besonders an Pflegekräften, in den ländlichen Regionen an Ärzten. Ob aber alle Pflegekräfte bei Schließung eines kleineren Hauses in der Peripherie an große Kliniken in die Stadt wechseln, darf bezweifelt werden. Eine ständige Facharztpräsenz 24/7 ist eine weitere utopische Forderung. Selbst in Häusern der Maximalversorgung werden viele Behandlungen primär von Ärzten in der Weiterbildung nach dem sogenannten Facharztstandard erbracht, abgesichert durch Fachärzte mit Zusatzbezeichnungen im Hintergrund-Rufdienst. Alle Positionen in den vielschichtigen Diensten der Klinken mit Fachärzten präsent besetzen zu wollen ist schier unmöglich, allein schon wegen der arbeitsrechtlich beschränkten Einsatzzeiten, die natürlich in der Rufbereitschaft ganz andere Zeitfenster abdecken können. Der Fachkräftemangel, verstärkt durch unpraktikable Regelungen bei den Pflegepersonaluntergrenzen, wird ein entscheidender Faktor in der künftigen Entwicklung der Klinikstrukturen ausmachen. Umgekehrt wird der Mangel an Ärzten auf dem Land zu sektorenübergreifenden Lösungen zwingen.

Wo stehen die Krankenhäuser?

Im Streit zwischen den Vorstellungen der Bundesebene und den Ländern über eine zukünftige Krankenhausstruktur werden die Kliniken zerrieben. 60 % der leitenden Ärzte beklagen einen zunehmenden wirtschaftlichen Druck auf medizinische Entscheidungen, Geschäftsführer stehen unter extremen Stress, da die Schwierigkeiten auf sie personalisiert werden – und das ist kein Wunder. 50 % der Kliniken klagen über finanzielle Probleme, weit über 10 % sind akut insolvenzgefährdet – Tendenz steigend. Dies ist die Folge jahrzehntelanger unzureichender Investitionsfinanzierung der Länder und Zweckentfremdung von Fallpauschalen zum Ausgleich der fehlenden Investitionsmittel. Aber auch die versteckten und offenen Anstrengungen des Bundes und der gesetzlichen Krankenkassen, durch Überregulierung eine kalte Strukturbereinigung zu bewirken, beginnen zu greifen. Die Folgen sind Schließung oder Privatisierung – völlig unkoordiniert und losgelöst von einer Planung oder Systemrelevanz und dem konkreten Bedarf vor Ort. Insolvenz ist kein geeignetes Instrument zur Krankenhausplanung. Das hat auch der Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht ganz deutlich angeprangert11). Die für Monate eingebrochene Belegung und der massive Rückgang des Leistungsgeschehens unter Covid-19 haben trotz Schutzschirm und anderer entlastender Maßnahmen an vielen Stellen zu zusätzlichen großen finanziellen Engpässen geführt. Akut verstärkt durch einen unzureichenden Schutzschirm 2.0. Bereits in den beiden letzten Jahren war eine Trendwende zu verzeichnen. Die jahrelang steigenden Fallzahlen stagnieren, stark getriggert zuletzt auch durch die Pflegepersonaluntergrenzen. Die lange erfolgreiche Kompensation einer unzureichenden Finanzierung durch mehr Menge und Leistung ist damit abrupt an ihre Grenzen gestoßen.

Krankenhausplanung

Die Krankenhausplanung muss einen völlig unterschiedlichen Versorgungsbedarf nicht nur in Ballungsräumen und ländlichen Regionen, sondern auch zwischen den Bundesländern berücksichtigen. Das spiegelt sich auch in den deutlichen Unterschieden in der Bettenzahl pro Einwohner respektive Anzahl der Kliniken in den einzelnen Bundesländern wieder12). Hier geht es um die Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Versorgung, dort um eine mangelnde Abstimmung des Leistungsgeschehens und Überkapazitäten. Es bedarf deshalb einer individuellen Planung, je nach betroffener Region und Standort. Nordrhein-Westfalen verfolgt einen sehr aufwendigen Abstimmungsprozess unter allen Beteiligten. Ziel ist, die Krankenhausplanung weg von der reinen Bettenplanung hin zu abgestimmten Leistungspaketen der Kliniken am Versorgungsbedarf auszurichten. Aber Vorsicht, der Weg über zu stringente Strukturvorgaben darf zu keinem Kahlschlag führen. Für überzogene Forderungen darf man die OPS Ziffern nicht neu erfinden oder gar verschlimmern. Die reichen jetzt schon mehr als genug. Stringente Strukturvorgaben entpuppen sich dabei zunehmend als probates Mittel, einen rechtlich sonst unangreifbaren Versorgungsauftrag einzuschränken.

Andere Länder ohne die entsprechenden Ballungsräume – wie Brandenburg – fürchten zum Kollateralschaden der Krankenhausreform von NRW zu werden, wenn diese sich als Blaupause für Deutschland herausstellen sollte. Rheinland-Pfalz versucht es mit Modellvorhaben einer sektorenübergreifenden Lösung.

Bei der Berechnung des Versorgungsbedarfs werden sozioökonomische Faktoren sträflich vernachlässigt, dabei haben sie sehr großen Einfluss auf den Bedarf an stationärer Versorgung. Darin hinkt ja besonders der Vergleich von Dänemark zu Ballungsräumen in NRW13).

Die kleineren Häuser der Grundversorgung in der Region dürfen bei einer Reform auf keinen Fall komplett unter die Räder kommen, denn neben ihrem wichtigen Beitrag für die flächendeckende Versorgung sind sie mit ihrer Weiterbildung Garanten für den hausärztlichen Nachwuchs in der Region. Diese Häuser stehen im Moment von allen Seiten unter Druck. Wir sehen aber aktuell, welche wichtige Funktion ihnen in einem gestuften Versorgungssystem zukommt, damit die Maximalversorger nicht überlastet werden und abverlegen können. Hier darf die Alternative nicht mit oder ohne Krankenhaus sein, man muss alternative Versorgungskonzepte entwickeln. Entfernungen von bis zu 100 Kilometern bis zur nächsten Notaufnahme sind bei uns gesetzlich nicht zulässig und politisch nicht durchsetzbar. Sie werden auch den zu versorgenden Menschen nicht gerecht. Der Hubschrauber fliegt nicht immer, wie einige behaupten. Hinzu kommt, dass einige Kliniken in endlosen und oft vergeblichen Antragsverfahren zur Genehmigung eines Hubschrauberlandeplatzes stecken und davon abhängig die Einordnung in die Notfallversorgungsstufe 3 nicht umsetzen können.

Reform der Finanzierung

Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Die Dauerbaustelle Investitionsfinanzierung hat durch das Investitionsprogramm für die Digitalisierung und die Fortführung des Strukturfonds einen wichtigen Impuls bekommen. Aber dass sich hier weiter substanziell etwas ändern muss, dürfte allen klar sein. Mindestens genauso umgreifend muss aber die Reform der Fallpauschalen (DRG) ausfallen. Vor allem für die Häuser der Grundversorgung müssen in den Erlösen in erheblichem Umfang Vorhaltekosten enthalten sein, damit sie nicht weiter zur Mengen- und Leistungsausweitung gezwungen werden, um ihre Kosten zu decken. Wie wichtig das Thema Vorhaltekosten ist, hat auch die Pandemie gezeigt. Die zwingend notwendige Einschränkung des Regelbetriebs hat zu einem kompletten Wegfall der Erlöse geführt, da nur erbrachte Leistungen, aber keine Vorhaltekosten finanziert werden. Der folgende Streit über die unangemessene Finanzierung leerer Betten war völlig überzogen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Ambulante Operationen

Ambulantes Operieren ist ein weiterer Schlüssel für ein funktionierendes Gesundheitssystem von morgen. Kliniken wollen schon längst mehr ambulant operieren, aber es fehlt schlicht an den entsprechenden Abrechnungsmöglichkeiten. Die KV blockiert auch hier. Nun ist der Auftrag für das AOP-Gutachten vergeben, das Ergebnis soll Ende des Jahres vorliegen. Es ist zu erwarten, dass zahlreiche Eingriffe zusätzlich als in der Regel ambulant zu erbringen eingestuft werden. Unerwähnt bleibt gerne, dass Kliniken dabei auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, diese Fälle also weiter, dann aber ambulant operieren werden. Viele dieser Eingriffe haben einen komplexen Versorgungsbedarf und bedürfen daher weiter der stationären Struktur und ärztlichen Qualifikation. Die Finanzierung muss für Kliniken – natürlich in angepassten Prozessen – dem Aufwand entsprechen und darf nicht auf EBM-Niveau verharren. Viel wird über ambulant sensitive Diagnosen philosophiert. Die Schuldzuweisungen gehen in Richtung Kliniken. Völlig vergessen wird dabei, dass man sie auch als Indikator für eine nicht ausreichende ambulante Versorgung ansehen kann. Es muss Schluss sein mit der pauschalen Anschuldigung angeblich vorgegebener fester Aufnahmequoten in unseren Notfallambulanzen. Der stationäre Versorgungsbedarf unserer hochbetagten, teilweise multimorbiden Bevölkerung wird unterschätzt und Vergleiche mit anderen Ländern hinken aufgrund einer gänzlich anderen Demografie. Eine deutliche Aufstockung ambulanter Pflegemöglichkeiten kann hier zur Entspannung beitragen.

Sektorenübergreifende Versorgung

Besonders in den ländlichen Regionen und in der Notfallversorgung sind sektorenübergreifende Modelle die richtige Lösung. Die KV muss hier ihre Blockadehaltung endlich aufgeben. Die Kliniken werden auch in Zukunft eine wesentliche Rolle in der ambulanten Notfallversorgung spielen, da an vielen Stellen nur sie einen 7-Tage-24-Stunden-Dienst sicherstellen können. Manche fragen, ob wir denn überhaupt ein Konzept für die zukünftige ambulante Notfallversorgung haben? Die Antwort ist: wir ja, aber wo ist das Konzept der Politik? Dr. Matthias Gruhl, Staatsrat a.D. aus Hamburg, hat jüngst die Historie der Entwicklung einer zukünftigen Notfallstruktur zwischen Ländern und BMG als „Nirwana statt Tigersprung“ bezeichnet. Das passt! Im Moment stehen wir vor einem Scherbenhaufen mit dem Versuch, dies im Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) noch irgendwie zu ordnen. Wir sagen dabei ja zu Regelungen einer telefonischen Triage, die uns von einer Unzahl von Bagatellfällen befreit, aber nein zu einer primären Prüfung der aktuellen Behandlungsbedürftigkeit durch von der KV erlassene Regeln in unseren Ambulanzen und zu einer Fortschreibung der völlig unzureichenden Pauschalfinanzierung. Das erlaubt keine adäquate Patientenversorgung und kann gefährlich werden. Es stößt auf breite Ablehnung aller maßgeblichen Verbände. Alle Kliniken mit der Zulassung zur stationären Notfallversorgung nach den G-BA Richtlinien müssen unabhängig von der zugeteilten Stufe weiter zur ambulanten Versorgung zugelassen werden. Hier müssen die im Referentenentwurf des GVWG enthaltenen Vorschläge dringend überarbeitet werden.

Was haben wir für Vorstellungen über eine zukunftsfähige Krankenhausstruktur und wo liegen die Probleme?

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat unter dem Motto: „Fair diskutieren, entscheiden, handeln. Gemeinsam für eine verlässliche Krankenhausversorgung überall und zu jeder Zeit“ die Kampagne FAiR ins Leben gerufen Die Betonung liegt auf fair. Warum? Weil wir alle unter einer unfairen, sogenannten „kalten“ Krankenhausstrukturbereinigung leiden. Gutachter und Stiftungen skandalisieren in der Öffentlichkeit die angeblichen Missstände an deutschen Kliniken, zuletzt geschehen mit nachweislich falschen Zahlen zur Versorgung der Covid-19 Patienten in der ersten Welle. Warum? Wir befürchten, dass über eine solche Skandalisierung vermeintlich oder tatsächlich schlechter Krankenhausleistungen der Weg für radikale politische Entscheidungen geebnet werden soll, der sonst unvorstellbar scheint. Auch hier dient Dänemark wohl als Vorbild. Hinterfragen Sie deshalb bitte diese oft überzeichneten Schilderungen. Wir fordern eine faire Diskussion, dann beteiligen wir uns gerne konstruktiv daran.

Wo aber liegt nun der Lösungsansatz, um die Versorgung bzw. die Struktur zu verbessern?

Grenzt man die Diskussion auf allgemeine Krankenhäuser ein, die ja auch für die akute Versorgung die entscheidende Rolle spielen, nimmt Deutschland bezogen auf die Bettendichte pro Einwohner einen Platz im Mittelfeld ein. Der Alarmismus über viel zu viele Betten ist übertrieben. Wir halten deshalb eine radikale Strukturbereinigung und Beschränkung auf ca. 430 Häuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung für nicht zielführend, sie werden auch postpandemisch auf keinen Fall für die Versorgung ausreichen. Wir brauchen einen gesunden Mix aus Kliniken, der – in einem gestuften System – einerseits der wohnortnahen Versorgung einer alternden Bevölkerung gerecht wird und andererseits komplexe Eingriffe den Maximal- und Schwerpunktversorgern überlässt. Mindestmengen und Strukturvorgaben sind wichtige Instrumente, aber sie müssen mit Augenmaß festgelegt und nicht als Mittel der Strukturbereinigung missbraucht werden. Dann kann die Rolle der Häuser mit der Notfallversorgungsstufe 1 klar definiert werden. Eine Reform der Finanzierung durch eine Sicherung der Investitionsfinanzierung und eine Reform der DRG Erlöse ist längst überfällig. Auch alternative, regionale Finanzierungssysteme sind denkbar. Sektorenübergreifende Versorgungsmodelle oder MVZ Strukturen als Versorgungszentren sind die Zukunft der Grund- und Regelversorger vor allem ohne Notfallstufe bzw. Intensivstation. Die können gleichzeitig in ländlichen Regionen die notleidende ambulante Versorgung sichern. Dafür gibt es aufgrund unserer demographischen Entwicklung weiter einen enormen Bedarf. Strukturreformen werden dann von uns unterstützt, wenn sie sinnvoll auf der Basis realer Zahlen, regionaler Notwendigkeiten, von den Ländern gemeinsam mit allen Beteiligten geplant und entsprechend finanziert werden. Die von immer den gleichen Gutachtern vorgeschlagene drastische Angebotsverknappung an stationären Leistungserbringern gefährdet dagegen die Versorgung. Das hat die Pandemie eindrucksvoll belegt.

Literatur
1) Ch. Straub: Kein „Weiter so!“ nach Corona – Wissenschaftler fordern Reform im Gesundheitswesen https://www.barmer.de/presse/presseinformationen/pressemitteilungen/richtungspapier-corona-269172

2) Sonderleistung gem. § 26a KHG, InEK GmbH-G-DRG.de –„Corona-Prämie“ für Pflegekräfte im Krankenhaus(„Pflegebonus“) https://www.g-drg.de/content/download/9918/71813/version/5/file/Sonderleistung_gemäß_§_26a_KHG.PDF

3) CLINOTEL-Faktencheck zum Richtungspapier der Bertelsmann Stiftung et al. Wichtige Rolle der Grundversorger bei der COVID-19 Patientenversorgung, https://www.clinotel.de/media/pm-faktencheck-corona-notfallstufen-stand-2020-12-08.pdf

4) B. Augursky et al. Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020 Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/VV_Richtungspapier-Corona.pdf

5) Ch. Karagianidis et al. (2020) Case charakteristics, resource use, and outcomes of 10 021 patients with COVID-19 admitted to 920 German hospitals: an observational study thelancet.com/repiratory Vol 8. September 2020,
853–862

6) www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/divi-intensivgegister-tagesreports/DIVI-Intensivregister_Tagesreport 2021_01_06.pdf

7) Prognose der Krankenhäuser mit Basisnotfallstufe, erweiterter oder umfassender Notfallstufe (§ 136c Absatz 4 SGB V), Stand 14.12.2020 https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/krankenhaeuser/Begleitinformationen_Prognose_Notfallstufen_Stand_14-12-2020.pdf

8) OECD Health Statistics 2020n https://stats.oecd.org/index.aspx?DataSetCode=HEALTH_REAC.

9) Michael. A. Weber (2019) Krankenhausversorgung gemeinsam gestalten, aber bitte ohne Fake News“.Hg. v. BibliomedManager www.bibliomedmanager.de/news/38331-krankenhausversorgung-gemeinsam-gestaltenaber-bitte-ohne-fake-news

10) Michael A. Weber et al. (2020) Mindestmengen G-BA: Sündenfall TAVI das Krankenhaus 8.2020 652-654 https://bit.ly33omOgd

11) Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO über die Prüfung der Krankenhausfinanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung www.bundesrechnungshof.de/de/Veröffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2020/krankenhaeuserseit-jahren-unterfinanziert-und-ineffizient

12) Destatis.de Gesundheit, Grunddaten der Krankenhäuser erschienen am 27. August 2020, korrigiert am 15. Dezember 2020 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser-2120611187004.pdf?__blob=publicationFile

13) Matthias Offermanns (2018) Determinanten der Krankenhaushäufigkeit in Nordrhein-Westfalen(Teil 1): Vergleich mit anderen Bundesländern, Deutsches Krankenhausinstitut

Anschrift des Verfassers

PD. Dr. Michael A. Weber, Präsident, Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands e.V., Tersteegenstr. 9, 40474 Düsseldorf