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Interviews und Meinungen

„Die sektorübergreifende Versorgung soll zur Regel werden.“


Prof. Dr. Armin Grau MdB, Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski

Nach dem Regierungswechsel hat sich die Gesundheitspolitik auf Bundesebene nicht nur im Ministerium neu aufgestellt. Auch der 42 Mitglieder zählende Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags hat nach der Bundestagswahl 2021 viele neue Gesichter. Einige sind erfahrene Mediziner, auch Klinikärzte, die die Probleme des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser genau kennen. Wer sind „die Neuen“? Wie stehen sie zu den brennenden Themen der Gesundheits- und Krankenhauspolitik? Das Krankenhaus stellt einige der Newcomer in den kommenden Ausgaben vor. Zum Beispiel: Armin Grau (B 90/Die Grünen).

Sie sind ein erfahrener Neurologe, haben als Ärztl. Direktor Kliniken geführt, an Universitäten gelehrt und zahlreiche Projekte und Organisationen geleitet. Was treibt sie als „Newcomer“ in die Politik?

Ich möchte meine Erfahrungen aus der klinischen Praxis einbringen, um Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land und für die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu erreichen.

Sie haben zunächst Politikwissenschaften, Germanistik und Geschichte studiert – Mit Abschluss. Warum sind Sie Mediziner geworden? Was treibt Sie als Arzt an?

Ich hatte zunächst den Berufswunsch „Journalist“, bin dann aber unsicher geworden bezüglich dieser Berufswahl. Ich denke aber immer noch gerne an mein erstes Studium zurück, es hat mir viel gegeben. Ich bin Arzt geworden, um den Menschen mit der richtigen Diagnose und Therapie zu helfen. Als Arzt treibt mich an, die Menschen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und für jede Patientin und jeden Patienten die bestmögliche Lösung ihrer gesundheitlichen Probleme zu finden.

Warum engagieren Sie sich bei B 90/Die Grünen?

Ich bin 1983 zu den Grünen gekommen, weil ich politisch etwas gegen die massive Umweltzerstörung unternehmen wollte, weil ich als Kriegsdienstverweigerer gegen die damalige Rüstungspolitik und gegen die Atompolitik der Regierungen Schmidt und Kohl war. Die Grünen wurden meine politische Heimat, weil sie von Beginn an auch eine fortschrittliche Sozialpolitik vertreten haben. Eine ökologische Wende war für mich immer mit mehr sozialer Gerechtigkeit verbunden.

Welches ist Ihr Hauptanliegen als Bundestagsabgeordneter bzw. als Mitglied des Gesundheitsausschusses?

Als Abgeordneter will ich mich gerne an den Hauptaufgaben unserer Zeit, dem Klima-, dem Umwelt- und dem Artenschutz, beteiligen und die gesundheitspolitischen Aspekte dieser Themen zusammen mit anderen bearbeiten. Klimaerhitzung ist auch ein großes Problem für die menschliche Gesundheit, Pestizide sind eine Hauptursache für das Artensterben, sie schaden aber auch der menschlichen Gesundheit, zum Beispiel sind sie ein Mitauslöser der Parkinson-Krankheit.

Meine hauptsächliche Tätigkeit liegt jedoch im Gesundheitsausschuss. Ich bin hier für meine Fraktion zuständig für die ambulante, die stationäre und die sektorübergreifende Versorgung. Ich möchte dazu beitragen, dass eine Reform von Krankenhausstruktur und -finanzierung zu einer verbesserten Versorgung der Menschen und zu besseren Arbeitsbedingungen in den Kliniken führt. Stationär soll nur noch die- bzw. derjenige versorgt werden, der das Bett auch wirklich braucht. Dafür sollen sich die Krankenhäuser mehr für die ambulante Versorgung öffnen können und enger mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zusammenarbeiten ¬ beispielsweise in Gesundheitszentren. Die sektorübergreifende Versorgung soll zur Regel werden. Regionale Aspekte mit einer Versorgung in Gesundheitsregionen sollen die alten Sektoren mittelfristig ablösen. Leitmotiv ist es, die Versorgungswege zu entwickeln, die die Patienten, insbesondere die Älteren und Multimorbiden, benötigen. Das ist der humanste und am Ende auch der wirtschaftlichste Weg.

Was sind die dringendsten Probleme der Kliniken?

Wir müssen die Investitionskostenfinanzierung der Kliniken deutlich verbessern. Hier sollte der Bund den Ländern unter die Arme greifen. Wir benötigen eine Krankenhausstrukturreform, die die Krankenhausplanung wieder ins Zentrum rückt. Hauptkriterien für die Bedarfsnotwendigkeit von einzelnen Kliniken und Krankenhausstandorten sind Erreichbarkeit und die regionale Krankheitshäufigkeit. Versorgung muss dabei immer auf hohem Niveau stattfinden.

Ganz dringend brauchen wir eine Reform der Krankenhausfinanzierung. Die Fallpauschalen, wie wir sie in Deutschland eingesetzt haben, haben zu unnötigen Fallzahlausdehnungen und Fehlanreizen hin zu wirtschaftlich „lukrativen“ Leistungen geführt. Das aktuelle System hat sich als nicht patientengerecht und im Grunde auch als zu teuer erwiesen und zu schlechten Arbeitsbedingungen, insbesondere in der Pflege, beigetragen. Wir als Ampel-Regierung wollen eine fallzahlunabhängige Finanzierung der Vorhaltekosten in den bedarfsnotwendigen Krankenhäusern. Hier muss uns zügig eine überzeugende Reform gelingen. 

Was kann die Politik zur Lösung des Pflegekräftemangels beitragen?

Als wichtigstes Instrument erachte ich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte durch ein Personalbemessungsinstrument, zunächst durch PPR 2.0. Viele Pflegekräfte sind unzufrieden, weil sie zu viele Patientinnen und Patienten gleichzeitig versorgen müssen und ihnen nicht ausreichend gerecht werden können. Sie haben dem Krankenhaus den Rücken gekehrt und wir müssen sie durch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zurückgewinnen. Außerdem muss auch die Bezahlung noch besser werden, die Arbeitszeiten müssen perspektivisch verkürzt und das Arbeitsumfeld muss familienfreundlicher werden, beispielsweise durch Betriebskindergärten.

Wann wird PPR 2.0 an den Start gehen?

Ich hoffe, sehr bald.

Sind die Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG) damit Geschichte?

Ja, die bisherigen isolierten Pflegepersonaluntergrenzen, die auf Bemessungsstandards verzichtet haben, sind damit Geschichte.

Welche Kriterien sollte ein neues Bemessungsinstrument für die Pflege erfüllen?

Es muss den komplexen Anforderungen moderner Pflege gerecht werden, gleichzeitig aber nicht zu bürokratisch sein und es muss auch die Situation nachts und am Wochenende berücksichtigen.

Ist das Pflegebudget ein geeignetes Instrument, den Mangel zu beheben?

Ich habe die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen begrüßt. Tatsächlich ist es jedoch sehr schwierig, Pflegebudgets zwischen Krankenhäusern und den Krankenkassen zu verhandeln. Gegebenenfalls muss hier bundespolitisch nachgeschärft werden und klarere Regelungen und Fristen müssen geschaffen werden.

Im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2021 forderten Sie eine verbindlichere Krankenhausplanung mit mehr Einfluss des Bundes. Auch die gemeinsame Planung von ambulanter und stationärer Versorgung wurde gefordert. Im Koalitionsvertrag ist es weniger konkret. In welche Richtung wird es gehen?

Wir müssen zügig eine Krankenhausstrukturreform auf den Weg bringen mit Leitplanken für alle wichtigen Fragen der stationären Versorgung; Hauptkriterien sind dabei Erreichbarkeit, regionale Krankheitslast und hohe Versorgungsqualität. Das geht mit Reformen der Krankenhausfinanzierung Hand in Hand. Für die gemeinsame Planung von ambulanter und stationärer Versorgung sollten wir Perspektiven schaffen und zunächst möglichst viele Gesundheitsregionen mit sektorübergreifender Versorgung schaffen. Richtung 2030 sollte uns jedoch auch eine sektorübergreifende Planung gelingen.

Seit Langem wird aus verschiedenen Richtungen ein Strukturwandel in Bezug auf die stationäre Versorgung gefordert. Wie sollte der aussehen?

Für die stationäre Versorgung gibt es eine Reihe von Reformaspekten. Zum einen brauchen wir Personalbemessungsinstrumente, zunächst in der Pflege mit PPR 2.0 und später aus meiner Sicht auch in anderen patientennahen Berufsgruppen. Das verbessert die Versorgungsqualität für die Patienten und Patientinnen.

Außerdem müssen wir sehr viel stärker ambulante und teilstationäre Versorgungsangebote in den Krankenhäusern machen. Patientinnen und Patienten, die das Bett nicht brauchen, sondern vor allem die Erfahrung und die technische Ausstattung der Kliniken, sollen mittelfristig auch nicht mehr stationär behandelt werden. Die Bedarfe der Menschen sollen da ganz im Mittelpunkt stehen.

Wie könnte eine weitgehendere sektorenübergreifende Versorgung gelingen?

Im Mittelpunkt sehe ich da die grüne Idee der „Gesundheitsregionen“, in denen sich die regionalen Versorger, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser, Therapeutinnen und Therapeuten etc. zusammenschließen und mit den Krankenkassen Versorgungsverträge schließen. Kurzfristig sollten die Krankenhäuser bessere Möglichkeiten zur ambulanten und teilstationären Behandlung ihrer bisher stationär behandelten Patienten bekommen. Dazu sind Pauschalen angemessen, die bezahlt werden, egal ob die Patientin oder der Patient ganz oder teilweise stationär oder ganz ambulant versorgt werden. Das schafft Anreize für die Krankenhäuser zu mehr ambulanter Versorgung. Die zusätzlichen Gewinne durch ambulante Behandlungen müssen in den Aufbau von Tageskliniken und Ambulanzen fließen. Diese Maßnahmen zielen nicht darauf ab, bisher von den Niedergelassenen versorgten Patienten in die Krankenhäuser zu holen.

Was müssen die Krankenhäuser selbst tun?

Sie müssen attraktive Arbeitgeber sein. Dies heißt vor allem gute Arbeitsbedingungen für alle Berufsgruppen schaffen, das ist das beste Rezept gegen den Fachkräftemangel. Insbesondere darf jetzt in der Corona-Pandemie mit den zusätzlichen wirtschaftlichen Problemen und nach der Ausgliederung der Pflegebudgets kein Personalabbau bei anderen Berufsgruppen erfolgen. Das wäre ein fatales Signal.

Die Krankenhäuser sollten beginnen, sich zu regionalen Netzwerken zusammenzuschließen, in denen die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken der verschiedenen Versorgungsstufen geregelt ist.

Die Krankenhäuser sollen sich auf eine stärkere ambulante und teilstationäre Leistungserbringung vorbereiten und die Optionen der Digitalisierung, zum Beispiel im Rahmen des Krankenhaus-Zukunftsgesetzes möglichst optimal nutzen, um in den patientennahen Berufen, v.a. in Pflege und Ärzteschaft den Dokumentations- und Bürokratieaufwand zurückzudrängen und zu minimieren.

Wie sieht die Krankenhauslandschaft in zehn Jahren aus?

Für in zehn Jahren wünsche ich mir, dass die Krankenhauslandschaft durch gut funktionierende regionale Versorgungsnetzwerke geprägt ist. Zielgerichtete Landeskrankenhauspläne stellen sicher, dass in den Regionen weder Über-, Unter- noch Fehlversorgung stattfindet. Unnötige Doppelvorhaltungen sollten nicht mehr bestehen. Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern findet um Versorgungsqualität statt. In Gesundheitsregionen arbeiten Krankenhäuser eng mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zusammen. Für Patienten mit komplexem Versorgungsbedarf bestehen entsprechende regionale Versorgungswege. Die Krankenhäuser erbringen einen erheblichen Teil ihrer Leistungen ambulant oder teilstationär und bieten ihren Patientinnen und Patienten immer genau die Versorgung an, die sie brauchen. Qualitätssicherungsmaßnahmen sind deutlich stärker ausgebaut als heute, zur Entlastung der Mitarbeiter nutzen sie Routinedaten soweit möglich. Die Ergebnisse der Qualitätssicherung müssen laienverständlich publiziert werden. Die Krankenhausfinanzierung ist so weiterentwickelt, dass bedarfsnotwendige Krankenhäuser, die die Qualitätsstandards erfüllen und wirtschaftlich sinnvoll arbeiten, nicht mehr von roten Zahlen oder gar von Insolvenz bedroht sein können.

Das Gespräch führte Katrin Rüter

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Prof. Dr. Armin Grau, MdB, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Prof. Dr. Armin Grau, geboren am 18. März 1959 in Stuttgart, trat bei den Wahlen zum deutschen Bundestag 2021 als Direktkandidat für die Grünen im Bundestagswahlkreis Ludwigshafen-Frankenthal an, kam jedoch über die Landesliste in den Bundestag.

Armin Grau ist seit 1984 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Nach verschiedenen Funktionen im Ortsverband und im Gemeinderat Altrip sowie im Verbandsgemeinderat Rheinauen war er 2018 bis 2021 Mitglied im Erweiterten Landesvorstand der Grünen Rheinland-Pfalz. Zur gleichen Zeit war Grau Mitglied im Sprecherrat der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Soziales und Gesundheit der Grünen.

Armin Grau studierte zunächst bis 1983 Politikwissenschaften, Germanistik und Geschichte an der LMU München, der Universität Tübingen und der FU Berlin und schloss mit dem Magister Artium ab. 1981 begann er an der FU Berlin mit dem Studium der Humanmedizin, 1987 erlangte Grau die Approbation als Arzt und promovierte 1989. In der Zeit von 1987 bis 2003 arbeitete er an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg, bis 1988 als Zivildienstleistender Arzt. 1989 bis 1990 ging Armin Grau im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an die University of California San Diego. Er erhielt ein Stipendium der Universität Heidelberg und wurde 1996 Facharzt für Neurologie.

Seine Habilitation (1997) befasst sich mit dem Thema „Infektionen als Risikofaktor für Schlaganfälle". Seit 2003 Direktor der Neurologischen Klinik im Klinikum Ludwigshafen. Seit 2004 ist Grau Außerplanmäßiger Professor der Universität Heidelberg. Von 2010 bis 2014 leitete Grau als Ärztlicher Direktor das Klinikum Ludwigshafen. 2016 Initiierte Armin Grau in Rheinland-Pfalz das telemedizinische Schlaganfallprojekt TEMES. Seit 2018 gehört er zum Leitungsteam des Projekts „Strukturierte ambulante Nachsorge nach Schlaganfall (SANO)", welches durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert wird. 2016 bis 2021 ist Grau im Vorstand der Deutschen Schlaganfallgesellschaft, 2018 bis 2019 als Erster Vorsitzender. Bis 2021 ist Armin Grau Mitglied und zeitweilig Vorsitzender im Fachausschuss „Akuter Schlaganfall" bei der SQMed Mainz zur Qualitätssicherung des Schlaganfalls in Rheinland-Pfalz.

Der profilierte Neurologe ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen medizinischen Fachgesellschaften, darüber hinaus war er über mehrere Jahre im Editorial Board und Section Editor für „Population Studies" der Zeitschrift „Stroke" der American Heart Association. Er ist “Fellow of the American Heart Association" (FAHA) sowie „Fellow of the European Stroke Organisation" (FESO).

Armin Grau ist verheiratet und hat fünf Kinder.