„Die Krankenhäuser in Brandenburg leisten gute Arbeit, stehen aber unter hohem wirtschaftlichem Druck“, sagt Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Die Grünen). Foto: Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg
Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Die Grünen) im Gespräch über notwendige Korrekturen bei der Klinikreform und die anstehende Landtagswahl:
Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage der Kliniken in Brandenburg?
Die wirtschaftliche Lage vieler deutscher Krankenhäuser hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Das spüren wir auch in Brandenburg. Im vergangenen Jahr haben die Kliniken bundesweit mit der Aktion „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Not“ auf ihre schwierige Situation noch einmal besonders aufmerksam gemacht. Da hieß es, dass fast jedes zweite Krankenhaus von Insolvenz bedroht sei und fast keine Klinik mehr eine schwarze Null schreibe. In den vielen Gesprächen, die ich in Krankenhäusern führe, wird mir das so auch immer wieder erläutert.
Die Rahmenbedingungen haben sich für die Kliniken in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert. Das System der Fallpauschalen hat die Krankenhäuser deutschlandweit zu stark ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Betriebskosten steigen inflations- und tarifbedingt, gleichzeitig brechen Einnahmen weg. Die Coronapandemie und damit verbundene Belegungsausfälle wirken nach. Fachkräftemangel und erhöhte Qualitätsanforderungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, führen zu weiteren Ausfällen von Behandlungsmöglichkeiten und Erlösmöglichkeiten für die Kliniken.
So müssen immer mehr Krankenhäuser ein wachsendes Defizit verzeichnen. Und der Bund kommt seiner Finanzierungspflicht im Krankenhausbereich einfach nicht nach. Die Sorge vor Insolvenzen ist deshalb groß. Aber es darf nicht zu einer kalten Strukturbereinigung kommen. Der Bund muss für eine auskömmliche Finanzierung der Krankenhäuser sorgen. Damit es zu keiner Insolvenzwelle kommt, bevor die geplante Krankenhausreform in Kraft tritt und die neuen Regelungen greifen können, haben wir deshalb frühzeitig vom Bund ein Vorschaltgesetz für die existenzbedrohten Krankenhäuser gefordert, das die Betriebskosten bedarfsgerecht abdeckt.
Die Brandenburger Landesregierung steht in diesen schwierigen Zeiten fest an der Seite der Krankenhäuser. Wir haben die Investitionspauschale für Krankenhäuser auf 110 Millionen Euro pro Jahr deutlich erhöht. Zur Krisenbewältigung haben wir mit Landesmitteln den Krankenhäusern zusätzlich im Jahr 2022 82,45 Millionen Euro aus dem Coronarettungsschirm und in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 95 Millionen Euro aus unserem „Brandenburg-Paket“ ausgezahlt. Mit der Förderrichtlinie „Soforthilfeprogramm Green Care and Hospital“ stehen in den Jahren 2023 und 2024 weitere rund 66 Millionen Euro für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen zur Verfügung, um die Energieversorgung nachhaltig umzustellen und sich so von steigenden Energiepreisen ein Stück unabhängiger zu machen.
Wird sich die Situation der Kliniken durch die Klinikreform des Bundes (KHVVG) verbessern?
Allen ist klar: Es geht um die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Viele Krankenhäuser in der gesamten Bundesrepublik sind in einer wirtschaftlichen Schieflage. Deshalb ist eine umfassende Krankenhausreform dringend notwendig. Die Reform darf nicht scheitern!
Für uns in Brandenburg hat die Bewahrung der flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung höchste Priorität. Die Krankenhäuser sind die zentralen Anker unserer Gesundheitsversorgung. Deshalb ist für uns klar: Für Brandenburg geht es bei der Krankenhausreform nicht um Standortschließungen, sondern um die bedarfsgerechte Weiterentwicklung und Sicherung der Standorte in enger Abstimmung mit den Versorgungsakteuren und der kommunalen Familie.
Mit der Krankenhausreform haben sich am 18. Juni auch die Ministerpräsidenten der Ost-Bundesländer beschäftigt und notwendige Korrekturforderungen im Gespräch mit Bundeskanzler Scholz und anderen Vertretern der Bundesregierung betont. Sie haben noch einmal deutlich gemacht, dass mit dem bisherigen Entwurf ein massiver Eingriff in die Planungshoheit der Länder in dünn besiedelten Gebieten droht.
Die Krankenhäuser in Brandenburg leisten gute Arbeit, stehen aber unter hohem wirtschaftlichen Druck. Die Klinikreform muss dazu führen, dass die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser auf eine sichere Basis gestellt wird. Wir erwarten von der Reform Versorgungssicherheit, Sicherung von Qualität, Bürokratieabbau und finanzielle Stabilität.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht noch an dem von Bundesgesundheitsminister Lauterbach geplanten KHVVG ändern?
Die Länder sind sich einig, dass am Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für das geplante Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz definitiv umfangreiche Korrekturen notwendig sind. Alle 16 Bundesländer haben – einstimmig und parteiübergreifend – am 30. April eine gemeinsame Stellungnahme mit zentralen Verbesserungsforderungen übermittelt. Das ist ein starkes Signal, das vom Bund nicht ignoriert werden kann. Jetzt befinden wir uns mitten im parlamentarische Verfahren.
Bereits begonnen hat der Prozess der Beratungen im Bundesrat mit geeinten Änderungsanträgen der Länder. Auch Brandenburg hat hier sehr viele Anträge auf Änderungen eingebracht. Wir appellieren dringend an den Bund, dies zu beachten. Dies betrifft auch deutlich erweiterte Möglichkeiten ambulant-stationärer Leistungserbringung in Versorgungsregionen aus strukturellem Grund.
Auf jeden Fall sind aus unserer Sicht weitere Änderungen notwendig. Neben der notwendigen Kooperation und der Nutzung von Telemedizin von regionalen Kliniken bei der Erbringung von Qualitätskriterien ist zum Beispiel die völlig überzogene Zuordnung von mindestens je drei Fachärztinnen zu einzelnen, zum Teil kleinen, Leistungsgruppen zu korrigieren. Bisher wurden diese Teilleistungen auf Abteilungsebene beplant. So viele verfügbare spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte gibt es in Deutschland gar nicht.
Ganz entscheidend ist: Krankenhausplanung muss Ländersache bleiben. Wir werden uns diese elementare Zuständigkeit durch die Krankenhausreform nicht aus der Hand nehmen lassen. Die Länder brauchen Gestaltungsmöglichkeiten, um auf regionale Besonderheiten eingehen zu können. Wir entscheiden, welche Krankenhäuser notwendig sind. Das gilt besonders für dünnbesiedelte Flächenländer wie Brandenburg.
Die besondere Situation der ostdeutschen Länder muss berücksichtigt werden. Denn hier wurden schon Anfang der 90er-Jahre Strukturbereinigungen vollzogen. Unsere Krankenhauslandschaft unterscheidet sich deutlich von der in den westdeutschen Ländern. Im aktuellen Krankenhausplan des Landes Brandenburg sind insgesamt 54 Krankenhäuser an 66 Standorten aufgenommen, von denen sich 22 Krankenhäuser in öffentlicher, 19 in privater und 13 in freigemeinnütziger Trägerschaft befinden. Zum Vergleich: 1990 gab es in Brandenburg 73 Krankenhäuser.
Zu strenge Voraussetzungen für die Zuweisung der neuen Leistungsgruppen dürfen nicht dazu führen, dass unsere Krankenhausplanung durch die Hintertür vom Bund gestaltet wird. Deshalb brauchen wir langfristig Möglichkeiten für Ausnahmen und Kooperationen.
In Kooperation bzw. Abstimmung mit dem Land Berlin plant Brandenburg jetzt eine neue Krankenhausplanung. Worauf wird es Ihnen dabei ankommen?
Berlin und Brandenburg bilden eine Gesundheitsregion. Im Jahr 2021 haben die Länder Berlin und Brandenburg zum ersten Mal ihre jeweiligen Krankenhauspläne mit ihren Laufzeiten synchronisiert und auf der Grundlage gemeinsamer Versorgungsziele und Planungsgrundsätze beschlossen. Damit haben wir Geschichte geschrieben.
Mit dieser ersten Gemeinsamen Krankenhausplanung haben wir nicht nur die gute Zusammenarbeit intensiviert, sondern auch die gesundheitliche Versorgung in der Region insgesamt gestärkt. Davon profitieren die Menschen in der dicht besiedelten Hauptstadtregion genauso wie in den berlinfernen ländlichen Regionen.
Mit den Vorbereitungen für einen neuen Krankenhausplan haben wir bereits begonnen, auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Krankenhausreform noch aussteht. Mit der geplanten Einführung von Leistungsgruppen als neue Grundlage der Krankenhausplanung anstatt der bisherigen Bettenplanung in Fachabteilungen muss der Landeskrankenhausplan von Grund auf neu erstellt werden. Anfang 2026 soll er in Kraft treten.
Entscheidend ist: alle Krankenhausstandorte werden auch künftig für die regionale, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung in unserem dünnbesiedelten Flächenland benötigt. Ausgebaut wird die Zusammenarbeit zwischen den ambulanten und stationären Sektoren.
Ziehen Sie Konsequenzen aus dem Ergebnis der Europawahl, auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Brandenburg im Herbst?
Das Ergebnis der Europawahl ist in jeder Hinsicht ernüchternd. Der deutliche Rechtsruck in Europa bereitet mir große Sorgen. Gerade in Ostdeutschland zählen für viele Menschen der Krieg in der Ukraine sowie Migration und Asylpolitik zu den drängendsten Themen. Themen, die auf Ebene der EU-Staaten gelöst werden müssen.
Was die Europa- und Kommunalwahlen am 9. Juni gezeigt haben: Allein die Abgrenzung gegenüber Demokratiefeinden reicht nicht aus, um bei Wahlen zu punkten. Die Menschen wollen für ihre konkreten Probleme gute Lösungen.
Wir haben vor kurzem die Bilanz der gemeinsamen Regierungszeit in Brandenburg von 2019 bis 2024 vorgestellt. Und diese Bilanz kann sich sehen lassen. Wir haben in dieser Koalition sehr viel erreicht. Brandenburg hat sich hervorragend entwickelt – trotz der zahlreichen externen Krisen und Herausforderungen, die zu meistern waren: Corona-Pandemie ab März 2020, Afrikanische Schweinepest ab Herbst 2020, der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ab Februar 2022, Inflation und Energiekrise sowie die Integration zahlreicher Geflüchteter. „Regieren in Krisenzeiten“ – so könnte man unsere Bilanz auch gut betiteln.
Trotz dieser Krisen ist es uns gelungen, viele wichtige Projekte und Vorhaben für die Menschen in Brandenburg umzusetzen. Mit dem bundesweit beachteten „Pakt für Pflege“ haben wir die Situation für Pflegebedürftige im gesamten Land verbessert und die häusliche Pflege gestärkt. Wir haben die Investitionsmittel für die Krankenhäuser deutlich erhöht und setzen uns für alle Krankenhausstandorte engagiert ein. Mit dem Ausbau der Familienzentren haben wir die Unterstützungsangebote für Familien und Alleinerziehende weiter verbessert und viel für gewaltbetroffene Frauen und ihren Kindern erreicht. Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute sehr deutlich zu spüren. Zum ersten Mal standen der vorsorgende Klimaschutz und die Anpassung an die bereits eintretenden Klimaveränderungen im Mittelpunkt des Regierungshandelns.
Nicht nur die Corona-Pandemie hat überdeutlich gemacht, wie wichtig eine gute und flächendeckende medizinische Versorgung in allen Landesteilen ist. Eine gute und wohnortnahe Gesundheitsversorgung ist für die Brandenburgerinnen und Brandenburger extrem wichtig. Der Erhalt aller Krankenhausstandorte ist dafür eine wichtige Voraussetzung.
Das Interview führte Tanja Kotlorz