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Interviews und Meinungen

„Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sofort aussetzen“


Foto: Simone Borchardt, MdB

Der Gesundheitsausschuss: Die Neuen

Nach dem Regierungswechsel hat auch der 42 Mitglieder zählende Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags viele neue Gesichter. Einige sind erfahrene Mediziner, auch Klinikärzte und Pflegeexperten, die die Probleme des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser genau kennen. Die neuen Bundestagsabgeordneten und Ausschussmitglieder mit verschiedenen Bezügen zur Gesundheitspolitik versprechen, spannende Perspektiven in die Diskussionen um die entscheidenden Fragen der Gesundheitsversorgung zu bringen. Wer sind „die Neuen“? Das Krankenhaus stellt einige der Newcomer im Rahmen einer Reihe von Interviews vor. Wie stehen sie zu den brennenden Themen der Gesundheits- und Krankenhauspolitik? Wir setzen unsere kleine Serie mit Simone Borchardt (MdB, CDU/CSU) und Ates Gürpınar (Die Linke) fort.

Fragen an Simone Borchardt (MdB, CDU/CSU)

Was ist Ihre Motivation als Politikerin und als Abgeordnete des Deutschen Bundestages?

Als Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung bin ich mit den alltäglichen Herausforderungen im Pflege- und Gesundheitssektor bestens vertraut. Ich möchte als Politikern proaktiv Lösungen erarbeiten, aber nicht nur im Gesundheitsbereich. Darüber hinaus verfolge ich das Regierungshandeln sehr kritisch und lege, wenn nötig, den Finger gerne in die Wunde. Um unser Gesundheitssystem auch weiterhin leistungsfähig zu halten, müssen wir umdenken. Hier möchte ich nur einige Punkte nennen wie die sektorenübergreifende Versorgung, die Digitalisierung und das Neustrukturieren von medizinischen Berufsgruppen.

Und was macht Sie als Christdemokratin aus?  

Grundlage meines Handelns ist mein festes Wertegerüst, aber ich bedenke auch immer mögliche Konsequenzen, d.h. Prozesse auch bis zum Ende zu denken. Das ist mir viel wichtiger, als das sture Festhalten an rein ideologischen Leitlinien. Das sage ich vor allem auch als Frau aus der Praxis. Dies erlebe ich in der Politik derzeit aber nicht immer. Ich halte es für sehr mutig, eine getroffene Entscheidung auch mal zu überdenken, so z.B. bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Wenn sich Rahmenbedingungen ändern, dann zeugt es von Größe darauf einzugehen und sich den neuen Bedingungen zu stellen.

Sie kennen das Thema Pflegenotstand aus eigener beruflicher Erfahrung. Wie kann dem Pflegenotstand begegnet werden?

Das Thema Pflegenotstand ist mir als Geschäftsführerin einer Pflegeinrichtung vertraut. Auch in meinen früheren Funktionen für eine große deutsche Krankenkasse musste ich mich regelmäßig damit auseinandersetzen. Wir brauchen nicht immer nur neue Boni und den Schrei nach mehr Vergütung. Dadurch bekomme ich keinen einzigen Mitarbeiter mehr. Ganz im Gegenteil, dieser Markt ist zurzeit ein Verdrängungswettbewerb. Wenn ich mehr zahle, dann nehme ich einer anderen Pflegeeinrichtung die Mitarbeiter weg. Uns muss klar sein, dass wir auch im Pflegebereich neu denken müssen. Die Anzahl der Pflegekräfte reicht bei weitem nicht für die ständig steigende Zahl an Pflegebedürftigen. Genau dieser Konflikt wird sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen. Es ist nun wichtig mit neuen Ideen den Pflegestandard zu halten.

Um hier nur einige Beispiele zu nennen: Mehr Wertschätzung und Einbindung der Angehörigen in die Pflege, durchaus auch durch ein höheres Pflegegeld; Pflegemitarbeiter auch ohne Schulabschluss sollten nach einer bestimmten Anzahl an Berufsjahren die Möglichkeit erhalten, eine Ausbildung berufsbegleitend zu absolvieren; Die Pflegefachkraftquote in den Pflegeeinrichtungen muss verändert werden. Damit hätten die Einrichtungen die Möglichkeit, Prozesse eigenständig zu strukturieren und Personal effektiver einzusetzen. Qualifizierungsoffensive zur Fachkräftegewinnung. Einführung eines Freiwilligen Sozialen Jahres.

Mit der Pflegereform hat die Union im Jahr 2021 schon einen wichtigen Grundstein gelegt, auf dem es jetzt aufzubauen gilt. Wir brauchen aber weitere und vor allem mehr nachhaltige Investitionen in die Aus- und Fortbildung. Was wir aber momentan erleben, ist alles andere als förderlich für die Gewinnung von Fachkräften und das habe ich auch kürzlich in meiner Rede im Bundestag zum Pflegebonusgesetz verdeutlicht. Finanzielle Wertschätzung für Pflegende darf nämlich kein Tropfen auf den heißen Stein bleiben und sie muss vor allem unbürokratisch sein. Die Ampelkoalition muss erst noch beweisen, ob sie ihren Beteuerungen gerecht wird und auf den Pflegebonus weitere Schritte folgen lassen will. Zudem verstehe ich es nicht, weshalb im vorliegenden Entwurf für das Pflegebonusgesetz zentrale Akteure des Gesundheitswesens außen vor bleiben. Als Union lehnen wir diesen Entwurf ab, weil wir es als groben Fehler und als große Ungerechtigkeit empfinden, medizinische Fachangestellte, zahnmedizinische Fachangestellte und Rettungskräfte vom Pflegebonus auszuschließen - insbesondere nach den außergewöhnlichen Belastungen durch zwei Jahre Pandemie. In diesem Sinne werden wir uns auch im weiteren parlamentarischen Verfahren für entsprechende Verbesserungen einsetzen.

Als Mecklenburgerin vertreten Sie auch ländliche Gebiete. Wie kann die Gesundheitsversorgung dort gesichert werden, welche Rolle sollen die Kliniken dabei spielen?

Im ländlichen Raum ist eine flächendeckende Hausarztversorgung die Basis einer guten Gesundheitsversorgung. Auch angesichts der älter werdenden Bevölkerung sind natürlich eine gute Verfügbarkeit und der Zugang zu einer hochprofessionalisierten und spezialisierten Kliniklandschaft unverzichtbare Eckpfeiler. Eine besondere Rolle könnte hier die Telemedizin spielen. Leider sind wir aber gerade in diesem Bereich noch nicht so gut aufgestellt. Auch kommt dabei der Digitalisierung eine bedeutende Rolle zu. Auch hier haben wir den Anschluss verpasst. Ein gutes Konzept ist die sogenannte Gemeindeschwester. Wenn diese im Rahmen einer telemedizinischen Versorgung mit dem Arzt verbunden ist, kann dies sehr gut funktionieren.

Wie kann das im Finanzierungssystem abgebildet werden? Sind Vorhaltekosten unabhängig vom Fallpauschalensystem zu finanzieren?

Die Krankenhausfinanzierung gehört ganz grundsätzlich auf den Prüfstand, um die Krankenhausversorgung auch in ländlichen Gebieten sicherzustellen. Der Bund trägt bereits eine hohe Last bei der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Man muss sehen, inwieweit auch die Länder mehr Verantwortung übernehmen können. Um hier eine zukunftsfähige Versorgung sicherzustellen, brauchen wir neue Konzepte. Ein Konzept hierfür könnte eine Finanzierung aus einem Mix von Vorhaltkosten, DRGs und qualitätsorientierten Zuschlägen sein.

Krankenhäuser klagen über zunehmende Belastung durch ein Übermaß an Bürokratie – nicht zuletzt auch im Rahmen von Prüfungen durch den MDK. Zu Recht?

Völlig zu Recht! Ein Beispiel für ein Übermaß an Bürokratie ist etwa das erwähnte Pflegebonusgesetz, das ich im Bundestag auch genau dafür kritisiert habe. Bei Prüfungen durch den MDK wäre es im Sinne der Beschäftigten und damit auch der Pflegebedürftigen sicherlich geboten, die Möglichkeiten und Vorteile der Digitalisierung zu nutzen und dadurch Prüfverfahren zu entschlacken. Jetzt während der Corona Pandemie wurde die Anzahl der zulässigen Prüfungen durch die Krankenkassen und den MDK drastisch heruntergefahren.

Wie kann man die Kliniken hier entlasten?

Die Regelung zu den Personaluntergrenzen in den Krankenhäusern halte ich für nicht wirklich zielführend. Hier sollten wir diese Verantwortung wieder an die Krankenhäuser abgeben und somit diese Regelung ad acta legen. Krankenhäuser haben sehr viele Qualitätsstandards und Prüfungsregularien, welche durch den Medizinischen Dienst und durch die Krankenkassen geprüft werden. Wir müssen hier nicht immer noch mehr Regularien einbauen. Dadurch erhöhen wir den Verwaltungsaufwand für wichtige Versorgungsstrukturen.

Neue Gesetze und Vorgaben sollten immer unkompliziert und praxistauglich ausgestaltet werden. Bestenfalls bindet man alle beteiligten Akteure frühzeitig in Reformprozesse und gesetzliche Änderungen ein, damit die Erfahrungen und die Vorschläge aus der Praxis ausreichend Berücksichtigung finden können. Völlig praxisfern ist meiner Meinung nach die derzeitige Regelung für die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die seit dem 16. März bis vorerst Ende des Jahres bundesweit gilt und die Land auf Land ab bereits zu Recht für sehr viel Unmut und Ärger sorgt. Die in § 20a IfSG Abs. 1 genannten Einrichtungen sowie die Gesundheitsämter sind ohnehin chronisch überlastet und müssen nun aufgrund der komplizierten rechtlichen Ausgestaltung zusätzlich einen unzumutbaren bürokratischen Mehraufwand leisten. Die Auswirkungen auf die angespannte Personalsituation und die so dringende Fachkräftegewinnung sind desaströs und schon jetzt spürbar. Wenn das die Linie der Ampelregierung ist, dann müssen wir uns noch auf so manche negative Überraschung gefasst machen. Die Bundesregierung muss schnellstmöglich nachbessern und zudem die Wirksamkeit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht überprüfen. In der jetzigen Form ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht tragbar.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Krankenhäuser, und wie sollte es weitergehen?

Die Digitalisierung wird auch für die Krankenhäuser immer wichtiger. Nicht ohne Grund hat schon die letzte Bundesregierung mit dem KHZG wichtige Weichenstellungen für die digitale Entwicklung im Krankenhausbereich vorgenommen. Über den Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) werden seit dem 1. Januar 2021 vom Bund 3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Länder und Krankenhausträger beteiligen sich mit 30 Prozent an den Investitionskosten und damit steht ein Fördervolumen von bis zu 4,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich hoffe sehr, dass alle Förderanträge zügig und vollständig bearbeitet worden sind und die Auszahlung der bewilligten Mittel nun rasch erfolgt, so dass die konkreten Vorhaben umgesetzt werden können. Sofern der von der letzten Bundesregierung vorgesehene Zeitplan eingehalten wird, ist im Jahr 2023 mit einer zweiten Evaluation des KHZG zu rechnen. Wir werden dann sehen, ob und an welcher Stelle zusätzliche Maßnahmen für die weitere Digitalisierung in den Kliniken auf den Weg gebracht werden müssen. Als Union werden wir diese Entwicklung kritisch verfolgen.

Sie setzen sich für Frauen in Führungspositionen ein. Obwohl der Anteil der Frauen im Gesundheitssektor und auch in den Kliniken sehr hoch ist, gibt es auf Führungsebene besonders wenige. Was muss geschehen, um das zu ändern?

Gleichberechtigung in der Arbeitswelt ist nicht nur eine Frage der Gesetzgebung, sondern insbesondere auch der inneren Strukturen von Institutionen. Frauen fehlt es meiner Erfahrung nach nicht am Willen, Verantwortung und Führung zu übernehmen. Sie sind zudem häufig besser qualifiziert als Männer und häufiger bereit, sich gezielt Führungskompetenzen durch Fortbildungen anzueignen. Das stellt manchmal festgefahrene Strukturen auf den Kopf und erschwert so Veränderungsprozesse zusätzlich. Mehr Personalverantwortliche sollten dies anerkennen und althergebrachte Muster in der Personalpolitik über Bord werfen. Alle Frauen ermutige ich dazu, Gelegenheiten wahrzunehmen und sich selbstbewusst auf entsprechende Stellen zu bewerben.

Das Gespräch führte Katrin Rüter, Chefredakteurin „das Krankenhaus“