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Editorial

Im Notfall auf dem richtigen Weg


Die ambulante Notfallversorgung ist dringend reformbedürftig. Das Fehlen einer konsequenten Patientensteuerung und die vielerorts unzureichende vertragsärztliche Versorgung bewirken, dass sich immer mehr Patienten im Notfall direkt an die Notaufnahmen der Krankenhäuser wenden, obwohl die Versorgung vieler Patienten auch in einer vertragsärztlichen Praxis hätte erfolgen können. Diese sogenannten „Bagatellfälle“ überlasten die Notaufnahmen der Krankenhäuser und binden Personal und Ressourcen, die für die Versorgung „echter“ Notfälle dringend benötigt werden. Aus Sicht der Krankenhäuser ist es richtig, dass die Regierungskommission die Verbesserung der Patientensteuerung in den Mittelpunkt ihrer Empfehlungen stellt. Der Aufbau von Integrierten Leitstellen und Notfallzentren, die verbindlichere Einforderung und Konkretisierung des 24/7-Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Förderung der digitalen Vernetzung aller Beteiligten und die Einführung eines verpflichtenden einheitlichen Terminbuchungssystems haben das Potenzial, die medizinische Versorgung der Patienten – nicht nur in Notfallsituationen – nachhaltig zu verbessern.

Angesichts der herausgehobenen Bedeutung, die einer konsequenten Steuerung der Patienten in die richtige Versorgungsebene zukommt, ist der von der Regierungskommission vorgeschlagene flächendeckende Aufbau Integrierter Leitstellen (ILS) das Herzstück der Notfallreform. Sowohl die Aufgaben (insbesondere die Zuordnung des Patienten zum geeigneten Versorgungsangebot auf Grundlage eines qualitätsgesicherten Ersteinschätzungsinstrumentes) als auch das breite Leistungsangebot, das die Kommission für die ILS vorsieht (von der telemedizinischen Beratung bis hin zur Verordnung von Notfallmedikamenten und Buchung verbindlicher Termine), findet daher unsere volle Unterstützung. Die Bevölkerung wird so tatsächlich motiviert, sich in einem Notfall primär an die ILS zu wenden. Für die Patienten und für die Krankenhäuser sind verlässliche Öffnungszeiten und bundeseinheitliche Vorgaben an die personelle und apparative Ausstattung der KV-Notdienstpraxen ebenfalls äußerst wichtig.

Die volle Unterstützung der Krankenhäuser finden auch die pragmatischen und an der Versorgungsrealität orientierten Vorgaben zur Leitung der INZ. Positiv hervorzuheben sind zudem die Regelungen zu den Räumlichkeiten der KV-Notdienstpraxen und die Berechtigung der INZ zur Medikamentenvergabe und Krankschreibung. Absolut richtig ist auch, dass in den INZ die Entscheidung, ob ein Patient der KV-Notdienstpraxis oder der Notaufnahme zugewiesen wird, zunächst „nach medizinischen Kriterien getroffen“ werden soll. Denn aktuell gibt es noch keinen entsprechenden standardisierten Algorithmus („Ersteinschätzungsinstrument“), der diese Aufgabe in naher Zukunft übernehmen könnte. Deutlich kritisch zu hinterfragen ist allerdings, dass INZ grundsätzlich nur an Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung angesiedelt werden sollen. Lediglich in Ausnahmefällen („wo regional erforderlich“) sollen auch Krankenhäuser der Basisnotfallversorgung (sowie alternativ 24/7-MVZ mit telemedizinischer Anbindung an ein INZ) ein INZ erhalten. In ihren Empfehlungen geht die Kommission offenbar davon aus, dass die ILS zeitnah und flächendeckend aufgebaut werden können und sie ihr gesamtes Leistungsangebot von Tag 1 an vorhalten können. Diese Grundannahme ist unrealistisch. Es ist daher weiterhin notwendig, INZ zumindest an allen Krankenhäusern mit stationärer Notfallstufe gemäß den Vorgaben des G-BA anzusiedeln. Bis zur Etablierung der ILS und deren vollen Funktionsfähigkeit würde eine Begrenzung der INZ auf vergleichsweise wenige Krankenhausstandorte die ambulante Notfallversorgung der Patienten nicht verbessern, sondern nachhaltig verschlechtern.

Angesichts der jüngsten Unstimmigkeiten zwischen Bundesminister Lauterbach und seinen Landeskollegen sowie der noch völlig ungeklärten Finanzierungsfrage ist fraglich, ob die große Krankenhausreform tatsächlich wie angekündigt noch bis Ende dieses Jahres gesetzlich auf den Weg gebracht werden kann. Die Reform der ambulanten Notfallversorgung sollte deshalb zügig in einem eigenständigen Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden. Den Patienten, Ärzten und Pflegekräften in den überfüllten Notaufnahmen der Krankenhäuser ist ein Warten auf die „große“ Reform schon lange nicht mehr zumutbar.

DKG-Vorstandsvorsitzender

Dr. Gerald Gaß