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Thema des Monats

IT und Technik: Digitalisierung im Krankenhaus - Der Stellenwert künstlicher Intelligenz


IT und Technik: Digitalisierung im Krankenhaus - Der Stellenwert künstlicher Intelligenz

Gerrit Schick und Dr. Timo Paulus

Die Digitalisierung bietet Krankenhäusern einen wichtigen Hebel, um Prozesse zu optimieren, die Qualität zu verbessern und die Effizienz zu erhöhen. Auf Basis der Daten, die in einem digitalen Krankenhaus generiert werden, lassen sich bessere Therapieentscheidungen treffen. Gleichzeitig wird es für das Personal immer schwerer, die Datenflut zu beherrschen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz kann dabei eine wertvolle Unterstützung sein. Ihr volles Potenzial entfaltet sie aber nur, wenn Daten strukturiert vorliegen und KI-Anwendungen sich an konkreten Fragestellungen orientieren.

Künstliche Intelligenz hilft, große Datenmengen in handlungsrelevante Informationen zu übersetzen.

Weltweit stehen Gesundheitssysteme im Allgemeinen und Krankenhäuser im Speziellen vor großen Herausforderungen. Mit dem demografischen Wandel steigt die Zahl älterer, multimorbider Patienten. Gleichzeitig herrschen Fachkräftemangel und Kostendruck. Ein weiterer wichtiger Trend: Patienten sind zunehmend interessiert und informiert und möchten damit als mündiger Patient aktiv in Behandlungsoptionen und -prozesse einbezogen werden. Diese Konstellation macht ein grundsätzliches Umdenken in der Versorgung nötig. Menschen sollten nicht mehr nur reaktiv-episodisch behandelt werden. Es braucht proaktive und begleitende Versorgungsstrukturen, mit mehr Informations-, Service- und Gesprächsangeboten für den Patienten. Realistisch umsetzbar ist dies allerdings nur, wenn Fachkräfte dabei ebenfalls Entlastung erfahren und die Gesundheitskosten nicht weiter wachsen.

Eine Antwort liefert die Digitalisierung. Ein digitales Gesundheitswesen eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Kommunikation und Information, zur Steigerung von Qualität und Effizienz und zur personellen Entlastung. Durch die Digitalisierung nimmt aber auch die Menge medizinischer Daten exponentiell zu. Dies ist Herausforderung und Chance zugleich: Eine Herausforderung, weil das ohnehin schon überlastete Personal immer größere Probleme hat, verfügbare Daten in handlungsrelevante Informationen zu überführen. Eine Chance, weil sich durch große Datenmengen neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben und medizinische Hypothesen überprüft werden können. Hier kommt immer häufiger künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz, die hilfreiche Ansätze zur Verarbeitung der anfallenden Datenmengen bietet.

KI in der Gesundheitsversorgung

Der Begriff künstliche Intelligenz ist oft mit dem Bild einer allumfassenden KI-Engine assoziiert, die sich auf die Gesundheitsversorgung aufsetzen lässt und so alle möglichen klinischen Probleme löst. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Anstatt die Versorgungsprozesse auf die Anforderungen künstlicher Intelligenz auszurichten, sollte diese sich nahtlos in die Versorgungsprozesse einfügen und an den Bedürfnissen von Patienten und Anwendern orientieren. Ausgangspunkt muss also der klinische Kontext sein, in dem KI-Methoden zielgerichtet auf spezifische Fragestellungen angewendet werden. Künstliche Intelligenz sollte zusammen mit anderen Technologien an diesen konkreten Aufgaben arbeiten. Um einen echten Mehrwert zu stiften, muss sie außerdem mit dem Domänenwissen von Ärzten, Pflegekräften und medizinisch-technischem Personal sowie weiterer medizinischer Leistungserbringer kombiniert werden.

Das deutsche Gesundheitswesen liegt bei der Verwendung von KI weit hinter anderen Ländern zurück. In einer Umfrage der HIMSS gaben nur 10 % der deutschen Leistungserbringer an, mit künstlicher Intelligenz zu arbeiten. In Skandinavien waren es hingegen 28 % und in den Niederlanden 22 %. Auch die Bereiche, in denen KI zum Einsatz kommt, hat die HIMSS betrachtet. Die Top 5 Anwendungsfelder von künstlicher Intelligenz sind Workflow-Unterstützung, klinische Forschung, Medikamentengabe, Radiologie und Diagnosestellung. Trotz der im internationalen Vergleich geringen Verwendung von KI hat sie in diesen Bereichen auch in Deutschland Einzug gehalten und leistet bereits heute wichtige Unterstützung im klinischen Alltag.

In der Radiologie ist sie Teil intelligenter Bildgebungssysteme und passt zum Beispiel im MRT die Scansequenzen an den Atemrhythmus des Patienten an, ohne dass der Anwender oder der Patient davon etwas merken. In der Bildanalyse machen eine kontextbezogene Vorauswahl von Menüs und die Vorverarbeitung von Daten im Hintergrund Prozesse schneller und effizienter. Intelligente Systeme zur Bilderkennung und Bildnachverarbeitung unterstützen den Radiologen bei der Befundung und klinischen Entscheidungsfindung. Die Integration von künstlicher Intelligenz in technische Systeme und klinische Prozesse beschreibt Philips als adaptive Intelligenz. Das unterstreicht den Anspruch, dass intelligente Systeme Menschen nicht ersetzen sollen. Sie müssen sich vielmehr an den spezifischen Kontext, in dem sie verwendet werden, anpassen, Abläufe vereinfachen und Menschen im Gesundheitswesen in ihren täglichen Aufgaben unterstützen.

Künstliche Intelligenz benötigt Daten, mit denen sie arbeiten kann. Das gilt nicht nur für ihren Einsatz, sondern auch für ihre Entwicklung. Um auf bestimmte Fragestellungen trainiert zu werden, brauchen neuronale Netze gut strukturierte Daten. Die Radiologie arbeitet schon seit vielen Jahren digital. Deshalb ist sie einer der Bereiche, in denen KI-Anwendungen heute schon vermehrt zum Einsatz kommen. Meist handelt es sich um klar definierte Aufgabenstellungen, bei denen Trainingsdaten verwendet werden, die sowohl die klinische Frage als auch die Antwort eindeutig abbilden. Eine typische Aufgabenstellung ist das Erkennen von Tumoren oder Gewebestrukturen. Die Trainingsdaten enthalten eine große Menge Aufnahmen des entsprechenden Organs und die Information, ob und wo sich ein Tumor auf dem Bild befindet.

 Digitalisierung als Grundvoraussetzung für die Verwendung von KI

Die größte Herausforderung für einen umfassenderen Einsatz von künstlicher Intelligenz ist die fehlende Kompatibilität der erhobenen Daten. Kein Krankenhaus arbeitet in einem rein monolithischen IT-Umfeld. Selbst modernste Krankenhausinformationssysteme erfüllen nicht alle Spezialanforderungen. Um einen optimalen Informationsfluss sicherzustellen und Medienbrüche zu vermeiden, bedarf es einer Systemlandschaft, in die Spezialsysteme problemlos einbezogen werden können. Deshalb ist die Interoperabilität ein zentrales Thema bei der Digitalisierung. Geschlossene, proprietäre Systeme mit Schnittstellen, die nur schwer oder teuer zu bedienen sind, stehen dem wirtschaftlichen Erfolg von Krankenhäusern im Weg.

Die Onkologie-Plattform von Philips führt relevante Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammen und bietet so eine ideale Ausgangsbasis für die Verwendung künstlicher Intelligenz.

Die Qualität der Daten bestimmt das Potenzial, das sich aus ihrer Verwendung ergibt. Bereits bei der Erhebung gilt es deshalb sicherzustellen, dass die Daten in einer konsistenten und zuverlässigen Weise akquiriert und strukturiert abgelegt werden. Vor allem bei Daten, die verteilt – d. h. von unterschiedlichen Organisationen, Prozessen oder Quellsystemen – erhoben wurden, ist das heute nicht der Fall. Dies ist insbesondere für KI-Anwendungen außerhalb klar definierter, einheitlicher Teilbereiche der Versorgung relevant. In der Radiologie können gut trainierte KI-Anwendungen erkennen, ob die Qualität eines Bildes ausreicht, um es zu befunden, oder auf Basis gelernter Entscheidungskriterien Bilder (vor-)befunden. In beiden Fällen wird der Radiologe zweifelsohne dabei unterstützt, seine Arbeit effizienter und qualitativ hochwertiger auszuführen. Noch größer könnte der Effekt jedoch sein, wenn eine künstliche Intelligenz auf longitudinalen Daten eingesetzt wird. Das sind Daten, die den Verlauf einer Erkrankung bzw. Genesung über einen längeren Zeitraum strukturiert dokumentieren. Sie schließen Informationen zum Einfluss der Erkrankung auf Lebensqualität oder Arbeitsfähigkeit ebenso ein wie den Erfolg der eingeleiteten therapeutischen Maßnahmen.

Adaptive Intelligenz orientiert sich an den Bedürfnissen von Patienten und Anwendern und fügt sich nahtlos in den Versorgungsprozess ein.

Die Analyse einer großen Menge an Daten aus ähnlich gelagerten Krankheitsbildern kann aufzeigen, welche Therapien für welche Patienten am besten geeignet sind. Aussagen über Wahrscheinlichkeiten eines längerfristigen Versorgungserfolgs können aber nur getroffen werden, wenn alle relevanten Daten sowohl im Trainingsdatensatz als auch in der Versorgung für den einzelnen Patienten über einen längeren Zeitraum strukturiert vorliegen. Dafür wiederum ist die Digitalisierung über den gesamten Betrachtungszeitraum erforderlich. Ohne eine Vernetzung der Daten aus dem klinischen, ambulanten und persönlichen Bereich (zum Beispiel Befragungen) können die Informationen nicht in den erforderlichen Zusammenhang gebracht werden. Für bestimmte onkologische Indikationen gibt es bereits erste Anwendungen, die in diese Richtung gehen. So arbeitet Philips an einer Onkologie-Plattform, die Informationen aus Radiologie, Pathologie, Genomik und Patientenakte zusammenführt. Über die Similar-Patients-Funktion kann der behandelnde Arzt Informationen zum Behandlungserfolg bei ähnlichen Fällen in seine Therapieplanung einbeziehen. Dies sind ideale Voraussetzungen für den Einsatz von KI, der zurzeit in der Philips Forschung erprobt wird.

Die Vision vom digitalen Zwilling

Noch weiter als die Anwendung von künstlicher Intelligenz auf longitudinale Daten geht das Konzept des digitalen Zwillings. Dabei geht es nicht nur um die Einschätzung eines möglichen Therapieerfolgs, sondern um eine Prognose des Gesundheitsverlaufs an sich. Unter Zuhilfenahme aller patientenspezifischen Daten (inklusive Genprofil, Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten etc.) und der Auswertung entsprechend großer demografischer Datenpools könnte ein persönlicher Gesundheitsavatar entstehen. Dieser digitale Zwilling wäre ein präzises Abbild des Patienten als lebenslanges, integriertes, personalisiertes Modell, das bei jeder Messung, jedem Scan und jeder Untersuchung aktualisiert wird und an dem sich die Auswirkungen des Gesundheitsverhaltens simulieren lassen. Dies gilt nicht nur für die Diagnostik und Therapie bestehender Erkrankungen, sondern auch für die Prävention und Änderungen des Lebensstils.

Noch steht die Forschung am Anfang dessen, was digitale Zwillinge zu leisten vermögen. Es wird aber bereits heute daran gearbeitet, digitale Abbilder von Organen mit ihren anatomischen und morphologischen Strukturen zu erstellen. Auch hier spielt künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. Sie hilft Medizinern, schneller, einfacher und sicherer Veränderungen zu beurteilen, Behandlungen zu planen und Therapien zu begleiten. Besonders intensiv wird an einer digitalen Darstellung des Herzens gearbeitet. Mit dem HeartModel und dem HeartNavigator hat Philips bereits erste konkrete Anwendungen in den Markt gebracht. Wie bei vielen KI-Anwendungen wurden auch dabei wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse mit komplexen Datenanalysen kombiniert.

Für das HeartModel wurde auf Basis anatomischer Eckdaten und Tausenden von Ultraschallbildern mit unterschiedlichsten Herzformen und -größen ein Grundmodell erstellt, das sich mit den Daten des jeweiligen Patienten in ein personalisiertes Modell wandeln lässt. Der Vorteil für den Mediziner liegt auf der Hand: Bei der Entscheidungsfindung kann er sich auf das im Modell integrierte medizinische Domänenwissen stützen und gleichzeitig die individuellen Unterschiede des Herzens jedes einzelnen Patienten berücksichtigen. Der HeartNavigator ist ein Instrument für minimalinvasive Interventionen am Herzen. Er richtet die vor dem Eingriff per CT-Angiografie aufgenommenen Bilder automatisch aus und legt sie über die während der Prozedur live aufgenommenen radiologischen Bilder. So entsteht ein präzises dreidimensionales Abbild des Herzens. Das Operationsteam kann in Echtzeit die Positionierung von Führungsdraht und Katheter sowie der Herzklappe in Relation zu detaillierten anatomischen Strukturen überwachen und steuern.

Algorithmus oder neuronales Netz – Was brauchen Krankenhäuser heute?

Um Mehrwert zu generieren braucht es nicht immer neuronale Netze oder gar einen digitalen Zwilling. Im digitalen Krankenhaus hat auch der klassische Algorithmus noch lange nicht ausgedient. Adaptive Intelligenz setzte intelligente Technologien an der richtigen Stelle ein und bettet sie in existierende Prozesse ein. An erster Stelle muss jedoch immer der konkrete, nutzenstiftende Anwendungsfall zu einer existierenden klinischen Fragestellung stehen. Das kann zum Beispiel in Form von digitaler Entscheidungsunterstützung erfolgen oder dadurch, dass Applikationen durch ihre Verwendung lernen, wie sie dem individuellen Anwender noch bessere Hilfestellung bieten.

Auf der Normalstation nutzt das IT-gestützte Frühwarnsystem IntelliVue Guardian klassisch programmierte Algorithmen, um das Personal dabei zu unterstützen, Verschlechterungen des Gesundheitszustands frühzeitig zu erkennen. Die Vitalparameter werden dafür digital erfasst. Bei kritischen Veränderungen erfolgt eine automatische Benachrichtigung. Durch rechtzeitiges Gegensteuern lassen sich damit Komplikationen vermeiden, komplikationsbedingte, ungeplante (Rück-)Verlegungen auf die Intensivstation verhindern und Verweildauern verkürzen. Im Universitätsklinikum Dresden konnte mit diesem System auf zwei chirurgischen Stationen die Anzahl der Herzstillstände halbiert werden.

Auf der Intensivstation sind die Anforderungen an intelligente Systeme hingegen um ein Vielfaches höher. Dort kann das Intensivmedizin-Dashboard IntelliSpace Console eine Vielzahl an Daten auf einer intuitiven Benutzeroberfläche zusammenführen. Neben dem klassischen Patientenmonitoring und anderen bettseitig erhobenen Daten werden zum Beispiel Informationen aus Laborsystemen, dem Patientendatenmanagement und der elektronischen Patientenakte einbezogen und von einer künstlichen Intelligenz verarbeitet. Ärzte und Pflegekräfte erhalten eine aggregierte, organbasierte Ansicht der relevanten Daten des Patienten. So lassen sich kritische Veränderungen schnell identifizieren und klinische Entscheidungen effizient unterstützen, ohne die kognitive Belastung des Personals weiter zu erhöhen.

Die große Chance der künstlichen oder adaptiven Intelligenz liegt demnach nicht in der Technologie an sich, sondern besteht darin, unnötige Komplexität von den Akteuren in der Gesundheitsversorgung fernzuhalten und ggf. auf durch Datenmuster bedingte Auffälligkeiten hinzuweisen. Letztendlich ermöglicht sie also eine Fokussierung auf das Wesentliche und liefert zusätzliche Erkenntnissen, die ein Behandler allein mit praktikablem Aufwand nicht vorhalten kann. In dieser Definition birgt sie ein enormes Nutzenpotenzial für Patienten, Leistungserbringer und das gesamte Gesundheitssystem. Aus diesem Grunde sollten Krankenhäuser die Transformation hin zu einer digitalen, patientenzentrierten Versorgung vorantreiben und damit die Basis für wertschöpfende adaptive Intelligenz legen.

 Fazit

Künstliche Intelligenz kommt bereits heute in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung zum Einsatz und leistet dort Erstaunliches. Großer Mehrwert entsteht vor allem dann, wenn die entsprechenden Technologien mit klinischem Wissen kombiniert werden. Als adaptive Intelligenz hat sie die Aufgabe, Ärzte zu unterstützen, indem sie Routineaufgaben übernimmt, Abläufe vereinfacht und Entscheidungshilfen bietet. Dieses Zusammenspiel von Mensch und Maschine steigert Qualität und Effizienz. In Zukunft werden sich deshalb die Einsatzgebiete von adaptiver Intelligenz deutlich ausweiten und sie wird noch tiefer in die Versorgungsprozesse integriert sein.

Anschrift der Verfasser

Gerrit Schick, Business Group Manager Healthcare Informatics und Population Health Management, Philips GmbH Market DACH/Dr. Timo Paulus, Director Innovation and Business Development DACH, Philips Researc