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Thema des Monats

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Risiko Übergriff

Schmerzen, Angst, Unsicherheit: Die Nerven vieler Patienten im Krankenhaus liegen blank. Manchmal reicht ein falsches Wort, eine längere Wartezeit, um den einen oder anderen Patienten oder besorgten Angehörigen ausrasten zu lassen. Das Konfliktpotenzial In deutschen Krankenhäusern und insbesondere in Notaufnahmen steigt. Von Beleidigungen und Beschimpfungen bis zu Übergriffen durch Schlagen, Beißen und Anspucken reicht das Repertoire: Immer häufiger berichten Mitarbeiter von verbalen oder körperlichen Übergriffen durch Patienten, Angehörige, Begleiter oder Besucher.

Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) im Krankenhaus Barometer 2019 die Verbreitung von Übergriffen auf Krankenhausmitarbeiter in den Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland, ihre Ursachen und Folgen sowie die ergriffenen Präventionsmaßnahmen umfassend erhoben.

Übergriffe nehmen zu

Mit Blick auf die Häufigkeit von körperlicher oder verbaler Gewalt gegen Krankenhausmitarbeiter sei die Datenlage äußerst schwierig, so das DKI in seinem aktuellen „Krankenhaus-Barometer 2019“. Zwar steht auch bei den Unfallkassen und Berufsgenossenschaften das Thema im Fokus. Da entsprechende Übergriffe im Krankenhaus als Arbeitsunfall gelten, existieren bereits vielerlei Angebote zur Gewaltprävention. Dazu gehören die Etablierung von Deeskalationsstufen und Schulungen der Mitarbeiter in den Krankenhäusern. Auch Medien berichteten vielfach über Gewalt gegenüber Polizei- und Rettungskräften sowie in den Notaufnahmen der Kliniken. Doch werden entsprechende Gewaltvorfälle in vielen Häusern nicht standardmäßig erfasst. Auch werden Übergriffe krankenhausintern von den Mitarbeitern wahrscheinlich nur selektiv gemeldet und dokumentiert. Insofern ist von einer erheblichen Dunkelziffer bei körperlicher oder verbaler Gewalt gegen Krankenhausmitarbeiter auszugehen. Über deren Ausmaß sind keine verlässlichen Schätzungen möglich.

Übergriffe auf Mitarbeiter führen vergleichsweise selten zu Unfallmeldungen bei den Berufsgenossenschaften. Im Jahr 2018 wurden im Mittel knapp vier körperliche Patientenübergriffe bzw. zwei körperliche Übergriffe durch Dritte (etwa Angehörige) gemeldet. Etwas höher fallen die Durchschnittswerte für verbale Übergriffe durch Patienten (8,8) oder Dritte aus (6,1). Von körperlichen Übergriffen durch Patienten abgesehen, meldet mindestens jeweils die Hälfte der Krankenhäuser überhaupt keine Übergriffe an die zuständige Berufsgenossenschaft.

Über die Fälle der Berufsgenossenschaften hinaus werden in den Kliniken weitere Übergriffe von Patienten dokumentiert: 2018 im Durchschnitt rund 18 körperliche Übergriffe bzw. 25 verbale Übergriffe. Die entsprechenden Durchschnittswerte für die Übergriffe durch Dritte liegen bei rund sechs körperlichen bzw. bei knapp 14 verbalen Übergriffen.

Addiert man die jeweiligen Mittelwerte für die BG-Fälle und weitere dokumentierte Übergriffe, dann gab es im Jahr 2018 in Summe rund 83 körperliche oder verbale Gewaltvorfälle pro Krankenhaus und Jahr bzw. ca. 1,6 Vorfälle pro Woche. Dabei handelt es sich ausschließlich um erfasste Übergriffe ohne die erhebliche „Dunkelziffer“ bei körperlicher oder verbaler Gewalt gegen Krankenhausmitarbeiter. Offenbar nehmen die Übergriffe zu: Rund 60 % der Kliniken hatten einen Anstieg der Übergriffe in den letzten fünf Jahren zu verzeichnen. Bei knapp 37 % war die Anzahl der Übergriffe weitgehend gleich geblieben.

Attacken meist gegen Pflegepersonal gerichtet

Nach Personalgruppen ist das Pflegepersonal deutlich häufiger von Übergriffen durch Patienten und Dritte betroffen als Ärzte. In 32 % der Krankenhäuser ist der Pflegedienst häufig und in 61 % gelegentlich von Übergriffen betroffen. Zum Vergleich: Der Ärztliche Dienst ist in 4 % der Krankenhäuser häufig, in 71 % der Häuser gelegentlich Ziel von Übergriffen. Noch seltener sind Übergriffe auf Angehörige sonstiger Berufsgruppen, etwa aus dem Funktionsdienst oder Medizinisch-technischen Dienst.

Mit Abstand am häufigsten geschehen die Übergriffe in der Notfallambulanz. Weitere Nennungen betrafen überproportional vor allem die psychiatrischen Abteilungen von Allgemeinkrankenhäusern, die Intensivstationen und den Empfang oder die Pforte. Insgesamt sind also Mitarbeiter in patientennahen Bereichen außerhalb der somatischen Allgemein- oder Normalstationen am stärksten von körperlichen und verbalen Übergriffen durch Patienten oder Dritte betroffen.

Unter den somatischen Allgemein- oder Normalstationen weisen die Fachabteilungen für Geriatrie, Innere Medizin und Neurologie die häufigsten Nennungen für Gewaltvorfälle gegenüber Krankenhausmitarbeitern auf.

Dennoch: Verbale und vor allem körperliche Übergriffe auf Mitarbeiter durch Patienten und Dritte sind die Ausnahme und nicht die Regel in den deutschen Krankenhäusern, stellt das DKI klar. Die meisten ambulanten und stationären Patienten verhielten sich respekt- und verständnisvoll gegenüber dem Krankenhauspersonal. Etwaige Konflikte zwischen Personal und Patienten werden in der Regel friedlich und einvernehmlich gelöst. Gleichwohl seien verbale und körperliche Gewaltvorfälle ein zusätzlicher und besonders schwerer Stressfaktor für das Krankenhauspersonal. Das gelte nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern auch für ihre Kollegen, die von entsprechenden Übergriffen erfahren.

Sicherheitspersonal in jedem dritten Krankenhaus

Das Problembewusstsein der Kliniken im Umgang mit aggressiven Attacken gegen Mitarbeiter wächst. Zur Prävention von Patientenübergriffen gegenüber Mitarbeitern, aber auch zur Nachsorge nach entsprechenden Erlebnissen setzten die Krankenhäuser zahlreiche Maßnahmen um.

Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) unterstützt ihre Mitgliedsbetriebe bei der Prävention von Gewalt und Aggression mit Informationsmaterialien und Beratungsangeboten, Seminaren für Führungskräfte und Multiplikatoren im Betrieb sowie mit der Förderung der Ausbildung von Deeskalationstrainern.

„Insgesamt gibt es eine steigende Nachfrage nach Unterstützungsleistungen zum Thema Gewalt und Aggression am Arbeitsplatz im Pflege- und Betreuungsbereich“, berichtet Mareike Berger von der BGW.

Natürlich umfasst der Versicherungsschutz der BGW auch Gewaltereignisse in Zusammenhang mit der Arbeit. Das heißt: Wenn ein Versicherter bei der Arbeit oder auf dem Weg dorthin beziehungsweise zurück angegriffen wird, sorgt die BGW für die bestmögliche medizinische Behandlung und stellt sicher, dass der oder die Betroffene wieder am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Das gilt auch für psychische Folgen: Besteht der Bedarf für eine professionelle Unterstützung, übernehmen speziell zugelassene ärztliche oder psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten die Behandlung.

Die drei häufigsten Strategien im Umgang mit Übergriffen bilden der DKI-Untersuchung zufolge die Umsetzung baulicher und technischer Maßnahmen, etwa Zutrittskontrollen oder Videoüberwachung (75 %), Deeskalationstrainings für Mitarbeiter besonders betroffener Stationen (74 %) sowie Seminare zum professionellen Umgang mit Gewalt und Aggression für Mitarbeiter besonders betroffener Stationen (71 %).

Weitere Präventionsmaßnahmen sind u. a. klinikinterne Handlungsempfehlungen bzw. Leitlinien zum Umgang mit aggressiven Patienten (56 %) oder körperlichen und verbalen Übergriffen (50 %) sowie regelmäßige Fallbesprechungen im multiprofessionellen Team unter Einbeziehung der Pflege (32 %).

Sind Mitarbeiter bereits konkret Opfer von Patientenübergriffen geworden, werden ihnen gezielt individuelle Unterstützungsangebote offeriert. Dazu zählen etwa psychologische Unterstützung zur psychischen Bewältigung von Übergriffen (58 %) oder Nachsorge- und Hilfsangebote nach Übergriffen (54 %). Darüber hinaus setzt etwa jedes dritte Krankenhaus (36 %) bereits Sicherheitspersonal ein, um seine Mitarbeiter vor körperlichen und verbalen Übergriffen von Patienten, Angehörigen, Begleitern und Besuchern zu schützen.

Analog zu den Präventionsmaßnahmen für das Krankenhaus insgesamt fragte das DKI auch nach Prävention speziell in den Notfallambulanzen. Die vorherrschenden Maßnahmen sind, darin folgen die Kliniken weitgehend des Empfehlungen und Angeboten der Berufsgenossenschaften, Deeskalationstrainings für das betroffene Personal und baulich-technische Sicherheitsmaßnahmen wie Videoüberwachung oder Zutrittskontrollen. Daneben offerieren die Krankenhäuser dem Ambulanzpersonal weitere Schulungs- und Trainingsmaßnahmen sowie den von Gewaltvorfällen betroffenen Mitarbeitern diverse Nachsorge- und Unterstützungsangebote.

Auch klinikinterne Handlungsempfehlungen oder Leitlinien kommen teilweise zum Einsatz. In jeder vierten Notfallambulanz wird zudem Sicherheitspersonal eingesetzt. Auffallend ist gleichwohl, dass die genannten Präventionsmaßnahmen in den Notfallambulanzen weniger verbreitet sind als in den vollstationären Krankenhausbereichen, obwohl körperliche und verbale Gewaltvorfälle überproportional in den Notfallambulanzen auftreten.

Gesetzgeber ist gefragt

Um den betroffenen Mitarbeitern bei gewalttätigen Angriffen eine Verfolgung der gegen sie gerichteten Straftat eines Patienten zu erleichtern, wäre eine explizite Strafvorschrift wünschenswert. Wer Gewalt gegen Ärzte und Pfleger zum Beispiel in der Notaufnahme anwendet, soll künftig härter bestraft werden können, kündigten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) Ende Oktober 2019 an.

Das Bundesjustizministerium hat Mitte Dezember 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vorgestellt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Personen, die im ärztlichen Notdienst oder in einer Notaufnahme Hilfe leisten, künftig wie andere bereits erfasste Hilfeleistende besonders vor Drohungen und Gewalthandlungen geschützt werden (§ 115 Absatz 3 StGB). Hierzu nehmen derzeit die Länder und Verbände Stellung.

Noch 2017 hatte sich der Gesetzgeber nach einem Beschluss des Bundestages vom 27. April 2017, der Sicherheits- und Rettungskräfte durch neue Straftatbestände schützen sollte, explizit gegen die Integration der Mitarbeiter der Notfallambulanzen der Krankenhäuser in den §§ 113 ff StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – entschieden. Das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ droht bei tätlichen Angriffen auf Polizisten, ermittelnde Staatsanwälte, Feldjäger und andere Sicherheitskräfte mit bis zu fünf Jahren Haft.

Doch die Mitarbeiter in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser befinden sich in einer vergleichbaren Situation: Auch sie werden während der Ausübung ihres Dienstes angegriffen und bedroht. Auch solche Übergriffe sind als Angriff gegen die öffentliche Sicherheit anzusehen, argumentierte die DKG. Eine Regelung auch für Mitarbeiter der Notaufnahmen der Kliniken ist also überfällig.

Die Zunahme von Übergriffen in Notaufnahmen und Krankenhäusern auf Pflegekräfte und Ärzte bedeute für die Kliniken, dass zunehmend Sicherheitsdienste insbesondere die Notaufnahme schützen und bewachen müssen. „Es ist beim Gesetzgeber angekommen, dass die Übergriffe auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Notfallambulanzen zunehmen. Es ist zu begrüßen, dass jetzt endlich strafrechtliche Schritte in die Wege geleitet wurden. Das alleine reicht aber nicht“, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Georg Baum. „Was wir benötigen, ist ein Programm, das in Kliniken die Kosten für sicherheitsrelevante Maßnahmen gegenfinanziert.“ Denn weder über die DRG-Kalkulation noch über die Landesbasisfallwerte können die Krankenhäuser solche hausindividuellen Kosten finanzieren.

Lothar Riebsamen (MdB), im Gesundheitsausschuss für die Unionsfraktion verantwortlich für den Bereich Krankenhauswesen, unterstützt das Anliegen der Krankenhäuser: „Es ist leider so, dass inzwischen eine große Anzahl von Krankenhäusern aufgrund von Gewalt gegen ihre Mitarbeiter auf den Schutz durch Sicherheitsdienste angewiesen ist. Daher unterstütze ich das Anliegen der DKG zur Einführung eines Programms zur Finanzierung der dadurch entstehenden Kosten. Die Notwendigkeit hierfür ist – auch objektiv betrachtet – klar gegeben! Die Finanzierung kann dabei unter anderem durch eine adäquate finanzielle Ausstattung des entsprechenden Programms erreicht werden“, so der Christdemokrat.?

Katrin Rüter

Weitere Informationen unter:

www.bgw-online.de/gewalt

DKI

Zum aktuellen Gesetzentwurf des Justizministeriums: BMJV