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Politik

Quo Vadis Psychiatrie?


Kliniken fordern moderne und bedarfsgerechte psychiatrische und psychosomatische Versorgung

Die PPP-RL soll auf den Prüfstand – spätestens in den Koalitionsverhandlungen zu einer künftigen Bundesregierung. Die Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik, die im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in seiner Sitzung am 19. September 2019 gegen die Stimmen der Krankenhäuser beschlossen wurde, taugt nicht für eine moderne, am Patienten orientierte psychiatrische und psychosomatische Versorgung. Darüber waren sich die Teilnehmer des Online-Fachforums „Quo Vadis Psychiatrie“, zu dem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) am 5. Juli 2021 eingeladen hatte, einig.

Die Richtlinie gibt differenziert nach Behandlungsformen, ob stationär oder teilstationär, für verschiedene an der Behandlung und Betreuung beteiligten Berufe Mindest-Minutenwerte vor, deren Erfüllung akribisch stationsbezogen dokumentiert und nachgewiesen werden muss. Die Kliniken hatten damals einen Einrichtungsbezug gefordert, sodass die Personalmindestvorgaben differenziert nach Erwachsenenpsychiatrie, Psychosomatik sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie ganzhausbezogen und nicht stationsbezogen hätten dargelegt werden müssen.

Das Urteil über die Richtlinie war auch knapp zwei Jahre nach dem G-BA-Beschluss vernichtend: „Die Richtlinie ist rückwärtsgewandt. Sie hebelt die notwendige Durchlässigkeit und Flexibilität zwischen ambulant, stationär und teilstationär in der Psychiatrischen und Psychosomatischen Versorgung aus“, sagte Dr. Iris Hauth, Regionalgeschäftsführerin und Ärztliche Direktorin Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee. Dr. Iris Hauth war von 2015 bis 2016 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN).

Wie aber lässt sich eine moderne Versorgung in Psychiatrie und Psychosomatik weiterentwickeln? „Auch vor dem Hintergrund der erwarteten steigenden Inanspruchnahme psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen infolge der Coronapandemie müssen diese Reformüberlegungen weit oben auf der gesundheitspolitischen Agenda einer künftigen Bundesregierung stehen“, forderte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß.

Die PPP-RL auf den Prüfstand stellen zu wollen erklärten auch die Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) in der Diskussionsrunde zur Frage „Quo Vadis Psychiatrie?“ im Rahmen des Online-Fachforums am 5. Juli 2021.

Das System muss den Bedürfnissen der Patienten folgen – nicht umgekehrt

Offenbar funktioniere die Richtlinie nicht wie vom Gesetzgeber erhofft. Intension war, eine bessere Versorgung zu organisieren. „Wir werden die Richtlinie nochmal auf den Prüfstand stellen müssen“, bestätigte die Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, Emmi Zeulner. Sie kündigte an, dies auch explizit in die Koalitionsverhandlungen der kommenden Regierungskoalition aufzunehmen.

Auch Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) sprach sich für eine Revision der PPP-RL aus. Modellprojekte und die Stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB) hätten die Versorgung zwar in diesem Sinne verbessert. „Kooperation, Interdisziplinarität und Vernetzung muss die Regel sein in der psychiatrischen Versorgung. Bis heute haben wir eine zersplitterte Versorgungsstruktur, in die sich die Patienten einfügen müssen. Es sollte aber umgekehrt sein: Das System muss den Bedürfnissen der Patienten folgen.“ Die PPP-RL dürfe moderne Versorgungsformen nicht behindern sondern müsse flexibilisiert werden, der ambulante Bereich sowie die verschiedenen Berufsgruppen in der Versorgung müssten „zusammengedacht“ werden, so die Psychiaterin.

Unter dem Titel „Versorgung rückwärtsgewandt? Auswirkungen der PPP-RL“ unterzog Dr. Margitta Bormann-Hassenbach die Richtlinie einer Chancen-Risikobewertung für die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das Ergebnis fällt ernüchternd aus: „Die PPP-RL führt zu einem Rückbau der Regionalisierung, behindere innovative  Versorgungsstrukturen und Modellversuche und zeige sich ignorant gegenüber den Chancen der Digitalisierung“, so das Fazit der Vorständin der Kliniken des Bezirks Oberbayern. Es gebe keinen Mehrwert für Patienten, Mitarbeiter und Kliniken und keine positiven Effekte auf Prozess- und Ergebnisqualität.

Psychiatrische und psychosomatische Versorgung in der Coronapandemie

Die Pandemie habe die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens und der Krankenhäuser eindrucksvoll unter Beweis gestellt, hob Dr. Gerald Gaß hervor. Dies gelte auch für die psychiatrische und psychosomatische Versorgung. Gleichzeitig seien Reformen erforderlich, um eine moderne psychiatrische und psychosomatische Versorgung flächendeckend und wohnortnah zu sichern. „Bei allen gesundheitspolitischen Strukturüberlegungen sind dabei die individuellen Patientenbedarfe in den Mittelpunkt zu stellen“, so der DKG-Vorstandsvorsitzende, der bis Anfang 2021 die Geschäfte des Landeskrankenhauses Rheinland-Pfalz mit Sitz in Andernach führte.

Neben der Coronapandemie ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen Personalmindestvorgaben, umfangreichen Nachweis- und Überprüfungsverfahren und Sicherstellung einer regionalen und wohnortnahen Versorgung. Die durch die Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ausgelöste Überregulierung führt bereits jetzt zu Einschränkungen bei der Patientenversorgung. Das kleinteilige Nachweisverfahren gefährdet u. a. kleine dezentrale Standorte, wie beispielsweise Tageskliniken. Die Entwicklungen seit der Psychiatrie-Enquete 1975 bis hin zu einer gemeindenahen Versorgung werden innerhalb kürzester Zeit rückgängig gemacht. Durch viel zu enge Bezugsgrößen bei den Personalmindestvorgaben werden den Krankenhäusern die Organisationshoheit und die notwendige Flexibilität beim Personaleinsatz genommen und so die Erfüllung wechselnder individueller Patientenbedarfe unmöglich gemacht.

Krankenhäuser sind mit Nachweisen zur Personalausstattung, Kontrollen und Überprüfungen des Medizinischen Dienstes, dem Krankenhausvergleich und der Umsetzung zahlreicher gesetzlicher Vorgaben konfrontiert. „Statt weiterer Bürokratie und starrer Vorgaben brauchen die Kliniken die Unterstützung der Politik, um den wachsenden Versorgungsbedarf in Psychiatrie und Psychosomatik auch zukünftig flächendeckend, wohnortnah und bedarfsgerecht gewährleisten zu können“, appellierte der DKG-Vorstandsvorsitzende.

Verärgert zeigte sich Gaß über die vom unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 4. Juli geäußerten Vorwürfe, „dass manche psychiatrische Krankenhäuser, die absehbar keine Corona-Patienten versorgen würden, trotzdem zur Profitmaximierung Freihaltepauschalen kassiert haben“. Aus dieser Äußerung spreche tiefes Misstrauen gegenüber der Psychiatrie.

Hecken redet im Interview über Betrug und kommt dann im Zusammenhang mit Ausgleichszahlungen  konkret auf die Psychiatrie zu sprechen. „Mich verstört das Verständnis des G-BA-Vorsitzenden vom Rettungsschirm und seinen Mechanismen: Die Freihaltepauschalen waren keine Zahlungen für die Behandlung von Covid-Patienten, sondern als betriebswirtschaftlicher Ausgleich gedacht für entgangene Erlöse durch Minderbelegung, die uns von den Ländern nicht empfohlen, sondern aufoktroyiert wurden“, stellt Gaß klar. „In den meisten Ländern mussten alle Tageskliniken geschlossen werden, im vollstationären Bereich hatte die psychiatrische Versorgung sehr stark reduziert werden müssen. Dann kam zurecht der Rettungsschirm für alle Kliniken“, erinnert sich der DKG-Vorstandsvorsitzende: „Die Idee, einen einheitlichen Tagessatz von 560 € zu zahlen, kam nicht von der DKG oder den Psychiatrieverbänden, sondern vom Bundesgesundheitsministerium. Wir hatten vorgeschlagen, sehr zielgenau die Budgets der Vorjahre weiterzuzahlen, sodass jeder Standort individuell wie 2019 gestellt worden wäre.“

Die großen Herausforderungen der Coronapandemie für die Psychiatrie und Psychosomatik schilderte Dr. Michael Ziereis, Chefarzt Versorgungsplanung und Versorgungsforschung Medizinische Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz, Regensburg. So galt es, trotz hygienebedingter Limitationen und trotz politischer Forderungen, freie Betten vorzuhalten, die Pflichtversorgung aufrechtzuerhalten. Die Einhaltung der Hygienevorgaben sei deutlich schwieriger zu bewerkstelligen als in der Somatik, weil bei vielen Patienten die Einsichtsfähigkeit in deren Notwendigkeit reduziert sei. Pandemiebedingte Freiheitsbeschränkungen seien im Psychiatrischen Kontext ebenfalls sehr schwierig umzusetzen. Auch seien Therapiemöglichkeiten, etwa bei Gruppentherapien und bei stationsübergreifenden Therapieformen wie etwa Sporttherapie, vielfach sehr eingeschränkt.

Aus wirtschaftlicher Perspektive sei festzuhalten, dass Freihaltepauschalen und Ausgleichszahlungen in der Psychiatrie und Psychosomatik auskömmlich waren. Die beispielsweise vom RWI festgestellte Überzahlung von mehr als 10 % habe sich jedoch im weiteren Verlauf der Pandemie relativiert bzw. aufgehoben, da die Erlösminderungen auch nach Ende der Ausgleichszahlungen anhielten. Ziereis betonte zudem mit Blick auf die Skandalisierung der Überzahlungen als unrechtmäßige Aneignung der Kliniken: „Die Freihaltung und auch die initial einheitliche Pauschale war politisch gewollt!“

„Vom Versorgungsgestalter zum Minutenverwalter“

„Wir mutieren vom Versorgungsgestalter zum Minutenverwalter“, sagte Thomas Brobeil, Geschäftsführer der Vinzenz von Paul Hospital gGmbH, Rottweil, angesichts der zunehmenden Nachweisverpflichtungen und Kontrollen der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung.

Mit dem PPP-RL und den damit verbundenen Nachweisen und Sanktionen, den budgetrelevanten Soll-Vorgaben und der MD-Qualitätskontroll-Richtlinie sei der Zielkonflikt zwischen der Sicherstellung der Patientenversorgung und dem Vermeiden von Vergütungsausschlüssen und Strafzahlungen unauflösbar geworden.

Im ländlichen Raum entstünden Versorgungslücken im ambulanten Bereich, Fachkräftemangel könne nur noch schwer ausgeglichen werden. „Die heutigen Behandlungskonzepte und Strukturen in der Psychiatrie und Psychosomatik sind in den Strukturvorgaben nicht abgebildet. Eigenständige, solitär aufgebaute gemeindenahe Standorte sind angesichts der aktuellen Vorgaben kaum noch aufrechtzuerhalten“, so Brobeil. Milieutherapie sei nicht mehr möglich. Die Personalmindestvorgaben würden zu Maximalvorgaben. Personaleinsatzplanung zur Vermeidung von Sanktionen rücke in den Vordergrund, die Dokumentation dominiere die Behandlung. Sei es bisher darum gegangen, wie die Versorgungslandschaft zu gestalten sei für eine ausreichende und notwendige Versorgung, ginge es jetzt darum, „vollkommen unverhältnismäßige und bisweilen existenzgefährdende“ Sanktionen zu vermeiden: „Das große Zittern beginnt spätestens am Ende des zweiten Monats eines jeden Quartals“, so Brobeil, dessen Haus vier Landkreise mit mehr als 660 000 Einwohnern in Baden-Württemberg versorgt.

Er wünsche sich, so der Krankenhausmanager abschließend, die bereits geschaffene Durchlässigkeit zwischen den Sektorengrenzen würde wiederhergestellt, die gemeindenahen, kleinräumigen Angebote würden aufrechterhalten. Auch sei die Durchlässigkeit in der Personaleinsatzplanung wiederherzustellen.

Versorgung vorwärts gedacht: Stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB)

Welche Konzepte taugen für eine moderne, patientenorientierte Versorgung? Für die Stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB) macht sich Prof. Dr. Andreas Bechdolf stark. Der Chefarzt der Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Vivantes Klinikum am Urban und im Friedrichshain berichtet über die Erfahrungen mit StäB in den Berliner Bezirken skizziert Ergebnisse der AKtiV-Studie über Aufsuchende Krisenbehandlung mit teambasierter und integrierter Versorgung zur Evaluation der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung (StäB nach § 115d SGB V). Die Akzeptanz bei Nutzenden und Angehörigen sei hoch, auch bei sonst schwer erreichbaren Patientengruppen. Auch entstünden mehr Möglichkeiten, direkt im Umfeld der Patienten zu intervenieren. Bezugspersonen und Angehörige seien leichter einzubeziehen. „Betroffene und Angehörige wünschen eine Behandlung im häuslichen Umfeld“, so Bechdolf. Auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden sei erhöht.

Zwar ergäben sich durch starre Definitionen der StäB auch Nachteile, auch eine hohe MDK-Prüfquote sowie ein hoher Dokumentationsaufwand seien zu nennen. Dennoch setzt sich Bechdorf vehement dafür ein, StäB weiterzuentwickeln und um langfristige intensiv aufsuchende Behandlung zu ergänzen. „Wir sollten StäB und intensiv aufsuchende Behandlung zum Ausgangspunkt einer recoveryorientierten, effektiveren und weniger stigmatisierenden Psychiatrie machen“, so sein Plädoyer.

Zu den Erfahrungen zur Modellversorgung nach §64b SGB V erläuterte Prof. Dr. Sebastian von Peter, Leiter der Integrierten Arbeitsgruppe „Partizipative Forschung und Versorgungsforschung im Feld der Psychischen Gesundheiten“ an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, aktuelle Studienergebnisse.

Durch die Einführung eines klinikbezogenen Gesamtbudgets über alle Behandlungsarten sollen die Modellvorhaben eine flexiblere, bedürfnisgerechtere Versorgung von psychisch Erkrankten ermöglichen, wobei das Krankenhaus die Behandlungsform – stationär, teilstationär, stationsäquivalent sowie ambulant im Rahmen einer Psychiatrischen Institutsambulanz - wählt. Das Budget orientiert sich an der Zahl der behandelten Menschen pro Jahr.

 Kosten würden mit dem globalen Behandlungsbudget insgesamt kaum gespart, berichtete von Peter. Allerdings würden Liegedauer und Behandlungstage reduziert. Eine Verlagerung stationärer zu teilstationären und ambulanten Fällen bei weitgehend freier Steuerung der Leistungsangebote stelle den Patienten in den Mittelpunkt und erhöhe über niederschwellige Angebote sowie Regionalisierung der Versorgung die Zufriedenheit der Patienten und verringere die Symptomlast, die Krankheitsschwere und die Suizidalität.

Gute Effekte auf Strukturen, Konzepte und Patienten

Das Fazit von Prof. Dr. von Peter fällt dennoch verhalten aus: Als „Diffusionshindernisse“ nannte er nach acht Jahren Umsetzung der Modellversorgung (bzw. 18 Jahren budgetbasierter Behandlung) in nur 5 % aller Versorgungsregionen die notwendigen ressourcenaufwendigen Umstrukturierungen bei fehlender Reversibilität der notwendigen baulichen Strukturen und der einmal angelegten Arbeitsmodelle und Behandlungspfade. Auch die Kompatibilität mit gleichzeitiger Regelversorgung sei schlecht. Die Komplexität in der Steuerung sei hoch.

Dennoch biete das System der Modellversorgung nach § 64b SGB V Planungssicherheit für Leistungserbringer und Kostenträger bei geringem ökonomischem Risiko. Der „Misstrauensaufwand“ bzw. die bürokratische Last sei erheblich gesunken. Anreiz sei letztendlich Versorgungsqualität, nicht das belegte Bett, über die Kostenersparnis erreicht wird:  Das Ziel müsse sein, den Patienten so gut zu versorgen, dass er möglichst gut selbstständig zurechtkommt.

Quo Vadis Psychiatrie? „Wir müssen weg von der Idee, über kleinteilige Regulierungen die gesamte Versorgung zu organisieren“, resümierte Gerald Gaß zum Motto der Veranstaltung: „Wir müssen gerade in der Psychiatrie und Psychosomatik zu einer Vertrauenskultur finden.“

Katrin Rüter

Psychiatrie-Barometer: Corona hat die psychiatrischen Kliniken massiv gefordert

Obwohl in den psychiatrischen Fachkliniken und Abteilungen keine originäre Covid-Versorgung stattgefunden hat, waren die Kliniken durch die Pandemie massiv belastet und gefordert. Von den zusätzlichen Infektionsschutzmaßnahmen über die Errichtung von Spezialstationen für infizierte Psychiatriepatienten bis zur durch die Länder verordneten Schließung von Tageskliniken und Tagesstätten musste die psychiatrische Versorgung komplett umorganisiert werden, um den dringenden Behandlungsbedarf und die Hilfestrukturen für die Patienten aufrechtzuerhalten.

In der Hochphase der Coronapandemie (März bis Juni 2020) hat sich die Auslastung in der vollstationären Psychiatrie (- 23 %) und Psychosomatik (- 34 %) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich verringert. Noch dramatischer waren die Einbrüche in der teilstationären Versorgung mit Rückgängen von 50 bis 60 %.

Dies belegt das Psychiatrie-Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), eine jährlich durchgeführte Repräsentativbefragung psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen zu aktuellen Themen in diesem Versorgungsbereich. Der Schwerpunkt des aktuellen Barometers ist die Coronapandemie.

Dass die Krankenhäuser elektive Behandlungen ausgesetzt, aber auch, dass Patienten aus Angst vor Infektionen die Kliniken gemieden haben, waren die Hauptgründe für den Rückgang der Auslastung. In den meisten Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik hat sich die Auslastung wieder erholt. Dennoch erwartet rund die Hälfte der Krankenhäuser, dass sich 2021, trotz eines erwarteten erhöhten Patientenaufkommens, die wirtschaftliche Lage im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert. „Die Krankenhäuser müssen von unflexiblen Vorgaben, bürokratischen Aufwänden und drohenden finanziellen Sanktionen entlastet werden, um den wachsenden Herausforderungen nach der Coronapandemie gerecht werden zu können“, so Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Trotz sehr schwieriger Rahmenbedingungen in der Pandemie sei es gelungen, eine hochwertige psychiatrische Versorgung und eine hohe Patientensicherheit zu gewährleisten. Als besondere Herausforderung erwiesen sich dabei Veränderungen des Patientenklientels. So haben in 41 % der Kliniken die Notfälle mit akutem und aufwändigem Behandlungsbedarf zugenommen. Auch durch die Verunsicherung und Ängste von Patienten wegen der Corona-Maßnahmen und deren Schwierigkeiten bei Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln war das Personal zusätzlich gefordert.

Infolge der Pandemie haben die psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen ihre Stations- und Therapieorganisation angepasst. So wurden gruppentherapeutische Angebote reduziert oder mit verminderter Teilnehmerzahl durchgeführt. Die meisten Kliniken haben telefonische Kriseninterventionsangebote und telemedizinische Einzeltherapieangebote für die Patienten aufgenommen oder ausgebaut. Schutzmaßnahmen für Personal und Patienten waren standardmäßig umgesetzt, zum Beispiel die Ausstattung mit Mund-Nasen-Schutz, Screenings, schriftliche Informationen zu Hygienemaßnahmen und umfangreiche Abstands- und Hygieneregeln. „Insbesondere müssen die ambulanten und telemedizinischen Angebote der psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser auch über die Zeit der Pandemie hinaus weiter ausgebaut werden“, forderte Gaß.

Die Ergebnisse des Psychiatrie-Barometers 2020/2021 beruhen auf einer Befragung in den psychiatrischen und psychosomatischen Fachkrankenhäusern sowie den Allgemeinkrankenhäusern mit psychiatrischen oder psychosomatischen Fachabteilungen. Die Kliniken wurden zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 befragt. Beteiligt haben sich insgesamt 312 Einrichtungen.

Der Psychiatrie Barometer steht unter https://www.dki.de/sites/default/files/2021-07/202106_Final_Psych-Barometer_komprimiert.pdf zum Download bereit.